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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lin deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien

oder Fortsetzung der Beschreibung" (Ingolstadt, 1710), erhalten wir über die
einstige Kolonisation in den uns hier beschäftigenden Landesteilen des nordwest¬
lichen Rio Grande wertvolle Angaben, denen wir die nachstehende Schilderung
entnehmen.

In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts
treffen wir Pater Sepp als Pfarrherrn zu S. Michael, dem heutigen S. Miguel,
einer Reduktion, die er schon in fertigen Zustande übernommen hatte. Um
jene Zeit aber beschloß sein vorgesetzter Provinzial, von hier aus eine neue
Reduktion ins Leben zu rufen. Die Dorfschaft, unter allen Reduktionen am
linken Ufer des Uruguay die ansehnlichste, hatte dermaßen an Bevölkerung
zugenommen, daß es dringend notwendig erschien, diese in zwei Teile zu trennen
und mit der einen Hälfte eine neue Kolonie zu begründen. Dies auszuführen
war Pater Autonius bestimmt. Man kann sich recht Wohl in die Stimmung
des wackern Mannes versetzen, an den mit einemmal ein solches Ansinnen ge¬
stellt wurde. "Sage her, ruft er dem Leser seiner Beschreibung zu, der du
dieses Blatt in der Hand hast und liesest oder ablesen hörest: wenn dir gesagt
wird: Nun wolan mein Freund! Ich hab ein Dorffschafft, in welcher mehrer
denn 6000 Seelen gezehlet werden, es ist hoch vonnöthen selbe abznthailen,
ein neues Dorfs aufzurichten und zu bauen, und zwar an einem Orth, allwo
gantz und gar nichts bißhero gefunden worden als daß griene unfruchtbare
Graß, keine in schöner langer Ordnung gepflanzte Weingürten, keine mit
Waitzen und anderen Getraide zum Schnitt zeitige Felder: keine mit feißter
Oliven reiche Ölberg, keine mit fruchtbaren Bäumen versetzte Aerger oder
Zwinger. Mit einem Wort, dise neue Coloniam mußt du sichren und auf¬
bauen auf einem Feld, allwo du so gar kein Strohhütlein eines Schasfhirtens
antreffen sollest. Was sagest du zu disen? Liebster Leser! was Hertz hättest
du barme?" Aber sein starkes Gottvertrauen verläßt ihn nicht. Er rust die
Kaziken des Dorfes zusammen und teilt ihnen den Befehl mit, der von seinen
Obern an ihn ergangen ist. Er stellt ihnen vor, wie die Bevölkerung so
angewachsen sei, daß sie von einem oder zwei I^tribus ni8siovg.rils nicht mehr
regiert werden könne. Die das Dorf umgebenden Äcker seien infolge des immer¬
währenden Gebrauchs nicht mehr imstande, dem Ackersmann den gewohnten
hundertfältiger Ertrag zu geben. Zudem Hütten sich die gefräßigen Ameisen
-- auch heutzutage noch ein schlimmer Feind der Pflanzungen in Rio Grande
do Sui -- außerordentlich vermehrt und arbeiteten bei Tag und Nacht, den
trügen und hinlässigen Sämann an den Bettelstab zu bringen. Deshalb würde
es ihnen nicht allzu schwer fallen, diese Stätte zu verlassen, zumal wenn sie
bedächten, wie er selbst aus Liebe zu ihnen, seinen indianischen Kindern, seine
eigne Mutter, Brüder und Schwestern, Haus und Hof, sein liebes Vaterland
Tirol und ganz Europa verlassen Hütte.

Diese Anrede verfehlte ihre Wirkung nicht. Einundzwanzig Kaziken mit


Lin deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien

oder Fortsetzung der Beschreibung" (Ingolstadt, 1710), erhalten wir über die
einstige Kolonisation in den uns hier beschäftigenden Landesteilen des nordwest¬
lichen Rio Grande wertvolle Angaben, denen wir die nachstehende Schilderung
entnehmen.

In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts
treffen wir Pater Sepp als Pfarrherrn zu S. Michael, dem heutigen S. Miguel,
einer Reduktion, die er schon in fertigen Zustande übernommen hatte. Um
jene Zeit aber beschloß sein vorgesetzter Provinzial, von hier aus eine neue
Reduktion ins Leben zu rufen. Die Dorfschaft, unter allen Reduktionen am
linken Ufer des Uruguay die ansehnlichste, hatte dermaßen an Bevölkerung
zugenommen, daß es dringend notwendig erschien, diese in zwei Teile zu trennen
und mit der einen Hälfte eine neue Kolonie zu begründen. Dies auszuführen
war Pater Autonius bestimmt. Man kann sich recht Wohl in die Stimmung
des wackern Mannes versetzen, an den mit einemmal ein solches Ansinnen ge¬
stellt wurde. „Sage her, ruft er dem Leser seiner Beschreibung zu, der du
dieses Blatt in der Hand hast und liesest oder ablesen hörest: wenn dir gesagt
wird: Nun wolan mein Freund! Ich hab ein Dorffschafft, in welcher mehrer
denn 6000 Seelen gezehlet werden, es ist hoch vonnöthen selbe abznthailen,
ein neues Dorfs aufzurichten und zu bauen, und zwar an einem Orth, allwo
gantz und gar nichts bißhero gefunden worden als daß griene unfruchtbare
Graß, keine in schöner langer Ordnung gepflanzte Weingürten, keine mit
Waitzen und anderen Getraide zum Schnitt zeitige Felder: keine mit feißter
Oliven reiche Ölberg, keine mit fruchtbaren Bäumen versetzte Aerger oder
Zwinger. Mit einem Wort, dise neue Coloniam mußt du sichren und auf¬
bauen auf einem Feld, allwo du so gar kein Strohhütlein eines Schasfhirtens
antreffen sollest. Was sagest du zu disen? Liebster Leser! was Hertz hättest
du barme?" Aber sein starkes Gottvertrauen verläßt ihn nicht. Er rust die
Kaziken des Dorfes zusammen und teilt ihnen den Befehl mit, der von seinen
Obern an ihn ergangen ist. Er stellt ihnen vor, wie die Bevölkerung so
angewachsen sei, daß sie von einem oder zwei I^tribus ni8siovg.rils nicht mehr
regiert werden könne. Die das Dorf umgebenden Äcker seien infolge des immer¬
währenden Gebrauchs nicht mehr imstande, dem Ackersmann den gewohnten
hundertfältiger Ertrag zu geben. Zudem Hütten sich die gefräßigen Ameisen
— auch heutzutage noch ein schlimmer Feind der Pflanzungen in Rio Grande
do Sui — außerordentlich vermehrt und arbeiteten bei Tag und Nacht, den
trügen und hinlässigen Sämann an den Bettelstab zu bringen. Deshalb würde
es ihnen nicht allzu schwer fallen, diese Stätte zu verlassen, zumal wenn sie
bedächten, wie er selbst aus Liebe zu ihnen, seinen indianischen Kindern, seine
eigne Mutter, Brüder und Schwestern, Haus und Hof, sein liebes Vaterland
Tirol und ganz Europa verlassen Hütte.

Diese Anrede verfehlte ihre Wirkung nicht. Einundzwanzig Kaziken mit


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[0269] Lin deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien oder Fortsetzung der Beschreibung" (Ingolstadt, 1710), erhalten wir über die einstige Kolonisation in den uns hier beschäftigenden Landesteilen des nordwest¬ lichen Rio Grande wertvolle Angaben, denen wir die nachstehende Schilderung entnehmen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts treffen wir Pater Sepp als Pfarrherrn zu S. Michael, dem heutigen S. Miguel, einer Reduktion, die er schon in fertigen Zustande übernommen hatte. Um jene Zeit aber beschloß sein vorgesetzter Provinzial, von hier aus eine neue Reduktion ins Leben zu rufen. Die Dorfschaft, unter allen Reduktionen am linken Ufer des Uruguay die ansehnlichste, hatte dermaßen an Bevölkerung zugenommen, daß es dringend notwendig erschien, diese in zwei Teile zu trennen und mit der einen Hälfte eine neue Kolonie zu begründen. Dies auszuführen war Pater Autonius bestimmt. Man kann sich recht Wohl in die Stimmung des wackern Mannes versetzen, an den mit einemmal ein solches Ansinnen ge¬ stellt wurde. „Sage her, ruft er dem Leser seiner Beschreibung zu, der du dieses Blatt in der Hand hast und liesest oder ablesen hörest: wenn dir gesagt wird: Nun wolan mein Freund! Ich hab ein Dorffschafft, in welcher mehrer denn 6000 Seelen gezehlet werden, es ist hoch vonnöthen selbe abznthailen, ein neues Dorfs aufzurichten und zu bauen, und zwar an einem Orth, allwo gantz und gar nichts bißhero gefunden worden als daß griene unfruchtbare Graß, keine in schöner langer Ordnung gepflanzte Weingürten, keine mit Waitzen und anderen Getraide zum Schnitt zeitige Felder: keine mit feißter Oliven reiche Ölberg, keine mit fruchtbaren Bäumen versetzte Aerger oder Zwinger. Mit einem Wort, dise neue Coloniam mußt du sichren und auf¬ bauen auf einem Feld, allwo du so gar kein Strohhütlein eines Schasfhirtens antreffen sollest. Was sagest du zu disen? Liebster Leser! was Hertz hättest du barme?" Aber sein starkes Gottvertrauen verläßt ihn nicht. Er rust die Kaziken des Dorfes zusammen und teilt ihnen den Befehl mit, der von seinen Obern an ihn ergangen ist. Er stellt ihnen vor, wie die Bevölkerung so angewachsen sei, daß sie von einem oder zwei I^tribus ni8siovg.rils nicht mehr regiert werden könne. Die das Dorf umgebenden Äcker seien infolge des immer¬ währenden Gebrauchs nicht mehr imstande, dem Ackersmann den gewohnten hundertfältiger Ertrag zu geben. Zudem Hütten sich die gefräßigen Ameisen — auch heutzutage noch ein schlimmer Feind der Pflanzungen in Rio Grande do Sui — außerordentlich vermehrt und arbeiteten bei Tag und Nacht, den trügen und hinlässigen Sämann an den Bettelstab zu bringen. Deshalb würde es ihnen nicht allzu schwer fallen, diese Stätte zu verlassen, zumal wenn sie bedächten, wie er selbst aus Liebe zu ihnen, seinen indianischen Kindern, seine eigne Mutter, Brüder und Schwestern, Haus und Hof, sein liebes Vaterland Tirol und ganz Europa verlassen Hütte. Diese Anrede verfehlte ihre Wirkung nicht. Einundzwanzig Kaziken mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/269>, abgerufen am 23.07.2024.