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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Fürsorge für entlassene Strafgefangne

Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne, wie sie im Laufe der Jahre
in sehr vielen deutschen Großstädten von übereifriger Menschenfreunden ins
Leben gerufen worden sind. Ihre Entstehung verdanken sie wohl insgesamt
den Berichten und Erzählungen der Sträflinge, die gewöhnlich bei ihrer Rückkehr
ins Gefängnis mit großer Geläufigkeit ein aus solchen Phrasen, wie sie oben
angeführt worden sind, gewobnes Märchen als Entschuldigung vorzubringen
pflegen. Auf Grund so unzuverlässiger Angaben aber gleich ein philanthropisches
Rettungswerk aufzuführen, ist doch mindestens ein gewagtes Unternehmen. Daß
sich jeder, den sein Geschick auf die Anklagebank oder ins Gefängnis geführt
hat, gewöhnlich nach Möglichkeit weiß zu brennen sucht, wird gewiß niemand
überraschen; befremdender ist es schon, wenn jemand die unglaubliche Naivität
hat, alle diese faulen Ausreden für bare Münze zu nehmen. Soviel ist gewiß:
wenn wir aus unsern Strafanstalten die notorischen Gewohnheitsverbrecher,
sowie alle die herausnehmen, die thatsächlich nur durch ihren Leichtsinn hinter
Schloß und Riegel gekommen sind, dann werden wahrscheinlich nur sehr wenige
bleiben, bei denen wirkliche Not die Ursache gewesen ist, und selbst unter diesen
wenigen wird sich höchst wahrscheinlich nur selten einer finden, dessen Notlage
durch eine frühere Bestrafung hervorgerufen worden war.

In moralischen Erzählungen macht es sich ja gewöhnlich sehr gut, wenn
uns geschildert wird, wie so ein armer Wurm zum erstenmal aus irgend einer
harmlosen Ursache ins Gefängnis kommt, nach seiner Entlassung aber alle"
Anstrengungen zum Trotz wegen dieser Bestrafung keine Arbeit mehr bekommen
kann, den alten, bösen Bekannten aus dem Gefängnis wieder in die Hände
fällt und nun aus purer Verzweiflung aufs neue zum Verbrechen greift und
ins Gefängnis kommt. In Wahrheit erfolgt aber gewöhnlich die zweite und
dritte Rückkehr ins Gefängnis aus keinen andern Gründen, als der erste Besuch
auch. Wer wirklich an das alberne Märchen glaubt, daß die Bestrafung eines
Menschen schon ein unüberwindliches Hindernis sei, wieder ehrliche Arbeit zu
bekommen, der kennt das praktische Leben nur sehr wenig und würde jedenfalls
besser thun, sich erst etwas darin umzusehen, ehe er sich mit solchen Fragen
beschäftigt, zu deren Lösung schließlich doch noch etwas mehr gehört als bloßer
guter Wille.

Für die Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne ist es nun aber
in der That Voraussetzung, daß ein bestrafter Mensch gar nicht in der Lage
sei, durch eigne Kraft wieder ehrliche Arbeit zu finden, sondern daß er hierzu
meist der thätigen Hilfe edler Menschenfreunde bedürfe, dies ist die Grundlage
ihres Daseins; wer ihnen also den Nachweis liefert, daß das einfach eine halt¬
lose Phrase ist, der versetzt ihnen eigentlich schon den Todesstreich. Dieser
Beweis liegt nun aber schon darin, daß doch immer nur ein sehr kleiner Prozent¬
satz der aus deu Strafanstalten Entlassener die Hilfe solcher Vereine in An¬
spruch nimmt, der weitaus größere Teil aber auch ohne ihre Vermittlung wieder


Die Fürsorge für entlassene Strafgefangne

Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne, wie sie im Laufe der Jahre
in sehr vielen deutschen Großstädten von übereifriger Menschenfreunden ins
Leben gerufen worden sind. Ihre Entstehung verdanken sie wohl insgesamt
den Berichten und Erzählungen der Sträflinge, die gewöhnlich bei ihrer Rückkehr
ins Gefängnis mit großer Geläufigkeit ein aus solchen Phrasen, wie sie oben
angeführt worden sind, gewobnes Märchen als Entschuldigung vorzubringen
pflegen. Auf Grund so unzuverlässiger Angaben aber gleich ein philanthropisches
Rettungswerk aufzuführen, ist doch mindestens ein gewagtes Unternehmen. Daß
sich jeder, den sein Geschick auf die Anklagebank oder ins Gefängnis geführt
hat, gewöhnlich nach Möglichkeit weiß zu brennen sucht, wird gewiß niemand
überraschen; befremdender ist es schon, wenn jemand die unglaubliche Naivität
hat, alle diese faulen Ausreden für bare Münze zu nehmen. Soviel ist gewiß:
wenn wir aus unsern Strafanstalten die notorischen Gewohnheitsverbrecher,
sowie alle die herausnehmen, die thatsächlich nur durch ihren Leichtsinn hinter
Schloß und Riegel gekommen sind, dann werden wahrscheinlich nur sehr wenige
bleiben, bei denen wirkliche Not die Ursache gewesen ist, und selbst unter diesen
wenigen wird sich höchst wahrscheinlich nur selten einer finden, dessen Notlage
durch eine frühere Bestrafung hervorgerufen worden war.

In moralischen Erzählungen macht es sich ja gewöhnlich sehr gut, wenn
uns geschildert wird, wie so ein armer Wurm zum erstenmal aus irgend einer
harmlosen Ursache ins Gefängnis kommt, nach seiner Entlassung aber alle«
Anstrengungen zum Trotz wegen dieser Bestrafung keine Arbeit mehr bekommen
kann, den alten, bösen Bekannten aus dem Gefängnis wieder in die Hände
fällt und nun aus purer Verzweiflung aufs neue zum Verbrechen greift und
ins Gefängnis kommt. In Wahrheit erfolgt aber gewöhnlich die zweite und
dritte Rückkehr ins Gefängnis aus keinen andern Gründen, als der erste Besuch
auch. Wer wirklich an das alberne Märchen glaubt, daß die Bestrafung eines
Menschen schon ein unüberwindliches Hindernis sei, wieder ehrliche Arbeit zu
bekommen, der kennt das praktische Leben nur sehr wenig und würde jedenfalls
besser thun, sich erst etwas darin umzusehen, ehe er sich mit solchen Fragen
beschäftigt, zu deren Lösung schließlich doch noch etwas mehr gehört als bloßer
guter Wille.

Für die Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne ist es nun aber
in der That Voraussetzung, daß ein bestrafter Mensch gar nicht in der Lage
sei, durch eigne Kraft wieder ehrliche Arbeit zu finden, sondern daß er hierzu
meist der thätigen Hilfe edler Menschenfreunde bedürfe, dies ist die Grundlage
ihres Daseins; wer ihnen also den Nachweis liefert, daß das einfach eine halt¬
lose Phrase ist, der versetzt ihnen eigentlich schon den Todesstreich. Dieser
Beweis liegt nun aber schon darin, daß doch immer nur ein sehr kleiner Prozent¬
satz der aus deu Strafanstalten Entlassener die Hilfe solcher Vereine in An¬
spruch nimmt, der weitaus größere Teil aber auch ohne ihre Vermittlung wieder


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[0261] Die Fürsorge für entlassene Strafgefangne Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne, wie sie im Laufe der Jahre in sehr vielen deutschen Großstädten von übereifriger Menschenfreunden ins Leben gerufen worden sind. Ihre Entstehung verdanken sie wohl insgesamt den Berichten und Erzählungen der Sträflinge, die gewöhnlich bei ihrer Rückkehr ins Gefängnis mit großer Geläufigkeit ein aus solchen Phrasen, wie sie oben angeführt worden sind, gewobnes Märchen als Entschuldigung vorzubringen pflegen. Auf Grund so unzuverlässiger Angaben aber gleich ein philanthropisches Rettungswerk aufzuführen, ist doch mindestens ein gewagtes Unternehmen. Daß sich jeder, den sein Geschick auf die Anklagebank oder ins Gefängnis geführt hat, gewöhnlich nach Möglichkeit weiß zu brennen sucht, wird gewiß niemand überraschen; befremdender ist es schon, wenn jemand die unglaubliche Naivität hat, alle diese faulen Ausreden für bare Münze zu nehmen. Soviel ist gewiß: wenn wir aus unsern Strafanstalten die notorischen Gewohnheitsverbrecher, sowie alle die herausnehmen, die thatsächlich nur durch ihren Leichtsinn hinter Schloß und Riegel gekommen sind, dann werden wahrscheinlich nur sehr wenige bleiben, bei denen wirkliche Not die Ursache gewesen ist, und selbst unter diesen wenigen wird sich höchst wahrscheinlich nur selten einer finden, dessen Notlage durch eine frühere Bestrafung hervorgerufen worden war. In moralischen Erzählungen macht es sich ja gewöhnlich sehr gut, wenn uns geschildert wird, wie so ein armer Wurm zum erstenmal aus irgend einer harmlosen Ursache ins Gefängnis kommt, nach seiner Entlassung aber alle« Anstrengungen zum Trotz wegen dieser Bestrafung keine Arbeit mehr bekommen kann, den alten, bösen Bekannten aus dem Gefängnis wieder in die Hände fällt und nun aus purer Verzweiflung aufs neue zum Verbrechen greift und ins Gefängnis kommt. In Wahrheit erfolgt aber gewöhnlich die zweite und dritte Rückkehr ins Gefängnis aus keinen andern Gründen, als der erste Besuch auch. Wer wirklich an das alberne Märchen glaubt, daß die Bestrafung eines Menschen schon ein unüberwindliches Hindernis sei, wieder ehrliche Arbeit zu bekommen, der kennt das praktische Leben nur sehr wenig und würde jedenfalls besser thun, sich erst etwas darin umzusehen, ehe er sich mit solchen Fragen beschäftigt, zu deren Lösung schließlich doch noch etwas mehr gehört als bloßer guter Wille. Für die Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangne ist es nun aber in der That Voraussetzung, daß ein bestrafter Mensch gar nicht in der Lage sei, durch eigne Kraft wieder ehrliche Arbeit zu finden, sondern daß er hierzu meist der thätigen Hilfe edler Menschenfreunde bedürfe, dies ist die Grundlage ihres Daseins; wer ihnen also den Nachweis liefert, daß das einfach eine halt¬ lose Phrase ist, der versetzt ihnen eigentlich schon den Todesstreich. Dieser Beweis liegt nun aber schon darin, daß doch immer nur ein sehr kleiner Prozent¬ satz der aus deu Strafanstalten Entlassener die Hilfe solcher Vereine in An¬ spruch nimmt, der weitaus größere Teil aber auch ohne ihre Vermittlung wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/261>, abgerufen am 23.07.2024.