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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

durchgreifende Wohnungsbeaufsichtigung für ein dringendes Bedürfnis erachtet,
jedoch zur Zeit Anträge auf reichsgesetzliche Regelung für erfolglos hält und
daher deu Erlaß von Landesgesetzen oder eine ortspolizeiliche Regelung oder
allgemeine polizeiliche Verordnungen empfiehlt. Inzwischen hat der Abgeordnete
Bassermann im Reichstage am 13. Dezember v. I. den Erlaß eines Neichs-
wohngesetzes befürwortet.

Bevor dieser letzte Beschluß gefaßt wurde, hatte schon das königlich
sächsische Ministerium den Versuch gewagt, die Arbeiterwohnungsfrage im Wege
des Ortsstatuts ortspolizeilich zu regeln, indem es Normativbestimmungen für
eine Ortsbauordnung ausarbeitete, die als Grundlage für die Beschlüsse der
Gemeindeverwaltung zu gelten hat. Die hier aufgestellten Grundzüge zerfallen
in vierzehn Abschnitte mit einundachtzig Paragraphen, von denen die sechs
ersten die Erfordernisse einer Straßenbauordnuug, d. h. die Eigenschaften der
zum Anbau fertigen Straßen und die Beschaffung des hierfür erforderlichen
Grund und Bodens behandeln. Diese haben schon in der Straßenbauordnung
für die Stadt Dresden vom 30. März 1897 und in der Bauordnung für die
Stadt Leipzig vom 27. Oktober 1897 sinnentsprechende Berücksichtigung ge¬
funden. Ihnen schließen sich in den Abschnitten 7, 9, 10, 11, 12 die bei der
Bauausführung zu beobachtenden Grundsätze an, während Abschnitt 8 die Eigen¬
schaften der Bewohnbarkeit von Familienwohnungen aufstellt; die Abschnitte
13 und 14 enthalten Übergangsbestimmungen. In diesem Normalstatut wird
den vorangestellten Grundzügen im weitesten Maße Rechnung getragen. Unter
den Bebauungsvorschriften wird im Z 49 angeregt, den Bezirk der Gemeinde
hinsichtlich der baulichen Ausnutzung des Grund und Bodens in zwei oder
drei Zonen zu zerlegen, von denen die letzte das neuerschlossene Baugelände
zu umfassen habe. Für diese äußerste Zone sieht Z 50 als Regel vor, daß
von jeder Baustelle nur vier Zehntel mit Gebäuden überbaut werden dürfen,
in Landgemeinden die offne Bauweise die Regel sein solle, aber auch in Städten
das Außengelände möglichst weiträumig zu bebauen sei, die Gebäudehöhe, ab¬
gesehen von öffentlichen Gebänden in Städten, möglichst auf drei, in Land¬
gemeinden auf zwei Geschoß einschließlich des Erdgeschosses festzusetzen sei,
für Straßen, auf denen ein größerer Geschäftsverkehr nicht zu erwarten steht,
eine hinter die Straßenflucht zurücktretende Bauflucht und das zwischen beiden
liegende Gelände als Vorgarten vorzusehen sei. Unmittelbar hinter jedem
Vorderhause muß in voller Länge ein unbebauter Raum als Hof oder Garten
vorhanden sein, dessen Tiefe der Hauptsimshöhe des Vordergebäudes wenigstens
gleichkommt. Der Erdgeschoßfußboden soll (§ 52) in der Regel wenigstens
0,50 Meter über der Oberfläche der Straße oder des Vorgartenlandes liegen
und die Außenwand durch Jsolierschichteu vor dem Eindringen des Gruud-
wassers geschützt werden. Auch ist nach § 70 für jede Familienwohnnng ein,
besondrer Abort vorzusehen.


Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

durchgreifende Wohnungsbeaufsichtigung für ein dringendes Bedürfnis erachtet,
jedoch zur Zeit Anträge auf reichsgesetzliche Regelung für erfolglos hält und
daher deu Erlaß von Landesgesetzen oder eine ortspolizeiliche Regelung oder
allgemeine polizeiliche Verordnungen empfiehlt. Inzwischen hat der Abgeordnete
Bassermann im Reichstage am 13. Dezember v. I. den Erlaß eines Neichs-
wohngesetzes befürwortet.

Bevor dieser letzte Beschluß gefaßt wurde, hatte schon das königlich
sächsische Ministerium den Versuch gewagt, die Arbeiterwohnungsfrage im Wege
des Ortsstatuts ortspolizeilich zu regeln, indem es Normativbestimmungen für
eine Ortsbauordnung ausarbeitete, die als Grundlage für die Beschlüsse der
Gemeindeverwaltung zu gelten hat. Die hier aufgestellten Grundzüge zerfallen
in vierzehn Abschnitte mit einundachtzig Paragraphen, von denen die sechs
ersten die Erfordernisse einer Straßenbauordnuug, d. h. die Eigenschaften der
zum Anbau fertigen Straßen und die Beschaffung des hierfür erforderlichen
Grund und Bodens behandeln. Diese haben schon in der Straßenbauordnung
für die Stadt Dresden vom 30. März 1897 und in der Bauordnung für die
Stadt Leipzig vom 27. Oktober 1897 sinnentsprechende Berücksichtigung ge¬
funden. Ihnen schließen sich in den Abschnitten 7, 9, 10, 11, 12 die bei der
Bauausführung zu beobachtenden Grundsätze an, während Abschnitt 8 die Eigen¬
schaften der Bewohnbarkeit von Familienwohnungen aufstellt; die Abschnitte
13 und 14 enthalten Übergangsbestimmungen. In diesem Normalstatut wird
den vorangestellten Grundzügen im weitesten Maße Rechnung getragen. Unter
den Bebauungsvorschriften wird im Z 49 angeregt, den Bezirk der Gemeinde
hinsichtlich der baulichen Ausnutzung des Grund und Bodens in zwei oder
drei Zonen zu zerlegen, von denen die letzte das neuerschlossene Baugelände
zu umfassen habe. Für diese äußerste Zone sieht Z 50 als Regel vor, daß
von jeder Baustelle nur vier Zehntel mit Gebäuden überbaut werden dürfen,
in Landgemeinden die offne Bauweise die Regel sein solle, aber auch in Städten
das Außengelände möglichst weiträumig zu bebauen sei, die Gebäudehöhe, ab¬
gesehen von öffentlichen Gebänden in Städten, möglichst auf drei, in Land¬
gemeinden auf zwei Geschoß einschließlich des Erdgeschosses festzusetzen sei,
für Straßen, auf denen ein größerer Geschäftsverkehr nicht zu erwarten steht,
eine hinter die Straßenflucht zurücktretende Bauflucht und das zwischen beiden
liegende Gelände als Vorgarten vorzusehen sei. Unmittelbar hinter jedem
Vorderhause muß in voller Länge ein unbebauter Raum als Hof oder Garten
vorhanden sein, dessen Tiefe der Hauptsimshöhe des Vordergebäudes wenigstens
gleichkommt. Der Erdgeschoßfußboden soll (§ 52) in der Regel wenigstens
0,50 Meter über der Oberfläche der Straße oder des Vorgartenlandes liegen
und die Außenwand durch Jsolierschichteu vor dem Eindringen des Gruud-
wassers geschützt werden. Auch ist nach § 70 für jede Familienwohnnng ein,
besondrer Abort vorzusehen.


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[0252] Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage durchgreifende Wohnungsbeaufsichtigung für ein dringendes Bedürfnis erachtet, jedoch zur Zeit Anträge auf reichsgesetzliche Regelung für erfolglos hält und daher deu Erlaß von Landesgesetzen oder eine ortspolizeiliche Regelung oder allgemeine polizeiliche Verordnungen empfiehlt. Inzwischen hat der Abgeordnete Bassermann im Reichstage am 13. Dezember v. I. den Erlaß eines Neichs- wohngesetzes befürwortet. Bevor dieser letzte Beschluß gefaßt wurde, hatte schon das königlich sächsische Ministerium den Versuch gewagt, die Arbeiterwohnungsfrage im Wege des Ortsstatuts ortspolizeilich zu regeln, indem es Normativbestimmungen für eine Ortsbauordnung ausarbeitete, die als Grundlage für die Beschlüsse der Gemeindeverwaltung zu gelten hat. Die hier aufgestellten Grundzüge zerfallen in vierzehn Abschnitte mit einundachtzig Paragraphen, von denen die sechs ersten die Erfordernisse einer Straßenbauordnuug, d. h. die Eigenschaften der zum Anbau fertigen Straßen und die Beschaffung des hierfür erforderlichen Grund und Bodens behandeln. Diese haben schon in der Straßenbauordnung für die Stadt Dresden vom 30. März 1897 und in der Bauordnung für die Stadt Leipzig vom 27. Oktober 1897 sinnentsprechende Berücksichtigung ge¬ funden. Ihnen schließen sich in den Abschnitten 7, 9, 10, 11, 12 die bei der Bauausführung zu beobachtenden Grundsätze an, während Abschnitt 8 die Eigen¬ schaften der Bewohnbarkeit von Familienwohnungen aufstellt; die Abschnitte 13 und 14 enthalten Übergangsbestimmungen. In diesem Normalstatut wird den vorangestellten Grundzügen im weitesten Maße Rechnung getragen. Unter den Bebauungsvorschriften wird im Z 49 angeregt, den Bezirk der Gemeinde hinsichtlich der baulichen Ausnutzung des Grund und Bodens in zwei oder drei Zonen zu zerlegen, von denen die letzte das neuerschlossene Baugelände zu umfassen habe. Für diese äußerste Zone sieht Z 50 als Regel vor, daß von jeder Baustelle nur vier Zehntel mit Gebäuden überbaut werden dürfen, in Landgemeinden die offne Bauweise die Regel sein solle, aber auch in Städten das Außengelände möglichst weiträumig zu bebauen sei, die Gebäudehöhe, ab¬ gesehen von öffentlichen Gebänden in Städten, möglichst auf drei, in Land¬ gemeinden auf zwei Geschoß einschließlich des Erdgeschosses festzusetzen sei, für Straßen, auf denen ein größerer Geschäftsverkehr nicht zu erwarten steht, eine hinter die Straßenflucht zurücktretende Bauflucht und das zwischen beiden liegende Gelände als Vorgarten vorzusehen sei. Unmittelbar hinter jedem Vorderhause muß in voller Länge ein unbebauter Raum als Hof oder Garten vorhanden sein, dessen Tiefe der Hauptsimshöhe des Vordergebäudes wenigstens gleichkommt. Der Erdgeschoßfußboden soll (§ 52) in der Regel wenigstens 0,50 Meter über der Oberfläche der Straße oder des Vorgartenlandes liegen und die Außenwand durch Jsolierschichteu vor dem Eindringen des Gruud- wassers geschützt werden. Auch ist nach § 70 für jede Familienwohnnng ein, besondrer Abort vorzusehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/252>, abgerufen am 23.07.2024.