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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die imperialistische Bewegung in England
l^. (Lcirlyle

Von Carlyle kommt hier vor allem sein Grundsatz in Betracht, daß das
höher zivilisierte und mächtigere Volk das Recht habe, ein schwächeres zu ver¬
drängen, und daß es selbst die Pflicht eines Landes sei, seinen Söhnen, die
im Inlande nicht Brot und Arbeit fänden, nötigenfalls mit Gewalt in fremden
Erdteilen Raum zu schaffen, wo sie ihre Kräfte bethätigen könnten. "Überall
-- sagt er im OllartiLiu (1843) -- sehen wir Eroberung, die bloß Unrecht
und Gewalt scheint, sich als ein Recht unter den Menschen geltend machen.
Prüfen wir jedoch, so finden wir, daß in dieser Welt keine Eroberung dauernd
werden konnte, die sich nicht daneben als wohlthätig für die Besiegten wie für
die Eroberer erwies. Die Römer unterwarfen die Welt und hielten sie unter¬
worfen, weil sie am besten die Welt regieren konnten. So waren auch die
Engländer vor achthundert Jahren uneinig, und mit Harolds Tod schwand
die letzte Möglichkeit, das Land gut zu regieren; eine neue Klasse starker nor¬
mannischer Adlicher mit einem starken Mann, mit einer Reihe starker Männer
an der Spitze, und nicht uneinig, sondern durch manche Bande verbunden,
waren imstande, es zu regieren, und regierten es, wie wir annehmen dürfen,
ziemlich erträglich, oder sie würden nicht dort geblieben sein. Sie handelten,
ohne sich eines solchen Amtes bewußt zu sein, als eine ungeheure, freiwillige,
überall vertretne, zum Handeln bereite Polizeigewalt. Es ist ein erfreulicher
Gedanke, daß Macht und Recht, die anfangs oft so schrecklich voneinander ab¬
weichen, am Ende doch ein und dasselbe sind. Eroberung durch bloße Gewalt
und Zwang hat keine Dauer. Sie muß wohlthätig sein, oder sie wird ab¬
geschüttelt. Der starke Mann ist, genau betrachtet, der weise Mann, der mit
Methode, Treue und Tapferkeit begabt ist und zu verwalten, zu leiten und zu
herrschen versteht."

Carlyle wendet sich höhnisch gegen Thierry, der das Schicksal der unter
dem Eroberer dahingesunknen Sachsen pathetisch beklagte und in sein Mitleid
auch die Walliser, überhaupt die Kelten einschloß, die eine stärkere Rasse in
die gebirgigen Winkel des Westens verscheucht hatte. Es ist wahr, sagt
Carlyle, daß diese ohne Erfolg kämpfenden Männer edle Thaten vollführten
und heroische Leiden ertrugen, denen eine Thräne gebührt; es ist auch passend
und recht, daß jemand aussteht, der dieser Verlornen Sache ebenfalls Geltung
zu verschaffen sucht. "Sehr recht -- und doch, wenn wir die Dinge nach
diesem großen Maßstabe beurteilen, was können wir sehen, als daß die Sache,
die den Göttern gefallen hat, am Ende auch Cato gefallen muß? Cato kann
es nicht ändern, und Cato wird finden, daß er im Grunde nicht wünschen
kann, es zu ändern. Macht und Recht unterscheiden sich sehr von einer Stunde
zur andern; aber wenn man ihnen Jahrhunderte giebt, um sich zu erproben,



*) c?N!>Mi' V. l!iM5 mia NiMs,
Die imperialistische Bewegung in England
l^. (Lcirlyle

Von Carlyle kommt hier vor allem sein Grundsatz in Betracht, daß das
höher zivilisierte und mächtigere Volk das Recht habe, ein schwächeres zu ver¬
drängen, und daß es selbst die Pflicht eines Landes sei, seinen Söhnen, die
im Inlande nicht Brot und Arbeit fänden, nötigenfalls mit Gewalt in fremden
Erdteilen Raum zu schaffen, wo sie ihre Kräfte bethätigen könnten. „Überall
— sagt er im OllartiLiu (1843) — sehen wir Eroberung, die bloß Unrecht
und Gewalt scheint, sich als ein Recht unter den Menschen geltend machen.
Prüfen wir jedoch, so finden wir, daß in dieser Welt keine Eroberung dauernd
werden konnte, die sich nicht daneben als wohlthätig für die Besiegten wie für
die Eroberer erwies. Die Römer unterwarfen die Welt und hielten sie unter¬
worfen, weil sie am besten die Welt regieren konnten. So waren auch die
Engländer vor achthundert Jahren uneinig, und mit Harolds Tod schwand
die letzte Möglichkeit, das Land gut zu regieren; eine neue Klasse starker nor¬
mannischer Adlicher mit einem starken Mann, mit einer Reihe starker Männer
an der Spitze, und nicht uneinig, sondern durch manche Bande verbunden,
waren imstande, es zu regieren, und regierten es, wie wir annehmen dürfen,
ziemlich erträglich, oder sie würden nicht dort geblieben sein. Sie handelten,
ohne sich eines solchen Amtes bewußt zu sein, als eine ungeheure, freiwillige,
überall vertretne, zum Handeln bereite Polizeigewalt. Es ist ein erfreulicher
Gedanke, daß Macht und Recht, die anfangs oft so schrecklich voneinander ab¬
weichen, am Ende doch ein und dasselbe sind. Eroberung durch bloße Gewalt
und Zwang hat keine Dauer. Sie muß wohlthätig sein, oder sie wird ab¬
geschüttelt. Der starke Mann ist, genau betrachtet, der weise Mann, der mit
Methode, Treue und Tapferkeit begabt ist und zu verwalten, zu leiten und zu
herrschen versteht."

Carlyle wendet sich höhnisch gegen Thierry, der das Schicksal der unter
dem Eroberer dahingesunknen Sachsen pathetisch beklagte und in sein Mitleid
auch die Walliser, überhaupt die Kelten einschloß, die eine stärkere Rasse in
die gebirgigen Winkel des Westens verscheucht hatte. Es ist wahr, sagt
Carlyle, daß diese ohne Erfolg kämpfenden Männer edle Thaten vollführten
und heroische Leiden ertrugen, denen eine Thräne gebührt; es ist auch passend
und recht, daß jemand aussteht, der dieser Verlornen Sache ebenfalls Geltung
zu verschaffen sucht. „Sehr recht — und doch, wenn wir die Dinge nach
diesem großen Maßstabe beurteilen, was können wir sehen, als daß die Sache,
die den Göttern gefallen hat, am Ende auch Cato gefallen muß? Cato kann
es nicht ändern, und Cato wird finden, daß er im Grunde nicht wünschen
kann, es zu ändern. Macht und Recht unterscheiden sich sehr von einer Stunde
zur andern; aber wenn man ihnen Jahrhunderte giebt, um sich zu erproben,



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[0024] Die imperialistische Bewegung in England l^. (Lcirlyle Von Carlyle kommt hier vor allem sein Grundsatz in Betracht, daß das höher zivilisierte und mächtigere Volk das Recht habe, ein schwächeres zu ver¬ drängen, und daß es selbst die Pflicht eines Landes sei, seinen Söhnen, die im Inlande nicht Brot und Arbeit fänden, nötigenfalls mit Gewalt in fremden Erdteilen Raum zu schaffen, wo sie ihre Kräfte bethätigen könnten. „Überall — sagt er im OllartiLiu (1843) — sehen wir Eroberung, die bloß Unrecht und Gewalt scheint, sich als ein Recht unter den Menschen geltend machen. Prüfen wir jedoch, so finden wir, daß in dieser Welt keine Eroberung dauernd werden konnte, die sich nicht daneben als wohlthätig für die Besiegten wie für die Eroberer erwies. Die Römer unterwarfen die Welt und hielten sie unter¬ worfen, weil sie am besten die Welt regieren konnten. So waren auch die Engländer vor achthundert Jahren uneinig, und mit Harolds Tod schwand die letzte Möglichkeit, das Land gut zu regieren; eine neue Klasse starker nor¬ mannischer Adlicher mit einem starken Mann, mit einer Reihe starker Männer an der Spitze, und nicht uneinig, sondern durch manche Bande verbunden, waren imstande, es zu regieren, und regierten es, wie wir annehmen dürfen, ziemlich erträglich, oder sie würden nicht dort geblieben sein. Sie handelten, ohne sich eines solchen Amtes bewußt zu sein, als eine ungeheure, freiwillige, überall vertretne, zum Handeln bereite Polizeigewalt. Es ist ein erfreulicher Gedanke, daß Macht und Recht, die anfangs oft so schrecklich voneinander ab¬ weichen, am Ende doch ein und dasselbe sind. Eroberung durch bloße Gewalt und Zwang hat keine Dauer. Sie muß wohlthätig sein, oder sie wird ab¬ geschüttelt. Der starke Mann ist, genau betrachtet, der weise Mann, der mit Methode, Treue und Tapferkeit begabt ist und zu verwalten, zu leiten und zu herrschen versteht." Carlyle wendet sich höhnisch gegen Thierry, der das Schicksal der unter dem Eroberer dahingesunknen Sachsen pathetisch beklagte und in sein Mitleid auch die Walliser, überhaupt die Kelten einschloß, die eine stärkere Rasse in die gebirgigen Winkel des Westens verscheucht hatte. Es ist wahr, sagt Carlyle, daß diese ohne Erfolg kämpfenden Männer edle Thaten vollführten und heroische Leiden ertrugen, denen eine Thräne gebührt; es ist auch passend und recht, daß jemand aussteht, der dieser Verlornen Sache ebenfalls Geltung zu verschaffen sucht. „Sehr recht — und doch, wenn wir die Dinge nach diesem großen Maßstabe beurteilen, was können wir sehen, als daß die Sache, die den Göttern gefallen hat, am Ende auch Cato gefallen muß? Cato kann es nicht ändern, und Cato wird finden, daß er im Grunde nicht wünschen kann, es zu ändern. Macht und Recht unterscheiden sich sehr von einer Stunde zur andern; aber wenn man ihnen Jahrhunderte giebt, um sich zu erproben, *) c?N!>Mi' V. l!iM5 mia NiMs,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/24>, abgerufen am 23.07.2024.