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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

An andern Stellen schieben sich dann aber doch auch bei Schlenther andre
Auffassungen ein, und wo es ganz unabweisbar ist, müssen doch auch einige
Mängel hervorgehoben werden. So soll das Gewissen zuletzt an dem Scheitern
seiner Pläne schuld sein. Und über den Märchengehalt wird so geurteilt: So
fein dieser und jener Zug ist, "so spukt doch daneben allerhand Fabelkram
umher, der nicht ganz lebendig geworden ist, wie die Zwerge in Meister Heinrichs
Höhenwerkstatt, die Ausweitung des Glockenmotivs zum Tempelmotiv, die un¬
durchsichtige Symbolik der drei Becher, aus denen Heinrich Licht, Kraft und
daun doch den Tod trinkt. Aus all diesem Halblebeudigen erklären sich bei
dem starken Interesse, das die Dichtung überall erregt, die zahllosen Deutungs¬
versuche kluger und überkluger Leute, deren Zahl schon zu einer wahren Bro¬
schürenlitteratur angewachsen ist. Ich will solche Kommentare hier nicht be¬
reichern (ah!). Auch von diesem Märchen gilt das Goethische "Märchen noch
so wunderbar, Dichterkünste machens wahr." Aber wo die Dichterkunst nicht
wahr genug geworden ist, wollen wir diese Schwäche, anstatt uns darüber den
Kopf zu zerbrechen, einfach zugestehen."

Wenn Schlenther das auch mit den andern dunkeln Punkten gethan hätte,
wenn er mit scharfer Kritik den Finger darauf gelegt hätte, so würde er wahr¬
scheinlich dem jungen Dichter mehr genügt, sicher aber die allgemeine Erkenntnis
mehr gefördert haben, als durch das Bestreben, Hauptmann, wo nur irgend
möglich, oft auch noch mehr, zu verherrlichen. Daran aber hinderte ihn seine
Freundschaft für ihn und vor allem die Schiefheit einer naturalistischen Kunst¬
lehre und Weltauffassung. Das sollte diese Auseinandersetzung zu beleuchten
versuchen.

Nachtrag.

Während dieser Aufsatz in der Redaktion des Drucks harrte,
ist das Erwartete oder Unerwartete eingetreten. Der "Fuhrmann Henschel"
ist herausgekommen und hat der staunenden Welt verkündet, daß die Glocke
wirklich aus ihrer Höhe gestürzt ist und nur noch in der Tiefe klingt. Die
letzten beiden Dichtungen Hauptmanns bedeuten also bloß eine Abschweifung,
nach der der Dichter wieder in die alten Geleise eingelenkt ist. Mit den ge¬
wohnten, von ihm mit Meisterschaft gehandhabten Mitteln der Kleinmalerei
hat er ein Werk geschaffen, das, jeglichen idealen Wertes bar, zwischen den "Ein¬
samen Menschen" und den "Webern" steht. An diese erinnert der Dialekt,
in dem "Fuhrmann Henschel" geschrieben ist -- sympathisch und besonders
bühnenwirksam ist die schlesische Mundart wahrhaftig nicht!*) --, erinnert auch
die ganze Heimatssphäre, in die wir versetzt werden, ohne daß uns etwa Dinge
entgegentraten, die nur in Salzbrunn und Umgegend zu denken wären; erinnert



Beispiel: Fang zur asu a! Do huste bei mir lec Glicke ni. Ich lus; mir vo dir keene
Lieg" vierschmeiszn. Und kurz nur gutt, daß a mol alle wird. Und weil du a su a dickes
Lader nu emol hust und nischt ni willst annahma, do muß ich drsch halt emol deutlich san,
und uf a Kupp druf: 's is aus zwischa ins!
Gerhart Hauptmann und sein Biograph

An andern Stellen schieben sich dann aber doch auch bei Schlenther andre
Auffassungen ein, und wo es ganz unabweisbar ist, müssen doch auch einige
Mängel hervorgehoben werden. So soll das Gewissen zuletzt an dem Scheitern
seiner Pläne schuld sein. Und über den Märchengehalt wird so geurteilt: So
fein dieser und jener Zug ist, „so spukt doch daneben allerhand Fabelkram
umher, der nicht ganz lebendig geworden ist, wie die Zwerge in Meister Heinrichs
Höhenwerkstatt, die Ausweitung des Glockenmotivs zum Tempelmotiv, die un¬
durchsichtige Symbolik der drei Becher, aus denen Heinrich Licht, Kraft und
daun doch den Tod trinkt. Aus all diesem Halblebeudigen erklären sich bei
dem starken Interesse, das die Dichtung überall erregt, die zahllosen Deutungs¬
versuche kluger und überkluger Leute, deren Zahl schon zu einer wahren Bro¬
schürenlitteratur angewachsen ist. Ich will solche Kommentare hier nicht be¬
reichern (ah!). Auch von diesem Märchen gilt das Goethische »Märchen noch
so wunderbar, Dichterkünste machens wahr.« Aber wo die Dichterkunst nicht
wahr genug geworden ist, wollen wir diese Schwäche, anstatt uns darüber den
Kopf zu zerbrechen, einfach zugestehen."

Wenn Schlenther das auch mit den andern dunkeln Punkten gethan hätte,
wenn er mit scharfer Kritik den Finger darauf gelegt hätte, so würde er wahr¬
scheinlich dem jungen Dichter mehr genügt, sicher aber die allgemeine Erkenntnis
mehr gefördert haben, als durch das Bestreben, Hauptmann, wo nur irgend
möglich, oft auch noch mehr, zu verherrlichen. Daran aber hinderte ihn seine
Freundschaft für ihn und vor allem die Schiefheit einer naturalistischen Kunst¬
lehre und Weltauffassung. Das sollte diese Auseinandersetzung zu beleuchten
versuchen.

Nachtrag.

Während dieser Aufsatz in der Redaktion des Drucks harrte,
ist das Erwartete oder Unerwartete eingetreten. Der „Fuhrmann Henschel"
ist herausgekommen und hat der staunenden Welt verkündet, daß die Glocke
wirklich aus ihrer Höhe gestürzt ist und nur noch in der Tiefe klingt. Die
letzten beiden Dichtungen Hauptmanns bedeuten also bloß eine Abschweifung,
nach der der Dichter wieder in die alten Geleise eingelenkt ist. Mit den ge¬
wohnten, von ihm mit Meisterschaft gehandhabten Mitteln der Kleinmalerei
hat er ein Werk geschaffen, das, jeglichen idealen Wertes bar, zwischen den „Ein¬
samen Menschen" und den „Webern" steht. An diese erinnert der Dialekt,
in dem „Fuhrmann Henschel" geschrieben ist — sympathisch und besonders
bühnenwirksam ist die schlesische Mundart wahrhaftig nicht!*) —, erinnert auch
die ganze Heimatssphäre, in die wir versetzt werden, ohne daß uns etwa Dinge
entgegentraten, die nur in Salzbrunn und Umgegend zu denken wären; erinnert



Beispiel: Fang zur asu a! Do huste bei mir lec Glicke ni. Ich lus; mir vo dir keene
Lieg« vierschmeiszn. Und kurz nur gutt, daß a mol alle wird. Und weil du a su a dickes
Lader nu emol hust und nischt ni willst annahma, do muß ich drsch halt emol deutlich san,
und uf a Kupp druf: 's is aus zwischa ins!
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[0168] Gerhart Hauptmann und sein Biograph An andern Stellen schieben sich dann aber doch auch bei Schlenther andre Auffassungen ein, und wo es ganz unabweisbar ist, müssen doch auch einige Mängel hervorgehoben werden. So soll das Gewissen zuletzt an dem Scheitern seiner Pläne schuld sein. Und über den Märchengehalt wird so geurteilt: So fein dieser und jener Zug ist, „so spukt doch daneben allerhand Fabelkram umher, der nicht ganz lebendig geworden ist, wie die Zwerge in Meister Heinrichs Höhenwerkstatt, die Ausweitung des Glockenmotivs zum Tempelmotiv, die un¬ durchsichtige Symbolik der drei Becher, aus denen Heinrich Licht, Kraft und daun doch den Tod trinkt. Aus all diesem Halblebeudigen erklären sich bei dem starken Interesse, das die Dichtung überall erregt, die zahllosen Deutungs¬ versuche kluger und überkluger Leute, deren Zahl schon zu einer wahren Bro¬ schürenlitteratur angewachsen ist. Ich will solche Kommentare hier nicht be¬ reichern (ah!). Auch von diesem Märchen gilt das Goethische »Märchen noch so wunderbar, Dichterkünste machens wahr.« Aber wo die Dichterkunst nicht wahr genug geworden ist, wollen wir diese Schwäche, anstatt uns darüber den Kopf zu zerbrechen, einfach zugestehen." Wenn Schlenther das auch mit den andern dunkeln Punkten gethan hätte, wenn er mit scharfer Kritik den Finger darauf gelegt hätte, so würde er wahr¬ scheinlich dem jungen Dichter mehr genügt, sicher aber die allgemeine Erkenntnis mehr gefördert haben, als durch das Bestreben, Hauptmann, wo nur irgend möglich, oft auch noch mehr, zu verherrlichen. Daran aber hinderte ihn seine Freundschaft für ihn und vor allem die Schiefheit einer naturalistischen Kunst¬ lehre und Weltauffassung. Das sollte diese Auseinandersetzung zu beleuchten versuchen. Nachtrag. Während dieser Aufsatz in der Redaktion des Drucks harrte, ist das Erwartete oder Unerwartete eingetreten. Der „Fuhrmann Henschel" ist herausgekommen und hat der staunenden Welt verkündet, daß die Glocke wirklich aus ihrer Höhe gestürzt ist und nur noch in der Tiefe klingt. Die letzten beiden Dichtungen Hauptmanns bedeuten also bloß eine Abschweifung, nach der der Dichter wieder in die alten Geleise eingelenkt ist. Mit den ge¬ wohnten, von ihm mit Meisterschaft gehandhabten Mitteln der Kleinmalerei hat er ein Werk geschaffen, das, jeglichen idealen Wertes bar, zwischen den „Ein¬ samen Menschen" und den „Webern" steht. An diese erinnert der Dialekt, in dem „Fuhrmann Henschel" geschrieben ist — sympathisch und besonders bühnenwirksam ist die schlesische Mundart wahrhaftig nicht!*) —, erinnert auch die ganze Heimatssphäre, in die wir versetzt werden, ohne daß uns etwa Dinge entgegentraten, die nur in Salzbrunn und Umgegend zu denken wären; erinnert Beispiel: Fang zur asu a! Do huste bei mir lec Glicke ni. Ich lus; mir vo dir keene Lieg« vierschmeiszn. Und kurz nur gutt, daß a mol alle wird. Und weil du a su a dickes Lader nu emol hust und nischt ni willst annahma, do muß ich drsch halt emol deutlich san, und uf a Kupp druf: 's is aus zwischa ins!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/168>, abgerufen am 23.07.2024.