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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

vorbereitet ist. Vollständig unklar aber bleibt es, was er nun nach der merk¬
würdigen Umwandlung durch Rautendeleins Einfluß als sein Ziel ansieht.
Werke wirken aus der Kraft der Höhen, ein wunderbares Glockenspiel gießen,
das aus sich selber klingend sich bewegt; dann wieder neuen Grund hoch oben
legen zu einem neuen Tempel, um die Menschen zu Sonnenkindern und Sonnen-
Pilgern zu machen -- wer kann mit solchen unfaßbarer Worten einen ver¬
ständigen Sinn verbinden? Das ist doch aber in der Tragödie vor allem
nötig, daß wir den Helden begreifen, daß wir sein Ziel verstehen. Wie können
wir denn sonst in die volle Teilnahme für sein Geschick hineingezogen werden!
Unklare Köpfe und Phantasten sehen wir ohne Erbarmen ans ihrem Himmel
stürzen.

Wie findet sich nun Schlenther mit diesem größten Mangel des Stückes
ab? Daß er ihn nicht erkannt haben sollte, ist bei seiner Findigkeit nicht an¬
zunehmen. So müssen wir doch also wohl glauben, daß er ihn mit zartem
Schleier zu verhüllen suchte. Was zunächst den Umschwung in dem Meister
Heinrich angeht, so faßt er ihn -- risuw Wue-Ms -- ganz naturalistisch, indem
er kurz und gut sagt: "Ein Mädchen küßt ihn gesund!" Er sieht darin freilich
auch etwas Wunderbares, aber das sind doch nur Redensarten, wenn er sagt:
"Auf wunderbare Weise wird er gesund. Er wird noch einmal seinen Schritt
Ms Leben wenden, noch einmal wünschen, streben, hoffen, wagen -- und
schaffen, schaffen. Dies Wunder, das Frau Magda zunächst ach so jubelnd
begrüßt, dies Wunder, an dem sie dann selber sterben soll, vollführt der junge
Zauber eines fremden weiblichen Wesens." Armer Hauptmann! Wenn du dir
wirklich nichts weiter dabei gedacht hast?! -- Aber vermutlich hat Schlenther
hier nur einen etwas leichtfertigen Witz machen wollen, wie er ihn in seinen
Theaterkritiken liebte -- weil ihm nichts Besseres einfiel, weil er einen triftigen
Grund für Heinrichs Bekehrung und Heilung nicht wußte.

Allein das ist ja nur ein Nebenpunkt; die Hauptsache ist Heinrichs Ziel!
Wie findet sich Schlenther damit ab? Er sieht in den, beabsichtigten Glocken¬
spiel "das Sinnbild sür Höheres, für Unbestimmtes; der Realist schwebt zum
Ideal empor." ..Auch Heinrich der Glockengießer fliegt auf zur Sonne. Er
hebt sich von der Niederung, wo ihm Herd und Werkstatt maßvoll gediehen.
Sein Denken sucht eine überirdische Kunst, sein Fühlen sucht eine übermensch¬
liche Liebe. Am Übermaße dieses Doppelwollens stürzt er." Hier thut also
Schlenther stillschweigend so, als wenn selbstverständlich der Idealismus im
Unbestimmten. Unklaren bestehe. Das ist aber grundfalsch und nur ein Zeichen
von der Unklarheit naturalistischer Theorien. Der Idealist weiß sehr wohl,
was er will, selbst ein Karl Moor wußte es. ein Ferdinand, Posa, Wallen¬
stein und wie sie alle heißen mögen, die an ihren Idealismus ihr Leben setzten.
Aber nicht an der Unklarheit des Ziels gingen sie zu Grunde, sondern an den
falschen Mitteln, die sie zu seiner Erreichung anwandten.


Gerhart Hauptmann und sein Biograph

vorbereitet ist. Vollständig unklar aber bleibt es, was er nun nach der merk¬
würdigen Umwandlung durch Rautendeleins Einfluß als sein Ziel ansieht.
Werke wirken aus der Kraft der Höhen, ein wunderbares Glockenspiel gießen,
das aus sich selber klingend sich bewegt; dann wieder neuen Grund hoch oben
legen zu einem neuen Tempel, um die Menschen zu Sonnenkindern und Sonnen-
Pilgern zu machen — wer kann mit solchen unfaßbarer Worten einen ver¬
ständigen Sinn verbinden? Das ist doch aber in der Tragödie vor allem
nötig, daß wir den Helden begreifen, daß wir sein Ziel verstehen. Wie können
wir denn sonst in die volle Teilnahme für sein Geschick hineingezogen werden!
Unklare Köpfe und Phantasten sehen wir ohne Erbarmen ans ihrem Himmel
stürzen.

Wie findet sich nun Schlenther mit diesem größten Mangel des Stückes
ab? Daß er ihn nicht erkannt haben sollte, ist bei seiner Findigkeit nicht an¬
zunehmen. So müssen wir doch also wohl glauben, daß er ihn mit zartem
Schleier zu verhüllen suchte. Was zunächst den Umschwung in dem Meister
Heinrich angeht, so faßt er ihn — risuw Wue-Ms — ganz naturalistisch, indem
er kurz und gut sagt: „Ein Mädchen küßt ihn gesund!" Er sieht darin freilich
auch etwas Wunderbares, aber das sind doch nur Redensarten, wenn er sagt:
„Auf wunderbare Weise wird er gesund. Er wird noch einmal seinen Schritt
Ms Leben wenden, noch einmal wünschen, streben, hoffen, wagen — und
schaffen, schaffen. Dies Wunder, das Frau Magda zunächst ach so jubelnd
begrüßt, dies Wunder, an dem sie dann selber sterben soll, vollführt der junge
Zauber eines fremden weiblichen Wesens." Armer Hauptmann! Wenn du dir
wirklich nichts weiter dabei gedacht hast?! — Aber vermutlich hat Schlenther
hier nur einen etwas leichtfertigen Witz machen wollen, wie er ihn in seinen
Theaterkritiken liebte — weil ihm nichts Besseres einfiel, weil er einen triftigen
Grund für Heinrichs Bekehrung und Heilung nicht wußte.

Allein das ist ja nur ein Nebenpunkt; die Hauptsache ist Heinrichs Ziel!
Wie findet sich Schlenther damit ab? Er sieht in den, beabsichtigten Glocken¬
spiel „das Sinnbild sür Höheres, für Unbestimmtes; der Realist schwebt zum
Ideal empor." ..Auch Heinrich der Glockengießer fliegt auf zur Sonne. Er
hebt sich von der Niederung, wo ihm Herd und Werkstatt maßvoll gediehen.
Sein Denken sucht eine überirdische Kunst, sein Fühlen sucht eine übermensch¬
liche Liebe. Am Übermaße dieses Doppelwollens stürzt er." Hier thut also
Schlenther stillschweigend so, als wenn selbstverständlich der Idealismus im
Unbestimmten. Unklaren bestehe. Das ist aber grundfalsch und nur ein Zeichen
von der Unklarheit naturalistischer Theorien. Der Idealist weiß sehr wohl,
was er will, selbst ein Karl Moor wußte es. ein Ferdinand, Posa, Wallen¬
stein und wie sie alle heißen mögen, die an ihren Idealismus ihr Leben setzten.
Aber nicht an der Unklarheit des Ziels gingen sie zu Grunde, sondern an den
falschen Mitteln, die sie zu seiner Erreichung anwandten.


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[0167] Gerhart Hauptmann und sein Biograph vorbereitet ist. Vollständig unklar aber bleibt es, was er nun nach der merk¬ würdigen Umwandlung durch Rautendeleins Einfluß als sein Ziel ansieht. Werke wirken aus der Kraft der Höhen, ein wunderbares Glockenspiel gießen, das aus sich selber klingend sich bewegt; dann wieder neuen Grund hoch oben legen zu einem neuen Tempel, um die Menschen zu Sonnenkindern und Sonnen- Pilgern zu machen — wer kann mit solchen unfaßbarer Worten einen ver¬ ständigen Sinn verbinden? Das ist doch aber in der Tragödie vor allem nötig, daß wir den Helden begreifen, daß wir sein Ziel verstehen. Wie können wir denn sonst in die volle Teilnahme für sein Geschick hineingezogen werden! Unklare Köpfe und Phantasten sehen wir ohne Erbarmen ans ihrem Himmel stürzen. Wie findet sich nun Schlenther mit diesem größten Mangel des Stückes ab? Daß er ihn nicht erkannt haben sollte, ist bei seiner Findigkeit nicht an¬ zunehmen. So müssen wir doch also wohl glauben, daß er ihn mit zartem Schleier zu verhüllen suchte. Was zunächst den Umschwung in dem Meister Heinrich angeht, so faßt er ihn — risuw Wue-Ms — ganz naturalistisch, indem er kurz und gut sagt: „Ein Mädchen küßt ihn gesund!" Er sieht darin freilich auch etwas Wunderbares, aber das sind doch nur Redensarten, wenn er sagt: „Auf wunderbare Weise wird er gesund. Er wird noch einmal seinen Schritt Ms Leben wenden, noch einmal wünschen, streben, hoffen, wagen — und schaffen, schaffen. Dies Wunder, das Frau Magda zunächst ach so jubelnd begrüßt, dies Wunder, an dem sie dann selber sterben soll, vollführt der junge Zauber eines fremden weiblichen Wesens." Armer Hauptmann! Wenn du dir wirklich nichts weiter dabei gedacht hast?! — Aber vermutlich hat Schlenther hier nur einen etwas leichtfertigen Witz machen wollen, wie er ihn in seinen Theaterkritiken liebte — weil ihm nichts Besseres einfiel, weil er einen triftigen Grund für Heinrichs Bekehrung und Heilung nicht wußte. Allein das ist ja nur ein Nebenpunkt; die Hauptsache ist Heinrichs Ziel! Wie findet sich Schlenther damit ab? Er sieht in den, beabsichtigten Glocken¬ spiel „das Sinnbild sür Höheres, für Unbestimmtes; der Realist schwebt zum Ideal empor." ..Auch Heinrich der Glockengießer fliegt auf zur Sonne. Er hebt sich von der Niederung, wo ihm Herd und Werkstatt maßvoll gediehen. Sein Denken sucht eine überirdische Kunst, sein Fühlen sucht eine übermensch¬ liche Liebe. Am Übermaße dieses Doppelwollens stürzt er." Hier thut also Schlenther stillschweigend so, als wenn selbstverständlich der Idealismus im Unbestimmten. Unklaren bestehe. Das ist aber grundfalsch und nur ein Zeichen von der Unklarheit naturalistischer Theorien. Der Idealist weiß sehr wohl, was er will, selbst ein Karl Moor wußte es. ein Ferdinand, Posa, Wallen¬ stein und wie sie alle heißen mögen, die an ihren Idealismus ihr Leben setzten. Aber nicht an der Unklarheit des Ziels gingen sie zu Grunde, sondern an den falschen Mitteln, die sie zu seiner Erreichung anwandten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/167>, abgerufen am 23.07.2024.