Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

die lippische Landesgesetzgcbung berechtigt ist, einseitig und unter Widerspruch
in ihren Rechten vermeintlich beeinträchtigter Agnaten die Thronfolge- und
Regentschaftsordnung zu regeln, die andre die Frage, ob durch die geplante
und teilweise durchgeführte Regelung der Thronfolge- und Negentschaftsord-
nung Rechte der Agnaten beeinträchtigt werden, mit andern Worten, ob die
Söhne des Grafregentcn Ernst zur Thron- und Regcntschaftsfolge im Fürsten-
tume Lippe berechtigt sind. Ist der Bundesrat aber zuständig, die zweite
dieser Streitigkeiten zu erledigen, so ergiebt sich mit logischer Notwendigkeit,
daß sie durch Akte der Landesgesetzgebung seiner Zuständigkeit nicht entzogen
werden kann.

Schon in meinem Gutachten hatte ich mich dahin ausgesprochen, nur die
erste der Streitigkeiten sei eine gegenwärtige, die zweite sei eine zukünftige,
und zwar aus folgenden Gründen. Gegenwärtig steht nicht nur fest, wer in
Lippe Fürst ist (der kranke Fürst Alexander), sondern kraft Schiedsspruchs auch,
wer nach ihm den Thron einzunehmen hat (der jetzige Grafregent Ernst). So
lange diese beiden Personen noch am Leben sind, kann die Successionsfähigkeit
der Söhne des Grafen Ernst nicht Gegenstand einer "Erledigung" des Bundes¬
rath sein, weil in einem Streite um die Thronfolge erst dann und in dem
Augenblicke von einer a-vllo ug.tÄ gesprochen werden kann, wenn Streit darüber
besteht, an wen der Thron als an den berechtigten Inhaber gefallen ist;
frühestens dann, wenn Zweifel herrscht, wer infolge der Primogeniturordnung
der nächste Thronfolger (Erbprinz) ist. Hieraus folgerte ich für den Bundes¬
rat die Unmöglichkeit, zur Zeit über die Thronfolgefühigkeit der Söhne des
Grafen Ernst eine sachliche Entscheidung zu fällen. Diese Unmöglichkeit ergab
sich sür mich schon allein daraus, daß der Grafregent seine sämtlichen Söhne
überleben kann.

Von solchen Erwägungen ausgehend hat Schaumburg-Lippe beim Bundes¬
rat auch gar nicht beantragt, zur Zeit in eine sachliche Entscheidung über die
Thronfolgefühigkeit der Söhne des Grafen Ernst einzutreten.

Andrerseits sprach ich die Ansicht aus, daß die erste der Streitigkeiten
(über die Verbindlichkeit einseitiger Akte der lippischen Landesgesetzgebung) vom
Bundesrat schon jetzt entschieden werden könne und müsse, und daß sie in ver¬
neinenden Sinne entschieden sei, sobald der Bundesrat seine Zuständigkeit be¬
jahe. Denn eine Streitigkeit kann unmöglich zugleich eine zwischenstaatliche
sein und als solche zur Kompetenz des Bundesrath gehören und zugleich
eine innerstaatliche, die als solche endgiltig von der Landesgesetzgebung ent¬
schieden wird.

Aus alle dem hatte ich den Schluß gezogen, daß der Beschluß des
Bundesrath, nach Bejahung seiner Zuständigkeit gemäß Artikel 76, Absatz I.
weiter lauten müsse:

2. in eine sachliche Erledigung des Streits über die Successions¬
fähigkeit der Söhne des Grafen Ernst und infolgedessen über die Giltig-

Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

die lippische Landesgesetzgcbung berechtigt ist, einseitig und unter Widerspruch
in ihren Rechten vermeintlich beeinträchtigter Agnaten die Thronfolge- und
Regentschaftsordnung zu regeln, die andre die Frage, ob durch die geplante
und teilweise durchgeführte Regelung der Thronfolge- und Negentschaftsord-
nung Rechte der Agnaten beeinträchtigt werden, mit andern Worten, ob die
Söhne des Grafregentcn Ernst zur Thron- und Regcntschaftsfolge im Fürsten-
tume Lippe berechtigt sind. Ist der Bundesrat aber zuständig, die zweite
dieser Streitigkeiten zu erledigen, so ergiebt sich mit logischer Notwendigkeit,
daß sie durch Akte der Landesgesetzgebung seiner Zuständigkeit nicht entzogen
werden kann.

Schon in meinem Gutachten hatte ich mich dahin ausgesprochen, nur die
erste der Streitigkeiten sei eine gegenwärtige, die zweite sei eine zukünftige,
und zwar aus folgenden Gründen. Gegenwärtig steht nicht nur fest, wer in
Lippe Fürst ist (der kranke Fürst Alexander), sondern kraft Schiedsspruchs auch,
wer nach ihm den Thron einzunehmen hat (der jetzige Grafregent Ernst). So
lange diese beiden Personen noch am Leben sind, kann die Successionsfähigkeit
der Söhne des Grafen Ernst nicht Gegenstand einer „Erledigung" des Bundes¬
rath sein, weil in einem Streite um die Thronfolge erst dann und in dem
Augenblicke von einer a-vllo ug.tÄ gesprochen werden kann, wenn Streit darüber
besteht, an wen der Thron als an den berechtigten Inhaber gefallen ist;
frühestens dann, wenn Zweifel herrscht, wer infolge der Primogeniturordnung
der nächste Thronfolger (Erbprinz) ist. Hieraus folgerte ich für den Bundes¬
rat die Unmöglichkeit, zur Zeit über die Thronfolgefühigkeit der Söhne des
Grafen Ernst eine sachliche Entscheidung zu fällen. Diese Unmöglichkeit ergab
sich sür mich schon allein daraus, daß der Grafregent seine sämtlichen Söhne
überleben kann.

Von solchen Erwägungen ausgehend hat Schaumburg-Lippe beim Bundes¬
rat auch gar nicht beantragt, zur Zeit in eine sachliche Entscheidung über die
Thronfolgefühigkeit der Söhne des Grafen Ernst einzutreten.

Andrerseits sprach ich die Ansicht aus, daß die erste der Streitigkeiten
(über die Verbindlichkeit einseitiger Akte der lippischen Landesgesetzgebung) vom
Bundesrat schon jetzt entschieden werden könne und müsse, und daß sie in ver¬
neinenden Sinne entschieden sei, sobald der Bundesrat seine Zuständigkeit be¬
jahe. Denn eine Streitigkeit kann unmöglich zugleich eine zwischenstaatliche
sein und als solche zur Kompetenz des Bundesrath gehören und zugleich
eine innerstaatliche, die als solche endgiltig von der Landesgesetzgebung ent¬
schieden wird.

Aus alle dem hatte ich den Schluß gezogen, daß der Beschluß des
Bundesrath, nach Bejahung seiner Zuständigkeit gemäß Artikel 76, Absatz I.
weiter lauten müsse:

2. in eine sachliche Erledigung des Streits über die Successions¬
fähigkeit der Söhne des Grafen Ernst und infolgedessen über die Giltig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229822"/>
            <fw type="header" place="top"> Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_555" prev="#ID_554"> die lippische Landesgesetzgcbung berechtigt ist, einseitig und unter Widerspruch<lb/>
in ihren Rechten vermeintlich beeinträchtigter Agnaten die Thronfolge- und<lb/>
Regentschaftsordnung zu regeln, die andre die Frage, ob durch die geplante<lb/>
und teilweise durchgeführte Regelung der Thronfolge- und Negentschaftsord-<lb/>
nung Rechte der Agnaten beeinträchtigt werden, mit andern Worten, ob die<lb/>
Söhne des Grafregentcn Ernst zur Thron- und Regcntschaftsfolge im Fürsten-<lb/>
tume Lippe berechtigt sind. Ist der Bundesrat aber zuständig, die zweite<lb/>
dieser Streitigkeiten zu erledigen, so ergiebt sich mit logischer Notwendigkeit,<lb/>
daß sie durch Akte der Landesgesetzgebung seiner Zuständigkeit nicht entzogen<lb/>
werden kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_556"> Schon in meinem Gutachten hatte ich mich dahin ausgesprochen, nur die<lb/>
erste der Streitigkeiten sei eine gegenwärtige, die zweite sei eine zukünftige,<lb/>
und zwar aus folgenden Gründen. Gegenwärtig steht nicht nur fest, wer in<lb/>
Lippe Fürst ist (der kranke Fürst Alexander), sondern kraft Schiedsspruchs auch,<lb/>
wer nach ihm den Thron einzunehmen hat (der jetzige Grafregent Ernst). So<lb/>
lange diese beiden Personen noch am Leben sind, kann die Successionsfähigkeit<lb/>
der Söhne des Grafen Ernst nicht Gegenstand einer &#x201E;Erledigung" des Bundes¬<lb/>
rath sein, weil in einem Streite um die Thronfolge erst dann und in dem<lb/>
Augenblicke von einer a-vllo ug.tÄ gesprochen werden kann, wenn Streit darüber<lb/>
besteht, an wen der Thron als an den berechtigten Inhaber gefallen ist;<lb/>
frühestens dann, wenn Zweifel herrscht, wer infolge der Primogeniturordnung<lb/>
der nächste Thronfolger (Erbprinz) ist. Hieraus folgerte ich für den Bundes¬<lb/>
rat die Unmöglichkeit, zur Zeit über die Thronfolgefühigkeit der Söhne des<lb/>
Grafen Ernst eine sachliche Entscheidung zu fällen. Diese Unmöglichkeit ergab<lb/>
sich sür mich schon allein daraus, daß der Grafregent seine sämtlichen Söhne<lb/>
überleben kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_557"> Von solchen Erwägungen ausgehend hat Schaumburg-Lippe beim Bundes¬<lb/>
rat auch gar nicht beantragt, zur Zeit in eine sachliche Entscheidung über die<lb/>
Thronfolgefühigkeit der Söhne des Grafen Ernst einzutreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_558"> Andrerseits sprach ich die Ansicht aus, daß die erste der Streitigkeiten<lb/>
(über die Verbindlichkeit einseitiger Akte der lippischen Landesgesetzgebung) vom<lb/>
Bundesrat schon jetzt entschieden werden könne und müsse, und daß sie in ver¬<lb/>
neinenden Sinne entschieden sei, sobald der Bundesrat seine Zuständigkeit be¬<lb/>
jahe. Denn eine Streitigkeit kann unmöglich zugleich eine zwischenstaatliche<lb/>
sein und als solche zur Kompetenz des Bundesrath gehören und zugleich<lb/>
eine innerstaatliche, die als solche endgiltig von der Landesgesetzgebung ent¬<lb/>
schieden wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_559"> Aus alle dem hatte ich den Schluß gezogen, daß der Beschluß des<lb/>
Bundesrath, nach Bejahung seiner Zuständigkeit gemäß Artikel 76, Absatz I.<lb/>
weiter lauten müsse:</p><lb/>
            <list>
              <item> 2. in eine sachliche Erledigung des Streits über die Successions¬<lb/>
fähigkeit der Söhne des Grafen Ernst und infolgedessen über die Giltig-</item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage die lippische Landesgesetzgcbung berechtigt ist, einseitig und unter Widerspruch in ihren Rechten vermeintlich beeinträchtigter Agnaten die Thronfolge- und Regentschaftsordnung zu regeln, die andre die Frage, ob durch die geplante und teilweise durchgeführte Regelung der Thronfolge- und Negentschaftsord- nung Rechte der Agnaten beeinträchtigt werden, mit andern Worten, ob die Söhne des Grafregentcn Ernst zur Thron- und Regcntschaftsfolge im Fürsten- tume Lippe berechtigt sind. Ist der Bundesrat aber zuständig, die zweite dieser Streitigkeiten zu erledigen, so ergiebt sich mit logischer Notwendigkeit, daß sie durch Akte der Landesgesetzgebung seiner Zuständigkeit nicht entzogen werden kann. Schon in meinem Gutachten hatte ich mich dahin ausgesprochen, nur die erste der Streitigkeiten sei eine gegenwärtige, die zweite sei eine zukünftige, und zwar aus folgenden Gründen. Gegenwärtig steht nicht nur fest, wer in Lippe Fürst ist (der kranke Fürst Alexander), sondern kraft Schiedsspruchs auch, wer nach ihm den Thron einzunehmen hat (der jetzige Grafregent Ernst). So lange diese beiden Personen noch am Leben sind, kann die Successionsfähigkeit der Söhne des Grafen Ernst nicht Gegenstand einer „Erledigung" des Bundes¬ rath sein, weil in einem Streite um die Thronfolge erst dann und in dem Augenblicke von einer a-vllo ug.tÄ gesprochen werden kann, wenn Streit darüber besteht, an wen der Thron als an den berechtigten Inhaber gefallen ist; frühestens dann, wenn Zweifel herrscht, wer infolge der Primogeniturordnung der nächste Thronfolger (Erbprinz) ist. Hieraus folgerte ich für den Bundes¬ rat die Unmöglichkeit, zur Zeit über die Thronfolgefühigkeit der Söhne des Grafen Ernst eine sachliche Entscheidung zu fällen. Diese Unmöglichkeit ergab sich sür mich schon allein daraus, daß der Grafregent seine sämtlichen Söhne überleben kann. Von solchen Erwägungen ausgehend hat Schaumburg-Lippe beim Bundes¬ rat auch gar nicht beantragt, zur Zeit in eine sachliche Entscheidung über die Thronfolgefühigkeit der Söhne des Grafen Ernst einzutreten. Andrerseits sprach ich die Ansicht aus, daß die erste der Streitigkeiten (über die Verbindlichkeit einseitiger Akte der lippischen Landesgesetzgebung) vom Bundesrat schon jetzt entschieden werden könne und müsse, und daß sie in ver¬ neinenden Sinne entschieden sei, sobald der Bundesrat seine Zuständigkeit be¬ jahe. Denn eine Streitigkeit kann unmöglich zugleich eine zwischenstaatliche sein und als solche zur Kompetenz des Bundesrath gehören und zugleich eine innerstaatliche, die als solche endgiltig von der Landesgesetzgebung ent¬ schieden wird. Aus alle dem hatte ich den Schluß gezogen, daß der Beschluß des Bundesrath, nach Bejahung seiner Zuständigkeit gemäß Artikel 76, Absatz I. weiter lauten müsse: 2. in eine sachliche Erledigung des Streits über die Successions¬ fähigkeit der Söhne des Grafen Ernst und infolgedessen über die Giltig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/136>, abgerufen am 23.07.2024.