Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der goldne Engel

Das Netz wie sonst, aber neben dem untern Reifen, dem Netzhcilter, ein
zweiter, weiterer, und an diesem vier emporragende Stangen durch einen dritten
Reifen oben fest verbunden, an jeder Stange in Mittelhöhe ein Flügel -- nun
was sagst du? Wenn sich da der Wind einsetzt als gehorsamer Diener, wenn man
ihm die breit bietet, wie der Schiffer das Segel -- nnn?

Ja Vater -- aber würden die vier Flügel den Ballon nicht einfach im Kreise
Herumdrehen, wie eine Windmühle?

Junge! rief der Alte und faßte den Sohn mit beiden Händen, Gott segne
dich, du verstehst was! Du hast die richtigen Fühlfäden. Das ists ja gerade,
wonach ich suche, das ists ja! Und ich finde, wie dem zu begegnen ist, ich find
es, ich hab schon den Punkt! Und du sollst von nun an alles wissen, was mir ein¬
fällt -- dmnits doch einer sicher hat. Denn der drüben -- ich brauch ihn, es ist
gut, wenn ein Zweifelsinn da ist zur Kontrolle schweifender Gedanken -- aber ver-
stehn, das Tiefere -- nein, verstehn thut er nichts. Du sollst alles wissen: mein
Erbe, mein Nachfolger, wenn ich vorher davon müßte.

Der Alte sah verklärt ans, trotz seiner nassen Augen, und Karl hatte ja heute
den ganzen Tag Freude für den Einsamen ersehnt. Dennoch, er konnte sich nicht
helfen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sein Erbe -- sein Nachfolger --
so weiter Hansen -- noch einmal im Schatten des goldnen Engels ein ganzes
Menschenleben hingeben ohne Blüte, ohne Frucht, für nichts als ein echtes, rechtes,
schwankendes Luftschloß?

Nein, Vater, nein! rief er hastig abwehrend, du wirst es vollenden; für mich
sind die Steine da drüben. Aber zur Hand will ich dir gehn, und was dn mir
anvertraust, will ich wert halten.

Der Alte hörte ihn gar nicht, er redete schon wieder von seinen vier Flügeln,
die er zeitweise anch Segel nannte, und zeigte dem Sohne an einem kleinen Modell
verschiedne Versuchsstellungen.

Aber Karl hörte nur noch mit den Ohren zu, seine Gedanken waren bei seiner
Zukunft. Ihm war, als habe das Gespenst vier riesenhafte Fledermausflügel über
ihm ausgebreitet, eine heftige Sehnsucht kam ihn an: fort -- hinaus aus dem
Schatten; der Vater mochte sagen, was er wollte, seine Gedanken antworteten nichts
als: Ich wollt, ich könnte Lineus Pläne verwirklichen, ich wollt, es ginge hier ohne
mich alles seinen guten Gang.

Hallend schlug Sankt Barthelmä die dritte Stunde in den schmalen Hof
hinter dem goldnen Engel hinein, und zugleich verlosch schwnlend Städels Lampe.

Vater und Sohn tappten sich durch die Werkstatt nach dem Schlafzimmer und
dachten beide noch lange daran, wie man die Wolken bezwinge. Nur meinte einer
die Wolken oben in der Höhe des Himmels, und der andre die dickgeballtcn
Svrgenwolken, die das Leben seiner Lieben überschatteten.

(Fortsetzung folgt)




Grenzboten I 18"915
Der goldne Engel

Das Netz wie sonst, aber neben dem untern Reifen, dem Netzhcilter, ein
zweiter, weiterer, und an diesem vier emporragende Stangen durch einen dritten
Reifen oben fest verbunden, an jeder Stange in Mittelhöhe ein Flügel — nun
was sagst du? Wenn sich da der Wind einsetzt als gehorsamer Diener, wenn man
ihm die breit bietet, wie der Schiffer das Segel — nnn?

Ja Vater — aber würden die vier Flügel den Ballon nicht einfach im Kreise
Herumdrehen, wie eine Windmühle?

Junge! rief der Alte und faßte den Sohn mit beiden Händen, Gott segne
dich, du verstehst was! Du hast die richtigen Fühlfäden. Das ists ja gerade,
wonach ich suche, das ists ja! Und ich finde, wie dem zu begegnen ist, ich find
es, ich hab schon den Punkt! Und du sollst von nun an alles wissen, was mir ein¬
fällt — dmnits doch einer sicher hat. Denn der drüben — ich brauch ihn, es ist
gut, wenn ein Zweifelsinn da ist zur Kontrolle schweifender Gedanken — aber ver-
stehn, das Tiefere — nein, verstehn thut er nichts. Du sollst alles wissen: mein
Erbe, mein Nachfolger, wenn ich vorher davon müßte.

Der Alte sah verklärt ans, trotz seiner nassen Augen, und Karl hatte ja heute
den ganzen Tag Freude für den Einsamen ersehnt. Dennoch, er konnte sich nicht
helfen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sein Erbe — sein Nachfolger —
so weiter Hansen — noch einmal im Schatten des goldnen Engels ein ganzes
Menschenleben hingeben ohne Blüte, ohne Frucht, für nichts als ein echtes, rechtes,
schwankendes Luftschloß?

Nein, Vater, nein! rief er hastig abwehrend, du wirst es vollenden; für mich
sind die Steine da drüben. Aber zur Hand will ich dir gehn, und was dn mir
anvertraust, will ich wert halten.

Der Alte hörte ihn gar nicht, er redete schon wieder von seinen vier Flügeln,
die er zeitweise anch Segel nannte, und zeigte dem Sohne an einem kleinen Modell
verschiedne Versuchsstellungen.

Aber Karl hörte nur noch mit den Ohren zu, seine Gedanken waren bei seiner
Zukunft. Ihm war, als habe das Gespenst vier riesenhafte Fledermausflügel über
ihm ausgebreitet, eine heftige Sehnsucht kam ihn an: fort — hinaus aus dem
Schatten; der Vater mochte sagen, was er wollte, seine Gedanken antworteten nichts
als: Ich wollt, ich könnte Lineus Pläne verwirklichen, ich wollt, es ginge hier ohne
mich alles seinen guten Gang.

Hallend schlug Sankt Barthelmä die dritte Stunde in den schmalen Hof
hinter dem goldnen Engel hinein, und zugleich verlosch schwnlend Städels Lampe.

Vater und Sohn tappten sich durch die Werkstatt nach dem Schlafzimmer und
dachten beide noch lange daran, wie man die Wolken bezwinge. Nur meinte einer
die Wolken oben in der Höhe des Himmels, und der andre die dickgeballtcn
Svrgenwolken, die das Leben seiner Lieben überschatteten.

(Fortsetzung folgt)




Grenzboten I 18»915
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229807"/>
            <fw type="header" place="top"> Der goldne Engel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_478"> Das Netz wie sonst, aber neben dem untern Reifen, dem Netzhcilter, ein<lb/>
zweiter, weiterer, und an diesem vier emporragende Stangen durch einen dritten<lb/>
Reifen oben fest verbunden, an jeder Stange in Mittelhöhe ein Flügel &#x2014; nun<lb/>
was sagst du? Wenn sich da der Wind einsetzt als gehorsamer Diener, wenn man<lb/>
ihm die breit bietet, wie der Schiffer das Segel &#x2014; nnn?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_479"> Ja Vater &#x2014; aber würden die vier Flügel den Ballon nicht einfach im Kreise<lb/>
Herumdrehen, wie eine Windmühle?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_480"> Junge! rief der Alte und faßte den Sohn mit beiden Händen, Gott segne<lb/>
dich, du verstehst was! Du hast die richtigen Fühlfäden. Das ists ja gerade,<lb/>
wonach ich suche, das ists ja! Und ich finde, wie dem zu begegnen ist, ich find<lb/>
es, ich hab schon den Punkt! Und du sollst von nun an alles wissen, was mir ein¬<lb/>
fällt &#x2014; dmnits doch einer sicher hat. Denn der drüben &#x2014; ich brauch ihn, es ist<lb/>
gut, wenn ein Zweifelsinn da ist zur Kontrolle schweifender Gedanken &#x2014; aber ver-<lb/>
stehn, das Tiefere &#x2014; nein, verstehn thut er nichts. Du sollst alles wissen: mein<lb/>
Erbe, mein Nachfolger, wenn ich vorher davon müßte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_481"> Der Alte sah verklärt ans, trotz seiner nassen Augen, und Karl hatte ja heute<lb/>
den ganzen Tag Freude für den Einsamen ersehnt. Dennoch, er konnte sich nicht<lb/>
helfen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sein Erbe &#x2014; sein Nachfolger &#x2014;<lb/>
so weiter Hansen &#x2014; noch einmal im Schatten des goldnen Engels ein ganzes<lb/>
Menschenleben hingeben ohne Blüte, ohne Frucht, für nichts als ein echtes, rechtes,<lb/>
schwankendes Luftschloß?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_482"> Nein, Vater, nein! rief er hastig abwehrend, du wirst es vollenden; für mich<lb/>
sind die Steine da drüben. Aber zur Hand will ich dir gehn, und was dn mir<lb/>
anvertraust, will ich wert halten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_483"> Der Alte hörte ihn gar nicht, er redete schon wieder von seinen vier Flügeln,<lb/>
die er zeitweise anch Segel nannte, und zeigte dem Sohne an einem kleinen Modell<lb/>
verschiedne Versuchsstellungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_484"> Aber Karl hörte nur noch mit den Ohren zu, seine Gedanken waren bei seiner<lb/>
Zukunft. Ihm war, als habe das Gespenst vier riesenhafte Fledermausflügel über<lb/>
ihm ausgebreitet, eine heftige Sehnsucht kam ihn an: fort &#x2014; hinaus aus dem<lb/>
Schatten; der Vater mochte sagen, was er wollte, seine Gedanken antworteten nichts<lb/>
als: Ich wollt, ich könnte Lineus Pläne verwirklichen, ich wollt, es ginge hier ohne<lb/>
mich alles seinen guten Gang.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_485"> Hallend schlug Sankt Barthelmä die dritte Stunde in den schmalen Hof<lb/>
hinter dem goldnen Engel hinein, und zugleich verlosch schwnlend Städels Lampe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_486"> Vater und Sohn tappten sich durch die Werkstatt nach dem Schlafzimmer und<lb/>
dachten beide noch lange daran, wie man die Wolken bezwinge. Nur meinte einer<lb/>
die Wolken oben in der Höhe des Himmels, und der andre die dickgeballtcn<lb/>
Svrgenwolken, die das Leben seiner Lieben überschatteten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_487"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 18»915</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0121] Der goldne Engel Das Netz wie sonst, aber neben dem untern Reifen, dem Netzhcilter, ein zweiter, weiterer, und an diesem vier emporragende Stangen durch einen dritten Reifen oben fest verbunden, an jeder Stange in Mittelhöhe ein Flügel — nun was sagst du? Wenn sich da der Wind einsetzt als gehorsamer Diener, wenn man ihm die breit bietet, wie der Schiffer das Segel — nnn? Ja Vater — aber würden die vier Flügel den Ballon nicht einfach im Kreise Herumdrehen, wie eine Windmühle? Junge! rief der Alte und faßte den Sohn mit beiden Händen, Gott segne dich, du verstehst was! Du hast die richtigen Fühlfäden. Das ists ja gerade, wonach ich suche, das ists ja! Und ich finde, wie dem zu begegnen ist, ich find es, ich hab schon den Punkt! Und du sollst von nun an alles wissen, was mir ein¬ fällt — dmnits doch einer sicher hat. Denn der drüben — ich brauch ihn, es ist gut, wenn ein Zweifelsinn da ist zur Kontrolle schweifender Gedanken — aber ver- stehn, das Tiefere — nein, verstehn thut er nichts. Du sollst alles wissen: mein Erbe, mein Nachfolger, wenn ich vorher davon müßte. Der Alte sah verklärt ans, trotz seiner nassen Augen, und Karl hatte ja heute den ganzen Tag Freude für den Einsamen ersehnt. Dennoch, er konnte sich nicht helfen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Sein Erbe — sein Nachfolger — so weiter Hansen — noch einmal im Schatten des goldnen Engels ein ganzes Menschenleben hingeben ohne Blüte, ohne Frucht, für nichts als ein echtes, rechtes, schwankendes Luftschloß? Nein, Vater, nein! rief er hastig abwehrend, du wirst es vollenden; für mich sind die Steine da drüben. Aber zur Hand will ich dir gehn, und was dn mir anvertraust, will ich wert halten. Der Alte hörte ihn gar nicht, er redete schon wieder von seinen vier Flügeln, die er zeitweise anch Segel nannte, und zeigte dem Sohne an einem kleinen Modell verschiedne Versuchsstellungen. Aber Karl hörte nur noch mit den Ohren zu, seine Gedanken waren bei seiner Zukunft. Ihm war, als habe das Gespenst vier riesenhafte Fledermausflügel über ihm ausgebreitet, eine heftige Sehnsucht kam ihn an: fort — hinaus aus dem Schatten; der Vater mochte sagen, was er wollte, seine Gedanken antworteten nichts als: Ich wollt, ich könnte Lineus Pläne verwirklichen, ich wollt, es ginge hier ohne mich alles seinen guten Gang. Hallend schlug Sankt Barthelmä die dritte Stunde in den schmalen Hof hinter dem goldnen Engel hinein, und zugleich verlosch schwnlend Städels Lampe. Vater und Sohn tappten sich durch die Werkstatt nach dem Schlafzimmer und dachten beide noch lange daran, wie man die Wolken bezwinge. Nur meinte einer die Wolken oben in der Höhe des Himmels, und der andre die dickgeballtcn Svrgenwolken, die das Leben seiner Lieben überschatteten. (Fortsetzung folgt) Grenzboten I 18»915

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/121
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/121>, abgerufen am 23.07.2024.