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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gin mittelstaatlicher Minister i" der Zeit der Reichsgründung

1871) zu, aber er versprach sich persönlich von der ganzen Bewegung nichts.
Doch da drängten ihn der Ausbruch des preußischen "Kulturkampfs" und
die kirchenfeindliche Gesinnung der Liberalen wider seinen Willen weiter. Er
mußte auf ihre Anträge in der Zweiten Kammer, den Ordensleuten jede Lehr¬
thätigkeit zu untersagen, alle "auswärtigen" Missionen zu verbieten, die nun
entstandnen "klosterähnlichen" Anstalten untersuchen zu lassen und die Alt¬
katholiken zu schützen, eingehen, ja schließlich von allen Geistlichen das "Knltur-
cxamen," dessen Bestehen die kirchliche Behörde verbot, fordern, die geistlichen
Konvikte und Seminare aufheben, zuwiderhandelnde Geistliche mit Strafen be¬
drohen, obwohl er die mißlichen Folgen: die massenhafte Verurteilung von
Geistlichen und die dadurch in weiten Kreisen entstehende Aufregung und Un¬
zufriedenheit sehr wohl voraussah. Aber es war in ihm doch auch etwas von
dem juristisch-doktrinären Zuge, deu sein preußischer Kollege Falk vielleicht in
noch stärkeren Maße hatte, und er meinte den Kampf durch scharfe Mittel rasch
zu einem für den Staat annehmbaren Frieden zu bringen, um dann die Hilfe
der Klerikalen zu einer Umgestaltung und Verstärkung der Ersten Kammer zu
gewinnen, die er als Gegengewicht gegen die zunehmende Demokratisirung der
Zweiten für nötig hielt. Daher wollte er jetzt auch keine Besetzung des erz¬
bischöflichen Stuhls, obwohl Rom darüber zu Ende 1873 die Verhandlungen
eröffnete und das Domkapitel im Sommer 1874 eine Kandidatenliste einreichte;
die Altkatholiken erhielten, nachdem Dr. Hubert Reinkens schon im Dezember
1873 als ihr Bischof auch in Baden anerkannt worden war, durch das Gesetz
vom Januar 1874 das Recht zur Bildung kirchlicher Gemeinschaften, die Mit¬
benutzung der Kirchen, die Teilnahme an den Pfründen und am Kirchenver¬
mögen. Das alles war schon mehr ein Werk der Zweiten Kammer als Jollhs.
Aber bald schieden sich innerlich ihre Wege ganz. Liberale wie Vluntschli und
Kiefer wollten eine "Verfassungsrevision" durch Abschaffung der Ersten Kammer
und Einführung einjähriger Budgetperioden, und Jolly fällte über sie das
herbe Urteil, die liberale Partei sei "eine Summe von Menschen ohne domi-
nirende Ideen und Personen." Dazu stieg bei den Wahlen von 1875 die
Zahl der Ultramontanen von zehn auf zwölf (von dreiundsechzig Abgeordneten).
Dies drängte den Minister gegen seine Neigung wieder mehr zu den Liberalen
hinüber, ohne die er sich doch nicht behaupten konnte; er nahm die liberale
Forderung, überall konfessionell gemischte Schulen einzurichten, im Prinzip an,
mit einigen Abänderungen zu Gunsten der konfessionellen Minderheiten, worauf
das Gesetz ebenso durchging wie ein zweites, anfangs von den Liberalen be¬
kämpftes über die staatliche Dotation der Pfarrer, und der Landtag im Juli
1876 geschlossen wurde. Allein der Großherzog, damals schon auf der Insel
Mairan im Bodensee, unterzeichnete zwar schließlich alle, war aber mit der
ganzen Kirchen- und Schulgesetzgebung schon längst innerlich uicht mehr ein¬
verstanden und schrieb daher, obwohl Fürst Bismarck noch im Dezember 1875
für Jollh eingetreten war, dem Minister am 19. September 1876 den Scheide-


Gin mittelstaatlicher Minister i» der Zeit der Reichsgründung

1871) zu, aber er versprach sich persönlich von der ganzen Bewegung nichts.
Doch da drängten ihn der Ausbruch des preußischen „Kulturkampfs" und
die kirchenfeindliche Gesinnung der Liberalen wider seinen Willen weiter. Er
mußte auf ihre Anträge in der Zweiten Kammer, den Ordensleuten jede Lehr¬
thätigkeit zu untersagen, alle „auswärtigen" Missionen zu verbieten, die nun
entstandnen „klosterähnlichen" Anstalten untersuchen zu lassen und die Alt¬
katholiken zu schützen, eingehen, ja schließlich von allen Geistlichen das „Knltur-
cxamen," dessen Bestehen die kirchliche Behörde verbot, fordern, die geistlichen
Konvikte und Seminare aufheben, zuwiderhandelnde Geistliche mit Strafen be¬
drohen, obwohl er die mißlichen Folgen: die massenhafte Verurteilung von
Geistlichen und die dadurch in weiten Kreisen entstehende Aufregung und Un¬
zufriedenheit sehr wohl voraussah. Aber es war in ihm doch auch etwas von
dem juristisch-doktrinären Zuge, deu sein preußischer Kollege Falk vielleicht in
noch stärkeren Maße hatte, und er meinte den Kampf durch scharfe Mittel rasch
zu einem für den Staat annehmbaren Frieden zu bringen, um dann die Hilfe
der Klerikalen zu einer Umgestaltung und Verstärkung der Ersten Kammer zu
gewinnen, die er als Gegengewicht gegen die zunehmende Demokratisirung der
Zweiten für nötig hielt. Daher wollte er jetzt auch keine Besetzung des erz¬
bischöflichen Stuhls, obwohl Rom darüber zu Ende 1873 die Verhandlungen
eröffnete und das Domkapitel im Sommer 1874 eine Kandidatenliste einreichte;
die Altkatholiken erhielten, nachdem Dr. Hubert Reinkens schon im Dezember
1873 als ihr Bischof auch in Baden anerkannt worden war, durch das Gesetz
vom Januar 1874 das Recht zur Bildung kirchlicher Gemeinschaften, die Mit¬
benutzung der Kirchen, die Teilnahme an den Pfründen und am Kirchenver¬
mögen. Das alles war schon mehr ein Werk der Zweiten Kammer als Jollhs.
Aber bald schieden sich innerlich ihre Wege ganz. Liberale wie Vluntschli und
Kiefer wollten eine „Verfassungsrevision" durch Abschaffung der Ersten Kammer
und Einführung einjähriger Budgetperioden, und Jolly fällte über sie das
herbe Urteil, die liberale Partei sei „eine Summe von Menschen ohne domi-
nirende Ideen und Personen." Dazu stieg bei den Wahlen von 1875 die
Zahl der Ultramontanen von zehn auf zwölf (von dreiundsechzig Abgeordneten).
Dies drängte den Minister gegen seine Neigung wieder mehr zu den Liberalen
hinüber, ohne die er sich doch nicht behaupten konnte; er nahm die liberale
Forderung, überall konfessionell gemischte Schulen einzurichten, im Prinzip an,
mit einigen Abänderungen zu Gunsten der konfessionellen Minderheiten, worauf
das Gesetz ebenso durchging wie ein zweites, anfangs von den Liberalen be¬
kämpftes über die staatliche Dotation der Pfarrer, und der Landtag im Juli
1876 geschlossen wurde. Allein der Großherzog, damals schon auf der Insel
Mairan im Bodensee, unterzeichnete zwar schließlich alle, war aber mit der
ganzen Kirchen- und Schulgesetzgebung schon längst innerlich uicht mehr ein¬
verstanden und schrieb daher, obwohl Fürst Bismarck noch im Dezember 1875
für Jollh eingetreten war, dem Minister am 19. September 1876 den Scheide-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/82>, abgerufen am 12.12.2024.