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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgriindung

Se. Germain l'Auxerrois, welche das Signal zur Bartholomäusnacht gab."
"Da verstummte der gesprächige kleine Herr und ließ mich in Frieden," setzt
er hinzu. Nach dem Abschlüsse wohnte er am 1. März der berühmten Kaiser¬
parade auf den Longchamps vor dem Einzuge in Paris mit bei. "Auch wer
sonst kein Freund von Paraden ist, konnte als Deutscher diese historische
Parade doch nur mit stolzester Freude betrachten: die Kraft der Nation nach
beispiellosen Siegen und ebenso beispiellosen Anstrengungen frisch und munter,
zu jeder neuen Leistung bereit und befähigt. Ich werde diesen Morgen
gegen Ende der über zwei Stunden ausfüllenden Feierlichkeit brach die
Sonne durch den Nebel und ließ die Umgebung in ihrer ganzen Pracht er¬
kennen -- nie vergessen." Am nächsten Tage fuhr er selbst nach Paris hinein;
dann kehrte er nach Karlsruhe zurück. Er Hütte wahrlich die Reichsdotation
verdient, die man ihm in Berlin anfangs zugedacht hatte, aber man wollte
Württemberg und Bayern nicht vor den Kopf stoßen, wo Staatsmänner von
ähnlichem Verdienst nicht zu finden waren.

Es galt nun sich im neuen Reiche einzurichten. Jolly war mit der Reichs¬
verfassung nicht in allen Punkten einverstanden. Dem Bundesrate traute er
wenig zu, er hätte ein Staatenhaus lieber gesehen, und von den Volks¬
vertretungen fürchtete er eine rasche "Entwertung" wegen des unstaatlichen
manchesterlichen Sinnes im deutschen Bürgertums; für die Zukunft setzte er
seine Hoffnungen auf einen Senat, den er sich aus den besten staatsmännischen
und administrativen Kräften zusammengesetzt dachte. In Baden war natürlich
seine eigne Stellung sehr verstärkt, so böses Blut auch bei vielen gerade die
Militärkonvention machte; auch die Neuwahlen zum Reichstage in Baden fielen
sehr günstig für ihn aus, und bei den Neuwahlen zum Landtage im Herbst 1871
gewannen zwar die Ultramontanen vier Sitze, sodaß ihre Zahl auf neun stieg,
aber die große Mehrheit der Zweiten Kammer, einundfünfzig, war regie¬
rungsfreundlich. So gelang es Jolly nicht nur eine wesentliche Verminderung
der Beamtenschaft bei Verbesserung der Besoldung durchzusetzen, sondern auch
die Aufhebung des badischen Kriegsministeriums und der badischen Gesandt¬
schaften außerhalb Deutschlands, also Baden aufs festeste dem Reiche ein¬
zufügen.

Wie kam es nun, daß Jolly schließlich doch, trotz so glänzender Erfolge
und Verdienste, scheiterte, wenige Jahre nach der Reichsgründung?

Er ist gescheitert am "Kulturkampf" und an dem unbelehrbarer Unver¬
stande seiner liberalen Parteigenossen. Er selbst hoffte den damals bestehenden
Waffenstillstand mit der römischen Kirche trotz der Verkündung des Unfehl¬
barkeitsdogmas (im Erzsprengel Freiburg am 14. September 1870) behaupten
zu können, er unterhandelte deshalb mit dem Freiburger Ordinariat über eine
Abänderung des "Kulturexamens" und begnügte sich, da dies zu nichts führte,
mit einer Neuordnung der Prüfung für die evangelischen Geistlichen (2. No¬
vember 1872). Er ließ auch die altkatholische Landesversammlung (Januar


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgriindung

Se. Germain l'Auxerrois, welche das Signal zur Bartholomäusnacht gab."
„Da verstummte der gesprächige kleine Herr und ließ mich in Frieden," setzt
er hinzu. Nach dem Abschlüsse wohnte er am 1. März der berühmten Kaiser¬
parade auf den Longchamps vor dem Einzuge in Paris mit bei. „Auch wer
sonst kein Freund von Paraden ist, konnte als Deutscher diese historische
Parade doch nur mit stolzester Freude betrachten: die Kraft der Nation nach
beispiellosen Siegen und ebenso beispiellosen Anstrengungen frisch und munter,
zu jeder neuen Leistung bereit und befähigt. Ich werde diesen Morgen
gegen Ende der über zwei Stunden ausfüllenden Feierlichkeit brach die
Sonne durch den Nebel und ließ die Umgebung in ihrer ganzen Pracht er¬
kennen — nie vergessen." Am nächsten Tage fuhr er selbst nach Paris hinein;
dann kehrte er nach Karlsruhe zurück. Er Hütte wahrlich die Reichsdotation
verdient, die man ihm in Berlin anfangs zugedacht hatte, aber man wollte
Württemberg und Bayern nicht vor den Kopf stoßen, wo Staatsmänner von
ähnlichem Verdienst nicht zu finden waren.

Es galt nun sich im neuen Reiche einzurichten. Jolly war mit der Reichs¬
verfassung nicht in allen Punkten einverstanden. Dem Bundesrate traute er
wenig zu, er hätte ein Staatenhaus lieber gesehen, und von den Volks¬
vertretungen fürchtete er eine rasche „Entwertung" wegen des unstaatlichen
manchesterlichen Sinnes im deutschen Bürgertums; für die Zukunft setzte er
seine Hoffnungen auf einen Senat, den er sich aus den besten staatsmännischen
und administrativen Kräften zusammengesetzt dachte. In Baden war natürlich
seine eigne Stellung sehr verstärkt, so böses Blut auch bei vielen gerade die
Militärkonvention machte; auch die Neuwahlen zum Reichstage in Baden fielen
sehr günstig für ihn aus, und bei den Neuwahlen zum Landtage im Herbst 1871
gewannen zwar die Ultramontanen vier Sitze, sodaß ihre Zahl auf neun stieg,
aber die große Mehrheit der Zweiten Kammer, einundfünfzig, war regie¬
rungsfreundlich. So gelang es Jolly nicht nur eine wesentliche Verminderung
der Beamtenschaft bei Verbesserung der Besoldung durchzusetzen, sondern auch
die Aufhebung des badischen Kriegsministeriums und der badischen Gesandt¬
schaften außerhalb Deutschlands, also Baden aufs festeste dem Reiche ein¬
zufügen.

Wie kam es nun, daß Jolly schließlich doch, trotz so glänzender Erfolge
und Verdienste, scheiterte, wenige Jahre nach der Reichsgründung?

Er ist gescheitert am „Kulturkampf" und an dem unbelehrbarer Unver¬
stande seiner liberalen Parteigenossen. Er selbst hoffte den damals bestehenden
Waffenstillstand mit der römischen Kirche trotz der Verkündung des Unfehl¬
barkeitsdogmas (im Erzsprengel Freiburg am 14. September 1870) behaupten
zu können, er unterhandelte deshalb mit dem Freiburger Ordinariat über eine
Abänderung des „Kulturexamens" und begnügte sich, da dies zu nichts führte,
mit einer Neuordnung der Prüfung für die evangelischen Geistlichen (2. No¬
vember 1872). Er ließ auch die altkatholische Landesversammlung (Januar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/81>, abgerufen am 24.07.2024.