Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Arbeiterrcntengnter

sollte, nicht allzuviel zu erwarten. Besser scheint es zu sein, daß man sich
bemüht, unter der Benutzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu er¬
reichen, was nur zu erreichen ist. Man kann sicher sein, daß die General¬
kommissionen das weiteste Entgegenkommen zeigen werden. Vor allem werden
sich diese nicht durch eine allzu enge Auslegung des Ausdrucks "kleinere
Rentengüter" beschränken lassen dürfen. Nach dem Ministerialerlaß vom
16. November 1891 sollen darunter solche Stellen verstanden werden, bei
denen die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz in dem Grundstücke selbst
liegt, ohne daß es darauf ankommt, ob der Besitzer und seine Familien¬
angehörigen ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich auf die Bewirtschaftung des
Nentenguts verwenden, oder aber ob sie zur vollständigen Beschaffung ihrer
Existenzmittel nebenher auch in der Nachbarschaft Arbeit suchen müssen.

Die Grundlage des wirtschaftlichen Bestehens wird hiernach immer in
dem Rentengute zu finden sein, wenn dieses einen solchen Umfang hat, daß
sich der Besitzer eine Kuh mit einem Kalbe, einige Schweine und selbstverständlich
auch etwas Federvieh halten und die nötigen Kartoffeln, das Gemüse und
wenigstens einen Teil der Brotfrucht von seinem Acker gewinnen kann. Die
Möglichkeit, sich eine Kuh zu halten, ist entscheidend sür die Frage, ob es sich
nur um eine Arbeitsstelle oder um eine kleinere bäuerliche Stelle handelt, ob
also der Staatskredit zu versagen oder zu gewähren ist. Welchen Umfang
eine Stelle haben muß, um die Zubilligung des Staatskredits zu rechtfertigen,
hängt natürlich von der Beschaffenheit des Bodens ab; eine Wiese muß jeden¬
falls zu der kleinen Besitzung gehören, ein halber bis ein Morgen Torfland
ist dazu höchst erwünscht. Vier bis fünf Morgen Acker nebst einem bis andert¬
halb Morgen Wiese' je nach der Kleefähigkeit des Ackers können unter günstigen
Verhältnissen für eine kleine Stelle genügen. Je schlechter der Boden ist, umso
größer müßte natürlich die Fläche sein; über zehn Morgen hinauszugehen ist
bedenklich, weil sich die Besitzer sonst leicht bemühen würden, aus der Be¬
wirtschaftung ihrer Äcker und Wiesen ihren ganzen Lebensunterhalt zu be¬
streiten und sich der von ihnen erwarteten Arbeit auf den benachbarten Gütern
zu entziehen.

Es wäre aber verkehrt, solche Ackerwirtschaften zusammen in einer größern
Anzahl einzurichten, denn gegen derartige Ansiedlungen sprechen dieselben Gründe,
wie gegen die Anlegung reiner Arbeiterkolvnien. Die Bewohner solcher Masfen-
ansiedlungen verlieren, wie man aus der Erfahrung weiß, bald die Frende an
dem Schaffen auf der eignen Scholle und wandern aus oder verfallen der
Sachsengängerei oder -- was noch schlimmer ist -- der Sozialdemokratie.
Ein Gedeihen dieser kleinen Stellen ist nur gesichert, wenn sie in Verbindung
mit andern größern bäuerlichen Anwesen (Ein- und Zweispünnerstellen) und
in nicht zu großer Anzahl gegründet werden. Es muß mit andern Worten
das Ziel der innern Kolonisation sein, große lebensfähige Gemeinden mit


Die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Arbeiterrcntengnter

sollte, nicht allzuviel zu erwarten. Besser scheint es zu sein, daß man sich
bemüht, unter der Benutzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu er¬
reichen, was nur zu erreichen ist. Man kann sicher sein, daß die General¬
kommissionen das weiteste Entgegenkommen zeigen werden. Vor allem werden
sich diese nicht durch eine allzu enge Auslegung des Ausdrucks „kleinere
Rentengüter" beschränken lassen dürfen. Nach dem Ministerialerlaß vom
16. November 1891 sollen darunter solche Stellen verstanden werden, bei
denen die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz in dem Grundstücke selbst
liegt, ohne daß es darauf ankommt, ob der Besitzer und seine Familien¬
angehörigen ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich auf die Bewirtschaftung des
Nentenguts verwenden, oder aber ob sie zur vollständigen Beschaffung ihrer
Existenzmittel nebenher auch in der Nachbarschaft Arbeit suchen müssen.

Die Grundlage des wirtschaftlichen Bestehens wird hiernach immer in
dem Rentengute zu finden sein, wenn dieses einen solchen Umfang hat, daß
sich der Besitzer eine Kuh mit einem Kalbe, einige Schweine und selbstverständlich
auch etwas Federvieh halten und die nötigen Kartoffeln, das Gemüse und
wenigstens einen Teil der Brotfrucht von seinem Acker gewinnen kann. Die
Möglichkeit, sich eine Kuh zu halten, ist entscheidend sür die Frage, ob es sich
nur um eine Arbeitsstelle oder um eine kleinere bäuerliche Stelle handelt, ob
also der Staatskredit zu versagen oder zu gewähren ist. Welchen Umfang
eine Stelle haben muß, um die Zubilligung des Staatskredits zu rechtfertigen,
hängt natürlich von der Beschaffenheit des Bodens ab; eine Wiese muß jeden¬
falls zu der kleinen Besitzung gehören, ein halber bis ein Morgen Torfland
ist dazu höchst erwünscht. Vier bis fünf Morgen Acker nebst einem bis andert¬
halb Morgen Wiese' je nach der Kleefähigkeit des Ackers können unter günstigen
Verhältnissen für eine kleine Stelle genügen. Je schlechter der Boden ist, umso
größer müßte natürlich die Fläche sein; über zehn Morgen hinauszugehen ist
bedenklich, weil sich die Besitzer sonst leicht bemühen würden, aus der Be¬
wirtschaftung ihrer Äcker und Wiesen ihren ganzen Lebensunterhalt zu be¬
streiten und sich der von ihnen erwarteten Arbeit auf den benachbarten Gütern
zu entziehen.

Es wäre aber verkehrt, solche Ackerwirtschaften zusammen in einer größern
Anzahl einzurichten, denn gegen derartige Ansiedlungen sprechen dieselben Gründe,
wie gegen die Anlegung reiner Arbeiterkolvnien. Die Bewohner solcher Masfen-
ansiedlungen verlieren, wie man aus der Erfahrung weiß, bald die Frende an
dem Schaffen auf der eignen Scholle und wandern aus oder verfallen der
Sachsengängerei oder — was noch schlimmer ist — der Sozialdemokratie.
Ein Gedeihen dieser kleinen Stellen ist nur gesichert, wenn sie in Verbindung
mit andern größern bäuerlichen Anwesen (Ein- und Zweispünnerstellen) und
in nicht zu großer Anzahl gegründet werden. Es muß mit andern Worten
das Ziel der innern Kolonisation sein, große lebensfähige Gemeinden mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229018"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Arbeiterrcntengnter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_140" prev="#ID_139"> sollte, nicht allzuviel zu erwarten. Besser scheint es zu sein, daß man sich<lb/>
bemüht, unter der Benutzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu er¬<lb/>
reichen, was nur zu erreichen ist. Man kann sicher sein, daß die General¬<lb/>
kommissionen das weiteste Entgegenkommen zeigen werden. Vor allem werden<lb/>
sich diese nicht durch eine allzu enge Auslegung des Ausdrucks &#x201E;kleinere<lb/>
Rentengüter" beschränken lassen dürfen. Nach dem Ministerialerlaß vom<lb/>
16. November 1891 sollen darunter solche Stellen verstanden werden, bei<lb/>
denen die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz in dem Grundstücke selbst<lb/>
liegt, ohne daß es darauf ankommt, ob der Besitzer und seine Familien¬<lb/>
angehörigen ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich auf die Bewirtschaftung des<lb/>
Nentenguts verwenden, oder aber ob sie zur vollständigen Beschaffung ihrer<lb/>
Existenzmittel nebenher auch in der Nachbarschaft Arbeit suchen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_141"> Die Grundlage des wirtschaftlichen Bestehens wird hiernach immer in<lb/>
dem Rentengute zu finden sein, wenn dieses einen solchen Umfang hat, daß<lb/>
sich der Besitzer eine Kuh mit einem Kalbe, einige Schweine und selbstverständlich<lb/>
auch etwas Federvieh halten und die nötigen Kartoffeln, das Gemüse und<lb/>
wenigstens einen Teil der Brotfrucht von seinem Acker gewinnen kann. Die<lb/>
Möglichkeit, sich eine Kuh zu halten, ist entscheidend sür die Frage, ob es sich<lb/>
nur um eine Arbeitsstelle oder um eine kleinere bäuerliche Stelle handelt, ob<lb/>
also der Staatskredit zu versagen oder zu gewähren ist. Welchen Umfang<lb/>
eine Stelle haben muß, um die Zubilligung des Staatskredits zu rechtfertigen,<lb/>
hängt natürlich von der Beschaffenheit des Bodens ab; eine Wiese muß jeden¬<lb/>
falls zu der kleinen Besitzung gehören, ein halber bis ein Morgen Torfland<lb/>
ist dazu höchst erwünscht. Vier bis fünf Morgen Acker nebst einem bis andert¬<lb/>
halb Morgen Wiese' je nach der Kleefähigkeit des Ackers können unter günstigen<lb/>
Verhältnissen für eine kleine Stelle genügen. Je schlechter der Boden ist, umso<lb/>
größer müßte natürlich die Fläche sein; über zehn Morgen hinauszugehen ist<lb/>
bedenklich, weil sich die Besitzer sonst leicht bemühen würden, aus der Be¬<lb/>
wirtschaftung ihrer Äcker und Wiesen ihren ganzen Lebensunterhalt zu be¬<lb/>
streiten und sich der von ihnen erwarteten Arbeit auf den benachbarten Gütern<lb/>
zu entziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_142" next="#ID_143"> Es wäre aber verkehrt, solche Ackerwirtschaften zusammen in einer größern<lb/>
Anzahl einzurichten, denn gegen derartige Ansiedlungen sprechen dieselben Gründe,<lb/>
wie gegen die Anlegung reiner Arbeiterkolvnien. Die Bewohner solcher Masfen-<lb/>
ansiedlungen verlieren, wie man aus der Erfahrung weiß, bald die Frende an<lb/>
dem Schaffen auf der eignen Scholle und wandern aus oder verfallen der<lb/>
Sachsengängerei oder &#x2014; was noch schlimmer ist &#x2014; der Sozialdemokratie.<lb/>
Ein Gedeihen dieser kleinen Stellen ist nur gesichert, wenn sie in Verbindung<lb/>
mit andern größern bäuerlichen Anwesen (Ein- und Zweispünnerstellen) und<lb/>
in nicht zu großer Anzahl gegründet werden. Es muß mit andern Worten<lb/>
das Ziel der innern Kolonisation sein, große lebensfähige Gemeinden mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Arbeiterrcntengnter sollte, nicht allzuviel zu erwarten. Besser scheint es zu sein, daß man sich bemüht, unter der Benutzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu er¬ reichen, was nur zu erreichen ist. Man kann sicher sein, daß die General¬ kommissionen das weiteste Entgegenkommen zeigen werden. Vor allem werden sich diese nicht durch eine allzu enge Auslegung des Ausdrucks „kleinere Rentengüter" beschränken lassen dürfen. Nach dem Ministerialerlaß vom 16. November 1891 sollen darunter solche Stellen verstanden werden, bei denen die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz in dem Grundstücke selbst liegt, ohne daß es darauf ankommt, ob der Besitzer und seine Familien¬ angehörigen ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich auf die Bewirtschaftung des Nentenguts verwenden, oder aber ob sie zur vollständigen Beschaffung ihrer Existenzmittel nebenher auch in der Nachbarschaft Arbeit suchen müssen. Die Grundlage des wirtschaftlichen Bestehens wird hiernach immer in dem Rentengute zu finden sein, wenn dieses einen solchen Umfang hat, daß sich der Besitzer eine Kuh mit einem Kalbe, einige Schweine und selbstverständlich auch etwas Federvieh halten und die nötigen Kartoffeln, das Gemüse und wenigstens einen Teil der Brotfrucht von seinem Acker gewinnen kann. Die Möglichkeit, sich eine Kuh zu halten, ist entscheidend sür die Frage, ob es sich nur um eine Arbeitsstelle oder um eine kleinere bäuerliche Stelle handelt, ob also der Staatskredit zu versagen oder zu gewähren ist. Welchen Umfang eine Stelle haben muß, um die Zubilligung des Staatskredits zu rechtfertigen, hängt natürlich von der Beschaffenheit des Bodens ab; eine Wiese muß jeden¬ falls zu der kleinen Besitzung gehören, ein halber bis ein Morgen Torfland ist dazu höchst erwünscht. Vier bis fünf Morgen Acker nebst einem bis andert¬ halb Morgen Wiese' je nach der Kleefähigkeit des Ackers können unter günstigen Verhältnissen für eine kleine Stelle genügen. Je schlechter der Boden ist, umso größer müßte natürlich die Fläche sein; über zehn Morgen hinauszugehen ist bedenklich, weil sich die Besitzer sonst leicht bemühen würden, aus der Be¬ wirtschaftung ihrer Äcker und Wiesen ihren ganzen Lebensunterhalt zu be¬ streiten und sich der von ihnen erwarteten Arbeit auf den benachbarten Gütern zu entziehen. Es wäre aber verkehrt, solche Ackerwirtschaften zusammen in einer größern Anzahl einzurichten, denn gegen derartige Ansiedlungen sprechen dieselben Gründe, wie gegen die Anlegung reiner Arbeiterkolvnien. Die Bewohner solcher Masfen- ansiedlungen verlieren, wie man aus der Erfahrung weiß, bald die Frende an dem Schaffen auf der eignen Scholle und wandern aus oder verfallen der Sachsengängerei oder — was noch schlimmer ist — der Sozialdemokratie. Ein Gedeihen dieser kleinen Stellen ist nur gesichert, wenn sie in Verbindung mit andern größern bäuerlichen Anwesen (Ein- und Zweispünnerstellen) und in nicht zu großer Anzahl gegründet werden. Es muß mit andern Worten das Ziel der innern Kolonisation sein, große lebensfähige Gemeinden mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/70>, abgerufen am 24.07.2024.