Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Englands Bnndnisfähigkeit Für den Flottendienst ist es eine heikle Frage. An und für sich bietet der Die Verhältnisse liegen also so, daß in nicht allzu ferner Zeit England bei Da wäre also ein Bundesgenosse nur zu willkommen. Am liebsten sähe Eng¬ Englands Bnndnisfähigkeit Für den Flottendienst ist es eine heikle Frage. An und für sich bietet der Die Verhältnisse liegen also so, daß in nicht allzu ferner Zeit England bei Da wäre also ein Bundesgenosse nur zu willkommen. Am liebsten sähe Eng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0655" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229604"/> <fw type="header" place="top"> Englands Bnndnisfähigkeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_2173"> Für den Flottendienst ist es eine heikle Frage. An und für sich bietet der<lb/> Seedienst weniger Reize als das Heer. Trotz der großen Ausdehnung der britischen<lb/> Küste ist die seefahrende Bevölkerung, auf die doch zunächst bei der Kriegsflotte<lb/> gerechnet werden muß, verhältnismäßig gering und zeigt seit einiger Zeit starke<lb/> Neigung zur Abnahme, besonders unter dem jüngern Geschlechte. Im Jahre 1891<lb/> waren von den 55 022 Seeleuten der britischen Handelsflotte 41590 britische<lb/> Unterthanen und 13 432 oder 24,4 Prozent Ausländer, meist Deutsche und Skan¬<lb/> dinavier. Fünf Jahre später aber, 1396, waren bei einer Gesamtsumme von<lb/> 49 489 Seeleuten nur 35 020 Unterthanen der Königin Viktoria, und das fremde<lb/> Element war auf. 14 469 oder 29,2 Prozent gestiegen. Nach Einziehung der<lb/> Reserven würden also noch nicht 10 000 Mann für die Handelsflotte übrig bleiben,<lb/> d. h. die Handelsflotte würde fast ganz in den Handen von Angehörigen fremder<lb/> Staaten sein oder gar die Fahrt ganz einstellen müssen, was für die Proviantznfnhr<lb/> Englands von der größten Gefahr wäre. Soviel steht jedenfalls fest, daß, wenn<lb/> nicht durch außerordentliche Mittel der Sinn für das Seewesen gehoben wird, die<lb/> Vermehrung der Flotte bald eine Grenze finden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2174"> Die Verhältnisse liegen also so, daß in nicht allzu ferner Zeit England bei<lb/> einem Kampfe mit dem Zweibunde seiner Überlegenheit zur See nicht mehr sicher<lb/> ist, und da der Gott der Schlachten immer auf der Seite des Stärkern zu stehe»<lb/> pflegt, und Dame Fortuna ein etwas unzuverlässiges Frauenzimmer ist, so ist es<lb/> Wohl verständlich, daß es John Bull bei seiner gerühmten Vereinsamung nicht mehr<lb/> ganz geheuer ist. Von den Kolonien ist eine wesentliche Hilfe kaum zu erwarten.<lb/> Sie sind weder finanziell sehr gut gestellt, noch auch haben sie eine starke Bevöl¬<lb/> kerung, und was sie an eignen Verteidigungsmitteln haben, werden sie im Kriegs¬<lb/> falle selbst brauchen, wenn sie nicht sogar noch Hilfe vom Mutterlande verlangen<lb/> müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2175" next="#ID_2176"> Da wäre also ein Bundesgenosse nur zu willkommen. Am liebsten sähe Eng¬<lb/> land ein germanisches Bündnis, Deutschland, England und die Vereinigten Staaten.<lb/> Die Vereinigten Staaten haben mit der Kriegserklärung an Spanien ihre alte<lb/> Politik der Selbstgenügsamkeit aufgegeben und haben eine neue Richtung ein¬<lb/> geschlagen, die sie in die Händel andrer Erdteile hineinführt. Sie fangen an ein<lb/> lebhaftes Interesse an der ostasiatischen Frage zu nehmen. Sie sind jetzt in die<lb/> Reihe der großen Industriestaaten eingetreten, und die Sicherung eines Absatzgebiets<lb/> liegt ihnen ebenso am Herzen wie den europäischen Mächten, deren überseeische<lb/> Politik auf die Erschließung des Reiches der Mitte für ihre Erzeugnisse gerichtet<lb/> ist. Ihre Flotte ist auch früher nicht verächtlich gewesen, wie John Bull zu<lb/> Anfang dieses Jahrhunderts am eignen Leibe verspürt hat, und wenn sie auch in<lb/> dem Kriege mit Spanien keinen ebenbürtigen Gegner vor sich hatte, so hat sie doch<lb/> Gelegenheit genug gehabt, ihre Tüchtigkeit zu beweisen. Ferner gedenken die Ver¬<lb/> einigten Staaten diese Flotte noch bedeutend zu vermehren. Ein Bündnis mit<lb/> Bruder Jonathan würde demnach der Seemacht John Bulls einen Zuwachs geben,<lb/> der die Überlegenheit über die Flotten des Zweibunds wieder sicherte. Um ein<lb/> solches Bündnis anzubahnen und möglich zu machen, befleißigt man sich in England<lb/> seit einiger Zeit der größten Liebenswürdigkeit gegen die große Republik; man<lb/> vergißt, daß bisher Jonathan keine Gelegenheit hat vorübergehen lassen, den bri¬<lb/> tischen Löwen ans den Schwanz zu treten, man sieht auch darüber hinweg, daß<lb/> mit jedem Jahre der Gewerbfleiß der Amerikaner ein gefährlicherer Nebenbuhler<lb/> des englischen wird, kurz, man findet überall Interessengemeinschaft, und in Musik¬<lb/> hallen, oder wo es sonst geht, wird das Sternenbanner in brüderlicher Eintracht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0655]
Englands Bnndnisfähigkeit
Für den Flottendienst ist es eine heikle Frage. An und für sich bietet der
Seedienst weniger Reize als das Heer. Trotz der großen Ausdehnung der britischen
Küste ist die seefahrende Bevölkerung, auf die doch zunächst bei der Kriegsflotte
gerechnet werden muß, verhältnismäßig gering und zeigt seit einiger Zeit starke
Neigung zur Abnahme, besonders unter dem jüngern Geschlechte. Im Jahre 1891
waren von den 55 022 Seeleuten der britischen Handelsflotte 41590 britische
Unterthanen und 13 432 oder 24,4 Prozent Ausländer, meist Deutsche und Skan¬
dinavier. Fünf Jahre später aber, 1396, waren bei einer Gesamtsumme von
49 489 Seeleuten nur 35 020 Unterthanen der Königin Viktoria, und das fremde
Element war auf. 14 469 oder 29,2 Prozent gestiegen. Nach Einziehung der
Reserven würden also noch nicht 10 000 Mann für die Handelsflotte übrig bleiben,
d. h. die Handelsflotte würde fast ganz in den Handen von Angehörigen fremder
Staaten sein oder gar die Fahrt ganz einstellen müssen, was für die Proviantznfnhr
Englands von der größten Gefahr wäre. Soviel steht jedenfalls fest, daß, wenn
nicht durch außerordentliche Mittel der Sinn für das Seewesen gehoben wird, die
Vermehrung der Flotte bald eine Grenze finden wird.
Die Verhältnisse liegen also so, daß in nicht allzu ferner Zeit England bei
einem Kampfe mit dem Zweibunde seiner Überlegenheit zur See nicht mehr sicher
ist, und da der Gott der Schlachten immer auf der Seite des Stärkern zu stehe»
pflegt, und Dame Fortuna ein etwas unzuverlässiges Frauenzimmer ist, so ist es
Wohl verständlich, daß es John Bull bei seiner gerühmten Vereinsamung nicht mehr
ganz geheuer ist. Von den Kolonien ist eine wesentliche Hilfe kaum zu erwarten.
Sie sind weder finanziell sehr gut gestellt, noch auch haben sie eine starke Bevöl¬
kerung, und was sie an eignen Verteidigungsmitteln haben, werden sie im Kriegs¬
falle selbst brauchen, wenn sie nicht sogar noch Hilfe vom Mutterlande verlangen
müssen.
Da wäre also ein Bundesgenosse nur zu willkommen. Am liebsten sähe Eng¬
land ein germanisches Bündnis, Deutschland, England und die Vereinigten Staaten.
Die Vereinigten Staaten haben mit der Kriegserklärung an Spanien ihre alte
Politik der Selbstgenügsamkeit aufgegeben und haben eine neue Richtung ein¬
geschlagen, die sie in die Händel andrer Erdteile hineinführt. Sie fangen an ein
lebhaftes Interesse an der ostasiatischen Frage zu nehmen. Sie sind jetzt in die
Reihe der großen Industriestaaten eingetreten, und die Sicherung eines Absatzgebiets
liegt ihnen ebenso am Herzen wie den europäischen Mächten, deren überseeische
Politik auf die Erschließung des Reiches der Mitte für ihre Erzeugnisse gerichtet
ist. Ihre Flotte ist auch früher nicht verächtlich gewesen, wie John Bull zu
Anfang dieses Jahrhunderts am eignen Leibe verspürt hat, und wenn sie auch in
dem Kriege mit Spanien keinen ebenbürtigen Gegner vor sich hatte, so hat sie doch
Gelegenheit genug gehabt, ihre Tüchtigkeit zu beweisen. Ferner gedenken die Ver¬
einigten Staaten diese Flotte noch bedeutend zu vermehren. Ein Bündnis mit
Bruder Jonathan würde demnach der Seemacht John Bulls einen Zuwachs geben,
der die Überlegenheit über die Flotten des Zweibunds wieder sicherte. Um ein
solches Bündnis anzubahnen und möglich zu machen, befleißigt man sich in England
seit einiger Zeit der größten Liebenswürdigkeit gegen die große Republik; man
vergißt, daß bisher Jonathan keine Gelegenheit hat vorübergehen lassen, den bri¬
tischen Löwen ans den Schwanz zu treten, man sieht auch darüber hinweg, daß
mit jedem Jahre der Gewerbfleiß der Amerikaner ein gefährlicherer Nebenbuhler
des englischen wird, kurz, man findet überall Interessengemeinschaft, und in Musik¬
hallen, oder wo es sonst geht, wird das Sternenbanner in brüderlicher Eintracht
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