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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

steht noch in Kraft und wird eines nach Einführung des Bürgerlichen Gesetz¬
buchs weiter gelten, da er puMei ^juris ist; er gilt sogar in den Teilen
Deutschlands, wo er keine gesetzliche Sanktion erhalten hat, weil seine Geltung
auf dem Notrecht beruht, und dieses in ganz Deutschland denselben Inhalt
hat, aber er gilt eben nur als Notrecht, und nur so hat ihn Fürst Bismarck
angeführt. Soll dieses Recht im regelmäßigen Verlauf der Dinge verwirklicht,
eine unmittelbar und täglich wirksame Einrichtung daraus abgeleitet werden,
so wandeln wir gewiß auf Vismarcks Bahnen. Das ist ein Antrieb mehr, und
das Bewußtsein davon wird uns stärken, es mahnt uns aber auch daran, das
Bismarckische Ziel auf Bismarckischen Wegen zu verfolgen. Kein Staatsmann
hat je fester zugegriffen, wenn die Frucht reif war, aber keiner hat auch besser
gewußt, daß das politische Feld kein Hesperidengärten ist; fast bewunderns-
werter als seine stürmende Kraft waren seine Vorsicht und seine Fähigkeit, zu
warten und vorzubereiten. Die Frucht nun, die Otto pflücken will, ist seit
1884 wohl reifer geworden, ganz jedoch ist sie es noch nicht; um das Bild zu
verlassen und zur "gemeinen Deutlichkeit" zurückzukehren, einige Folgerungen des
Rechts auf Arbeit können wohl gezogen und festgesetzt werden, darunter solche,
die Otto erwähnt, aber zum politischen Programm ist die Frage als Ganzes
noch nicht geeignet. Das Programm würde das Schicksal der 48 er Grund¬
rechte teilen, den Gang der Ereignisse nicht fördern, sondern verwirren. Und
nicht als Gegenstände eines besondern Gesetzes, sondern gelegentlich, als Be¬
dingungen neuen Staatsschutzes für die Industrie wären die Folgerungen
durchzusetzen, in ähnlicher Weise wie Kühn seine Fürsorge für die abhängige
Landbevölkerung in die Form von Gegenleistungen der landwirtschaftlichen
Unternehmer für die Wohlthaten des Monopols einkleidet. Das ist ein Mittel
wirklicher Sozialpolitik, im Gegensatz zu der sozialistischen, die den Unternehmer
entweder beseitigt, oder ignorirt, oder so schuriegclt, daß ihm das Unter¬
nehmen verleidet wird. Es giebt nur ein Mittel, das Recht auf Arbeit seinein
gnnzen Inhalt nach, also programmmäßig, für das ganze Reich durch Gesetz
zu sanktioniren. Nämlich so, daß seine beiden Seiten bestimmt formulirt
würden, in der Art etwa, wie es Otto Seite 42 gethan hat, daß dann die
entscheidnngsreifen Einzelanwendungen aufgezählt würden, und daß für alle
übrigen Fälle die Verwaltung vollkommen freie Hand erhielte, auch für die
daraus fließenden Ausgaben, die als Pflichtausgaben ohne Genehmigung des
Reichstags ins Budget einzustellen wären. Wir sür unser Teil würden vor
einem solchen Gesetz nicht erschrecken, aber von unsern Staatsmännern wagt
keiner so etwas nur zu denken, und im Reichstage vollends würde es unter
einem "moralischen Entrüstungssturm der ganzen Nation" zu Boden fallen.
Etwas andres dagegen ist die Pflicht, die Frage unausgesetzt im Auge und
im Gemüt zu behalten und jede Gelegenheit zur allmählichen Verwirklichung
des Rechts auf Arbeit zu benutzen; diese Pflicht hat Otto eingeschärft, er ver¬
dient dafür Dank, seine Schrift zahlreiche und eifrige Leser.


Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

steht noch in Kraft und wird eines nach Einführung des Bürgerlichen Gesetz¬
buchs weiter gelten, da er puMei ^juris ist; er gilt sogar in den Teilen
Deutschlands, wo er keine gesetzliche Sanktion erhalten hat, weil seine Geltung
auf dem Notrecht beruht, und dieses in ganz Deutschland denselben Inhalt
hat, aber er gilt eben nur als Notrecht, und nur so hat ihn Fürst Bismarck
angeführt. Soll dieses Recht im regelmäßigen Verlauf der Dinge verwirklicht,
eine unmittelbar und täglich wirksame Einrichtung daraus abgeleitet werden,
so wandeln wir gewiß auf Vismarcks Bahnen. Das ist ein Antrieb mehr, und
das Bewußtsein davon wird uns stärken, es mahnt uns aber auch daran, das
Bismarckische Ziel auf Bismarckischen Wegen zu verfolgen. Kein Staatsmann
hat je fester zugegriffen, wenn die Frucht reif war, aber keiner hat auch besser
gewußt, daß das politische Feld kein Hesperidengärten ist; fast bewunderns-
werter als seine stürmende Kraft waren seine Vorsicht und seine Fähigkeit, zu
warten und vorzubereiten. Die Frucht nun, die Otto pflücken will, ist seit
1884 wohl reifer geworden, ganz jedoch ist sie es noch nicht; um das Bild zu
verlassen und zur „gemeinen Deutlichkeit" zurückzukehren, einige Folgerungen des
Rechts auf Arbeit können wohl gezogen und festgesetzt werden, darunter solche,
die Otto erwähnt, aber zum politischen Programm ist die Frage als Ganzes
noch nicht geeignet. Das Programm würde das Schicksal der 48 er Grund¬
rechte teilen, den Gang der Ereignisse nicht fördern, sondern verwirren. Und
nicht als Gegenstände eines besondern Gesetzes, sondern gelegentlich, als Be¬
dingungen neuen Staatsschutzes für die Industrie wären die Folgerungen
durchzusetzen, in ähnlicher Weise wie Kühn seine Fürsorge für die abhängige
Landbevölkerung in die Form von Gegenleistungen der landwirtschaftlichen
Unternehmer für die Wohlthaten des Monopols einkleidet. Das ist ein Mittel
wirklicher Sozialpolitik, im Gegensatz zu der sozialistischen, die den Unternehmer
entweder beseitigt, oder ignorirt, oder so schuriegclt, daß ihm das Unter¬
nehmen verleidet wird. Es giebt nur ein Mittel, das Recht auf Arbeit seinein
gnnzen Inhalt nach, also programmmäßig, für das ganze Reich durch Gesetz
zu sanktioniren. Nämlich so, daß seine beiden Seiten bestimmt formulirt
würden, in der Art etwa, wie es Otto Seite 42 gethan hat, daß dann die
entscheidnngsreifen Einzelanwendungen aufgezählt würden, und daß für alle
übrigen Fälle die Verwaltung vollkommen freie Hand erhielte, auch für die
daraus fließenden Ausgaben, die als Pflichtausgaben ohne Genehmigung des
Reichstags ins Budget einzustellen wären. Wir sür unser Teil würden vor
einem solchen Gesetz nicht erschrecken, aber von unsern Staatsmännern wagt
keiner so etwas nur zu denken, und im Reichstage vollends würde es unter
einem „moralischen Entrüstungssturm der ganzen Nation" zu Boden fallen.
Etwas andres dagegen ist die Pflicht, die Frage unausgesetzt im Auge und
im Gemüt zu behalten und jede Gelegenheit zur allmählichen Verwirklichung
des Rechts auf Arbeit zu benutzen; diese Pflicht hat Otto eingeschärft, er ver¬
dient dafür Dank, seine Schrift zahlreiche und eifrige Leser.


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[0638] Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern steht noch in Kraft und wird eines nach Einführung des Bürgerlichen Gesetz¬ buchs weiter gelten, da er puMei ^juris ist; er gilt sogar in den Teilen Deutschlands, wo er keine gesetzliche Sanktion erhalten hat, weil seine Geltung auf dem Notrecht beruht, und dieses in ganz Deutschland denselben Inhalt hat, aber er gilt eben nur als Notrecht, und nur so hat ihn Fürst Bismarck angeführt. Soll dieses Recht im regelmäßigen Verlauf der Dinge verwirklicht, eine unmittelbar und täglich wirksame Einrichtung daraus abgeleitet werden, so wandeln wir gewiß auf Vismarcks Bahnen. Das ist ein Antrieb mehr, und das Bewußtsein davon wird uns stärken, es mahnt uns aber auch daran, das Bismarckische Ziel auf Bismarckischen Wegen zu verfolgen. Kein Staatsmann hat je fester zugegriffen, wenn die Frucht reif war, aber keiner hat auch besser gewußt, daß das politische Feld kein Hesperidengärten ist; fast bewunderns- werter als seine stürmende Kraft waren seine Vorsicht und seine Fähigkeit, zu warten und vorzubereiten. Die Frucht nun, die Otto pflücken will, ist seit 1884 wohl reifer geworden, ganz jedoch ist sie es noch nicht; um das Bild zu verlassen und zur „gemeinen Deutlichkeit" zurückzukehren, einige Folgerungen des Rechts auf Arbeit können wohl gezogen und festgesetzt werden, darunter solche, die Otto erwähnt, aber zum politischen Programm ist die Frage als Ganzes noch nicht geeignet. Das Programm würde das Schicksal der 48 er Grund¬ rechte teilen, den Gang der Ereignisse nicht fördern, sondern verwirren. Und nicht als Gegenstände eines besondern Gesetzes, sondern gelegentlich, als Be¬ dingungen neuen Staatsschutzes für die Industrie wären die Folgerungen durchzusetzen, in ähnlicher Weise wie Kühn seine Fürsorge für die abhängige Landbevölkerung in die Form von Gegenleistungen der landwirtschaftlichen Unternehmer für die Wohlthaten des Monopols einkleidet. Das ist ein Mittel wirklicher Sozialpolitik, im Gegensatz zu der sozialistischen, die den Unternehmer entweder beseitigt, oder ignorirt, oder so schuriegclt, daß ihm das Unter¬ nehmen verleidet wird. Es giebt nur ein Mittel, das Recht auf Arbeit seinein gnnzen Inhalt nach, also programmmäßig, für das ganze Reich durch Gesetz zu sanktioniren. Nämlich so, daß seine beiden Seiten bestimmt formulirt würden, in der Art etwa, wie es Otto Seite 42 gethan hat, daß dann die entscheidnngsreifen Einzelanwendungen aufgezählt würden, und daß für alle übrigen Fälle die Verwaltung vollkommen freie Hand erhielte, auch für die daraus fließenden Ausgaben, die als Pflichtausgaben ohne Genehmigung des Reichstags ins Budget einzustellen wären. Wir sür unser Teil würden vor einem solchen Gesetz nicht erschrecken, aber von unsern Staatsmännern wagt keiner so etwas nur zu denken, und im Reichstage vollends würde es unter einem „moralischen Entrüstungssturm der ganzen Nation" zu Boden fallen. Etwas andres dagegen ist die Pflicht, die Frage unausgesetzt im Auge und im Gemüt zu behalten und jede Gelegenheit zur allmählichen Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu benutzen; diese Pflicht hat Otto eingeschärft, er ver¬ dient dafür Dank, seine Schrift zahlreiche und eifrige Leser.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/638>, abgerufen am 04.07.2024.