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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

polisirung durch Private zu verhindern. Anzeichen dieser Gefahr haben wir
schon früher gehabt, in dem z. B., was Kühn den großen Fischzug von Cohn
und Rosenberg genannt hat, in der nur etwas niedergehaltnen, aber nicht er¬
stickten Macht der Getreidebörse und in anderen. Geradezu greifbar jedoch ist
die Gefahr in der großen Leiterschen Spekulation in diesem Jahre zu Tage
getreten. Wenn dieser scheußliche Niesenwucher -- so lautet die deutsche Be¬
zeichnung dafür -- mißglückt ist. war es denn der normale Handel, der den
Sieg davon getragen hat? Sind denn Armour und seinesgleichen besser,
weniger gemeingefährlich? Besteht die Gemeingefahr solcher Spekulationen
nicht darin, daß sie überhaupt möglich sind, und daß in der Konzentrirung
des Kapitals und der Verkehrsmittel die Anreizung dazu gegeben ist und
weiterwachsen muß? Hat die stärkste Staatsgewalt ein andres auf die Dauer
wirksames Mittel dagegen, als daß sie mit den eignen und sonst verfügbaren
Finanzkräften dieses Gebiet selbst in Beschlag nimmt, um die Volksernährung zu
sichern? Ist es doch auch nur der Staat, der die Machtmittel hat, der Land¬
wirtschaft den angemessenen Preis für das Getreide zu bezahlen und zugleich
den kleinen Mann vor Brotverteuerung zu schützen. Werden das die sich
sammelnden Privatmonopolisten können und wollen? Die Sammlungspolitik
des Kapitals, die unser "Freisinn" vor jeder Störung bewahren möchte, wird
nach dem vollen Siege dem Volk statt des Brotes nur den Stein bieten, oder
wird dieses etwa durch das dann mächtiger als je ertönende Schimpfkonzert
satt werden?

Wieviel Gründe sind es doch, die das Getreidemonopol empfehlen, Gründe
des Herzens und der Vernunft! Wir möchten glauben, daß bei dem gegen¬
wärtigen Stande der Dinge der Beitrag Ktthns zu dem Dvppelprogramm Ottos
praktisch wertvoller ist als der, den Otto selber liefert. Denn an und für sich
ist ja das Monopol nur ein Mittel, das Recht aus Arbeit dagegen ein Recht,
ein soziales Grundrecht sogar, aber das Mittel ist zur Anwendung bereit, und
die Anwendung drängt, während es diesem Grundrecht ähnlich ergehen kann
wie denen von 1848, wenn nach dem Willen Ottos verfahren wird. Er
schreibt nämlich: "Getreidemonopol und Recht auf Arbeit dürfen nur gleich¬
zeitig in Kraft treten." Alles oder nichts! Der alte Ruf, der uus Deutschen
nicht aus dem Sinne will und uns doch so teuer zu stehen gekommen ist. Und
aus dem Munde eines Mannes, der sonst viel von Bismarck gelernt hat,
dessen Geistesfreiheit und Abwendung vom Parteiwesen namentlich einen echt
Bismarckischen Zug haben. Fürst Bismarck hat ja das Recht auf Arbeit
gleichfalls verfochten, 1884 im Reichstag, mit großem Nachdruck, aber mit
der erforderlichen Selbstbescheidung. Er hat dabei unter anderen auf einen
Satz des preußischen Lnndrechts verwiesen, der folgendermaßen lautet: Den¬
jenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der Ihrigen
Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten, die ihren Kräften
und Fähigkeiten gemäß sind, angewiesen werden. Dieser Satz des Landrechts


Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

polisirung durch Private zu verhindern. Anzeichen dieser Gefahr haben wir
schon früher gehabt, in dem z. B., was Kühn den großen Fischzug von Cohn
und Rosenberg genannt hat, in der nur etwas niedergehaltnen, aber nicht er¬
stickten Macht der Getreidebörse und in anderen. Geradezu greifbar jedoch ist
die Gefahr in der großen Leiterschen Spekulation in diesem Jahre zu Tage
getreten. Wenn dieser scheußliche Niesenwucher — so lautet die deutsche Be¬
zeichnung dafür — mißglückt ist. war es denn der normale Handel, der den
Sieg davon getragen hat? Sind denn Armour und seinesgleichen besser,
weniger gemeingefährlich? Besteht die Gemeingefahr solcher Spekulationen
nicht darin, daß sie überhaupt möglich sind, und daß in der Konzentrirung
des Kapitals und der Verkehrsmittel die Anreizung dazu gegeben ist und
weiterwachsen muß? Hat die stärkste Staatsgewalt ein andres auf die Dauer
wirksames Mittel dagegen, als daß sie mit den eignen und sonst verfügbaren
Finanzkräften dieses Gebiet selbst in Beschlag nimmt, um die Volksernährung zu
sichern? Ist es doch auch nur der Staat, der die Machtmittel hat, der Land¬
wirtschaft den angemessenen Preis für das Getreide zu bezahlen und zugleich
den kleinen Mann vor Brotverteuerung zu schützen. Werden das die sich
sammelnden Privatmonopolisten können und wollen? Die Sammlungspolitik
des Kapitals, die unser „Freisinn" vor jeder Störung bewahren möchte, wird
nach dem vollen Siege dem Volk statt des Brotes nur den Stein bieten, oder
wird dieses etwa durch das dann mächtiger als je ertönende Schimpfkonzert
satt werden?

Wieviel Gründe sind es doch, die das Getreidemonopol empfehlen, Gründe
des Herzens und der Vernunft! Wir möchten glauben, daß bei dem gegen¬
wärtigen Stande der Dinge der Beitrag Ktthns zu dem Dvppelprogramm Ottos
praktisch wertvoller ist als der, den Otto selber liefert. Denn an und für sich
ist ja das Monopol nur ein Mittel, das Recht aus Arbeit dagegen ein Recht,
ein soziales Grundrecht sogar, aber das Mittel ist zur Anwendung bereit, und
die Anwendung drängt, während es diesem Grundrecht ähnlich ergehen kann
wie denen von 1848, wenn nach dem Willen Ottos verfahren wird. Er
schreibt nämlich: „Getreidemonopol und Recht auf Arbeit dürfen nur gleich¬
zeitig in Kraft treten." Alles oder nichts! Der alte Ruf, der uus Deutschen
nicht aus dem Sinne will und uns doch so teuer zu stehen gekommen ist. Und
aus dem Munde eines Mannes, der sonst viel von Bismarck gelernt hat,
dessen Geistesfreiheit und Abwendung vom Parteiwesen namentlich einen echt
Bismarckischen Zug haben. Fürst Bismarck hat ja das Recht auf Arbeit
gleichfalls verfochten, 1884 im Reichstag, mit großem Nachdruck, aber mit
der erforderlichen Selbstbescheidung. Er hat dabei unter anderen auf einen
Satz des preußischen Lnndrechts verwiesen, der folgendermaßen lautet: Den¬
jenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der Ihrigen
Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt, sollen Arbeiten, die ihren Kräften
und Fähigkeiten gemäß sind, angewiesen werden. Dieser Satz des Landrechts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/637>, abgerufen am 12.12.2024.