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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

gegen die "Organe der Selbstverwaltung," die dem vielgeschmähten Fehler
nicht weniger leicht verfallen. Er verteilt deshalb die Ausführung unter den
bestehenden Ämtern beider Art. und zwar so, daß ihre Träger selbst zusehen
und zugreifen müssen, und daß die Spitze, das Monopolamt, nicht zum Wasser¬
kopf auswachsen kann. Den Leser weiß er durch anschauliche Darstellung an
diesem Aufbau teilnehmen zu lassen. Es gelingt ihm, weil er selbst durch
Anschauung und Gedankenarbeit mit dem amtlichen Leben sowohl wie mit dem
der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der Bauern namentlich, genau bekannt
ist, und weil er, ohne persönlich interessirt zu sein, mit Kopf und Herz arbeitet,
ohne Phrase und Selbsttäuschung. Die Bauern z. B., denen sein Anteil be¬
sonders gilt, schildert er ohne Schönfärberei und Popularitätshascherei, mit
ihren Vorzügen, aber auch mit ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten. Der
"ut dem schaffenden und ringenden Landleben nicht vertraute Leser wird un¬
mittelbar hineingeführt, es wird ihm mehr als Belehrung: ein wirkliches Bild
geboten, weil dem Verfasser selbst immer die beteiligten Menschen vor der Seele
stehen, keine toten Abstraktionen.

Neben dem Getreidemonopol hält auch Kühn eine Reform des landwirt¬
schaftlichen Kreditwesens für erforderlich, was Otto übersehen zu haben
scheint. Kühn macht sogar, indem er sich auf Rodbertus und Justus Möser
beruft, beachtenswerte, wenn auch kurzgehaltne Vorschläge darüber, er will nur
beide Fragen nicht mit einander vermischt wissen und schließt deshalb dre be¬
treffende Erörterung mit den Worten: "Insofern besteht also auch zwischen
der Staatshilfe gegen die Verschuldung des Grundbesitzes und dem Getreide-
wonopol ein Zusammenhang, aber die Höhe des Monopolpreises wird dadurch
nicht beeinflußt und darfs nicht sein." Also, diese wichtige Seite der Agrar-
frage ist von Kühn berücksichtigt worden, dagegen hat er übersehen, daß es
sür die sogenannte innere Kolonisation keine günstigere Gelegenheit giebt als
die Einführung des von ihm vorgeschlagnen Monopols.

Unter innerer Kolonisation versteht man. bestimmter ausgedrückt, die plan¬
mäßige und umfassende Vermehrung der Vauernstellen. namentlich in den öst¬
lichen Provinzen Preußens. Durch die geschickte Agitation der tugendstarken
Vertreter des mobilen Kapitals, des Händlertums, wie Otto sagen würde, ist
^ zu einer Art von oommunis opinic, geworden, daß die Bauernstellen nur,
auf Kosten des "gemeinschüdlichen" Großgrundbesitzes in Ostelbien, durch dessen
Zerschlagung, vermehrt werden könnten und müßten. Dem gegenüber hat
Kühn ganz recht, wenn er sagt: "Planmäßig umwälzender Besitzwechsel ans
Kosten der Nerrengüter ist eine revolutionäre Maßregel"; man muß ihm auch
darin zustimmen, daß die Herrengüter nicht bloß für kompakte Getreideerzeugung
unentbehrlich sind, sondern anch eine soziale Ausgabe haben, für tue ste gar
nicht ersetzt werden können. "Denn die Beseitigung der Hcrrengüter würde
die Bauern führerlos machen und ihres natürlichen Vormundes -- Anwaltes.


Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern

gegen die „Organe der Selbstverwaltung," die dem vielgeschmähten Fehler
nicht weniger leicht verfallen. Er verteilt deshalb die Ausführung unter den
bestehenden Ämtern beider Art. und zwar so, daß ihre Träger selbst zusehen
und zugreifen müssen, und daß die Spitze, das Monopolamt, nicht zum Wasser¬
kopf auswachsen kann. Den Leser weiß er durch anschauliche Darstellung an
diesem Aufbau teilnehmen zu lassen. Es gelingt ihm, weil er selbst durch
Anschauung und Gedankenarbeit mit dem amtlichen Leben sowohl wie mit dem
der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der Bauern namentlich, genau bekannt
ist, und weil er, ohne persönlich interessirt zu sein, mit Kopf und Herz arbeitet,
ohne Phrase und Selbsttäuschung. Die Bauern z. B., denen sein Anteil be¬
sonders gilt, schildert er ohne Schönfärberei und Popularitätshascherei, mit
ihren Vorzügen, aber auch mit ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten. Der
»ut dem schaffenden und ringenden Landleben nicht vertraute Leser wird un¬
mittelbar hineingeführt, es wird ihm mehr als Belehrung: ein wirkliches Bild
geboten, weil dem Verfasser selbst immer die beteiligten Menschen vor der Seele
stehen, keine toten Abstraktionen.

Neben dem Getreidemonopol hält auch Kühn eine Reform des landwirt¬
schaftlichen Kreditwesens für erforderlich, was Otto übersehen zu haben
scheint. Kühn macht sogar, indem er sich auf Rodbertus und Justus Möser
beruft, beachtenswerte, wenn auch kurzgehaltne Vorschläge darüber, er will nur
beide Fragen nicht mit einander vermischt wissen und schließt deshalb dre be¬
treffende Erörterung mit den Worten: „Insofern besteht also auch zwischen
der Staatshilfe gegen die Verschuldung des Grundbesitzes und dem Getreide-
wonopol ein Zusammenhang, aber die Höhe des Monopolpreises wird dadurch
nicht beeinflußt und darfs nicht sein." Also, diese wichtige Seite der Agrar-
frage ist von Kühn berücksichtigt worden, dagegen hat er übersehen, daß es
sür die sogenannte innere Kolonisation keine günstigere Gelegenheit giebt als
die Einführung des von ihm vorgeschlagnen Monopols.

Unter innerer Kolonisation versteht man. bestimmter ausgedrückt, die plan¬
mäßige und umfassende Vermehrung der Vauernstellen. namentlich in den öst¬
lichen Provinzen Preußens. Durch die geschickte Agitation der tugendstarken
Vertreter des mobilen Kapitals, des Händlertums, wie Otto sagen würde, ist
^ zu einer Art von oommunis opinic, geworden, daß die Bauernstellen nur,
auf Kosten des „gemeinschüdlichen" Großgrundbesitzes in Ostelbien, durch dessen
Zerschlagung, vermehrt werden könnten und müßten. Dem gegenüber hat
Kühn ganz recht, wenn er sagt: „Planmäßig umwälzender Besitzwechsel ans
Kosten der Nerrengüter ist eine revolutionäre Maßregel»; man muß ihm auch
darin zustimmen, daß die Herrengüter nicht bloß für kompakte Getreideerzeugung
unentbehrlich sind, sondern anch eine soziale Ausgabe haben, für tue ste gar
nicht ersetzt werden können. „Denn die Beseitigung der Hcrrengüter würde
die Bauern führerlos machen und ihres natürlichen Vormundes — Anwaltes.


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[0634] Die Interessengemeinschaft zwischen Agrariern und Arbeitern gegen die „Organe der Selbstverwaltung," die dem vielgeschmähten Fehler nicht weniger leicht verfallen. Er verteilt deshalb die Ausführung unter den bestehenden Ämtern beider Art. und zwar so, daß ihre Träger selbst zusehen und zugreifen müssen, und daß die Spitze, das Monopolamt, nicht zum Wasser¬ kopf auswachsen kann. Den Leser weiß er durch anschauliche Darstellung an diesem Aufbau teilnehmen zu lassen. Es gelingt ihm, weil er selbst durch Anschauung und Gedankenarbeit mit dem amtlichen Leben sowohl wie mit dem der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der Bauern namentlich, genau bekannt ist, und weil er, ohne persönlich interessirt zu sein, mit Kopf und Herz arbeitet, ohne Phrase und Selbsttäuschung. Die Bauern z. B., denen sein Anteil be¬ sonders gilt, schildert er ohne Schönfärberei und Popularitätshascherei, mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten. Der »ut dem schaffenden und ringenden Landleben nicht vertraute Leser wird un¬ mittelbar hineingeführt, es wird ihm mehr als Belehrung: ein wirkliches Bild geboten, weil dem Verfasser selbst immer die beteiligten Menschen vor der Seele stehen, keine toten Abstraktionen. Neben dem Getreidemonopol hält auch Kühn eine Reform des landwirt¬ schaftlichen Kreditwesens für erforderlich, was Otto übersehen zu haben scheint. Kühn macht sogar, indem er sich auf Rodbertus und Justus Möser beruft, beachtenswerte, wenn auch kurzgehaltne Vorschläge darüber, er will nur beide Fragen nicht mit einander vermischt wissen und schließt deshalb dre be¬ treffende Erörterung mit den Worten: „Insofern besteht also auch zwischen der Staatshilfe gegen die Verschuldung des Grundbesitzes und dem Getreide- wonopol ein Zusammenhang, aber die Höhe des Monopolpreises wird dadurch nicht beeinflußt und darfs nicht sein." Also, diese wichtige Seite der Agrar- frage ist von Kühn berücksichtigt worden, dagegen hat er übersehen, daß es sür die sogenannte innere Kolonisation keine günstigere Gelegenheit giebt als die Einführung des von ihm vorgeschlagnen Monopols. Unter innerer Kolonisation versteht man. bestimmter ausgedrückt, die plan¬ mäßige und umfassende Vermehrung der Vauernstellen. namentlich in den öst¬ lichen Provinzen Preußens. Durch die geschickte Agitation der tugendstarken Vertreter des mobilen Kapitals, des Händlertums, wie Otto sagen würde, ist ^ zu einer Art von oommunis opinic, geworden, daß die Bauernstellen nur, auf Kosten des „gemeinschüdlichen" Großgrundbesitzes in Ostelbien, durch dessen Zerschlagung, vermehrt werden könnten und müßten. Dem gegenüber hat Kühn ganz recht, wenn er sagt: „Planmäßig umwälzender Besitzwechsel ans Kosten der Nerrengüter ist eine revolutionäre Maßregel»; man muß ihm auch darin zustimmen, daß die Herrengüter nicht bloß für kompakte Getreideerzeugung unentbehrlich sind, sondern anch eine soziale Ausgabe haben, für tue ste gar nicht ersetzt werden können. „Denn die Beseitigung der Hcrrengüter würde die Bauern führerlos machen und ihres natürlichen Vormundes — Anwaltes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/634>, abgerufen am 12.12.2024.