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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zur Abriistungsfrage

weiter, mit den in den letzten Monaten bekannt gewordnen Füllen von schwerster
Unbvtmüßigkeit mit den thätlichen Verletzungen Vorgesetzter zusammenhält, so
gewinnt man ein schlimmes, aber kein falsches Bild. Auch in Beziehung auf
die Nebenbuhlerschaft im Welthandel, die England zu Gneisenaus Zeiten und
nach dessen vorhin angeführten Worten nicht mehr zu fürchten hatte, ist
eine Änderung eingetreten. Allgemein erkennt man Deutschlands Handel die
erste Stelle nach dem englischen zu, und sogar ein französisches Blatt, der Loleil,
spricht dies ausdrücklich aus, indem es nach dein Untergang der Vourgogne
zu einem Kongresse der seefahrenden Völker auffordert, worin bessere Schutz¬
mittel gegen Unglücksfülle zur See beraten werden sollen, und dessen Vorsitz
Deutschland übernehmen solle. Wir sind zweifellos auf dem besten Wege,
im Welthandel weitere Erfolge zu erringen, und es ist nicht ausgeschlossen,
daß unser Handel wieder die Stufe erreicht, die er zu Zeiten der Hanse in
Europa einnahm. Hoffentlich ist es aber ausgeschlossen, daß unsre Handels¬
schiffe, wie einst die Schiffe der Hanse, einfach von den Engländern wegge¬
nommen werden, wie das unter der Königin Elisabeth 1589 mit 60 Schiffen
der Hanse im Tajo geschah, ohne daß sich damals in dem zerrissenen römischen
Reiche deutscher Nation auch nur eine Hand zur Vergeltung geregt Hütte.

Wenn ich jetzt noch einige Thatsachen anführe, die ich teils Privat-
nachrichten, teils Zeitungsartikeln entnehme, um das früher entwvrfne Bild
der englischen Landmacht zu vervollständigen, so wird man daraus schließen
dürfen, daß das englische Heer trotz seines kürzlich über die Derwische in
Ägypten erfochtenen Sieges in keiner Weise von einem russischen, deutscheu
oder französischen Heer zu fürchten ist. Ein Privatbries erzühlt mir von der
Absendung eines englischen Bataillons nach Südafrika. Der Zug, der diese
etwa dreihundert Manu starke Truppe an das Meer zur Einschiffung bringen
sollte, stand von 10 Uhr morgens bis 1^/z Uhr nach Mitternacht bereit.
Die Soldaten, schwer betrunken, konnten zum Teil uur mit Gewalt in den
Zug gebracht werden, sechs Manu trugen z. B. einen Widerstrebenden, der
sich mit Hunden und Füßen wehrte. Dabei stand eine die Zahl der Tapfern
etwa um das Doppelte übersteigende Masse von Frauenzimmern. Da kann
es nicht Wunder nehmen, wenn ein englischer General meinem Gewührsmnnn
erzählt, daß seine ganze Brigade ohne Ausnahme die Kur gegen Syphilitische
Krankheiten durchgemacht habe, und daß die Zeitungen noch kürzlich berichteten,
daß 75 Prozent aller englisch-indischen Truppen von derartigen Krankheiten
heimgesucht seien. Nach dem Bericht des Indischen Amtes von 1897 über
die unter der britischen Armee in Indien wütenden venerischen Krankheiten
waren 8880 Mann völlig felddienstuntauglich, und nicht weniger als 1300
britische Soldaten müssen jährlich wegen solcher Leiden nach England zurück-
befordert werden. Während bei uns jede Verheimlichung einer solche" an¬
steckenden Krankheit mit empfindlicher Arreststrafe geahndet wird, besteht eine


Grcnzboicn IV 1898 7
Zur Abriistungsfrage

weiter, mit den in den letzten Monaten bekannt gewordnen Füllen von schwerster
Unbvtmüßigkeit mit den thätlichen Verletzungen Vorgesetzter zusammenhält, so
gewinnt man ein schlimmes, aber kein falsches Bild. Auch in Beziehung auf
die Nebenbuhlerschaft im Welthandel, die England zu Gneisenaus Zeiten und
nach dessen vorhin angeführten Worten nicht mehr zu fürchten hatte, ist
eine Änderung eingetreten. Allgemein erkennt man Deutschlands Handel die
erste Stelle nach dem englischen zu, und sogar ein französisches Blatt, der Loleil,
spricht dies ausdrücklich aus, indem es nach dein Untergang der Vourgogne
zu einem Kongresse der seefahrenden Völker auffordert, worin bessere Schutz¬
mittel gegen Unglücksfülle zur See beraten werden sollen, und dessen Vorsitz
Deutschland übernehmen solle. Wir sind zweifellos auf dem besten Wege,
im Welthandel weitere Erfolge zu erringen, und es ist nicht ausgeschlossen,
daß unser Handel wieder die Stufe erreicht, die er zu Zeiten der Hanse in
Europa einnahm. Hoffentlich ist es aber ausgeschlossen, daß unsre Handels¬
schiffe, wie einst die Schiffe der Hanse, einfach von den Engländern wegge¬
nommen werden, wie das unter der Königin Elisabeth 1589 mit 60 Schiffen
der Hanse im Tajo geschah, ohne daß sich damals in dem zerrissenen römischen
Reiche deutscher Nation auch nur eine Hand zur Vergeltung geregt Hütte.

Wenn ich jetzt noch einige Thatsachen anführe, die ich teils Privat-
nachrichten, teils Zeitungsartikeln entnehme, um das früher entwvrfne Bild
der englischen Landmacht zu vervollständigen, so wird man daraus schließen
dürfen, daß das englische Heer trotz seines kürzlich über die Derwische in
Ägypten erfochtenen Sieges in keiner Weise von einem russischen, deutscheu
oder französischen Heer zu fürchten ist. Ein Privatbries erzühlt mir von der
Absendung eines englischen Bataillons nach Südafrika. Der Zug, der diese
etwa dreihundert Manu starke Truppe an das Meer zur Einschiffung bringen
sollte, stand von 10 Uhr morgens bis 1^/z Uhr nach Mitternacht bereit.
Die Soldaten, schwer betrunken, konnten zum Teil uur mit Gewalt in den
Zug gebracht werden, sechs Manu trugen z. B. einen Widerstrebenden, der
sich mit Hunden und Füßen wehrte. Dabei stand eine die Zahl der Tapfern
etwa um das Doppelte übersteigende Masse von Frauenzimmern. Da kann
es nicht Wunder nehmen, wenn ein englischer General meinem Gewührsmnnn
erzählt, daß seine ganze Brigade ohne Ausnahme die Kur gegen Syphilitische
Krankheiten durchgemacht habe, und daß die Zeitungen noch kürzlich berichteten,
daß 75 Prozent aller englisch-indischen Truppen von derartigen Krankheiten
heimgesucht seien. Nach dem Bericht des Indischen Amtes von 1897 über
die unter der britischen Armee in Indien wütenden venerischen Krankheiten
waren 8880 Mann völlig felddienstuntauglich, und nicht weniger als 1300
britische Soldaten müssen jährlich wegen solcher Leiden nach England zurück-
befordert werden. Während bei uns jede Verheimlichung einer solche» an¬
steckenden Krankheit mit empfindlicher Arreststrafe geahndet wird, besteht eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/61>, abgerufen am 04.07.2024.