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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zur Abrüstungsfrage

zu Ende 1813 in Frankfurt die Dinge für England, und zu Friedensanträgen
ließ sich dies Land wohl nur herbei, damit es aufs neue seine Weitherzigkeit
erweise, vermöge der es Kriege sucht und anzettelt, während es zugleich unter
heuchlerischen Augenverdrehen den Frieden zu schaffen vorgiebt, um es nicht
ganz mit dem Himmel zu verderben."

In demselben Buche führt General Pfister noch nach Pertz-Delbrück einen
Brief Gneisenaus an General Müffling vom 29. Juni 1815 aus sentis an,
worin es heißt: "Wenn der Herzog von Wellington gegen die Tötung
Bonapartes sich erklärt, so denkt und handelt er als Brite. Großbritannien
schuldet keinem Sterblichen mehr Verbindlichkeiten, als gerade diesem Bösewicht;
denn durch die Begebenheiten, die er herbeigeführt hat, ist Englands Größe,
Wohlstand und Reichtum so sehr hoch gesteigert worden. Sie sind die Herren
des Meeres und haben weder in dieser Herrschaft, noch im Welthandel eine
Nebenbuhlerschaft mehr zu fürchten." So ganz ist das nun doch nicht mehr
der Fall. Allerdings sind die Engländer, was die Anzahl ihrer Schiffe in
den verschiednen Weltteilen anlangt, die Herren des Meeres. Ob sich diese
Herrschaft aber noch so bewährt wie zu Nelsons Zeiten, das ist eine andre
Frage. Schon in einem Aufsatz "Englands Macht," den die Grenzboten im
zwölften Heft von 1896 brachten, habe ich auf Grund unwidersprochener
englischer Äußerungen sehr wesentliche Mängel in der Bemannung und Aus¬
rüstung der englischen Kriegsschiffe hervorgehoben. Ich kann diesen Angaben
noch ans einem Aufsatze vou Lord Charles Beresford im MnötssiM Lisutur/
von 1897 hinzufügen: Von den 361 Schiffen der britischen Marine seien eine
Menge veraltet und unbrauchbar, 45 seien noch mit Vorderladekanonen be¬
waffnet und nicht als Kriegsschiffe zu benutzen. Der Lord nennt diese Schiffe
mit Namen. Andre Schiffe hätten zwar Hinterlader, seien aber trotzdem als
Kriegsschiffe unbrauchbar, so z. B. ein Kreuzer der v-Klasse. England besäße
in seinen Übungsgeschwadern noch Schiffe, die die alten 64-Pfünder-Vorder-
ladekanonen trügen. Der Aufsatz ist als Angriff gegen die britische Admiralität
gerichtet. Trotz aller Anstrengungen scheint sich in dieser Beziehung in England
bis heute nicht viel geändert zu haben. Denn was z. B. die Disziplin
anlangt, so wirft das Vorkommnis ans dem britischen Kanalgeschwader, wovon
jüngst alle Zeitungen berichtet haben, ein sehr trübes Licht darauf. In
Milford Haven fand nach üblicher Sitte eine Urlaubserteilung im großen an
Land statt. Als das Geschwader aber wieder abdampfen sollte, fehlten von
den Beurlaubten 500 Mann, die nicht an Bord zurückgekehrt waren und
wahre Orgien der Trunkenheit, wie die NornivA ?ost schreibt, in der Stadt
feierten. Das Geschwader mußte einen Kreuzer zurücklassen, um diese pflicht¬
vergessenen Matrosen nachzubringen. Mit Recht nennt man ein solches Ver¬
gehen nicht mehr eine Urlaubsüberschreitung, sondern eine Meuterei, und
wenn man dieses traurige Vorkommnis, so heißt es in öffentlichen Blättern


Zur Abrüstungsfrage

zu Ende 1813 in Frankfurt die Dinge für England, und zu Friedensanträgen
ließ sich dies Land wohl nur herbei, damit es aufs neue seine Weitherzigkeit
erweise, vermöge der es Kriege sucht und anzettelt, während es zugleich unter
heuchlerischen Augenverdrehen den Frieden zu schaffen vorgiebt, um es nicht
ganz mit dem Himmel zu verderben."

In demselben Buche führt General Pfister noch nach Pertz-Delbrück einen
Brief Gneisenaus an General Müffling vom 29. Juni 1815 aus sentis an,
worin es heißt: „Wenn der Herzog von Wellington gegen die Tötung
Bonapartes sich erklärt, so denkt und handelt er als Brite. Großbritannien
schuldet keinem Sterblichen mehr Verbindlichkeiten, als gerade diesem Bösewicht;
denn durch die Begebenheiten, die er herbeigeführt hat, ist Englands Größe,
Wohlstand und Reichtum so sehr hoch gesteigert worden. Sie sind die Herren
des Meeres und haben weder in dieser Herrschaft, noch im Welthandel eine
Nebenbuhlerschaft mehr zu fürchten." So ganz ist das nun doch nicht mehr
der Fall. Allerdings sind die Engländer, was die Anzahl ihrer Schiffe in
den verschiednen Weltteilen anlangt, die Herren des Meeres. Ob sich diese
Herrschaft aber noch so bewährt wie zu Nelsons Zeiten, das ist eine andre
Frage. Schon in einem Aufsatz „Englands Macht," den die Grenzboten im
zwölften Heft von 1896 brachten, habe ich auf Grund unwidersprochener
englischer Äußerungen sehr wesentliche Mängel in der Bemannung und Aus¬
rüstung der englischen Kriegsschiffe hervorgehoben. Ich kann diesen Angaben
noch ans einem Aufsatze vou Lord Charles Beresford im MnötssiM Lisutur/
von 1897 hinzufügen: Von den 361 Schiffen der britischen Marine seien eine
Menge veraltet und unbrauchbar, 45 seien noch mit Vorderladekanonen be¬
waffnet und nicht als Kriegsschiffe zu benutzen. Der Lord nennt diese Schiffe
mit Namen. Andre Schiffe hätten zwar Hinterlader, seien aber trotzdem als
Kriegsschiffe unbrauchbar, so z. B. ein Kreuzer der v-Klasse. England besäße
in seinen Übungsgeschwadern noch Schiffe, die die alten 64-Pfünder-Vorder-
ladekanonen trügen. Der Aufsatz ist als Angriff gegen die britische Admiralität
gerichtet. Trotz aller Anstrengungen scheint sich in dieser Beziehung in England
bis heute nicht viel geändert zu haben. Denn was z. B. die Disziplin
anlangt, so wirft das Vorkommnis ans dem britischen Kanalgeschwader, wovon
jüngst alle Zeitungen berichtet haben, ein sehr trübes Licht darauf. In
Milford Haven fand nach üblicher Sitte eine Urlaubserteilung im großen an
Land statt. Als das Geschwader aber wieder abdampfen sollte, fehlten von
den Beurlaubten 500 Mann, die nicht an Bord zurückgekehrt waren und
wahre Orgien der Trunkenheit, wie die NornivA ?ost schreibt, in der Stadt
feierten. Das Geschwader mußte einen Kreuzer zurücklassen, um diese pflicht¬
vergessenen Matrosen nachzubringen. Mit Recht nennt man ein solches Ver¬
gehen nicht mehr eine Urlaubsüberschreitung, sondern eine Meuterei, und
wenn man dieses traurige Vorkommnis, so heißt es in öffentlichen Blättern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/60>, abgerufen am 24.07.2024.