Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Meisterbücher und andre Erzählungen Kreis urkundlicher Forschung gezognen herzoglichen Porzellcmmcmufciktur auf Schloß A ^'"^ "Novellen vom Genfer See" von C. E. Ries (München, Beck. zweite Grenzboten IV 1898 75>
Meisterbücher und andre Erzählungen Kreis urkundlicher Forschung gezognen herzoglichen Porzellcmmcmufciktur auf Schloß A ^'"^ »Novellen vom Genfer See" von C. E. Ries (München, Beck. zweite Grenzboten IV 1898 75>
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229553"/> <fw type="header" place="top"> Meisterbücher und andre Erzählungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1912" prev="#ID_1911"> Kreis urkundlicher Forschung gezognen herzoglichen Porzellcmmcmufciktur auf Schloß<lb/> Fürstenberg, Deserteur uach der Schlacht bei Hasteubeck und demnächst Zeichenlehrer<lb/> der^ Kinder des Herzogs Karl in Blankenburg, liebt das Juncker, die Tochter des<lb/> Pastors von Bosizeu an der Weser bei Fürstenberg. Er wird schließlich ihr Gatte,<lb/> und alle, die dazu mitgewirkt haben, werden reichlich beleuchtet, insonderheit eine<lb/> Art Pflegemutter, die köstlich geschilderte Weserhexe, deren List dem jungen Paare<lb/> die lauge und schwierige Reise von Boffzen nach Blankenburg ermöglicht. Eigent¬<lb/> lich ist damit die Handlung erledigt, denn sobald der Herzog Karl und seine Ge¬<lb/> mahlin, Friedrichs des Großen Schwester, den Leopold zu Gnaden angenommen<lb/> haben, ist die Zukunft des Blumenmalers gesichert, und das weitere, was dazu gehört,<lb/> Ehestand und Kinder, läßt sich auf wenigen Seiten beschaffen. Aber Raabe ist<lb/> nicht umsonst Humorist, und das Wesen des Humors besteht ja Wohl, wie die Ge¬<lb/> ehrten gefunden haben, zum Teil darin, daß er das Kleine durch Umständlichkeiten<lb/> bergrößert. So werden nun hier die einzelnen Personen vielfach mit allen ihren<lb/> eiteln und Eigenschaften eingeführt und immer aufs neue wieder angesprochen, sie<lb/> werden mit Ausrufen und Betrachtungen bedacht, manchmal geht es in den Stil<lb/> der Travestie über, und wer dem Ziel der Handlung entgegeneilen möchte, also<lb/> wer etwas Spannung empfindet, bekommt immer noch wieder etliche Kontempla¬<lb/> tionen in den Weg gelegt. Daß dadurch der Gegenstand, die Natur, das Unmittel¬<lb/> bare gewönne, kann man nicht sagen, drastisch oder plastisch wirkt das nicht, aber<lb/> ^ ist Raabes Art zu wirken, die eben ganz besonders ist und oft auch sehr glücklich<lb/> sein kann. Ganz vortrefflich ist z. B. der alte Abt Jerusalem geschildert als Be¬<lb/> rater der herzoglichen Familie. Daß sich aber dereinst sein Sohn in Wetzlar er¬<lb/> ichießen und darob von Goethe besungen werdeu sollte, war dem Alten so unkundig,<lb/> wie den homerischen Helden ihr eignes Lebensende, und nun zieht das Raabe<lb/> herbei, als wollte er es dem alten Dichter gleichthun, der bisweilen um des Gegen¬<lb/> satzes willen an dergleichen vorausblickend erinnert, und er nimmt uns durch die<lb/> historische Meditation die Stimmung für die von ihm gezeichnete Wirklichkeit. Jede<lb/> Dichtung leidet in ihrer Wirkung als Kunstwerk, wenn des Lesers Interesse zu<lb/> nachdrücklich auf das etwa an der Handlung Wahre hingeführt wird, sagt Timm<lb/> Kröger sehr richtig in der Vorrede zu der zweiten Anflöge seines „Schulmeisters<lb/> ^on Handewitt." Raabe liebt es, uns zwischen Dichtung und Kollektcmeenzetteln<lb/> h'n und her zu schaukeln, ähnlich machte es ja auch Jean Paul, und diese Mischung<lb/> und dazu das Überwuchern der Betrachtung sind für Raabe charakteristisch, zeigen<lb/> aber auch um schärfsten seinen Gegensatz zu der heute üblichen Darstellungsweise,<lb/> ^eine Freunde werden ihm dankbar sein, daß er seiner Art treu blieb, und die<lb/> andern können dem Roman Hastenbeck das Lob einer tüchtigen und gesunden Leistung<lb/> kuglich nicht versagen. Er bleibt trotz mancher Wunderlichkeit eben doch ein<lb/> Meisterwerk.</p><lb/> <p xml:id="ID_1913" next="#ID_1914"> A ^'"^ »Novellen vom Genfer See" von C. E. Ries (München, Beck. zweite<lb/> Auflage) haben eine Frau zur Verfasserin. Sie sind sehr gut, beide spielen in<lb/> Pension in Montreux, die erste ist wegen ihrer Personen noch sympathischer<lb/> als die zweite, aber auch diese ist gut. und die Verfasserin hat jedenfalls ein nicht<lb/> gewöhnliches Talent. Sie hat mich sechzehn kleine Märchen erscheinen lassen in<lb/> oemselben Verlage unter dem Titel: „Der Schnitter und andre Märchen," über<lb/> kiiVr'" P^ssor der Litteraturgeschichte bemerkt, man fühle sich durch sie „uuwill-<lb/> nrUch ein jenes?) Mythendichtungen, die Urahnen aller wahren Märchenpoesie, er-<lb/> w"?^' ^ ""^ Phantasievoller Naturbetrachtung zu unvergänglicher Größe hervor-<lb/> uchsen." So weit würden wir nicht gehen, schon weil wir nicht wüßten, was</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1898 75></fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Meisterbücher und andre Erzählungen
Kreis urkundlicher Forschung gezognen herzoglichen Porzellcmmcmufciktur auf Schloß
Fürstenberg, Deserteur uach der Schlacht bei Hasteubeck und demnächst Zeichenlehrer
der^ Kinder des Herzogs Karl in Blankenburg, liebt das Juncker, die Tochter des
Pastors von Bosizeu an der Weser bei Fürstenberg. Er wird schließlich ihr Gatte,
und alle, die dazu mitgewirkt haben, werden reichlich beleuchtet, insonderheit eine
Art Pflegemutter, die köstlich geschilderte Weserhexe, deren List dem jungen Paare
die lauge und schwierige Reise von Boffzen nach Blankenburg ermöglicht. Eigent¬
lich ist damit die Handlung erledigt, denn sobald der Herzog Karl und seine Ge¬
mahlin, Friedrichs des Großen Schwester, den Leopold zu Gnaden angenommen
haben, ist die Zukunft des Blumenmalers gesichert, und das weitere, was dazu gehört,
Ehestand und Kinder, läßt sich auf wenigen Seiten beschaffen. Aber Raabe ist
nicht umsonst Humorist, und das Wesen des Humors besteht ja Wohl, wie die Ge¬
ehrten gefunden haben, zum Teil darin, daß er das Kleine durch Umständlichkeiten
bergrößert. So werden nun hier die einzelnen Personen vielfach mit allen ihren
eiteln und Eigenschaften eingeführt und immer aufs neue wieder angesprochen, sie
werden mit Ausrufen und Betrachtungen bedacht, manchmal geht es in den Stil
der Travestie über, und wer dem Ziel der Handlung entgegeneilen möchte, also
wer etwas Spannung empfindet, bekommt immer noch wieder etliche Kontempla¬
tionen in den Weg gelegt. Daß dadurch der Gegenstand, die Natur, das Unmittel¬
bare gewönne, kann man nicht sagen, drastisch oder plastisch wirkt das nicht, aber
^ ist Raabes Art zu wirken, die eben ganz besonders ist und oft auch sehr glücklich
sein kann. Ganz vortrefflich ist z. B. der alte Abt Jerusalem geschildert als Be¬
rater der herzoglichen Familie. Daß sich aber dereinst sein Sohn in Wetzlar er¬
ichießen und darob von Goethe besungen werdeu sollte, war dem Alten so unkundig,
wie den homerischen Helden ihr eignes Lebensende, und nun zieht das Raabe
herbei, als wollte er es dem alten Dichter gleichthun, der bisweilen um des Gegen¬
satzes willen an dergleichen vorausblickend erinnert, und er nimmt uns durch die
historische Meditation die Stimmung für die von ihm gezeichnete Wirklichkeit. Jede
Dichtung leidet in ihrer Wirkung als Kunstwerk, wenn des Lesers Interesse zu
nachdrücklich auf das etwa an der Handlung Wahre hingeführt wird, sagt Timm
Kröger sehr richtig in der Vorrede zu der zweiten Anflöge seines „Schulmeisters
^on Handewitt." Raabe liebt es, uns zwischen Dichtung und Kollektcmeenzetteln
h'n und her zu schaukeln, ähnlich machte es ja auch Jean Paul, und diese Mischung
und dazu das Überwuchern der Betrachtung sind für Raabe charakteristisch, zeigen
aber auch um schärfsten seinen Gegensatz zu der heute üblichen Darstellungsweise,
^eine Freunde werden ihm dankbar sein, daß er seiner Art treu blieb, und die
andern können dem Roman Hastenbeck das Lob einer tüchtigen und gesunden Leistung
kuglich nicht versagen. Er bleibt trotz mancher Wunderlichkeit eben doch ein
Meisterwerk.
A ^'"^ »Novellen vom Genfer See" von C. E. Ries (München, Beck. zweite
Auflage) haben eine Frau zur Verfasserin. Sie sind sehr gut, beide spielen in
Pension in Montreux, die erste ist wegen ihrer Personen noch sympathischer
als die zweite, aber auch diese ist gut. und die Verfasserin hat jedenfalls ein nicht
gewöhnliches Talent. Sie hat mich sechzehn kleine Märchen erscheinen lassen in
oemselben Verlage unter dem Titel: „Der Schnitter und andre Märchen," über
kiiVr'" P^ssor der Litteraturgeschichte bemerkt, man fühle sich durch sie „uuwill-
nrUch ein jenes?) Mythendichtungen, die Urahnen aller wahren Märchenpoesie, er-
w"?^' ^ ""^ Phantasievoller Naturbetrachtung zu unvergänglicher Größe hervor-
uchsen." So weit würden wir nicht gehen, schon weil wir nicht wüßten, was
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