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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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August Strindbergs Inferno

ist. Der Dichter hat sich bekehrt und sucht nun in seiner Vergangenheit nach
allerhand zufälligen und meist völlig wertlosen Kleinigkeiten, um aus ihnen
mit angebornen Künstlersinne schließlich ein großartiges Bekehrungsmysterium
mosaikartig zusammenzusetzen.

Natürlich können nun im dritten Kapitel die Versuchungen des Teufels
nicht ausbleiben; er macht sich an den eben aus dem neuen Fegefeuer
der Sorbonne lM. des heiligen Ludwig!) entlassenen Dichter, der dort
vierzehn Tage lang unter dem Hohn der jungen Leute chemischen Beweis-
expcrimenten obgelegen hat, und sührt ihm seine bekannte schöne Helena in der
Gestalt einer entzückenden englischen Bildhauerin zu. Als aber Strindberg
mit dieser vor dem Regen in einem hellen, warmen Cafe Schutz suchen will,
hat er kein Geld bei sich, und am folgenden Tage wirft sich gar wahrend
ihres Beisammcnsitzens die ein wenig angetrunkne kleine Minna (ein Künstler¬
kind, bald Modell, bald Maitresse. voll litterarischer Interessen, S. 26) in
seine Arme. Darauf verläßt die schöne Engländerin ihn zur selbigen Stunde.
Noch unklarer bleibt die zweite Versuchung. Strindberg hat sich dem Jod
zugewandt und über seine Znsammensetzung so wichtige Entdeckungen gemacht,
daß ihm finanziell außerordentlich günstige Anerbietungen zugehen. Es wird
schließlich ein Tag für die entscheidenden Experimente festgesetzt, aber, wie sich
erst an dem Tage selber herausstellt, aus Versehen der Ostersonntag. Natür¬
lich unterbleiben nun die Untersuchungen, und Strindberg "kehrt tief bewegt
nach Hause zurück und fest entschlossen, jeder weitern Versuchung, mit seiner
Wissenschaft Schacher zu treiben, zu widerstehen" (S. 23). Damit giebt er
sie auch selber vorläufig auf und tritt nach Ankauf eines römischen Breviers
in das wiedergewonnene Paradies ein (Sommer und Herbst 1895; Kapitel 4).
Gleichzeitig ist das große Ereignis der Pariser Saison: die Parole Brune-
ticres vom Bankerott der Wissenschaft (S. 31); damit ist Strindberg in jeder
Beziehung beruhigt und hängt in dem folgenden glücklichsten Abschnitt seines
Lebens teleologisch-mystischen Spekulationen nach. Diese sind schon früher
(Anfang 1896) unter dem Titel LMa sMarum in ein paar hundert Exem¬
plaren erschienen, aber unverkauft und unbeachtet geblieben. Er druckt jetzt
einzelne im Inferno wieder ab. und man weiß nicht, was man an diesen Ans¬
ätzen*) mehr bewundern soll, die liebevolle Versenkung in kleine Natur-
beobachtungen und die poetisch feine Einzelauffassung, durch die sich der
Dichter übrigens auch schon in frühern Werken ausgezeichnet hat. oder den
'mystisch-großartigen Zusammenhang, in den er mit täuschender Kunst vieles
und weit von einander liegendes bringen möchte. Die kleinen Arbeiten sind



') Dus Cuclamen, ein Beispiel der großen Unordnung und des unendlichen Zusammen¬
hangs, S, 35; Der Totenkopf (H.eKorMtw ^.t-roxos), Versuch eines wissenschaftkchen MM-
Z'sans, S. 43; Kirchhofstudicn, S. 5>0.
Grenzboten IV 1898 ^
August Strindbergs Inferno

ist. Der Dichter hat sich bekehrt und sucht nun in seiner Vergangenheit nach
allerhand zufälligen und meist völlig wertlosen Kleinigkeiten, um aus ihnen
mit angebornen Künstlersinne schließlich ein großartiges Bekehrungsmysterium
mosaikartig zusammenzusetzen.

Natürlich können nun im dritten Kapitel die Versuchungen des Teufels
nicht ausbleiben; er macht sich an den eben aus dem neuen Fegefeuer
der Sorbonne lM. des heiligen Ludwig!) entlassenen Dichter, der dort
vierzehn Tage lang unter dem Hohn der jungen Leute chemischen Beweis-
expcrimenten obgelegen hat, und sührt ihm seine bekannte schöne Helena in der
Gestalt einer entzückenden englischen Bildhauerin zu. Als aber Strindberg
mit dieser vor dem Regen in einem hellen, warmen Cafe Schutz suchen will,
hat er kein Geld bei sich, und am folgenden Tage wirft sich gar wahrend
ihres Beisammcnsitzens die ein wenig angetrunkne kleine Minna (ein Künstler¬
kind, bald Modell, bald Maitresse. voll litterarischer Interessen, S. 26) in
seine Arme. Darauf verläßt die schöne Engländerin ihn zur selbigen Stunde.
Noch unklarer bleibt die zweite Versuchung. Strindberg hat sich dem Jod
zugewandt und über seine Znsammensetzung so wichtige Entdeckungen gemacht,
daß ihm finanziell außerordentlich günstige Anerbietungen zugehen. Es wird
schließlich ein Tag für die entscheidenden Experimente festgesetzt, aber, wie sich
erst an dem Tage selber herausstellt, aus Versehen der Ostersonntag. Natür¬
lich unterbleiben nun die Untersuchungen, und Strindberg „kehrt tief bewegt
nach Hause zurück und fest entschlossen, jeder weitern Versuchung, mit seiner
Wissenschaft Schacher zu treiben, zu widerstehen" (S. 23). Damit giebt er
sie auch selber vorläufig auf und tritt nach Ankauf eines römischen Breviers
in das wiedergewonnene Paradies ein (Sommer und Herbst 1895; Kapitel 4).
Gleichzeitig ist das große Ereignis der Pariser Saison: die Parole Brune-
ticres vom Bankerott der Wissenschaft (S. 31); damit ist Strindberg in jeder
Beziehung beruhigt und hängt in dem folgenden glücklichsten Abschnitt seines
Lebens teleologisch-mystischen Spekulationen nach. Diese sind schon früher
(Anfang 1896) unter dem Titel LMa sMarum in ein paar hundert Exem¬
plaren erschienen, aber unverkauft und unbeachtet geblieben. Er druckt jetzt
einzelne im Inferno wieder ab. und man weiß nicht, was man an diesen Ans¬
ätzen*) mehr bewundern soll, die liebevolle Versenkung in kleine Natur-
beobachtungen und die poetisch feine Einzelauffassung, durch die sich der
Dichter übrigens auch schon in frühern Werken ausgezeichnet hat. oder den
'mystisch-großartigen Zusammenhang, in den er mit täuschender Kunst vieles
und weit von einander liegendes bringen möchte. Die kleinen Arbeiten sind



') Dus Cuclamen, ein Beispiel der großen Unordnung und des unendlichen Zusammen¬
hangs, S, 35; Der Totenkopf (H.eKorMtw ^.t-roxos), Versuch eines wissenschaftkchen MM-
Z'sans, S. 43; Kirchhofstudicn, S. 5>0.
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[0596] August Strindbergs Inferno ist. Der Dichter hat sich bekehrt und sucht nun in seiner Vergangenheit nach allerhand zufälligen und meist völlig wertlosen Kleinigkeiten, um aus ihnen mit angebornen Künstlersinne schließlich ein großartiges Bekehrungsmysterium mosaikartig zusammenzusetzen. Natürlich können nun im dritten Kapitel die Versuchungen des Teufels nicht ausbleiben; er macht sich an den eben aus dem neuen Fegefeuer der Sorbonne lM. des heiligen Ludwig!) entlassenen Dichter, der dort vierzehn Tage lang unter dem Hohn der jungen Leute chemischen Beweis- expcrimenten obgelegen hat, und sührt ihm seine bekannte schöne Helena in der Gestalt einer entzückenden englischen Bildhauerin zu. Als aber Strindberg mit dieser vor dem Regen in einem hellen, warmen Cafe Schutz suchen will, hat er kein Geld bei sich, und am folgenden Tage wirft sich gar wahrend ihres Beisammcnsitzens die ein wenig angetrunkne kleine Minna (ein Künstler¬ kind, bald Modell, bald Maitresse. voll litterarischer Interessen, S. 26) in seine Arme. Darauf verläßt die schöne Engländerin ihn zur selbigen Stunde. Noch unklarer bleibt die zweite Versuchung. Strindberg hat sich dem Jod zugewandt und über seine Znsammensetzung so wichtige Entdeckungen gemacht, daß ihm finanziell außerordentlich günstige Anerbietungen zugehen. Es wird schließlich ein Tag für die entscheidenden Experimente festgesetzt, aber, wie sich erst an dem Tage selber herausstellt, aus Versehen der Ostersonntag. Natür¬ lich unterbleiben nun die Untersuchungen, und Strindberg „kehrt tief bewegt nach Hause zurück und fest entschlossen, jeder weitern Versuchung, mit seiner Wissenschaft Schacher zu treiben, zu widerstehen" (S. 23). Damit giebt er sie auch selber vorläufig auf und tritt nach Ankauf eines römischen Breviers in das wiedergewonnene Paradies ein (Sommer und Herbst 1895; Kapitel 4). Gleichzeitig ist das große Ereignis der Pariser Saison: die Parole Brune- ticres vom Bankerott der Wissenschaft (S. 31); damit ist Strindberg in jeder Beziehung beruhigt und hängt in dem folgenden glücklichsten Abschnitt seines Lebens teleologisch-mystischen Spekulationen nach. Diese sind schon früher (Anfang 1896) unter dem Titel LMa sMarum in ein paar hundert Exem¬ plaren erschienen, aber unverkauft und unbeachtet geblieben. Er druckt jetzt einzelne im Inferno wieder ab. und man weiß nicht, was man an diesen Ans¬ ätzen*) mehr bewundern soll, die liebevolle Versenkung in kleine Natur- beobachtungen und die poetisch feine Einzelauffassung, durch die sich der Dichter übrigens auch schon in frühern Werken ausgezeichnet hat. oder den 'mystisch-großartigen Zusammenhang, in den er mit täuschender Kunst vieles und weit von einander liegendes bringen möchte. Die kleinen Arbeiten sind ') Dus Cuclamen, ein Beispiel der großen Unordnung und des unendlichen Zusammen¬ hangs, S, 35; Der Totenkopf (H.eKorMtw ^.t-roxos), Versuch eines wissenschaftkchen MM- Z'sans, S. 43; Kirchhofstudicn, S. 5>0. Grenzboten IV 1898 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/596>, abgerufen am 12.12.2024.