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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtuiigen aus dein deutschen Süden

also den wichtigsten Posten dieser Behörde einnahm. Bei Frankreich war die
hohe Politik für die Besetzung des schweizerischen Bvtschafterpostens maßgebend;
der deutsche Gesandte verfolgt, vielleicht leider, keine geheimen Nebenzwecke,
wie sein französischer Amtsgenosse. Freilich erhält er auch nicht eine so wesent¬
liche Unterstützung an der scheinbar privaten Propaganda der schon genannten
g-Annas trMyg,i8ö, deren Hauptschlachtfeld bezeichnenderweise Belgien und die
Schweiz sind. Sie ist ein Sprachverein zu dem ausgesprochnen Zwecke der
Ausbreitung der französischen Sprache, also eine Kampfgenossenschaft in erster
Reihe wider das hoch- und niederdeutsche Volkstum, während ähnliche deutsche
Gesellschaften lediglich die Erhaltung unsrer Muttersprache zum Ziele haben,
sich also in hart bedrängter Verteidigungsstellung befinden. Wir müssen freilich
den Hut abnehmen vor dem reißenden Erfolge dieser a-lllMos ti'an()g,i8ö, die
aber auch in der Schweiz einen wohl vorbereiteten Boden findet. Wenn ein
Gelehrter wie der teutschgesinnte Hnnziker schon irrtümlich die sogenannte fran¬
zösische Schweiz als die alte Burgundergrenze annimmt und daher als früh¬
zeitig rvmanistrt ansieht, so vergißt er eben, daß die alemannische Einwan¬
derung bis an den Genfer See reichte und nur Genf burgundisch-französisch
blieb. In den Augen der unwissenden Schweizer ist aber dank der waadt-
ländischen Spiegelfechterei die Westschweiz ein französischer Brocken, den die
große Schwesterrepublik nur aus Gnade und Barmherzigkeit der Eidgenossen¬
schaft überlassen hat. Dafür ist sie natürlich zur unbedingten Gefolgschaft
verbunden.

Wir müssen uns mit dieser harten Thatsache abfinden. Bloße Klagen
helfen nichts, sondern nur Thaten. Wir müssen einfach denselben Weg wie
die Franzosen einschlagen und unsre Volksgenossen, soweit sie noch nicht fran-
zösirt sind, scharf gegen das Welschtum machen, wie auch die Vlamen endlich
das französische Joch langsam aber erfolgreich abschütteln. Die französische
Diplomatie ist die eifrige Helferin aller frauzösirenden Bestrebungen unter dem
Deckmantel harmloser Sprachvereine und Unterstützungskassen. Unsre aus¬
wärtige Vertretung ist leider hierzu weder ermächtigt, noch hat sie irgend
welche Neigung verspürt, sich in den Dienst einer gebotnen nationalen Pro¬
paganda zu stellen, die bloß das arg bedrängte eigne Volkstum vor dem sichern
Untergange retten will. Die unerfahrne Jugend unsers Reichs erklärt diese
allzu korrekte Haltung. Preußen hat erst unter Bismarck deutsche Politik auch
im Auslande treiben können; bis dahin mußte der preußische Ehrgeiz in natio¬
naler Beziehung an den engen Grenzen des seligen Deutschen Bundes sein
Genügen finden. Hoffentlich überwinden wir bald diese Kinderkrankheit,

Das alte Kulturland Frankreich, dessen Bevölkerung dauernd zurückgeht,
füllt seine blutleeren Adern nicht nnr mit frischem deutschen Saft, gleich dem
alten Rom, sondern greift sogar über seine geschichtlichen Grenzen hinaus und
macht auf unsre Kosten trotz der Niederlage von 1870/71 moralische Er-


Politische Reisebetrachtuiigen aus dein deutschen Süden

also den wichtigsten Posten dieser Behörde einnahm. Bei Frankreich war die
hohe Politik für die Besetzung des schweizerischen Bvtschafterpostens maßgebend;
der deutsche Gesandte verfolgt, vielleicht leider, keine geheimen Nebenzwecke,
wie sein französischer Amtsgenosse. Freilich erhält er auch nicht eine so wesent¬
liche Unterstützung an der scheinbar privaten Propaganda der schon genannten
g-Annas trMyg,i8ö, deren Hauptschlachtfeld bezeichnenderweise Belgien und die
Schweiz sind. Sie ist ein Sprachverein zu dem ausgesprochnen Zwecke der
Ausbreitung der französischen Sprache, also eine Kampfgenossenschaft in erster
Reihe wider das hoch- und niederdeutsche Volkstum, während ähnliche deutsche
Gesellschaften lediglich die Erhaltung unsrer Muttersprache zum Ziele haben,
sich also in hart bedrängter Verteidigungsstellung befinden. Wir müssen freilich
den Hut abnehmen vor dem reißenden Erfolge dieser a-lllMos ti'an()g,i8ö, die
aber auch in der Schweiz einen wohl vorbereiteten Boden findet. Wenn ein
Gelehrter wie der teutschgesinnte Hnnziker schon irrtümlich die sogenannte fran¬
zösische Schweiz als die alte Burgundergrenze annimmt und daher als früh¬
zeitig rvmanistrt ansieht, so vergißt er eben, daß die alemannische Einwan¬
derung bis an den Genfer See reichte und nur Genf burgundisch-französisch
blieb. In den Augen der unwissenden Schweizer ist aber dank der waadt-
ländischen Spiegelfechterei die Westschweiz ein französischer Brocken, den die
große Schwesterrepublik nur aus Gnade und Barmherzigkeit der Eidgenossen¬
schaft überlassen hat. Dafür ist sie natürlich zur unbedingten Gefolgschaft
verbunden.

Wir müssen uns mit dieser harten Thatsache abfinden. Bloße Klagen
helfen nichts, sondern nur Thaten. Wir müssen einfach denselben Weg wie
die Franzosen einschlagen und unsre Volksgenossen, soweit sie noch nicht fran-
zösirt sind, scharf gegen das Welschtum machen, wie auch die Vlamen endlich
das französische Joch langsam aber erfolgreich abschütteln. Die französische
Diplomatie ist die eifrige Helferin aller frauzösirenden Bestrebungen unter dem
Deckmantel harmloser Sprachvereine und Unterstützungskassen. Unsre aus¬
wärtige Vertretung ist leider hierzu weder ermächtigt, noch hat sie irgend
welche Neigung verspürt, sich in den Dienst einer gebotnen nationalen Pro¬
paganda zu stellen, die bloß das arg bedrängte eigne Volkstum vor dem sichern
Untergange retten will. Die unerfahrne Jugend unsers Reichs erklärt diese
allzu korrekte Haltung. Preußen hat erst unter Bismarck deutsche Politik auch
im Auslande treiben können; bis dahin mußte der preußische Ehrgeiz in natio¬
naler Beziehung an den engen Grenzen des seligen Deutschen Bundes sein
Genügen finden. Hoffentlich überwinden wir bald diese Kinderkrankheit,

Das alte Kulturland Frankreich, dessen Bevölkerung dauernd zurückgeht,
füllt seine blutleeren Adern nicht nnr mit frischem deutschen Saft, gleich dem
alten Rom, sondern greift sogar über seine geschichtlichen Grenzen hinaus und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/591>, abgerufen am 12.12.2024.