Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

lassen. Aber gerade diese urdeutsche Stadt ist die schlimmste abtrünnige ge¬
worden. Wieder rings von deutschem Gebiet umschlossen, sucht sie ihren Ruhm
in französischer Vergötterung, und würdig ist auch ihr Lohn gewesen. Die
Vollblutfranzosen der doch sicherlich französischen Stadt Straßburg, die natür¬
lich nie im deutschen Volksliede verherrlicht worden ist, haben ihr mit fran¬
zösischer Inschrift ein schönes Denkmal geschenkt. Man sieht dort mit Rührung,
wie das wehrhafte Basel das schutzsuchende Elsaß, eine Jungfrau mit der be¬
kannten Kvpfschleife, gegen irgend einen Feind mit dem Schilde schirmt.
Darunter steht die Jahreszahl 1870. Meine Geschichtskunde kennt diesen
Vorgang nicht, er bedarf auch keiner Erläuterung. Vielleicht dient das Denk¬
mal später einmal als Merkzeichen für den deutschen Michel, um ihm seine
nationale Schande im Bilde vor Angen zu führen. Die Elsässer Renegaten
sind ihrer schweizerischen Landsleute würdig. Basels Reichtum beruht auf der
Verbindung mit Deutschland. Die Ausfuhr seiner Seidenbänder geht lediglich
ins Reich. So stattet der deutsche Schweizer seinem großen Mutterlande seinen
Dank ab. Während gerade in Basel und bis Zürich ostwärts, also in der
wirtschaftlich allein bedeutenden Gegend der Schweiz, deutsches Geld befruchtend
umläuft, gehört natürlich die Schweiz zum lateinischen Münzverband. In-
folgedessen sieht man fast bloß französisches Gold und italienisches Silber.
Schweizer Münzen beschränken sich auf die Nickel. Frankreich hat mit Vor¬
bedacht Belgien und die Schweiz in den Münzbund aufgenommen und kein
Hehl daraus gemacht, daß es diese Gemeinschaft als Mittel zur An-
gliederung ansahe. Deutschland hat 1870 diese Absicht zerstört. Basel hat
dafür im Straßburger Denkmal die Erkenntlichkeit der alten Reichsstadt sinnig
bewiesen/")

Obschon in Zürich noch an vielen Stellen der alte Reichsadler prangt,
wie auch uoch in den alten Landstädten an den Sitzen der kaiserlichen Vog-
teien, ist auch das dortige schöne Landesmuseum der sogar ungesetzlichen Zwie-
sprachigkeit zum Opfer gefallen, selbst wo es sich um Altertümer des deutschen
Kantons Zürich handelt. Abgesehen von England ist der deutsche Fremde die
Milchkuh des Schweizers, und Deutschland hat die Schweizer Bahnen finanziell
ermöglicht, wie auch die Industrie mit Geldmitteln ausgerüstet. Vielleicht
könnte doch auch unser Nationalgefühl zum Schaden der Schweizer empfindlich



") Bismarck hat selbst in einer jüngst bekannt gewordnen Mitteilung bestätigt, daß die
Franzosen sogar nach der Reichsgründung ihre Hoffnung auf die sranzösirle Westschweiz nicht
ausgegeben haben. Ein nichtoffizieller Unterhändler der Regierung hat in den siebziger Jahren,
als Deutschlands Übergewicht dank der russischen Freundschaft und Frankreichs Vereinsamung
dieses noch völlig niederdrückte, dein Reichskanzler das Anerbieten der Teilung der Schweiz
gemacht, wobei Italien den Tessin und Österreich Grnubünden, vielleicht sogar mit dem Neltlur
erhalten sollten. Dafür wollte Frankreich auch endgiltig auf Elsnsz-Lothringen verzichten.
Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

lassen. Aber gerade diese urdeutsche Stadt ist die schlimmste abtrünnige ge¬
worden. Wieder rings von deutschem Gebiet umschlossen, sucht sie ihren Ruhm
in französischer Vergötterung, und würdig ist auch ihr Lohn gewesen. Die
Vollblutfranzosen der doch sicherlich französischen Stadt Straßburg, die natür¬
lich nie im deutschen Volksliede verherrlicht worden ist, haben ihr mit fran¬
zösischer Inschrift ein schönes Denkmal geschenkt. Man sieht dort mit Rührung,
wie das wehrhafte Basel das schutzsuchende Elsaß, eine Jungfrau mit der be¬
kannten Kvpfschleife, gegen irgend einen Feind mit dem Schilde schirmt.
Darunter steht die Jahreszahl 1870. Meine Geschichtskunde kennt diesen
Vorgang nicht, er bedarf auch keiner Erläuterung. Vielleicht dient das Denk¬
mal später einmal als Merkzeichen für den deutschen Michel, um ihm seine
nationale Schande im Bilde vor Angen zu führen. Die Elsässer Renegaten
sind ihrer schweizerischen Landsleute würdig. Basels Reichtum beruht auf der
Verbindung mit Deutschland. Die Ausfuhr seiner Seidenbänder geht lediglich
ins Reich. So stattet der deutsche Schweizer seinem großen Mutterlande seinen
Dank ab. Während gerade in Basel und bis Zürich ostwärts, also in der
wirtschaftlich allein bedeutenden Gegend der Schweiz, deutsches Geld befruchtend
umläuft, gehört natürlich die Schweiz zum lateinischen Münzverband. In-
folgedessen sieht man fast bloß französisches Gold und italienisches Silber.
Schweizer Münzen beschränken sich auf die Nickel. Frankreich hat mit Vor¬
bedacht Belgien und die Schweiz in den Münzbund aufgenommen und kein
Hehl daraus gemacht, daß es diese Gemeinschaft als Mittel zur An-
gliederung ansahe. Deutschland hat 1870 diese Absicht zerstört. Basel hat
dafür im Straßburger Denkmal die Erkenntlichkeit der alten Reichsstadt sinnig
bewiesen/")

Obschon in Zürich noch an vielen Stellen der alte Reichsadler prangt,
wie auch uoch in den alten Landstädten an den Sitzen der kaiserlichen Vog-
teien, ist auch das dortige schöne Landesmuseum der sogar ungesetzlichen Zwie-
sprachigkeit zum Opfer gefallen, selbst wo es sich um Altertümer des deutschen
Kantons Zürich handelt. Abgesehen von England ist der deutsche Fremde die
Milchkuh des Schweizers, und Deutschland hat die Schweizer Bahnen finanziell
ermöglicht, wie auch die Industrie mit Geldmitteln ausgerüstet. Vielleicht
könnte doch auch unser Nationalgefühl zum Schaden der Schweizer empfindlich



") Bismarck hat selbst in einer jüngst bekannt gewordnen Mitteilung bestätigt, daß die
Franzosen sogar nach der Reichsgründung ihre Hoffnung auf die sranzösirle Westschweiz nicht
ausgegeben haben. Ein nichtoffizieller Unterhändler der Regierung hat in den siebziger Jahren,
als Deutschlands Übergewicht dank der russischen Freundschaft und Frankreichs Vereinsamung
dieses noch völlig niederdrückte, dein Reichskanzler das Anerbieten der Teilung der Schweiz
gemacht, wobei Italien den Tessin und Österreich Grnubünden, vielleicht sogar mit dem Neltlur
erhalten sollten. Dafür wollte Frankreich auch endgiltig auf Elsnsz-Lothringen verzichten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229538"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1874" prev="#ID_1873"> lassen. Aber gerade diese urdeutsche Stadt ist die schlimmste abtrünnige ge¬<lb/>
worden. Wieder rings von deutschem Gebiet umschlossen, sucht sie ihren Ruhm<lb/>
in französischer Vergötterung, und würdig ist auch ihr Lohn gewesen. Die<lb/>
Vollblutfranzosen der doch sicherlich französischen Stadt Straßburg, die natür¬<lb/>
lich nie im deutschen Volksliede verherrlicht worden ist, haben ihr mit fran¬<lb/>
zösischer Inschrift ein schönes Denkmal geschenkt. Man sieht dort mit Rührung,<lb/>
wie das wehrhafte Basel das schutzsuchende Elsaß, eine Jungfrau mit der be¬<lb/>
kannten Kvpfschleife, gegen irgend einen Feind mit dem Schilde schirmt.<lb/>
Darunter steht die Jahreszahl 1870. Meine Geschichtskunde kennt diesen<lb/>
Vorgang nicht, er bedarf auch keiner Erläuterung. Vielleicht dient das Denk¬<lb/>
mal später einmal als Merkzeichen für den deutschen Michel, um ihm seine<lb/>
nationale Schande im Bilde vor Angen zu führen. Die Elsässer Renegaten<lb/>
sind ihrer schweizerischen Landsleute würdig. Basels Reichtum beruht auf der<lb/>
Verbindung mit Deutschland. Die Ausfuhr seiner Seidenbänder geht lediglich<lb/>
ins Reich. So stattet der deutsche Schweizer seinem großen Mutterlande seinen<lb/>
Dank ab. Während gerade in Basel und bis Zürich ostwärts, also in der<lb/>
wirtschaftlich allein bedeutenden Gegend der Schweiz, deutsches Geld befruchtend<lb/>
umläuft, gehört natürlich die Schweiz zum lateinischen Münzverband. In-<lb/>
folgedessen sieht man fast bloß französisches Gold und italienisches Silber.<lb/>
Schweizer Münzen beschränken sich auf die Nickel. Frankreich hat mit Vor¬<lb/>
bedacht Belgien und die Schweiz in den Münzbund aufgenommen und kein<lb/>
Hehl daraus gemacht, daß es diese Gemeinschaft als Mittel zur An-<lb/>
gliederung ansahe. Deutschland hat 1870 diese Absicht zerstört. Basel hat<lb/>
dafür im Straßburger Denkmal die Erkenntlichkeit der alten Reichsstadt sinnig<lb/>
bewiesen/")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1875" next="#ID_1876"> Obschon in Zürich noch an vielen Stellen der alte Reichsadler prangt,<lb/>
wie auch uoch in den alten Landstädten an den Sitzen der kaiserlichen Vog-<lb/>
teien, ist auch das dortige schöne Landesmuseum der sogar ungesetzlichen Zwie-<lb/>
sprachigkeit zum Opfer gefallen, selbst wo es sich um Altertümer des deutschen<lb/>
Kantons Zürich handelt. Abgesehen von England ist der deutsche Fremde die<lb/>
Milchkuh des Schweizers, und Deutschland hat die Schweizer Bahnen finanziell<lb/>
ermöglicht, wie auch die Industrie mit Geldmitteln ausgerüstet. Vielleicht<lb/>
könnte doch auch unser Nationalgefühl zum Schaden der Schweizer empfindlich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_59" place="foot"> ") Bismarck hat selbst in einer jüngst bekannt gewordnen Mitteilung bestätigt, daß die<lb/>
Franzosen sogar nach der Reichsgründung ihre Hoffnung auf die sranzösirle Westschweiz nicht<lb/>
ausgegeben haben. Ein nichtoffizieller Unterhändler der Regierung hat in den siebziger Jahren,<lb/>
als Deutschlands Übergewicht dank der russischen Freundschaft und Frankreichs Vereinsamung<lb/>
dieses noch völlig niederdrückte, dein Reichskanzler das Anerbieten der Teilung der Schweiz<lb/>
gemacht, wobei Italien den Tessin und Österreich Grnubünden, vielleicht sogar mit dem Neltlur<lb/>
erhalten sollten.  Dafür wollte Frankreich auch endgiltig auf Elsnsz-Lothringen verzichten.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden lassen. Aber gerade diese urdeutsche Stadt ist die schlimmste abtrünnige ge¬ worden. Wieder rings von deutschem Gebiet umschlossen, sucht sie ihren Ruhm in französischer Vergötterung, und würdig ist auch ihr Lohn gewesen. Die Vollblutfranzosen der doch sicherlich französischen Stadt Straßburg, die natür¬ lich nie im deutschen Volksliede verherrlicht worden ist, haben ihr mit fran¬ zösischer Inschrift ein schönes Denkmal geschenkt. Man sieht dort mit Rührung, wie das wehrhafte Basel das schutzsuchende Elsaß, eine Jungfrau mit der be¬ kannten Kvpfschleife, gegen irgend einen Feind mit dem Schilde schirmt. Darunter steht die Jahreszahl 1870. Meine Geschichtskunde kennt diesen Vorgang nicht, er bedarf auch keiner Erläuterung. Vielleicht dient das Denk¬ mal später einmal als Merkzeichen für den deutschen Michel, um ihm seine nationale Schande im Bilde vor Angen zu führen. Die Elsässer Renegaten sind ihrer schweizerischen Landsleute würdig. Basels Reichtum beruht auf der Verbindung mit Deutschland. Die Ausfuhr seiner Seidenbänder geht lediglich ins Reich. So stattet der deutsche Schweizer seinem großen Mutterlande seinen Dank ab. Während gerade in Basel und bis Zürich ostwärts, also in der wirtschaftlich allein bedeutenden Gegend der Schweiz, deutsches Geld befruchtend umläuft, gehört natürlich die Schweiz zum lateinischen Münzverband. In- folgedessen sieht man fast bloß französisches Gold und italienisches Silber. Schweizer Münzen beschränken sich auf die Nickel. Frankreich hat mit Vor¬ bedacht Belgien und die Schweiz in den Münzbund aufgenommen und kein Hehl daraus gemacht, daß es diese Gemeinschaft als Mittel zur An- gliederung ansahe. Deutschland hat 1870 diese Absicht zerstört. Basel hat dafür im Straßburger Denkmal die Erkenntlichkeit der alten Reichsstadt sinnig bewiesen/") Obschon in Zürich noch an vielen Stellen der alte Reichsadler prangt, wie auch uoch in den alten Landstädten an den Sitzen der kaiserlichen Vog- teien, ist auch das dortige schöne Landesmuseum der sogar ungesetzlichen Zwie- sprachigkeit zum Opfer gefallen, selbst wo es sich um Altertümer des deutschen Kantons Zürich handelt. Abgesehen von England ist der deutsche Fremde die Milchkuh des Schweizers, und Deutschland hat die Schweizer Bahnen finanziell ermöglicht, wie auch die Industrie mit Geldmitteln ausgerüstet. Vielleicht könnte doch auch unser Nationalgefühl zum Schaden der Schweizer empfindlich ") Bismarck hat selbst in einer jüngst bekannt gewordnen Mitteilung bestätigt, daß die Franzosen sogar nach der Reichsgründung ihre Hoffnung auf die sranzösirle Westschweiz nicht ausgegeben haben. Ein nichtoffizieller Unterhändler der Regierung hat in den siebziger Jahren, als Deutschlands Übergewicht dank der russischen Freundschaft und Frankreichs Vereinsamung dieses noch völlig niederdrückte, dein Reichskanzler das Anerbieten der Teilung der Schweiz gemacht, wobei Italien den Tessin und Österreich Grnubünden, vielleicht sogar mit dem Neltlur erhalten sollten. Dafür wollte Frankreich auch endgiltig auf Elsnsz-Lothringen verzichten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/589>, abgerufen am 24.07.2024.