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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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feldmarschmäßig erscheint. Abends macht es dann einen heitern Eindruck, wenn
der Vaterlandsverteidiger in dem etwas umstündlichen Waffenschmuck feucht¬
fröhlich im Zickzack durch die Gassen schwankt. Der deutsche Soldat pflegt
sich den Freuden des Lebens ohne Gepäck und Gewehr hinzugeben. Aber
fraglos liegt ein gewisser Ernst im heitern Spiele, denn der Vorgang zeigt
die in Fleisch und Blut übergegangne Waffenfreudigkeit.

Die Mannszucht ist ja gewöhnlich in solchen Freistaaten nicht gerade eine
Stärke des Heeres. Es erscheint daher glaubwürdig, daß ein hervorragend
tüchtiger Waffenchef schließlich in den Ruhestand hat treten müssen, weil seine
strenge Disziplin seinen Untergebnen mißfiel, und er selbst es bezeichnender¬
weise am Gehorsam gegen den hohen Bundesrat fehlen ließ. Die Wirksamkeit
eines solchen demokratischen Hofkriegsrath hat sich ja neulich am lieblichsten in
Washington geäußert. Es ist kaum anzunehmen, daß sich der Schweizer Genosse
im Kriegsfalle klüger benehmen wird, wenn das Schweizer Offizierkorps auch gar
nicht mit den elenden Freiwilligenscharen Bruder Jonathans zu vergleichen ist.
Das deutsche und das französische Vorbild regt doch zu sehr zur Nacheiferung
a", verführt vielleicht sogar zu übertriebner Nachahmung, was den bescheidnern
Anforderungen der Schweizer Landesverteidigung nicht entspricht. Das Kriegs¬
kleid des Schweizer Heeres ist übrigens die alte württembergische Uniform
nach preußischem Schnitt; das Käppi mehr der preußische Jägertschako als
die österreichische Kopfbekleidung. Aber die Kavalleriemütze ist französisch. Es
Ware ja auch schade, wenn man außer der sehr praktischen Pelerine, dem fran¬
zösischen Nevanchemäntelchen. nichts Französisches trüge; der Schweizer Soldat
würde trotzdem mit Entrüstung die Behauptung zurückweisen, daß er nach
deutscher Art gekleidet sei. .

^.Ein Unterschied besteht zwischen dem schweizerischen Freistaat und den von
ihm so geliebten großen Schwesterrepublikeu Frankreich und Nordamerika, von
den sonstigen amerikanischen Raubstaaten ganz zu schweigen. Ist in Frankreich
d>e verhüllte Bestechlichkeit und in der Union der offne Amterschacher und
Stimmenkauf an der Tagesordnung, so hat sich die Schweiz sowohl ni ihrer
aristokratischen Staatsform der frühern Jahrhunderte wie auch in ihrer jetzigen
demokratischen Verfassung von diesem Fluche der Freistaaten völlig rem er¬
halten. Es herrscht in der Schweiz eine strenge und gerechte Verwaltung.
Die Furcht vor dem souveränen Volk mag manchmal kräftige Maßnahmen
lahmen oder abschwächen, wie bei dem verspäteten Eingreifen in der revolutio¬
nären Jtalienersache. Aber schließlich gewinnt bei der Regierung doch der
gesunde Menschenverstand die Oberhand. Die Bundesgewalt ,se ;a schwach,
aber dürfen wir über diesen Mangel spotten? Es macht sich jedoch auch hier
"in Rückschlag wider den Kantönligeist geltend. Die Staatseinheck tritt mehr
i" den Vordergrund. Der Bund ist im Begriffe, sämtliche Eisenbahnen zu
"werben und erweitert auch sonst seine Zuständigkeit. Die Ordnung des Ver-


feldmarschmäßig erscheint. Abends macht es dann einen heitern Eindruck, wenn
der Vaterlandsverteidiger in dem etwas umstündlichen Waffenschmuck feucht¬
fröhlich im Zickzack durch die Gassen schwankt. Der deutsche Soldat pflegt
sich den Freuden des Lebens ohne Gepäck und Gewehr hinzugeben. Aber
fraglos liegt ein gewisser Ernst im heitern Spiele, denn der Vorgang zeigt
die in Fleisch und Blut übergegangne Waffenfreudigkeit.

Die Mannszucht ist ja gewöhnlich in solchen Freistaaten nicht gerade eine
Stärke des Heeres. Es erscheint daher glaubwürdig, daß ein hervorragend
tüchtiger Waffenchef schließlich in den Ruhestand hat treten müssen, weil seine
strenge Disziplin seinen Untergebnen mißfiel, und er selbst es bezeichnender¬
weise am Gehorsam gegen den hohen Bundesrat fehlen ließ. Die Wirksamkeit
eines solchen demokratischen Hofkriegsrath hat sich ja neulich am lieblichsten in
Washington geäußert. Es ist kaum anzunehmen, daß sich der Schweizer Genosse
im Kriegsfalle klüger benehmen wird, wenn das Schweizer Offizierkorps auch gar
nicht mit den elenden Freiwilligenscharen Bruder Jonathans zu vergleichen ist.
Das deutsche und das französische Vorbild regt doch zu sehr zur Nacheiferung
a», verführt vielleicht sogar zu übertriebner Nachahmung, was den bescheidnern
Anforderungen der Schweizer Landesverteidigung nicht entspricht. Das Kriegs¬
kleid des Schweizer Heeres ist übrigens die alte württembergische Uniform
nach preußischem Schnitt; das Käppi mehr der preußische Jägertschako als
die österreichische Kopfbekleidung. Aber die Kavalleriemütze ist französisch. Es
Ware ja auch schade, wenn man außer der sehr praktischen Pelerine, dem fran¬
zösischen Nevanchemäntelchen. nichts Französisches trüge; der Schweizer Soldat
würde trotzdem mit Entrüstung die Behauptung zurückweisen, daß er nach
deutscher Art gekleidet sei. .

^.Ein Unterschied besteht zwischen dem schweizerischen Freistaat und den von
ihm so geliebten großen Schwesterrepublikeu Frankreich und Nordamerika, von
den sonstigen amerikanischen Raubstaaten ganz zu schweigen. Ist in Frankreich
d>e verhüllte Bestechlichkeit und in der Union der offne Amterschacher und
Stimmenkauf an der Tagesordnung, so hat sich die Schweiz sowohl ni ihrer
aristokratischen Staatsform der frühern Jahrhunderte wie auch in ihrer jetzigen
demokratischen Verfassung von diesem Fluche der Freistaaten völlig rem er¬
halten. Es herrscht in der Schweiz eine strenge und gerechte Verwaltung.
Die Furcht vor dem souveränen Volk mag manchmal kräftige Maßnahmen
lahmen oder abschwächen, wie bei dem verspäteten Eingreifen in der revolutio¬
nären Jtalienersache. Aber schließlich gewinnt bei der Regierung doch der
gesunde Menschenverstand die Oberhand. Die Bundesgewalt ,se ;a schwach,
aber dürfen wir über diesen Mangel spotten? Es macht sich jedoch auch hier
«in Rückschlag wider den Kantönligeist geltend. Die Staatseinheck tritt mehr
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[0586] feldmarschmäßig erscheint. Abends macht es dann einen heitern Eindruck, wenn der Vaterlandsverteidiger in dem etwas umstündlichen Waffenschmuck feucht¬ fröhlich im Zickzack durch die Gassen schwankt. Der deutsche Soldat pflegt sich den Freuden des Lebens ohne Gepäck und Gewehr hinzugeben. Aber fraglos liegt ein gewisser Ernst im heitern Spiele, denn der Vorgang zeigt die in Fleisch und Blut übergegangne Waffenfreudigkeit. Die Mannszucht ist ja gewöhnlich in solchen Freistaaten nicht gerade eine Stärke des Heeres. Es erscheint daher glaubwürdig, daß ein hervorragend tüchtiger Waffenchef schließlich in den Ruhestand hat treten müssen, weil seine strenge Disziplin seinen Untergebnen mißfiel, und er selbst es bezeichnender¬ weise am Gehorsam gegen den hohen Bundesrat fehlen ließ. Die Wirksamkeit eines solchen demokratischen Hofkriegsrath hat sich ja neulich am lieblichsten in Washington geäußert. Es ist kaum anzunehmen, daß sich der Schweizer Genosse im Kriegsfalle klüger benehmen wird, wenn das Schweizer Offizierkorps auch gar nicht mit den elenden Freiwilligenscharen Bruder Jonathans zu vergleichen ist. Das deutsche und das französische Vorbild regt doch zu sehr zur Nacheiferung a», verführt vielleicht sogar zu übertriebner Nachahmung, was den bescheidnern Anforderungen der Schweizer Landesverteidigung nicht entspricht. Das Kriegs¬ kleid des Schweizer Heeres ist übrigens die alte württembergische Uniform nach preußischem Schnitt; das Käppi mehr der preußische Jägertschako als die österreichische Kopfbekleidung. Aber die Kavalleriemütze ist französisch. Es Ware ja auch schade, wenn man außer der sehr praktischen Pelerine, dem fran¬ zösischen Nevanchemäntelchen. nichts Französisches trüge; der Schweizer Soldat würde trotzdem mit Entrüstung die Behauptung zurückweisen, daß er nach deutscher Art gekleidet sei. . ^.Ein Unterschied besteht zwischen dem schweizerischen Freistaat und den von ihm so geliebten großen Schwesterrepublikeu Frankreich und Nordamerika, von den sonstigen amerikanischen Raubstaaten ganz zu schweigen. Ist in Frankreich d>e verhüllte Bestechlichkeit und in der Union der offne Amterschacher und Stimmenkauf an der Tagesordnung, so hat sich die Schweiz sowohl ni ihrer aristokratischen Staatsform der frühern Jahrhunderte wie auch in ihrer jetzigen demokratischen Verfassung von diesem Fluche der Freistaaten völlig rem er¬ halten. Es herrscht in der Schweiz eine strenge und gerechte Verwaltung. Die Furcht vor dem souveränen Volk mag manchmal kräftige Maßnahmen lahmen oder abschwächen, wie bei dem verspäteten Eingreifen in der revolutio¬ nären Jtalienersache. Aber schließlich gewinnt bei der Regierung doch der gesunde Menschenverstand die Oberhand. Die Bundesgewalt ,se ;a schwach, aber dürfen wir über diesen Mangel spotten? Es macht sich jedoch auch hier «in Rückschlag wider den Kantönligeist geltend. Die Staatseinheck tritt mehr i" den Vordergrund. Der Bund ist im Begriffe, sämtliche Eisenbahnen zu "werben und erweitert auch sonst seine Zuständigkeit. Die Ordnung des Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/586>, abgerufen am 12.12.2024.