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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

denen ein Berichterstatter sagt, es würde ihnen nur dadurch geholfen werden
können, daß man der Gemeindeflur ein paar hundert Morgen zusetzte, und der
mecklenburgische Rittergutsbesitzer, der seine Außenschlüge unbebaut liegen lassen
muß. der Magnat, der seinen Wald sperrt, damit weder sein Wild noch seine
Forstwirtschaft gestört werde, und sein Nachbar, der Ackerhäusler, der nach
Waldweide, Waldstreu und Raffholz hungert, endlich der thüringische Rüben-
bodenbesitzer, der sein Land an die Zuckerfabrik verpachtet und als Rentner
lebt, das sind himmelweit von einander verschiedne Wirtschaftssubjekte, und die
Bedingungen für ihr Gedeihen sind nicht allein verschieden, sondern zum Teil
entgegengesetzt. Zwei Dinge allerdings brauchen alle: ein verstündig geordnetes
Kreditwesen und eine gute Ausbildung für ihren Beruf. Dem Mangel des
ersten ist in den letzten Jahrzehnten teils auf dem Wege der Selbsthilfe teils
durch Staatseinrichtungen zum größten Teil abgeholfen worden, und für das
zweite wird durch landwirtschaftliche Lehranstalten, Vereine und Litteratur
täglich besser gesorgt. Den Verlauf der landwirtschaftlichen Entwicklung in
den letzten zehn Jahren haben die Grenzboten mit der gebührenden Aufmerk¬
samkeit verfolgt, sodaß wir diesen Zeitraum in unserm Rückblick übergehen
können.

Folgerungen zu ziehen und Anwendungen zu machen überlassen wir den
Lesern; nur zwei von den vielen, die sich aufdrängen, wollen wir kurz aus¬
sprechen. Wenn man unter Landwirtschaft die Erzeugung landwirtschaftlicher
Produkte und die Bauernschaft versteht, so läßt sich von der "deutschen Land¬
wirtschaft," die oben als ein bloßer logischer Begriff bezeichnet wurde, doch
etwas aussagen, daß sie nämlich durch alle Wechsel und Nöte der letzten hundert
Jahre hindurch fortgeschritten ist. Der Bauern sind zwar im allgemeinen nicht
wehr, doch auch nicht viel weniger geworden, und sie haben an Vermögen,
Intelligenz und Ansehen bedeutend gewonnen, die landwirtschaftlichen Produkte
über haben sich nach Art und Menge vervielfältigt. Das zweite ist dieses.
So oft einige adliche Rittergutsbesitzer in Schuldennot geraten, durchtobt eine
Agitation zu ihrer Rettung das Land; sie wird damit begründet, daß die
"alten Familien" die festesten und unentbehrlichsten Stützen des Staats seien.
Wäre das der Fall, so stünde es schlimm um den Staat. Rudolf Meder hat
in der Vorrede zur zweiten Auflage eines Buches von Rodbertus (Zur Er¬
klärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes, 1393) die
pommerschen Rittergüter darauf hin gemustert und gefunden, daß aus fünf
Kreisen von den fünfundfünfzig adlichen Familien, die im Jahre 1756 dort
°"sässig waren, nur noch elf vorhanden, die übrigen vierundvierzig aber ver¬
schwunden waren. Im zweiten Bande des Jahrgangs 1895 der Grenzboten
aber ist in dem Aussatze: Der Kreislauf des Geldes und der Einfluß der
Scholle (S. 297) darauf hingewiesen worden, daß die meisten Rittergutsbesitzer
teils Söhne und Enkel von bürgerlichen Händlern und Fabrikanten sind, teils


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

denen ein Berichterstatter sagt, es würde ihnen nur dadurch geholfen werden
können, daß man der Gemeindeflur ein paar hundert Morgen zusetzte, und der
mecklenburgische Rittergutsbesitzer, der seine Außenschlüge unbebaut liegen lassen
muß. der Magnat, der seinen Wald sperrt, damit weder sein Wild noch seine
Forstwirtschaft gestört werde, und sein Nachbar, der Ackerhäusler, der nach
Waldweide, Waldstreu und Raffholz hungert, endlich der thüringische Rüben-
bodenbesitzer, der sein Land an die Zuckerfabrik verpachtet und als Rentner
lebt, das sind himmelweit von einander verschiedne Wirtschaftssubjekte, und die
Bedingungen für ihr Gedeihen sind nicht allein verschieden, sondern zum Teil
entgegengesetzt. Zwei Dinge allerdings brauchen alle: ein verstündig geordnetes
Kreditwesen und eine gute Ausbildung für ihren Beruf. Dem Mangel des
ersten ist in den letzten Jahrzehnten teils auf dem Wege der Selbsthilfe teils
durch Staatseinrichtungen zum größten Teil abgeholfen worden, und für das
zweite wird durch landwirtschaftliche Lehranstalten, Vereine und Litteratur
täglich besser gesorgt. Den Verlauf der landwirtschaftlichen Entwicklung in
den letzten zehn Jahren haben die Grenzboten mit der gebührenden Aufmerk¬
samkeit verfolgt, sodaß wir diesen Zeitraum in unserm Rückblick übergehen
können.

Folgerungen zu ziehen und Anwendungen zu machen überlassen wir den
Lesern; nur zwei von den vielen, die sich aufdrängen, wollen wir kurz aus¬
sprechen. Wenn man unter Landwirtschaft die Erzeugung landwirtschaftlicher
Produkte und die Bauernschaft versteht, so läßt sich von der „deutschen Land¬
wirtschaft," die oben als ein bloßer logischer Begriff bezeichnet wurde, doch
etwas aussagen, daß sie nämlich durch alle Wechsel und Nöte der letzten hundert
Jahre hindurch fortgeschritten ist. Der Bauern sind zwar im allgemeinen nicht
wehr, doch auch nicht viel weniger geworden, und sie haben an Vermögen,
Intelligenz und Ansehen bedeutend gewonnen, die landwirtschaftlichen Produkte
über haben sich nach Art und Menge vervielfältigt. Das zweite ist dieses.
So oft einige adliche Rittergutsbesitzer in Schuldennot geraten, durchtobt eine
Agitation zu ihrer Rettung das Land; sie wird damit begründet, daß die
»alten Familien" die festesten und unentbehrlichsten Stützen des Staats seien.
Wäre das der Fall, so stünde es schlimm um den Staat. Rudolf Meder hat
in der Vorrede zur zweiten Auflage eines Buches von Rodbertus (Zur Er¬
klärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes, 1393) die
pommerschen Rittergüter darauf hin gemustert und gefunden, daß aus fünf
Kreisen von den fünfundfünfzig adlichen Familien, die im Jahre 1756 dort
°"sässig waren, nur noch elf vorhanden, die übrigen vierundvierzig aber ver¬
schwunden waren. Im zweiten Bande des Jahrgangs 1895 der Grenzboten
aber ist in dem Aussatze: Der Kreislauf des Geldes und der Einfluß der
Scholle (S. 297) darauf hingewiesen worden, daß die meisten Rittergutsbesitzer
teils Söhne und Enkel von bürgerlichen Händlern und Fabrikanten sind, teils


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[0536] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland denen ein Berichterstatter sagt, es würde ihnen nur dadurch geholfen werden können, daß man der Gemeindeflur ein paar hundert Morgen zusetzte, und der mecklenburgische Rittergutsbesitzer, der seine Außenschlüge unbebaut liegen lassen muß. der Magnat, der seinen Wald sperrt, damit weder sein Wild noch seine Forstwirtschaft gestört werde, und sein Nachbar, der Ackerhäusler, der nach Waldweide, Waldstreu und Raffholz hungert, endlich der thüringische Rüben- bodenbesitzer, der sein Land an die Zuckerfabrik verpachtet und als Rentner lebt, das sind himmelweit von einander verschiedne Wirtschaftssubjekte, und die Bedingungen für ihr Gedeihen sind nicht allein verschieden, sondern zum Teil entgegengesetzt. Zwei Dinge allerdings brauchen alle: ein verstündig geordnetes Kreditwesen und eine gute Ausbildung für ihren Beruf. Dem Mangel des ersten ist in den letzten Jahrzehnten teils auf dem Wege der Selbsthilfe teils durch Staatseinrichtungen zum größten Teil abgeholfen worden, und für das zweite wird durch landwirtschaftliche Lehranstalten, Vereine und Litteratur täglich besser gesorgt. Den Verlauf der landwirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren haben die Grenzboten mit der gebührenden Aufmerk¬ samkeit verfolgt, sodaß wir diesen Zeitraum in unserm Rückblick übergehen können. Folgerungen zu ziehen und Anwendungen zu machen überlassen wir den Lesern; nur zwei von den vielen, die sich aufdrängen, wollen wir kurz aus¬ sprechen. Wenn man unter Landwirtschaft die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte und die Bauernschaft versteht, so läßt sich von der „deutschen Land¬ wirtschaft," die oben als ein bloßer logischer Begriff bezeichnet wurde, doch etwas aussagen, daß sie nämlich durch alle Wechsel und Nöte der letzten hundert Jahre hindurch fortgeschritten ist. Der Bauern sind zwar im allgemeinen nicht wehr, doch auch nicht viel weniger geworden, und sie haben an Vermögen, Intelligenz und Ansehen bedeutend gewonnen, die landwirtschaftlichen Produkte über haben sich nach Art und Menge vervielfältigt. Das zweite ist dieses. So oft einige adliche Rittergutsbesitzer in Schuldennot geraten, durchtobt eine Agitation zu ihrer Rettung das Land; sie wird damit begründet, daß die »alten Familien" die festesten und unentbehrlichsten Stützen des Staats seien. Wäre das der Fall, so stünde es schlimm um den Staat. Rudolf Meder hat in der Vorrede zur zweiten Auflage eines Buches von Rodbertus (Zur Er¬ klärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes, 1393) die pommerschen Rittergüter darauf hin gemustert und gefunden, daß aus fünf Kreisen von den fünfundfünfzig adlichen Familien, die im Jahre 1756 dort °"sässig waren, nur noch elf vorhanden, die übrigen vierundvierzig aber ver¬ schwunden waren. Im zweiten Bande des Jahrgangs 1895 der Grenzboten aber ist in dem Aussatze: Der Kreislauf des Geldes und der Einfluß der Scholle (S. 297) darauf hingewiesen worden, daß die meisten Rittergutsbesitzer teils Söhne und Enkel von bürgerlichen Händlern und Fabrikanten sind, teils

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/536>, abgerufen am 24.07.2024.