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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

bildeter Mann, der die Landwirtschaft rationell betreibt, sich mit Verständnis
c>in öffentlichen Leben beteiligt, in einem seinen Kutschwagen zum Markte
hereinkommt und von den Beamten wie von den Kaufleute!, als eine ange¬
sehene und wichtige Persönlichkeit behandelt wird. Die Zahl der Bauern hat
sich ein wenig, aber nicht wesentlich vermindert, und zwar weniger durch
Teilung von Hufen als dadurch, daß in der Zeit der höchsten Rentabilität
der Landwirtschaft einige Rittergutsbesitzer Bauerngüter aufgekauft haben.*) Die
Mobilisirung der kleinen Leute hat freilich Fortschritte gemacht, wenn es damit
auch noch nicht so schlimm steht wie in dem durch das Bauernlegen ent¬
völkerten Pommern, wo sich die Rittergutsbesitzer und die zu wenig zahlreichen
Bauern mehr und mehr auf Wanderarbeiter angewiesen sehen, die ihnen noch
dazu in Zeiten eines industriellen Aufschwungs die Industrie streitig macht.

In der Zeit des großen Aufschwungs der Landwirtschaft vermochte diese
die Leute noch festzuhalten, weil die Freizügigkeit trotz ihrer grundsätzlichen
Anerkennung noch durch mancherlei Pvlizeimaßrcgeln beschränkt war, die erst
die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes 1867 hinweggeräumt hat. Auch
dauert es, wenn für eine Völkerwanderung die Bedingungen gegeben sind, doch
immer einige Jahre, ehe sie in Fluß kommt. Der Arbeiterwanderung ging
eine Wanderung der Gutsbesitzer vorher. Sobald die Landwirtschaft wieder
rentabel wurde, und zwar sehr, stiegen natürlich die Güterpreise und kam der
Güterhandel wieder in Flor. Landwirte vom Rhein kauften sich in wachsen
an, wo der Acker um 25 bis 50 Prozent wohlfeiler war, Landwirte von der
Elbe zogen an die Oder, wo sie um weitere 50 Prozent wohlfeiler kauften.
Die schlesischen Landwirte, schreibt Elsner, konnten sich diese Einwanderung
anfangs nicht erklären, sie sahen darin die Wirkung einer Konjunktur, die nicht
Bestand haben, sondern gleich der des vorigen Jahrhunderts zu einem Krach
führen werde. Als sie aber beobachteten, wie die Eingewanderten mit ihrer
verbesserten Wirtschaft hohen Gewinn erzielten, ahmten sie diese Praxis nach
und kauften sich in Posen an, wo das Land wieder noch tiefer im Preise stand
als daheim. Später, in den sechziger und siebziger Jahren, ging der Zug
nach Galizien, endlich nach Russisch-Polen. In den geringen Gegenden, schreibt
Elsner, bekam man bei großen Komplexen den Morgen gern für fünfzehn bis
Zwanzig Thaler, ja noch billiger. Zu solchen Komplexen gehörten oft gut
bestandne Waldstrecken, deren Bestand allein schon doppelt so viel wert war.
als der Kaufpreis betrug, und die desto besser verwertet werden konnten, je
vollkommner das Eisenbahnnetz ausgebaut wurde. "Wer die Zeit begriff, für
den lag das Geld auf der Straße. Forschen wir nach, so finden wir. daß



Unter den altpreußischen Provinzen ist es wiederum Pommern, das auch im laufenden
Jahrhundert die meisten Bauern verloren hat, in der Zeit von 1810 bis 18Sö nach Conrnd
Prozent.
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

bildeter Mann, der die Landwirtschaft rationell betreibt, sich mit Verständnis
c>in öffentlichen Leben beteiligt, in einem seinen Kutschwagen zum Markte
hereinkommt und von den Beamten wie von den Kaufleute!, als eine ange¬
sehene und wichtige Persönlichkeit behandelt wird. Die Zahl der Bauern hat
sich ein wenig, aber nicht wesentlich vermindert, und zwar weniger durch
Teilung von Hufen als dadurch, daß in der Zeit der höchsten Rentabilität
der Landwirtschaft einige Rittergutsbesitzer Bauerngüter aufgekauft haben.*) Die
Mobilisirung der kleinen Leute hat freilich Fortschritte gemacht, wenn es damit
auch noch nicht so schlimm steht wie in dem durch das Bauernlegen ent¬
völkerten Pommern, wo sich die Rittergutsbesitzer und die zu wenig zahlreichen
Bauern mehr und mehr auf Wanderarbeiter angewiesen sehen, die ihnen noch
dazu in Zeiten eines industriellen Aufschwungs die Industrie streitig macht.

In der Zeit des großen Aufschwungs der Landwirtschaft vermochte diese
die Leute noch festzuhalten, weil die Freizügigkeit trotz ihrer grundsätzlichen
Anerkennung noch durch mancherlei Pvlizeimaßrcgeln beschränkt war, die erst
die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes 1867 hinweggeräumt hat. Auch
dauert es, wenn für eine Völkerwanderung die Bedingungen gegeben sind, doch
immer einige Jahre, ehe sie in Fluß kommt. Der Arbeiterwanderung ging
eine Wanderung der Gutsbesitzer vorher. Sobald die Landwirtschaft wieder
rentabel wurde, und zwar sehr, stiegen natürlich die Güterpreise und kam der
Güterhandel wieder in Flor. Landwirte vom Rhein kauften sich in wachsen
an, wo der Acker um 25 bis 50 Prozent wohlfeiler war, Landwirte von der
Elbe zogen an die Oder, wo sie um weitere 50 Prozent wohlfeiler kauften.
Die schlesischen Landwirte, schreibt Elsner, konnten sich diese Einwanderung
anfangs nicht erklären, sie sahen darin die Wirkung einer Konjunktur, die nicht
Bestand haben, sondern gleich der des vorigen Jahrhunderts zu einem Krach
führen werde. Als sie aber beobachteten, wie die Eingewanderten mit ihrer
verbesserten Wirtschaft hohen Gewinn erzielten, ahmten sie diese Praxis nach
und kauften sich in Posen an, wo das Land wieder noch tiefer im Preise stand
als daheim. Später, in den sechziger und siebziger Jahren, ging der Zug
nach Galizien, endlich nach Russisch-Polen. In den geringen Gegenden, schreibt
Elsner, bekam man bei großen Komplexen den Morgen gern für fünfzehn bis
Zwanzig Thaler, ja noch billiger. Zu solchen Komplexen gehörten oft gut
bestandne Waldstrecken, deren Bestand allein schon doppelt so viel wert war.
als der Kaufpreis betrug, und die desto besser verwertet werden konnten, je
vollkommner das Eisenbahnnetz ausgebaut wurde. „Wer die Zeit begriff, für
den lag das Geld auf der Straße. Forschen wir nach, so finden wir. daß



Unter den altpreußischen Provinzen ist es wiederum Pommern, das auch im laufenden
Jahrhundert die meisten Bauern verloren hat, in der Zeit von 1810 bis 18Sö nach Conrnd
Prozent.
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[0534] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland bildeter Mann, der die Landwirtschaft rationell betreibt, sich mit Verständnis c>in öffentlichen Leben beteiligt, in einem seinen Kutschwagen zum Markte hereinkommt und von den Beamten wie von den Kaufleute!, als eine ange¬ sehene und wichtige Persönlichkeit behandelt wird. Die Zahl der Bauern hat sich ein wenig, aber nicht wesentlich vermindert, und zwar weniger durch Teilung von Hufen als dadurch, daß in der Zeit der höchsten Rentabilität der Landwirtschaft einige Rittergutsbesitzer Bauerngüter aufgekauft haben.*) Die Mobilisirung der kleinen Leute hat freilich Fortschritte gemacht, wenn es damit auch noch nicht so schlimm steht wie in dem durch das Bauernlegen ent¬ völkerten Pommern, wo sich die Rittergutsbesitzer und die zu wenig zahlreichen Bauern mehr und mehr auf Wanderarbeiter angewiesen sehen, die ihnen noch dazu in Zeiten eines industriellen Aufschwungs die Industrie streitig macht. In der Zeit des großen Aufschwungs der Landwirtschaft vermochte diese die Leute noch festzuhalten, weil die Freizügigkeit trotz ihrer grundsätzlichen Anerkennung noch durch mancherlei Pvlizeimaßrcgeln beschränkt war, die erst die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes 1867 hinweggeräumt hat. Auch dauert es, wenn für eine Völkerwanderung die Bedingungen gegeben sind, doch immer einige Jahre, ehe sie in Fluß kommt. Der Arbeiterwanderung ging eine Wanderung der Gutsbesitzer vorher. Sobald die Landwirtschaft wieder rentabel wurde, und zwar sehr, stiegen natürlich die Güterpreise und kam der Güterhandel wieder in Flor. Landwirte vom Rhein kauften sich in wachsen an, wo der Acker um 25 bis 50 Prozent wohlfeiler war, Landwirte von der Elbe zogen an die Oder, wo sie um weitere 50 Prozent wohlfeiler kauften. Die schlesischen Landwirte, schreibt Elsner, konnten sich diese Einwanderung anfangs nicht erklären, sie sahen darin die Wirkung einer Konjunktur, die nicht Bestand haben, sondern gleich der des vorigen Jahrhunderts zu einem Krach führen werde. Als sie aber beobachteten, wie die Eingewanderten mit ihrer verbesserten Wirtschaft hohen Gewinn erzielten, ahmten sie diese Praxis nach und kauften sich in Posen an, wo das Land wieder noch tiefer im Preise stand als daheim. Später, in den sechziger und siebziger Jahren, ging der Zug nach Galizien, endlich nach Russisch-Polen. In den geringen Gegenden, schreibt Elsner, bekam man bei großen Komplexen den Morgen gern für fünfzehn bis Zwanzig Thaler, ja noch billiger. Zu solchen Komplexen gehörten oft gut bestandne Waldstrecken, deren Bestand allein schon doppelt so viel wert war. als der Kaufpreis betrug, und die desto besser verwertet werden konnten, je vollkommner das Eisenbahnnetz ausgebaut wurde. „Wer die Zeit begriff, für den lag das Geld auf der Straße. Forschen wir nach, so finden wir. daß Unter den altpreußischen Provinzen ist es wiederum Pommern, das auch im laufenden Jahrhundert die meisten Bauern verloren hat, in der Zeit von 1810 bis 18Sö nach Conrnd Prozent.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/534>, abgerufen am 24.07.2024.