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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

darin voran, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg folgten. Sodann wurde
viel Raps gebaut -- erst damals wurde ja die Straßenbeleuchtung und im
Hause die Benutzung von Öllampen statt der Talglichter allgemein, und auch
die Maschinen brauchten viel Öl --, und die beiden wichtigsten landwirtschaft¬
lichen Industrien, die Spiritnsbrennerei und die Zuckerfabrikation, breiteten sich
aus. Die heute noch von Rudolf Meyer eifrig verfochtne Ansicht, daß durch
diese beiden Industrien die Produktion von Nahrungsmitteln vermindert werde,
hat Elsner schon vor dreißig Jahren widerlegt, und in den heutigen Ernte¬
erträgen findet sie ihre thatsächliche Widerlegung. Daß die Kartoffeln gegessen
werden könnten, anstatt daß man Branntwein daraus brennt, wenn die ost-
elbischen Gegenden dichter bevölkert wären, ist richtig; solange sie aber dünn
bevölkert sind, würde ein Teil des Sandbodens, der jetzt für die Brennereien
bestellt wird, ohne diese Industrie unbenutzt liegen bleiben. Was aber die
Zuckerrübe anlangt, so haben die Tiefkultur und die starke Düngung, zu der
sie zwingt, in den Nübengegenden den Gctreideertrag trotz verminderter Anbau¬
fläche vermehrt. Dazu kam dann noch die Verbesserung der Äcker durch die
Drainirung und eine vervollkommnete Wiesenkultnr. Und als nun im Jahre
1846 in England der Kornzoll aufgehoben wurde/°) während zugleich die
Mißwachsjahre 1842 und 1846 und die Kartoffelkrankheit den Getreidepreis
in die Höhe trieben, da begann eine goldne Zeit für die größern Landwirte;
der Zollverein und die Eisenbahnen verliehen ihrem Handel Schwingen. Die
Kartoffelkrankheit wurde weniger von ihnen als von der armen Bevölkerung
empfunden.

Und diese hatte nun freilich gleichzeitig mit dieser Umwälzung und durch
sie eine bedeutende Vermehrung erfahren. Sehr viele Kleinbauern hatten ihr
Stückchen Land ganz an den Gutsherrn verloren, und durch die Gemciuheits-
teilungen war den kleinen Leuten die Möglichkeit entzogen worden, Vieh zu
halten; früher hatten sogar die Jnlieger Schweine und Gänse halten können,
da sie diese auf die Gemeinweide treiben und jene mit Deputatkartoffeln mästen
konnten. Uns hat man, so klagten sie, zu Bettlern, die Bauern zu Herren
gemacht. So wurde ein Proletariat ländlicher Arbeiter geschaffen, das früher
nicht vorhanden gewesen war -- zum Glück für die Rittergutsbesitzer, denen
nicht allein die Bauernfronden genommen worden waren, sondern die jetzt sogar,
da ihre Wirtschaften durch einen Teil des Banernlandes vergrößert worden
waren, mehr Arbeiter brauchten als früher; zum Glück auch für die Gro߬
bauern, die intensiv zu wirtschaften anfingen und ebenfalls mehr Hände nötig
hatten. Dieses ländliche Arbeitervolk ist dann später, als die Industrie zahl¬
reiche Hände forderte, durch die Wegräumung der letzten Schranken der Frei-



') Ganz aufgehoben hat ihn England erst im Jahre aber die Ermäßigung im
Jahre 1846 kam in ihren Wirkungen der Aufhebung beinahe gleich.
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

darin voran, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg folgten. Sodann wurde
viel Raps gebaut — erst damals wurde ja die Straßenbeleuchtung und im
Hause die Benutzung von Öllampen statt der Talglichter allgemein, und auch
die Maschinen brauchten viel Öl —, und die beiden wichtigsten landwirtschaft¬
lichen Industrien, die Spiritnsbrennerei und die Zuckerfabrikation, breiteten sich
aus. Die heute noch von Rudolf Meyer eifrig verfochtne Ansicht, daß durch
diese beiden Industrien die Produktion von Nahrungsmitteln vermindert werde,
hat Elsner schon vor dreißig Jahren widerlegt, und in den heutigen Ernte¬
erträgen findet sie ihre thatsächliche Widerlegung. Daß die Kartoffeln gegessen
werden könnten, anstatt daß man Branntwein daraus brennt, wenn die ost-
elbischen Gegenden dichter bevölkert wären, ist richtig; solange sie aber dünn
bevölkert sind, würde ein Teil des Sandbodens, der jetzt für die Brennereien
bestellt wird, ohne diese Industrie unbenutzt liegen bleiben. Was aber die
Zuckerrübe anlangt, so haben die Tiefkultur und die starke Düngung, zu der
sie zwingt, in den Nübengegenden den Gctreideertrag trotz verminderter Anbau¬
fläche vermehrt. Dazu kam dann noch die Verbesserung der Äcker durch die
Drainirung und eine vervollkommnete Wiesenkultnr. Und als nun im Jahre
1846 in England der Kornzoll aufgehoben wurde/°) während zugleich die
Mißwachsjahre 1842 und 1846 und die Kartoffelkrankheit den Getreidepreis
in die Höhe trieben, da begann eine goldne Zeit für die größern Landwirte;
der Zollverein und die Eisenbahnen verliehen ihrem Handel Schwingen. Die
Kartoffelkrankheit wurde weniger von ihnen als von der armen Bevölkerung
empfunden.

Und diese hatte nun freilich gleichzeitig mit dieser Umwälzung und durch
sie eine bedeutende Vermehrung erfahren. Sehr viele Kleinbauern hatten ihr
Stückchen Land ganz an den Gutsherrn verloren, und durch die Gemciuheits-
teilungen war den kleinen Leuten die Möglichkeit entzogen worden, Vieh zu
halten; früher hatten sogar die Jnlieger Schweine und Gänse halten können,
da sie diese auf die Gemeinweide treiben und jene mit Deputatkartoffeln mästen
konnten. Uns hat man, so klagten sie, zu Bettlern, die Bauern zu Herren
gemacht. So wurde ein Proletariat ländlicher Arbeiter geschaffen, das früher
nicht vorhanden gewesen war — zum Glück für die Rittergutsbesitzer, denen
nicht allein die Bauernfronden genommen worden waren, sondern die jetzt sogar,
da ihre Wirtschaften durch einen Teil des Banernlandes vergrößert worden
waren, mehr Arbeiter brauchten als früher; zum Glück auch für die Gro߬
bauern, die intensiv zu wirtschaften anfingen und ebenfalls mehr Hände nötig
hatten. Dieses ländliche Arbeitervolk ist dann später, als die Industrie zahl¬
reiche Hände forderte, durch die Wegräumung der letzten Schranken der Frei-



') Ganz aufgehoben hat ihn England erst im Jahre aber die Ermäßigung im
Jahre 1846 kam in ihren Wirkungen der Aufhebung beinahe gleich.
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[0531] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland darin voran, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg folgten. Sodann wurde viel Raps gebaut — erst damals wurde ja die Straßenbeleuchtung und im Hause die Benutzung von Öllampen statt der Talglichter allgemein, und auch die Maschinen brauchten viel Öl —, und die beiden wichtigsten landwirtschaft¬ lichen Industrien, die Spiritnsbrennerei und die Zuckerfabrikation, breiteten sich aus. Die heute noch von Rudolf Meyer eifrig verfochtne Ansicht, daß durch diese beiden Industrien die Produktion von Nahrungsmitteln vermindert werde, hat Elsner schon vor dreißig Jahren widerlegt, und in den heutigen Ernte¬ erträgen findet sie ihre thatsächliche Widerlegung. Daß die Kartoffeln gegessen werden könnten, anstatt daß man Branntwein daraus brennt, wenn die ost- elbischen Gegenden dichter bevölkert wären, ist richtig; solange sie aber dünn bevölkert sind, würde ein Teil des Sandbodens, der jetzt für die Brennereien bestellt wird, ohne diese Industrie unbenutzt liegen bleiben. Was aber die Zuckerrübe anlangt, so haben die Tiefkultur und die starke Düngung, zu der sie zwingt, in den Nübengegenden den Gctreideertrag trotz verminderter Anbau¬ fläche vermehrt. Dazu kam dann noch die Verbesserung der Äcker durch die Drainirung und eine vervollkommnete Wiesenkultnr. Und als nun im Jahre 1846 in England der Kornzoll aufgehoben wurde/°) während zugleich die Mißwachsjahre 1842 und 1846 und die Kartoffelkrankheit den Getreidepreis in die Höhe trieben, da begann eine goldne Zeit für die größern Landwirte; der Zollverein und die Eisenbahnen verliehen ihrem Handel Schwingen. Die Kartoffelkrankheit wurde weniger von ihnen als von der armen Bevölkerung empfunden. Und diese hatte nun freilich gleichzeitig mit dieser Umwälzung und durch sie eine bedeutende Vermehrung erfahren. Sehr viele Kleinbauern hatten ihr Stückchen Land ganz an den Gutsherrn verloren, und durch die Gemciuheits- teilungen war den kleinen Leuten die Möglichkeit entzogen worden, Vieh zu halten; früher hatten sogar die Jnlieger Schweine und Gänse halten können, da sie diese auf die Gemeinweide treiben und jene mit Deputatkartoffeln mästen konnten. Uns hat man, so klagten sie, zu Bettlern, die Bauern zu Herren gemacht. So wurde ein Proletariat ländlicher Arbeiter geschaffen, das früher nicht vorhanden gewesen war — zum Glück für die Rittergutsbesitzer, denen nicht allein die Bauernfronden genommen worden waren, sondern die jetzt sogar, da ihre Wirtschaften durch einen Teil des Banernlandes vergrößert worden waren, mehr Arbeiter brauchten als früher; zum Glück auch für die Gro߬ bauern, die intensiv zu wirtschaften anfingen und ebenfalls mehr Hände nötig hatten. Dieses ländliche Arbeitervolk ist dann später, als die Industrie zahl¬ reiche Hände forderte, durch die Wegräumung der letzten Schranken der Frei- ') Ganz aufgehoben hat ihn England erst im Jahre aber die Ermäßigung im Jahre 1846 kam in ihren Wirkungen der Aufhebung beinahe gleich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/531>, abgerufen am 24.07.2024.