Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Deportationsfrago vor dem deutschen Juristentage in Posen

lungsanlagcn, ferner Bauarbeiten, wie Unterkunftsräume für Sträflinge (Ba¬
racken), Magazine, Speicher, Hospitäler, Häuser für Beamte, Hütten für die
zu entlassenden Sträflinge im Ansiedlnngsgebiete, endlich Kulturarbeiten zum
Zwecke der Urbarmachung von Ländereien.

Wenn der Entlassene kein Landwirt ist, so ist ihm zu erlauben, in dem
für Entlassene bestimmten Ansiedlnngsgebiete unter der Gewährung einer Heim¬
stätte und der notwendigen Arbeitsmittel eine andre, seinen Fähigkeiten ent¬
sprechende Thätigkeit, z, B. ein Handwerk, eine Technik oder ein Handels¬
gewerbe zu betreiben. Nach Ablauf einer billig zu bemessenden Zeit tritt auch
für diese Kategorie die Pflicht ein, das aufgewandte Kapital an die Verwaltung
zurückzuzahlen oder zu verzinsen. Solchen Ansiedlern können auf ihr Ersuchen
Sträflinge, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe gelernt und sich während der
Strafzeit ordentlich geführt haben, schon vor Ablauf von drei Jahren zur
Zwangsarbeit überwiesen werden. Für Kost und Kleidung hat der Arbeit¬
geber zu sorgen. An die Kolonialverwaltung hat er außerdem einen vertrags¬
mäßig festgestellten Lohn zu zahlen, der nur zu einem Bruchteile dem Sträfling
gutgeschrieben und bei seiner Entlassung ausgezahlt wird. Der in dieser Weise
beschäftigte Sträfling geht dieser mildern Form der Strafverbüßung verlustig,
wenn er durch Trägheit oder durch sein Betragen zur Beschwerde Berauiassung
giebt. Er wird dann wieder zur Zwangsarbeit in eine Straffarm versetzt.
Gehört der Entlassene der Kategorie der Gebildeten an, so kann er sich in
dem Ansiedlnngsgebiete berufsmüßig beschäftigen, z. B. als Arzt oder Lehrer.
Ehemalige Beamte können versuchsweise von der Kolonialverwaltung, z. B. im
Schreib- und Rechnungswesen, angestellt werden. Gerade diese Entlasseneil
können eine wertvolle Stütze des neu sich bildenden Gemeinwesens werden.

Es wäre jedoch verfrüht, wollte man die Entlassener sofort nach der
Strafverbüßung unter das allgemeine bürgerliche Recht stellen. Bevor dies
geschehen kann, müssen die Entlassener erst eine längere Probe bestehen. Sie
verbleiben deshalb noch unter der Disziplin einer zur Überwachung entlassener
Deportirter eingesetzten Verwaltungsbehörde. Durch die Begehung eines neuen
Verbrechens verwirkt der Entlassene seine ihm nur versuchsweise gewährte
Freiheit. Er wird wieder uach der Straffarm befördert und muß nun dort
wiederum fünf Jahre als Sträfling arbeiten. Hat sich der Entlassene zehn
Jahre hindurch zur Zufriedenheit der Disziplinarbehörde geführt, so steht es
ihm frei, sich überall im Kolonialgebiet seßhaft zu machen.

Durch die Art und Weise der hier entwickelten Strafvollziehung soll in
jedem Sträfling die Hoffnung aus eine allmähliche Besserung seiner Lage er¬
weckt werden. Hierin liegt für den Sträfling ein mächtiger Antrieb, sich
moralisch zu heben, und dieser Trieb wirkt zugleich nutzbringend für das Ge¬
deihen unsers Schntzgebietes. Dieses von mir in verschiednen Abhandlungen
ausführlich behandelte Projekt hat im großen und ganzen in der Fachlitteratur
und in der politischen Presse Zustimmung gefunden, selbstverständlich aber


Die Deportationsfrago vor dem deutschen Juristentage in Posen

lungsanlagcn, ferner Bauarbeiten, wie Unterkunftsräume für Sträflinge (Ba¬
racken), Magazine, Speicher, Hospitäler, Häuser für Beamte, Hütten für die
zu entlassenden Sträflinge im Ansiedlnngsgebiete, endlich Kulturarbeiten zum
Zwecke der Urbarmachung von Ländereien.

Wenn der Entlassene kein Landwirt ist, so ist ihm zu erlauben, in dem
für Entlassene bestimmten Ansiedlnngsgebiete unter der Gewährung einer Heim¬
stätte und der notwendigen Arbeitsmittel eine andre, seinen Fähigkeiten ent¬
sprechende Thätigkeit, z, B. ein Handwerk, eine Technik oder ein Handels¬
gewerbe zu betreiben. Nach Ablauf einer billig zu bemessenden Zeit tritt auch
für diese Kategorie die Pflicht ein, das aufgewandte Kapital an die Verwaltung
zurückzuzahlen oder zu verzinsen. Solchen Ansiedlern können auf ihr Ersuchen
Sträflinge, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe gelernt und sich während der
Strafzeit ordentlich geführt haben, schon vor Ablauf von drei Jahren zur
Zwangsarbeit überwiesen werden. Für Kost und Kleidung hat der Arbeit¬
geber zu sorgen. An die Kolonialverwaltung hat er außerdem einen vertrags¬
mäßig festgestellten Lohn zu zahlen, der nur zu einem Bruchteile dem Sträfling
gutgeschrieben und bei seiner Entlassung ausgezahlt wird. Der in dieser Weise
beschäftigte Sträfling geht dieser mildern Form der Strafverbüßung verlustig,
wenn er durch Trägheit oder durch sein Betragen zur Beschwerde Berauiassung
giebt. Er wird dann wieder zur Zwangsarbeit in eine Straffarm versetzt.
Gehört der Entlassene der Kategorie der Gebildeten an, so kann er sich in
dem Ansiedlnngsgebiete berufsmüßig beschäftigen, z. B. als Arzt oder Lehrer.
Ehemalige Beamte können versuchsweise von der Kolonialverwaltung, z. B. im
Schreib- und Rechnungswesen, angestellt werden. Gerade diese Entlasseneil
können eine wertvolle Stütze des neu sich bildenden Gemeinwesens werden.

Es wäre jedoch verfrüht, wollte man die Entlassener sofort nach der
Strafverbüßung unter das allgemeine bürgerliche Recht stellen. Bevor dies
geschehen kann, müssen die Entlassener erst eine längere Probe bestehen. Sie
verbleiben deshalb noch unter der Disziplin einer zur Überwachung entlassener
Deportirter eingesetzten Verwaltungsbehörde. Durch die Begehung eines neuen
Verbrechens verwirkt der Entlassene seine ihm nur versuchsweise gewährte
Freiheit. Er wird wieder uach der Straffarm befördert und muß nun dort
wiederum fünf Jahre als Sträfling arbeiten. Hat sich der Entlassene zehn
Jahre hindurch zur Zufriedenheit der Disziplinarbehörde geführt, so steht es
ihm frei, sich überall im Kolonialgebiet seßhaft zu machen.

Durch die Art und Weise der hier entwickelten Strafvollziehung soll in
jedem Sträfling die Hoffnung aus eine allmähliche Besserung seiner Lage er¬
weckt werden. Hierin liegt für den Sträfling ein mächtiger Antrieb, sich
moralisch zu heben, und dieser Trieb wirkt zugleich nutzbringend für das Ge¬
deihen unsers Schntzgebietes. Dieses von mir in verschiednen Abhandlungen
ausführlich behandelte Projekt hat im großen und ganzen in der Fachlitteratur
und in der politischen Presse Zustimmung gefunden, selbstverständlich aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229460"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Deportationsfrago vor dem deutschen Juristentage in Posen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1515" prev="#ID_1514"> lungsanlagcn, ferner Bauarbeiten, wie Unterkunftsräume für Sträflinge (Ba¬<lb/>
racken), Magazine, Speicher, Hospitäler, Häuser für Beamte, Hütten für die<lb/>
zu entlassenden Sträflinge im Ansiedlnngsgebiete, endlich Kulturarbeiten zum<lb/>
Zwecke der Urbarmachung von Ländereien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1516"> Wenn der Entlassene kein Landwirt ist, so ist ihm zu erlauben, in dem<lb/>
für Entlassene bestimmten Ansiedlnngsgebiete unter der Gewährung einer Heim¬<lb/>
stätte und der notwendigen Arbeitsmittel eine andre, seinen Fähigkeiten ent¬<lb/>
sprechende Thätigkeit, z, B. ein Handwerk, eine Technik oder ein Handels¬<lb/>
gewerbe zu betreiben. Nach Ablauf einer billig zu bemessenden Zeit tritt auch<lb/>
für diese Kategorie die Pflicht ein, das aufgewandte Kapital an die Verwaltung<lb/>
zurückzuzahlen oder zu verzinsen. Solchen Ansiedlern können auf ihr Ersuchen<lb/>
Sträflinge, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe gelernt und sich während der<lb/>
Strafzeit ordentlich geführt haben, schon vor Ablauf von drei Jahren zur<lb/>
Zwangsarbeit überwiesen werden. Für Kost und Kleidung hat der Arbeit¬<lb/>
geber zu sorgen. An die Kolonialverwaltung hat er außerdem einen vertrags¬<lb/>
mäßig festgestellten Lohn zu zahlen, der nur zu einem Bruchteile dem Sträfling<lb/>
gutgeschrieben und bei seiner Entlassung ausgezahlt wird. Der in dieser Weise<lb/>
beschäftigte Sträfling geht dieser mildern Form der Strafverbüßung verlustig,<lb/>
wenn er durch Trägheit oder durch sein Betragen zur Beschwerde Berauiassung<lb/>
giebt. Er wird dann wieder zur Zwangsarbeit in eine Straffarm versetzt.<lb/>
Gehört der Entlassene der Kategorie der Gebildeten an, so kann er sich in<lb/>
dem Ansiedlnngsgebiete berufsmüßig beschäftigen, z. B. als Arzt oder Lehrer.<lb/>
Ehemalige Beamte können versuchsweise von der Kolonialverwaltung, z. B. im<lb/>
Schreib- und Rechnungswesen, angestellt werden. Gerade diese Entlasseneil<lb/>
können eine wertvolle Stütze des neu sich bildenden Gemeinwesens werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1517"> Es wäre jedoch verfrüht, wollte man die Entlassener sofort nach der<lb/>
Strafverbüßung unter das allgemeine bürgerliche Recht stellen. Bevor dies<lb/>
geschehen kann, müssen die Entlassener erst eine längere Probe bestehen. Sie<lb/>
verbleiben deshalb noch unter der Disziplin einer zur Überwachung entlassener<lb/>
Deportirter eingesetzten Verwaltungsbehörde. Durch die Begehung eines neuen<lb/>
Verbrechens verwirkt der Entlassene seine ihm nur versuchsweise gewährte<lb/>
Freiheit. Er wird wieder uach der Straffarm befördert und muß nun dort<lb/>
wiederum fünf Jahre als Sträfling arbeiten. Hat sich der Entlassene zehn<lb/>
Jahre hindurch zur Zufriedenheit der Disziplinarbehörde geführt, so steht es<lb/>
ihm frei, sich überall im Kolonialgebiet seßhaft zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1518" next="#ID_1519"> Durch die Art und Weise der hier entwickelten Strafvollziehung soll in<lb/>
jedem Sträfling die Hoffnung aus eine allmähliche Besserung seiner Lage er¬<lb/>
weckt werden. Hierin liegt für den Sträfling ein mächtiger Antrieb, sich<lb/>
moralisch zu heben, und dieser Trieb wirkt zugleich nutzbringend für das Ge¬<lb/>
deihen unsers Schntzgebietes. Dieses von mir in verschiednen Abhandlungen<lb/>
ausführlich behandelte Projekt hat im großen und ganzen in der Fachlitteratur<lb/>
und in der politischen Presse Zustimmung gefunden, selbstverständlich aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Die Deportationsfrago vor dem deutschen Juristentage in Posen lungsanlagcn, ferner Bauarbeiten, wie Unterkunftsräume für Sträflinge (Ba¬ racken), Magazine, Speicher, Hospitäler, Häuser für Beamte, Hütten für die zu entlassenden Sträflinge im Ansiedlnngsgebiete, endlich Kulturarbeiten zum Zwecke der Urbarmachung von Ländereien. Wenn der Entlassene kein Landwirt ist, so ist ihm zu erlauben, in dem für Entlassene bestimmten Ansiedlnngsgebiete unter der Gewährung einer Heim¬ stätte und der notwendigen Arbeitsmittel eine andre, seinen Fähigkeiten ent¬ sprechende Thätigkeit, z, B. ein Handwerk, eine Technik oder ein Handels¬ gewerbe zu betreiben. Nach Ablauf einer billig zu bemessenden Zeit tritt auch für diese Kategorie die Pflicht ein, das aufgewandte Kapital an die Verwaltung zurückzuzahlen oder zu verzinsen. Solchen Ansiedlern können auf ihr Ersuchen Sträflinge, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe gelernt und sich während der Strafzeit ordentlich geführt haben, schon vor Ablauf von drei Jahren zur Zwangsarbeit überwiesen werden. Für Kost und Kleidung hat der Arbeit¬ geber zu sorgen. An die Kolonialverwaltung hat er außerdem einen vertrags¬ mäßig festgestellten Lohn zu zahlen, der nur zu einem Bruchteile dem Sträfling gutgeschrieben und bei seiner Entlassung ausgezahlt wird. Der in dieser Weise beschäftigte Sträfling geht dieser mildern Form der Strafverbüßung verlustig, wenn er durch Trägheit oder durch sein Betragen zur Beschwerde Berauiassung giebt. Er wird dann wieder zur Zwangsarbeit in eine Straffarm versetzt. Gehört der Entlassene der Kategorie der Gebildeten an, so kann er sich in dem Ansiedlnngsgebiete berufsmüßig beschäftigen, z. B. als Arzt oder Lehrer. Ehemalige Beamte können versuchsweise von der Kolonialverwaltung, z. B. im Schreib- und Rechnungswesen, angestellt werden. Gerade diese Entlasseneil können eine wertvolle Stütze des neu sich bildenden Gemeinwesens werden. Es wäre jedoch verfrüht, wollte man die Entlassener sofort nach der Strafverbüßung unter das allgemeine bürgerliche Recht stellen. Bevor dies geschehen kann, müssen die Entlassener erst eine längere Probe bestehen. Sie verbleiben deshalb noch unter der Disziplin einer zur Überwachung entlassener Deportirter eingesetzten Verwaltungsbehörde. Durch die Begehung eines neuen Verbrechens verwirkt der Entlassene seine ihm nur versuchsweise gewährte Freiheit. Er wird wieder uach der Straffarm befördert und muß nun dort wiederum fünf Jahre als Sträfling arbeiten. Hat sich der Entlassene zehn Jahre hindurch zur Zufriedenheit der Disziplinarbehörde geführt, so steht es ihm frei, sich überall im Kolonialgebiet seßhaft zu machen. Durch die Art und Weise der hier entwickelten Strafvollziehung soll in jedem Sträfling die Hoffnung aus eine allmähliche Besserung seiner Lage er¬ weckt werden. Hierin liegt für den Sträfling ein mächtiger Antrieb, sich moralisch zu heben, und dieser Trieb wirkt zugleich nutzbringend für das Ge¬ deihen unsers Schntzgebietes. Dieses von mir in verschiednen Abhandlungen ausführlich behandelte Projekt hat im großen und ganzen in der Fachlitteratur und in der politischen Presse Zustimmung gefunden, selbstverständlich aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/511>, abgerufen am 24.07.2024.