Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Nordische Novellen der "fröhliche Bursch" zu seinem Mädchen von der Liebe "zweier Verlobten, Nordische Novellen der „fröhliche Bursch" zu seinem Mädchen von der Liebe „zweier Verlobten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229440"/> <fw type="header" place="top"> Nordische Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1393" prev="#ID_1392" next="#ID_1394"> der „fröhliche Bursch" zu seinem Mädchen von der Liebe „zweier Verlobten,<lb/> die ausharren, denn sie erweisen den Leuten eine Wohlthat, sie schenken ihnen<lb/> ein Gedicht, das die Kinder zur Beschämung der ungläubigen Eltern aus¬<lb/> wendig lernen"; anders der Großvater, der die Erfahrungen des Baucrnlebeus<lb/> hinter sich hat: „Die Liebe, siehst du, die mag ganz gut sein, dazu, daß man<lb/> davon redet, ja; aber das taugt nichts; das ist ganz gut für Pfarrersleute<lb/> und solche Art, die Bauern müssen die Sache anders anfassen. Erst das täg¬<lb/> liche Brot, siehst du, dann Gottes Wort, und dann ein wenig Schreiben und<lb/> Rechnen, und dann ein wenig Liebe, wenn sich das gerade so macht, aber es<lb/> nützt den Teufel was, mit der Liebe anzufangen und mit dem täglichen Brot<lb/> enden zu wollen." Das wäre etwa die Dogmatik der Bauernliebe, und der<lb/> Stil für die Werbung kommt gleich darauf zum Ausdruck in einer köstlichen<lb/> Szene, nicht etwa unter vier Augen, sondern im Beisein der ganzen beider¬<lb/> seitigen Sippe; man beginnt mit dem schönen Wetter und dem Stand der<lb/> Früchte, kein Teil will vor dem andern als der begehrende erscheinen, all¬<lb/> mählich nur bricht die Natur durch die Etikette, und im Nu ist dann das<lb/> Geschäft abgeschlossen. Diese „Stilisirung" des Bauerulebens kann etwas un-<lb/> gemein großartiges haben, man wird an homerische Helden und Nibelungen<lb/> erinnert. So wenn sich die Sippschaften Sonntags vor der Kirchthür treffen,<lb/> ehe der Gottesdienst begonnen hat. Es liegt allerlei zwischen ihnen, woran man<lb/> doch nicht zu denken scheinen will: ein alter Zwist oder ein noch nicht geklärtes<lb/> Liebesverhältnis oder eine auf die nächste passende Gelegenheit verschobn«<lb/> Rauferei. Mit welcher Überlegung werden jetzt die Schritte abgemessen, welche<lb/> Wichtigkeit liegt in jeder Bewegung, in jedem Blick! Bei solchem Anlaß<lb/> strecken sich auch in „Synnöve Solbakken" zwei Todfeinde die Hände entgegen,<lb/> weil die ganze Situation ihre Versöhnung nötig macht. Und nach einigem<lb/> Zögern und vergeblichen Versuchen tritt der, der sich selbst überwinden kann<lb/> (er ist es, der dann später die Braut vom Sonnenhofe bekommt), „einen langen<lb/> Schritt vorwärts, faßte Knuts Hand mit einem kräftigen Griff und sagte so<lb/> laut, daß die Zunächststehenden es hören konnten: Hab Dank für das letztemal,<lb/> Knut! Vielleicht ist es für uns beide — gut gewesen." Das ist bekanntlich<lb/> im Norden die Formel des Danks für eine Einladung, sobald man dem Gast¬<lb/> geber wieder begegnet. Keiner sagt weiter ein Wort, sie gehen beide in die<lb/> Kirche, und Knut hebt dem bisherigen Feinde das Gesangbuch, das dieser hat<lb/> fallen lassen, zum Danke und zur Vesieglung der Versöhnung vom Boden auf.<lb/> Dieses Heldenhafte oder Pompöse kann man bei dem spätern Vjörnson noch<lb/> eher wiederfinden als das Zarte und Weiche, das uns in diesen alten Ge¬<lb/> schichten so vielfach umfängt, und das scheint vollends den andern modernen<lb/> Norwegern abhanden gekommen zu sein. Davon ließen sich reizende Sachen<lb/> zusammenstellen! Ich ziehe eine Stelle über das „stille Städtchen" ans,<lb/> traulich und voller Stimmung. Man ist still hier, nicht aus Furcht vor der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0491]
Nordische Novellen
der „fröhliche Bursch" zu seinem Mädchen von der Liebe „zweier Verlobten,
die ausharren, denn sie erweisen den Leuten eine Wohlthat, sie schenken ihnen
ein Gedicht, das die Kinder zur Beschämung der ungläubigen Eltern aus¬
wendig lernen"; anders der Großvater, der die Erfahrungen des Baucrnlebeus
hinter sich hat: „Die Liebe, siehst du, die mag ganz gut sein, dazu, daß man
davon redet, ja; aber das taugt nichts; das ist ganz gut für Pfarrersleute
und solche Art, die Bauern müssen die Sache anders anfassen. Erst das täg¬
liche Brot, siehst du, dann Gottes Wort, und dann ein wenig Schreiben und
Rechnen, und dann ein wenig Liebe, wenn sich das gerade so macht, aber es
nützt den Teufel was, mit der Liebe anzufangen und mit dem täglichen Brot
enden zu wollen." Das wäre etwa die Dogmatik der Bauernliebe, und der
Stil für die Werbung kommt gleich darauf zum Ausdruck in einer köstlichen
Szene, nicht etwa unter vier Augen, sondern im Beisein der ganzen beider¬
seitigen Sippe; man beginnt mit dem schönen Wetter und dem Stand der
Früchte, kein Teil will vor dem andern als der begehrende erscheinen, all¬
mählich nur bricht die Natur durch die Etikette, und im Nu ist dann das
Geschäft abgeschlossen. Diese „Stilisirung" des Bauerulebens kann etwas un-
gemein großartiges haben, man wird an homerische Helden und Nibelungen
erinnert. So wenn sich die Sippschaften Sonntags vor der Kirchthür treffen,
ehe der Gottesdienst begonnen hat. Es liegt allerlei zwischen ihnen, woran man
doch nicht zu denken scheinen will: ein alter Zwist oder ein noch nicht geklärtes
Liebesverhältnis oder eine auf die nächste passende Gelegenheit verschobn«
Rauferei. Mit welcher Überlegung werden jetzt die Schritte abgemessen, welche
Wichtigkeit liegt in jeder Bewegung, in jedem Blick! Bei solchem Anlaß
strecken sich auch in „Synnöve Solbakken" zwei Todfeinde die Hände entgegen,
weil die ganze Situation ihre Versöhnung nötig macht. Und nach einigem
Zögern und vergeblichen Versuchen tritt der, der sich selbst überwinden kann
(er ist es, der dann später die Braut vom Sonnenhofe bekommt), „einen langen
Schritt vorwärts, faßte Knuts Hand mit einem kräftigen Griff und sagte so
laut, daß die Zunächststehenden es hören konnten: Hab Dank für das letztemal,
Knut! Vielleicht ist es für uns beide — gut gewesen." Das ist bekanntlich
im Norden die Formel des Danks für eine Einladung, sobald man dem Gast¬
geber wieder begegnet. Keiner sagt weiter ein Wort, sie gehen beide in die
Kirche, und Knut hebt dem bisherigen Feinde das Gesangbuch, das dieser hat
fallen lassen, zum Danke und zur Vesieglung der Versöhnung vom Boden auf.
Dieses Heldenhafte oder Pompöse kann man bei dem spätern Vjörnson noch
eher wiederfinden als das Zarte und Weiche, das uns in diesen alten Ge¬
schichten so vielfach umfängt, und das scheint vollends den andern modernen
Norwegern abhanden gekommen zu sein. Davon ließen sich reizende Sachen
zusammenstellen! Ich ziehe eine Stelle über das „stille Städtchen" ans,
traulich und voller Stimmung. Man ist still hier, nicht aus Furcht vor der
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