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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Nordische Novellen

kaum möglich, und dann wieder der Schluß, wie richtig! Das betreffende Ehe¬
paar kommt z. B. aus dem Theater nach Hause, das Stück der Frau ist ge¬
geben worden, Adele strahlt in Glück, schwärmt von der Zukunft und neuen
Plänen. Der Mann sitzt schweigend da und bemerkt dann auf ihre Frage,
ob er etwa neidisch sei: Ich freue mich über deine Erfolge, aber mich ver¬
nichten sie. Du hast Rechte, aber ich habe auch Rechte. Die Ehe ist nun
einmal Menschenfresserei: esse ich dich nicht auf, dann issest du mich. Du hast
mich aufgegessen, ich kann dich nicht mehr lieben. Und dann fügt er hinzu:
Es geht in der Ehe wie in der Monarchie, beide müssen sterben, wenn das
Prinzip der Alleinherrschaft aufhört. Dann kommt nur noch die Republik. --
Soviel vom Inhalt dieser Novellen. Zu ihrem Charakter gehört aber noch
in Bezug auf alle Dinge, die man sonst verschweigt oder zu umschreiben pflegt,
eine geradezu unverschämte Offenheit. Das geht weit über Zola und über
die frühern eignen Leistungen des Verfassers, soweit sie mir bekannt sind,
hinaus. Anstand, Geschmack, Kunst des Ausdrucks sind hier längst über-
wundne Stufen.

An diesem Äußerlichen sieht man, zu welcher Blüte es die fremde, ver¬
pflanzte Kultur in der nordischen Novellistik gebracht hat. Wenn das Un¬
anständige mit Bedacht nachgeahmt wird, wird es schamlos. Welch langer
Weg führt von hier zurück zu der Zeit, wo Björnstjerne Björnson einst seine
echten alten norwegischen Bauerngeschichten schrieb! An ihnen haben wir uns
erfreut, als wir jung waren, das war goldne Poesie und warmer, belebender
Sonnenschein, klare, reine Luft und gesunder Boden! Es war ein glücklicher
Gedanke, diese schönen alten Bauerngeschichten der fünfziger und sechziger
Jahre neu übersetzt in einer allerliebsten zweibändigen Ausgabe dem Geschlecht
von heute wieder darzubieten.

Über den hohen Bergen, Bauerngeschichten von Björnstjerne Björn¬
son (Leipzig, Grnnow) lautet der Titel. Der Inhaber des Verlags hat ver¬
eint mit Mathilde Mann und dem jünger" Wustmanu ein deutsches Haushund
geschaffen, das namentlich auch in der Nachdichtung der vielen eingelegten
Verse ganz den Eindruck eines deutschen Originals macht. Glücklicher konnte
der einstige Björnson uns nicht zurückgegeben werden!

Was war es denn, das uns einst diese Geschichten so wert machte? Der
Bauer ist kein Spielzeug, wie man wohl von einem großen Teil der zu ihrer
Zeit so beliebten Dorfgeschichten Berthold Auerbachs sagen könnte, aber auch
kein ungeschlachtes Naturprodukt, als welches ihn uns manche an sich wohl-
gelnngne und ergötzliche bayrische Dialekterzühlung vorführt, sondern ein Wesen,
das bei aller Einfachheit seines äußern Lebens doch von denselben Sorgen und
Hoffnungen bewegt wird, wie wir seiner gewöhnten Menschen. Das Leben
des Bauern hat seine Konvenienzen, er ist Diplomat, wenn es sein muß, und
um eine solche im Stil echte Geschichte zu verfassen, genügt nicht die Kenntnis


Nordische Novellen

kaum möglich, und dann wieder der Schluß, wie richtig! Das betreffende Ehe¬
paar kommt z. B. aus dem Theater nach Hause, das Stück der Frau ist ge¬
geben worden, Adele strahlt in Glück, schwärmt von der Zukunft und neuen
Plänen. Der Mann sitzt schweigend da und bemerkt dann auf ihre Frage,
ob er etwa neidisch sei: Ich freue mich über deine Erfolge, aber mich ver¬
nichten sie. Du hast Rechte, aber ich habe auch Rechte. Die Ehe ist nun
einmal Menschenfresserei: esse ich dich nicht auf, dann issest du mich. Du hast
mich aufgegessen, ich kann dich nicht mehr lieben. Und dann fügt er hinzu:
Es geht in der Ehe wie in der Monarchie, beide müssen sterben, wenn das
Prinzip der Alleinherrschaft aufhört. Dann kommt nur noch die Republik. —
Soviel vom Inhalt dieser Novellen. Zu ihrem Charakter gehört aber noch
in Bezug auf alle Dinge, die man sonst verschweigt oder zu umschreiben pflegt,
eine geradezu unverschämte Offenheit. Das geht weit über Zola und über
die frühern eignen Leistungen des Verfassers, soweit sie mir bekannt sind,
hinaus. Anstand, Geschmack, Kunst des Ausdrucks sind hier längst über-
wundne Stufen.

An diesem Äußerlichen sieht man, zu welcher Blüte es die fremde, ver¬
pflanzte Kultur in der nordischen Novellistik gebracht hat. Wenn das Un¬
anständige mit Bedacht nachgeahmt wird, wird es schamlos. Welch langer
Weg führt von hier zurück zu der Zeit, wo Björnstjerne Björnson einst seine
echten alten norwegischen Bauerngeschichten schrieb! An ihnen haben wir uns
erfreut, als wir jung waren, das war goldne Poesie und warmer, belebender
Sonnenschein, klare, reine Luft und gesunder Boden! Es war ein glücklicher
Gedanke, diese schönen alten Bauerngeschichten der fünfziger und sechziger
Jahre neu übersetzt in einer allerliebsten zweibändigen Ausgabe dem Geschlecht
von heute wieder darzubieten.

Über den hohen Bergen, Bauerngeschichten von Björnstjerne Björn¬
son (Leipzig, Grnnow) lautet der Titel. Der Inhaber des Verlags hat ver¬
eint mit Mathilde Mann und dem jünger» Wustmanu ein deutsches Haushund
geschaffen, das namentlich auch in der Nachdichtung der vielen eingelegten
Verse ganz den Eindruck eines deutschen Originals macht. Glücklicher konnte
der einstige Björnson uns nicht zurückgegeben werden!

Was war es denn, das uns einst diese Geschichten so wert machte? Der
Bauer ist kein Spielzeug, wie man wohl von einem großen Teil der zu ihrer
Zeit so beliebten Dorfgeschichten Berthold Auerbachs sagen könnte, aber auch
kein ungeschlachtes Naturprodukt, als welches ihn uns manche an sich wohl-
gelnngne und ergötzliche bayrische Dialekterzühlung vorführt, sondern ein Wesen,
das bei aller Einfachheit seines äußern Lebens doch von denselben Sorgen und
Hoffnungen bewegt wird, wie wir seiner gewöhnten Menschen. Das Leben
des Bauern hat seine Konvenienzen, er ist Diplomat, wenn es sein muß, und
um eine solche im Stil echte Geschichte zu verfassen, genügt nicht die Kenntnis


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[0489] Nordische Novellen kaum möglich, und dann wieder der Schluß, wie richtig! Das betreffende Ehe¬ paar kommt z. B. aus dem Theater nach Hause, das Stück der Frau ist ge¬ geben worden, Adele strahlt in Glück, schwärmt von der Zukunft und neuen Plänen. Der Mann sitzt schweigend da und bemerkt dann auf ihre Frage, ob er etwa neidisch sei: Ich freue mich über deine Erfolge, aber mich ver¬ nichten sie. Du hast Rechte, aber ich habe auch Rechte. Die Ehe ist nun einmal Menschenfresserei: esse ich dich nicht auf, dann issest du mich. Du hast mich aufgegessen, ich kann dich nicht mehr lieben. Und dann fügt er hinzu: Es geht in der Ehe wie in der Monarchie, beide müssen sterben, wenn das Prinzip der Alleinherrschaft aufhört. Dann kommt nur noch die Republik. — Soviel vom Inhalt dieser Novellen. Zu ihrem Charakter gehört aber noch in Bezug auf alle Dinge, die man sonst verschweigt oder zu umschreiben pflegt, eine geradezu unverschämte Offenheit. Das geht weit über Zola und über die frühern eignen Leistungen des Verfassers, soweit sie mir bekannt sind, hinaus. Anstand, Geschmack, Kunst des Ausdrucks sind hier längst über- wundne Stufen. An diesem Äußerlichen sieht man, zu welcher Blüte es die fremde, ver¬ pflanzte Kultur in der nordischen Novellistik gebracht hat. Wenn das Un¬ anständige mit Bedacht nachgeahmt wird, wird es schamlos. Welch langer Weg führt von hier zurück zu der Zeit, wo Björnstjerne Björnson einst seine echten alten norwegischen Bauerngeschichten schrieb! An ihnen haben wir uns erfreut, als wir jung waren, das war goldne Poesie und warmer, belebender Sonnenschein, klare, reine Luft und gesunder Boden! Es war ein glücklicher Gedanke, diese schönen alten Bauerngeschichten der fünfziger und sechziger Jahre neu übersetzt in einer allerliebsten zweibändigen Ausgabe dem Geschlecht von heute wieder darzubieten. Über den hohen Bergen, Bauerngeschichten von Björnstjerne Björn¬ son (Leipzig, Grnnow) lautet der Titel. Der Inhaber des Verlags hat ver¬ eint mit Mathilde Mann und dem jünger» Wustmanu ein deutsches Haushund geschaffen, das namentlich auch in der Nachdichtung der vielen eingelegten Verse ganz den Eindruck eines deutschen Originals macht. Glücklicher konnte der einstige Björnson uns nicht zurückgegeben werden! Was war es denn, das uns einst diese Geschichten so wert machte? Der Bauer ist kein Spielzeug, wie man wohl von einem großen Teil der zu ihrer Zeit so beliebten Dorfgeschichten Berthold Auerbachs sagen könnte, aber auch kein ungeschlachtes Naturprodukt, als welches ihn uns manche an sich wohl- gelnngne und ergötzliche bayrische Dialekterzühlung vorführt, sondern ein Wesen, das bei aller Einfachheit seines äußern Lebens doch von denselben Sorgen und Hoffnungen bewegt wird, wie wir seiner gewöhnten Menschen. Das Leben des Bauern hat seine Konvenienzen, er ist Diplomat, wenn es sein muß, und um eine solche im Stil echte Geschichte zu verfassen, genügt nicht die Kenntnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/489>, abgerufen am 12.12.2024.