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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Nordische Novellen

daß sie manchmal wieder ihren besondern Glauben zu fordern scheint. Aber
Damen besserer Stände, die nach Kognak riechen, die in Gegenwart von Herren
gern über die Zustände der Halbwelt sprechen, die sich eine "Vergangenheit"
wünschen, weil sie erfahren, daß ihre Männer auch eine haben, das alles muß
es doch wohl dort, wo der Schriftsteller seine Eindrücke gesammelt hat, geben.
Er ist ein Schwede, hält sich aber im Auslande auf und arbeitet mit solchen
früher gewonnenen Eindrücken draußen weiter. Daheim aber mag man ihn
nicht, denn wer hätte es gern, daß so etwas ausgeplaudert wird, übertrieben
wird, sagt man auch, erlogen zum Teil -- ja, wer kanns wissen! Man nennt
ihn auch einen Weiberfeind, weil er zu den Emanzipationsbestrebungen der Frauen
kein Zutrauen hat, und weil diese in der Maschinerie seiner Darstellung nicht
soviel zu bedeuten haben wie bei Ibsen oder Björnson. Nun also, dieses
neue Buch enthält lauter kleine Erzählungen von ungesunden, gestörten, ver¬
unglückten oder auch wieder zurechtgebrachten Ehen. Die Frau ist mit dem,
was ihr Geschlecht ihr als Aufgabe zugewiesen hat, nicht zufrieden. Sie hat
entweder schon vor der Heirat ein Ideal gefunden, wie die Generalstochter
als Volksbildnerin, das Bürgermädchen als Güterexpedientin, und dann geht
es nachher in der Ehe schlecht, weil bloß geistige Ehen unmöglich sind, oder
sie findet erst hinterher, daß ihr etwas fehle, weil ihre Ehe ein Puppenheim
sei; sie sucht sich "höhere" Beschäftigungen, während der Mann bei den ver¬
meintlich niedern sich besser gestandett Hütte. Es kommt zu Abrechnungen
über die beiderseitigen Vorteile: die Frau hat geheiratet, um aus dem Eltern¬
hause zu kommen und stimmfähig zu werden, der Mann, um ein Heim zu
bekommen -- oder über die Höhe des Verlustes auf beiden Seiten, wenn die
Trennung erleichtert würde. Die Frau fordert Gleichstellung mit ihrem Manne,
sieht aber ein, daß ihre Erfolge auf seine Einbußen gebaut werden. Wie kann
sie seinen Beruf ausfüllen, und was liegt ihm an dem ihrigen, wenn er seine
Familie ernähren kann? Ist sie reich, kaun er seine Praxis ganz niederlegen,
dann herrscht sie, und er spielt Hausknecht oder Kindermädchen. So bleibt
es denn besser beim alten, er verwaltet das Geld und erfüllt seinen Beruf,
sie führt das Haus. Und was die Rechtsfrage betrifft, so sagt der alte Marine¬
offizier zu seiner Fran, der eine allseitig gebildete Pensionsfreundin während
seiner Abwesenheit den Kopf verdreht hat -- herrschen wir nicht beide? Das
Geschlecht kann man nicht ändern, warum wollen aber die Frauen Latein lernen,
da es den meisten Männern leid thut, damit ihre Zeit verthan zu haben? Der
Teufel aber soll den holen, der die beiden Hälften der Menschheit gegen ein¬
ander aufgehetzt hat! -- das ist doch so verständig geredet wie nur möglich.
Mit der Tendenz des Strindbergschen Buchs nach dieser Seite hin wird jeder
vernünftige Mann einverstanden sein. Lase er das als Abhandlung, würde er
gar nicht an der Nichtigkeit der vorgetragnen Meinungen zweifeln. Aber nun,
als Novelle, wirkt das so seltsam, die Szenen wechseln schnell, scheinen oft


Nordische Novellen

daß sie manchmal wieder ihren besondern Glauben zu fordern scheint. Aber
Damen besserer Stände, die nach Kognak riechen, die in Gegenwart von Herren
gern über die Zustände der Halbwelt sprechen, die sich eine „Vergangenheit"
wünschen, weil sie erfahren, daß ihre Männer auch eine haben, das alles muß
es doch wohl dort, wo der Schriftsteller seine Eindrücke gesammelt hat, geben.
Er ist ein Schwede, hält sich aber im Auslande auf und arbeitet mit solchen
früher gewonnenen Eindrücken draußen weiter. Daheim aber mag man ihn
nicht, denn wer hätte es gern, daß so etwas ausgeplaudert wird, übertrieben
wird, sagt man auch, erlogen zum Teil — ja, wer kanns wissen! Man nennt
ihn auch einen Weiberfeind, weil er zu den Emanzipationsbestrebungen der Frauen
kein Zutrauen hat, und weil diese in der Maschinerie seiner Darstellung nicht
soviel zu bedeuten haben wie bei Ibsen oder Björnson. Nun also, dieses
neue Buch enthält lauter kleine Erzählungen von ungesunden, gestörten, ver¬
unglückten oder auch wieder zurechtgebrachten Ehen. Die Frau ist mit dem,
was ihr Geschlecht ihr als Aufgabe zugewiesen hat, nicht zufrieden. Sie hat
entweder schon vor der Heirat ein Ideal gefunden, wie die Generalstochter
als Volksbildnerin, das Bürgermädchen als Güterexpedientin, und dann geht
es nachher in der Ehe schlecht, weil bloß geistige Ehen unmöglich sind, oder
sie findet erst hinterher, daß ihr etwas fehle, weil ihre Ehe ein Puppenheim
sei; sie sucht sich „höhere" Beschäftigungen, während der Mann bei den ver¬
meintlich niedern sich besser gestandett Hütte. Es kommt zu Abrechnungen
über die beiderseitigen Vorteile: die Frau hat geheiratet, um aus dem Eltern¬
hause zu kommen und stimmfähig zu werden, der Mann, um ein Heim zu
bekommen — oder über die Höhe des Verlustes auf beiden Seiten, wenn die
Trennung erleichtert würde. Die Frau fordert Gleichstellung mit ihrem Manne,
sieht aber ein, daß ihre Erfolge auf seine Einbußen gebaut werden. Wie kann
sie seinen Beruf ausfüllen, und was liegt ihm an dem ihrigen, wenn er seine
Familie ernähren kann? Ist sie reich, kaun er seine Praxis ganz niederlegen,
dann herrscht sie, und er spielt Hausknecht oder Kindermädchen. So bleibt
es denn besser beim alten, er verwaltet das Geld und erfüllt seinen Beruf,
sie führt das Haus. Und was die Rechtsfrage betrifft, so sagt der alte Marine¬
offizier zu seiner Fran, der eine allseitig gebildete Pensionsfreundin während
seiner Abwesenheit den Kopf verdreht hat — herrschen wir nicht beide? Das
Geschlecht kann man nicht ändern, warum wollen aber die Frauen Latein lernen,
da es den meisten Männern leid thut, damit ihre Zeit verthan zu haben? Der
Teufel aber soll den holen, der die beiden Hälften der Menschheit gegen ein¬
ander aufgehetzt hat! — das ist doch so verständig geredet wie nur möglich.
Mit der Tendenz des Strindbergschen Buchs nach dieser Seite hin wird jeder
vernünftige Mann einverstanden sein. Lase er das als Abhandlung, würde er
gar nicht an der Nichtigkeit der vorgetragnen Meinungen zweifeln. Aber nun,
als Novelle, wirkt das so seltsam, die Szenen wechseln schnell, scheinen oft


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[0488] Nordische Novellen daß sie manchmal wieder ihren besondern Glauben zu fordern scheint. Aber Damen besserer Stände, die nach Kognak riechen, die in Gegenwart von Herren gern über die Zustände der Halbwelt sprechen, die sich eine „Vergangenheit" wünschen, weil sie erfahren, daß ihre Männer auch eine haben, das alles muß es doch wohl dort, wo der Schriftsteller seine Eindrücke gesammelt hat, geben. Er ist ein Schwede, hält sich aber im Auslande auf und arbeitet mit solchen früher gewonnenen Eindrücken draußen weiter. Daheim aber mag man ihn nicht, denn wer hätte es gern, daß so etwas ausgeplaudert wird, übertrieben wird, sagt man auch, erlogen zum Teil — ja, wer kanns wissen! Man nennt ihn auch einen Weiberfeind, weil er zu den Emanzipationsbestrebungen der Frauen kein Zutrauen hat, und weil diese in der Maschinerie seiner Darstellung nicht soviel zu bedeuten haben wie bei Ibsen oder Björnson. Nun also, dieses neue Buch enthält lauter kleine Erzählungen von ungesunden, gestörten, ver¬ unglückten oder auch wieder zurechtgebrachten Ehen. Die Frau ist mit dem, was ihr Geschlecht ihr als Aufgabe zugewiesen hat, nicht zufrieden. Sie hat entweder schon vor der Heirat ein Ideal gefunden, wie die Generalstochter als Volksbildnerin, das Bürgermädchen als Güterexpedientin, und dann geht es nachher in der Ehe schlecht, weil bloß geistige Ehen unmöglich sind, oder sie findet erst hinterher, daß ihr etwas fehle, weil ihre Ehe ein Puppenheim sei; sie sucht sich „höhere" Beschäftigungen, während der Mann bei den ver¬ meintlich niedern sich besser gestandett Hütte. Es kommt zu Abrechnungen über die beiderseitigen Vorteile: die Frau hat geheiratet, um aus dem Eltern¬ hause zu kommen und stimmfähig zu werden, der Mann, um ein Heim zu bekommen — oder über die Höhe des Verlustes auf beiden Seiten, wenn die Trennung erleichtert würde. Die Frau fordert Gleichstellung mit ihrem Manne, sieht aber ein, daß ihre Erfolge auf seine Einbußen gebaut werden. Wie kann sie seinen Beruf ausfüllen, und was liegt ihm an dem ihrigen, wenn er seine Familie ernähren kann? Ist sie reich, kaun er seine Praxis ganz niederlegen, dann herrscht sie, und er spielt Hausknecht oder Kindermädchen. So bleibt es denn besser beim alten, er verwaltet das Geld und erfüllt seinen Beruf, sie führt das Haus. Und was die Rechtsfrage betrifft, so sagt der alte Marine¬ offizier zu seiner Fran, der eine allseitig gebildete Pensionsfreundin während seiner Abwesenheit den Kopf verdreht hat — herrschen wir nicht beide? Das Geschlecht kann man nicht ändern, warum wollen aber die Frauen Latein lernen, da es den meisten Männern leid thut, damit ihre Zeit verthan zu haben? Der Teufel aber soll den holen, der die beiden Hälften der Menschheit gegen ein¬ ander aufgehetzt hat! — das ist doch so verständig geredet wie nur möglich. Mit der Tendenz des Strindbergschen Buchs nach dieser Seite hin wird jeder vernünftige Mann einverstanden sein. Lase er das als Abhandlung, würde er gar nicht an der Nichtigkeit der vorgetragnen Meinungen zweifeln. Aber nun, als Novelle, wirkt das so seltsam, die Szenen wechseln schnell, scheinen oft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/488>, abgerufen am 12.12.2024.