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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

landwirtschaftliche Erzeugnisse ans die Dauer nicht zu ertragen, da hierdurch die
übrigen Stände in Not gerieten; deshalb habe ein dauernd hoher Lebens¬
mittelpreis die Verteuerung der Gelverbeerzeugnisse und die Erhöhung der
Beamtengehälter zur Voraussetzung, dadurch aber würden dem Staate allerlei
Unbequemlichkeiten bereitet. Dieser dürfe -- es ist ein Landwirt, der das
sagt -- die einseitige Erhöhung der Getreidepreise um so weniger dulden, als
dadurch den gewerblichen Arbeitern und den Beamten der Lebensunterhalt ge¬
kürzt oder gar geraubt werde, während es sich für die Gutsbesitzer nur um
das höhere oder mindre Maß des Komforts und des Luxus handle. Das
Endergebnis seiner Untersuchungen ist: die Steigerung der Getreidepreise und
das Herabgehen des Zinsfußes würden zusammen, da man die Notstandspreise
einzelner Jahre der Berechnung nicht zu Grunde legen darf, höchstens eine
Erhöhung des Güterpreises aus das Doppelte rechtfertigen. Auch das ist noch
zu hoch gegriffen, da die hohen Getreidepreise zum Teil auf der Vermehrung der
Umlaufsmittel und auf andern vorübergehenden Ursachen beruhen. Die Erhöhung
der Güterpreise auf das vier- bis sechsfache ist daher ungerechtfertigt und vom
Übel. Sie wird bewirkt einerseits durch den Schwindel der Spekulanten, die
beim Güterschacher gute Geschäfte machen, andrerseits durch die Meinung der
Beschwindelten, es gebe keine sichrere Kapitalanlage, als die in Grundbesitz.
Gerade sür sie wird sich diese Meinung als Täuschung erweisen, da sie beim
Zusammenbruch ihr ganzes Vermögen verlieren werden. Den Überschuldeten
ist nicht zu helfen; der Staat muß sie preisgeben; nur durch die Wiederkehr
angemessener Güterpreise kann die Landwirtschaft gesunden; der jetzige hünfige
Besitzwechsel, der durch die zu befürchtenden Konkurse noch vermehrt werden
wird, setzt die Landgüter der Gefahr der Devastirung aus.

War die Lage der deutscheu Grundbesitzer in der Zeit von 1806 bis 1813
wegen der hohen Kaufpreise, zu denen sie die Güter übernommen hatten, gefähr¬
lich, so trat bei den preußischen noch die Schädigung und Krediterschürteruug
durch den Krieg und die Umwälzung durch die Bauernbefreiung hinzu, die, mochte
sie auch noch so großen Segen in ihrem Schoße tragen, vorläufig doch die
Besitzverhältnisse und die Höhe des Einkommens unsicher machte. In diesem
Zustande ward man in den großen Befreiungskrieg fortgerissen, der neue Opfer
forderte und die Katastrophe näher zu rücken schien. Da gab 1814 E. von Bülow
auf Kummerow, ein sehr rühriger und einflußreicher Agrarpolitiker, dessen Tax¬
methoden 33 Jahre später Rodbertus einer sehr gründlichen Kritik unterzogen
hat, seine Schrift über die Mittel zur Erhaltung der Grundbesitzer heraus,
die er dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg widmete. Er bezeichnet darin
die Niederlage von Jena als ein Glück, weil bei dem frühern bequemen Leben
die Kräfte des Bodens unentwickelt und die durch Zunft- und andern Zwang
gefesselten Menschenkräfte unangewandt geblieben seien. Habe die Welt schon
über die Kriegsleistungen des geschwächten und verkleinerten Preußens, eines


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

landwirtschaftliche Erzeugnisse ans die Dauer nicht zu ertragen, da hierdurch die
übrigen Stände in Not gerieten; deshalb habe ein dauernd hoher Lebens¬
mittelpreis die Verteuerung der Gelverbeerzeugnisse und die Erhöhung der
Beamtengehälter zur Voraussetzung, dadurch aber würden dem Staate allerlei
Unbequemlichkeiten bereitet. Dieser dürfe — es ist ein Landwirt, der das
sagt — die einseitige Erhöhung der Getreidepreise um so weniger dulden, als
dadurch den gewerblichen Arbeitern und den Beamten der Lebensunterhalt ge¬
kürzt oder gar geraubt werde, während es sich für die Gutsbesitzer nur um
das höhere oder mindre Maß des Komforts und des Luxus handle. Das
Endergebnis seiner Untersuchungen ist: die Steigerung der Getreidepreise und
das Herabgehen des Zinsfußes würden zusammen, da man die Notstandspreise
einzelner Jahre der Berechnung nicht zu Grunde legen darf, höchstens eine
Erhöhung des Güterpreises aus das Doppelte rechtfertigen. Auch das ist noch
zu hoch gegriffen, da die hohen Getreidepreise zum Teil auf der Vermehrung der
Umlaufsmittel und auf andern vorübergehenden Ursachen beruhen. Die Erhöhung
der Güterpreise auf das vier- bis sechsfache ist daher ungerechtfertigt und vom
Übel. Sie wird bewirkt einerseits durch den Schwindel der Spekulanten, die
beim Güterschacher gute Geschäfte machen, andrerseits durch die Meinung der
Beschwindelten, es gebe keine sichrere Kapitalanlage, als die in Grundbesitz.
Gerade sür sie wird sich diese Meinung als Täuschung erweisen, da sie beim
Zusammenbruch ihr ganzes Vermögen verlieren werden. Den Überschuldeten
ist nicht zu helfen; der Staat muß sie preisgeben; nur durch die Wiederkehr
angemessener Güterpreise kann die Landwirtschaft gesunden; der jetzige hünfige
Besitzwechsel, der durch die zu befürchtenden Konkurse noch vermehrt werden
wird, setzt die Landgüter der Gefahr der Devastirung aus.

War die Lage der deutscheu Grundbesitzer in der Zeit von 1806 bis 1813
wegen der hohen Kaufpreise, zu denen sie die Güter übernommen hatten, gefähr¬
lich, so trat bei den preußischen noch die Schädigung und Krediterschürteruug
durch den Krieg und die Umwälzung durch die Bauernbefreiung hinzu, die, mochte
sie auch noch so großen Segen in ihrem Schoße tragen, vorläufig doch die
Besitzverhältnisse und die Höhe des Einkommens unsicher machte. In diesem
Zustande ward man in den großen Befreiungskrieg fortgerissen, der neue Opfer
forderte und die Katastrophe näher zu rücken schien. Da gab 1814 E. von Bülow
auf Kummerow, ein sehr rühriger und einflußreicher Agrarpolitiker, dessen Tax¬
methoden 33 Jahre später Rodbertus einer sehr gründlichen Kritik unterzogen
hat, seine Schrift über die Mittel zur Erhaltung der Grundbesitzer heraus,
die er dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg widmete. Er bezeichnet darin
die Niederlage von Jena als ein Glück, weil bei dem frühern bequemen Leben
die Kräfte des Bodens unentwickelt und die durch Zunft- und andern Zwang
gefesselten Menschenkräfte unangewandt geblieben seien. Habe die Welt schon
über die Kriegsleistungen des geschwächten und verkleinerten Preußens, eines


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[0480] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland landwirtschaftliche Erzeugnisse ans die Dauer nicht zu ertragen, da hierdurch die übrigen Stände in Not gerieten; deshalb habe ein dauernd hoher Lebens¬ mittelpreis die Verteuerung der Gelverbeerzeugnisse und die Erhöhung der Beamtengehälter zur Voraussetzung, dadurch aber würden dem Staate allerlei Unbequemlichkeiten bereitet. Dieser dürfe — es ist ein Landwirt, der das sagt — die einseitige Erhöhung der Getreidepreise um so weniger dulden, als dadurch den gewerblichen Arbeitern und den Beamten der Lebensunterhalt ge¬ kürzt oder gar geraubt werde, während es sich für die Gutsbesitzer nur um das höhere oder mindre Maß des Komforts und des Luxus handle. Das Endergebnis seiner Untersuchungen ist: die Steigerung der Getreidepreise und das Herabgehen des Zinsfußes würden zusammen, da man die Notstandspreise einzelner Jahre der Berechnung nicht zu Grunde legen darf, höchstens eine Erhöhung des Güterpreises aus das Doppelte rechtfertigen. Auch das ist noch zu hoch gegriffen, da die hohen Getreidepreise zum Teil auf der Vermehrung der Umlaufsmittel und auf andern vorübergehenden Ursachen beruhen. Die Erhöhung der Güterpreise auf das vier- bis sechsfache ist daher ungerechtfertigt und vom Übel. Sie wird bewirkt einerseits durch den Schwindel der Spekulanten, die beim Güterschacher gute Geschäfte machen, andrerseits durch die Meinung der Beschwindelten, es gebe keine sichrere Kapitalanlage, als die in Grundbesitz. Gerade sür sie wird sich diese Meinung als Täuschung erweisen, da sie beim Zusammenbruch ihr ganzes Vermögen verlieren werden. Den Überschuldeten ist nicht zu helfen; der Staat muß sie preisgeben; nur durch die Wiederkehr angemessener Güterpreise kann die Landwirtschaft gesunden; der jetzige hünfige Besitzwechsel, der durch die zu befürchtenden Konkurse noch vermehrt werden wird, setzt die Landgüter der Gefahr der Devastirung aus. War die Lage der deutscheu Grundbesitzer in der Zeit von 1806 bis 1813 wegen der hohen Kaufpreise, zu denen sie die Güter übernommen hatten, gefähr¬ lich, so trat bei den preußischen noch die Schädigung und Krediterschürteruug durch den Krieg und die Umwälzung durch die Bauernbefreiung hinzu, die, mochte sie auch noch so großen Segen in ihrem Schoße tragen, vorläufig doch die Besitzverhältnisse und die Höhe des Einkommens unsicher machte. In diesem Zustande ward man in den großen Befreiungskrieg fortgerissen, der neue Opfer forderte und die Katastrophe näher zu rücken schien. Da gab 1814 E. von Bülow auf Kummerow, ein sehr rühriger und einflußreicher Agrarpolitiker, dessen Tax¬ methoden 33 Jahre später Rodbertus einer sehr gründlichen Kritik unterzogen hat, seine Schrift über die Mittel zur Erhaltung der Grundbesitzer heraus, die er dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg widmete. Er bezeichnet darin die Niederlage von Jena als ein Glück, weil bei dem frühern bequemen Leben die Kräfte des Bodens unentwickelt und die durch Zunft- und andern Zwang gefesselten Menschenkräfte unangewandt geblieben seien. Habe die Welt schon über die Kriegsleistungen des geschwächten und verkleinerten Preußens, eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/480>, abgerufen am 24.07.2024.