Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Vi-1, I'exi>!i, des Weltverkehrs

Punkt, UM sich die legalen und unanfechtbaren Besitztitel ausfertigen zu lassen.
Die Türkei ist dabei in Gefahr, zu einem europäischen Afghanistan zu werden.
Dem gegenüber hat Mitteleuropa das allerdringendste Interesse daran, sich eine
breite Bahn für den eignen Verkehr mit Indien und Ostasien offen zu halten,
denn als geduldete Gäste fremder Nationen dort Geschäfte zu machen würde
uns mir so lange erlaubt sein, als wir nicht unbequem werden. Die macht¬
lose Hanse wurde rücksichtslos von den nordischen Nationen vergewaltigt und
ausgewiesen, als diese keine Vorteile mehr von ihr erwarteten, sondern in ihr
nur einen Nebenbuhler sahen. Freilich wäre Osterreich zunächst berufen, ent¬
schlossen die Führung des mitteleuropäischen Bundes in seinen orientalischen
Interessen zu übernehmen. Aber Österreich wird an Bedeutung und Macht,
an geistiger und moralischer Kraft und Einheit vom Deutschen Reiche weitaus
überragt; es leidet an trostlosen innerm Hader und an einer, wie es scheint,
unheilbaren Mißregierung. Da kann das mächtige Deutschland nicht zusehen,
wie auch seine Interessen dadurch dauernd zu Schaden kommen, und so danken
wir es dem deutschen Kaiser von Herzen, daß er "mit Volldampf voraus" nach
dem Südosten gefahren ist.

Der islamitische Religionshaß gegen Andersgläubige und der Rassen¬
hochmut sind immer das Haupthindernis aller Zivilisation und Reformen ge¬
wesen, aber sie sind nach den Berichten der besten Kenner der Türken in ent-
schiedner Abnahme begriffen; in gemeinsamer Arbeit lernt man sich gegenseitig
achten und schützen. Jede kriegerische Unternehmung muß diesen überaus wich¬
tigen Prozeß durch neue Verschärfung der sich ausgleichenden Gegensätze und
neuen Ausbruch der Leidenschaften unterbrechen, während von seiner ruhigen
Durchführung die völlige Hineinziehung der Türkei in den europäischen Kultur¬
kreis abhängt. Das Auftreten unsers Kaisers hat schon die segensreichsten
Folgen gehabt; er ist von den rechtgläubigen Moslimen mit den Ehren des
Padischah begrüßt worden und hat in mancher Weise Bresche in die Vorurteile
islamitischer Orthodoxie gelegt.

Diese Erfolge auszunutzen wird für uns die Aufgabe einer ganzen Reihe
von Jahren sein. Nicht um die Nachäffung parlamentarischer Bräuche handelt
es sich in der Türkei, oder um andre doktrinäre Ideale, sondern vor allen
Dingen um eine gute, redliche und wirtschaftliche Verwaltung, denn dort noch
weit mehr als anderwärts ist eine gute Verwaltung die beste Verfassung.
Gerade an hierzu geeigneten Kräften, die dem türkischen Volke fehlen, haben
wir in Deutschland Überfluß, und es gilt, durch Infiltration deutscher Kräfte
und Säfte Erziehung, Bildung und Strebsamkeit in der bildungsfähigen und
bildungshungrigeu türkischen Bevölkerung zu verbreiten. Gelingt es, eine ma߬
volle, vorausschauende und verständige Negierung einzurichten und durch ge¬
rechtes und redliches Streben Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten
herzustellen, so ist der Hauptteil der eigentlichem Aufgabe gelöst. Die wehend-


Die Vi-1, I'exi>!i, des Weltverkehrs

Punkt, UM sich die legalen und unanfechtbaren Besitztitel ausfertigen zu lassen.
Die Türkei ist dabei in Gefahr, zu einem europäischen Afghanistan zu werden.
Dem gegenüber hat Mitteleuropa das allerdringendste Interesse daran, sich eine
breite Bahn für den eignen Verkehr mit Indien und Ostasien offen zu halten,
denn als geduldete Gäste fremder Nationen dort Geschäfte zu machen würde
uns mir so lange erlaubt sein, als wir nicht unbequem werden. Die macht¬
lose Hanse wurde rücksichtslos von den nordischen Nationen vergewaltigt und
ausgewiesen, als diese keine Vorteile mehr von ihr erwarteten, sondern in ihr
nur einen Nebenbuhler sahen. Freilich wäre Osterreich zunächst berufen, ent¬
schlossen die Führung des mitteleuropäischen Bundes in seinen orientalischen
Interessen zu übernehmen. Aber Österreich wird an Bedeutung und Macht,
an geistiger und moralischer Kraft und Einheit vom Deutschen Reiche weitaus
überragt; es leidet an trostlosen innerm Hader und an einer, wie es scheint,
unheilbaren Mißregierung. Da kann das mächtige Deutschland nicht zusehen,
wie auch seine Interessen dadurch dauernd zu Schaden kommen, und so danken
wir es dem deutschen Kaiser von Herzen, daß er „mit Volldampf voraus" nach
dem Südosten gefahren ist.

Der islamitische Religionshaß gegen Andersgläubige und der Rassen¬
hochmut sind immer das Haupthindernis aller Zivilisation und Reformen ge¬
wesen, aber sie sind nach den Berichten der besten Kenner der Türken in ent-
schiedner Abnahme begriffen; in gemeinsamer Arbeit lernt man sich gegenseitig
achten und schützen. Jede kriegerische Unternehmung muß diesen überaus wich¬
tigen Prozeß durch neue Verschärfung der sich ausgleichenden Gegensätze und
neuen Ausbruch der Leidenschaften unterbrechen, während von seiner ruhigen
Durchführung die völlige Hineinziehung der Türkei in den europäischen Kultur¬
kreis abhängt. Das Auftreten unsers Kaisers hat schon die segensreichsten
Folgen gehabt; er ist von den rechtgläubigen Moslimen mit den Ehren des
Padischah begrüßt worden und hat in mancher Weise Bresche in die Vorurteile
islamitischer Orthodoxie gelegt.

Diese Erfolge auszunutzen wird für uns die Aufgabe einer ganzen Reihe
von Jahren sein. Nicht um die Nachäffung parlamentarischer Bräuche handelt
es sich in der Türkei, oder um andre doktrinäre Ideale, sondern vor allen
Dingen um eine gute, redliche und wirtschaftliche Verwaltung, denn dort noch
weit mehr als anderwärts ist eine gute Verwaltung die beste Verfassung.
Gerade an hierzu geeigneten Kräften, die dem türkischen Volke fehlen, haben
wir in Deutschland Überfluß, und es gilt, durch Infiltration deutscher Kräfte
und Säfte Erziehung, Bildung und Strebsamkeit in der bildungsfähigen und
bildungshungrigeu türkischen Bevölkerung zu verbreiten. Gelingt es, eine ma߬
volle, vorausschauende und verständige Negierung einzurichten und durch ge¬
rechtes und redliches Streben Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten
herzustellen, so ist der Hauptteil der eigentlichem Aufgabe gelöst. Die wehend-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229412"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Vi-1, I'exi&gt;!i, des Weltverkehrs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> Punkt, UM sich die legalen und unanfechtbaren Besitztitel ausfertigen zu lassen.<lb/>
Die Türkei ist dabei in Gefahr, zu einem europäischen Afghanistan zu werden.<lb/>
Dem gegenüber hat Mitteleuropa das allerdringendste Interesse daran, sich eine<lb/>
breite Bahn für den eignen Verkehr mit Indien und Ostasien offen zu halten,<lb/>
denn als geduldete Gäste fremder Nationen dort Geschäfte zu machen würde<lb/>
uns mir so lange erlaubt sein, als wir nicht unbequem werden. Die macht¬<lb/>
lose Hanse wurde rücksichtslos von den nordischen Nationen vergewaltigt und<lb/>
ausgewiesen, als diese keine Vorteile mehr von ihr erwarteten, sondern in ihr<lb/>
nur einen Nebenbuhler sahen. Freilich wäre Osterreich zunächst berufen, ent¬<lb/>
schlossen die Führung des mitteleuropäischen Bundes in seinen orientalischen<lb/>
Interessen zu übernehmen. Aber Österreich wird an Bedeutung und Macht,<lb/>
an geistiger und moralischer Kraft und Einheit vom Deutschen Reiche weitaus<lb/>
überragt; es leidet an trostlosen innerm Hader und an einer, wie es scheint,<lb/>
unheilbaren Mißregierung. Da kann das mächtige Deutschland nicht zusehen,<lb/>
wie auch seine Interessen dadurch dauernd zu Schaden kommen, und so danken<lb/>
wir es dem deutschen Kaiser von Herzen, daß er &#x201E;mit Volldampf voraus" nach<lb/>
dem Südosten gefahren ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324"> Der islamitische Religionshaß gegen Andersgläubige und der Rassen¬<lb/>
hochmut sind immer das Haupthindernis aller Zivilisation und Reformen ge¬<lb/>
wesen, aber sie sind nach den Berichten der besten Kenner der Türken in ent-<lb/>
schiedner Abnahme begriffen; in gemeinsamer Arbeit lernt man sich gegenseitig<lb/>
achten und schützen. Jede kriegerische Unternehmung muß diesen überaus wich¬<lb/>
tigen Prozeß durch neue Verschärfung der sich ausgleichenden Gegensätze und<lb/>
neuen Ausbruch der Leidenschaften unterbrechen, während von seiner ruhigen<lb/>
Durchführung die völlige Hineinziehung der Türkei in den europäischen Kultur¬<lb/>
kreis abhängt. Das Auftreten unsers Kaisers hat schon die segensreichsten<lb/>
Folgen gehabt; er ist von den rechtgläubigen Moslimen mit den Ehren des<lb/>
Padischah begrüßt worden und hat in mancher Weise Bresche in die Vorurteile<lb/>
islamitischer Orthodoxie gelegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" next="#ID_1326"> Diese Erfolge auszunutzen wird für uns die Aufgabe einer ganzen Reihe<lb/>
von Jahren sein. Nicht um die Nachäffung parlamentarischer Bräuche handelt<lb/>
es sich in der Türkei, oder um andre doktrinäre Ideale, sondern vor allen<lb/>
Dingen um eine gute, redliche und wirtschaftliche Verwaltung, denn dort noch<lb/>
weit mehr als anderwärts ist eine gute Verwaltung die beste Verfassung.<lb/>
Gerade an hierzu geeigneten Kräften, die dem türkischen Volke fehlen, haben<lb/>
wir in Deutschland Überfluß, und es gilt, durch Infiltration deutscher Kräfte<lb/>
und Säfte Erziehung, Bildung und Strebsamkeit in der bildungsfähigen und<lb/>
bildungshungrigeu türkischen Bevölkerung zu verbreiten. Gelingt es, eine ma߬<lb/>
volle, vorausschauende und verständige Negierung einzurichten und durch ge¬<lb/>
rechtes und redliches Streben Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten<lb/>
herzustellen, so ist der Hauptteil der eigentlichem Aufgabe gelöst. Die wehend-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Die Vi-1, I'exi>!i, des Weltverkehrs Punkt, UM sich die legalen und unanfechtbaren Besitztitel ausfertigen zu lassen. Die Türkei ist dabei in Gefahr, zu einem europäischen Afghanistan zu werden. Dem gegenüber hat Mitteleuropa das allerdringendste Interesse daran, sich eine breite Bahn für den eignen Verkehr mit Indien und Ostasien offen zu halten, denn als geduldete Gäste fremder Nationen dort Geschäfte zu machen würde uns mir so lange erlaubt sein, als wir nicht unbequem werden. Die macht¬ lose Hanse wurde rücksichtslos von den nordischen Nationen vergewaltigt und ausgewiesen, als diese keine Vorteile mehr von ihr erwarteten, sondern in ihr nur einen Nebenbuhler sahen. Freilich wäre Osterreich zunächst berufen, ent¬ schlossen die Führung des mitteleuropäischen Bundes in seinen orientalischen Interessen zu übernehmen. Aber Österreich wird an Bedeutung und Macht, an geistiger und moralischer Kraft und Einheit vom Deutschen Reiche weitaus überragt; es leidet an trostlosen innerm Hader und an einer, wie es scheint, unheilbaren Mißregierung. Da kann das mächtige Deutschland nicht zusehen, wie auch seine Interessen dadurch dauernd zu Schaden kommen, und so danken wir es dem deutschen Kaiser von Herzen, daß er „mit Volldampf voraus" nach dem Südosten gefahren ist. Der islamitische Religionshaß gegen Andersgläubige und der Rassen¬ hochmut sind immer das Haupthindernis aller Zivilisation und Reformen ge¬ wesen, aber sie sind nach den Berichten der besten Kenner der Türken in ent- schiedner Abnahme begriffen; in gemeinsamer Arbeit lernt man sich gegenseitig achten und schützen. Jede kriegerische Unternehmung muß diesen überaus wich¬ tigen Prozeß durch neue Verschärfung der sich ausgleichenden Gegensätze und neuen Ausbruch der Leidenschaften unterbrechen, während von seiner ruhigen Durchführung die völlige Hineinziehung der Türkei in den europäischen Kultur¬ kreis abhängt. Das Auftreten unsers Kaisers hat schon die segensreichsten Folgen gehabt; er ist von den rechtgläubigen Moslimen mit den Ehren des Padischah begrüßt worden und hat in mancher Weise Bresche in die Vorurteile islamitischer Orthodoxie gelegt. Diese Erfolge auszunutzen wird für uns die Aufgabe einer ganzen Reihe von Jahren sein. Nicht um die Nachäffung parlamentarischer Bräuche handelt es sich in der Türkei, oder um andre doktrinäre Ideale, sondern vor allen Dingen um eine gute, redliche und wirtschaftliche Verwaltung, denn dort noch weit mehr als anderwärts ist eine gute Verwaltung die beste Verfassung. Gerade an hierzu geeigneten Kräften, die dem türkischen Volke fehlen, haben wir in Deutschland Überfluß, und es gilt, durch Infiltration deutscher Kräfte und Säfte Erziehung, Bildung und Strebsamkeit in der bildungsfähigen und bildungshungrigeu türkischen Bevölkerung zu verbreiten. Gelingt es, eine ma߬ volle, vorausschauende und verständige Negierung einzurichten und durch ge¬ rechtes und redliches Streben Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten herzustellen, so ist der Hauptteil der eigentlichem Aufgabe gelöst. Die wehend-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/463>, abgerufen am 12.12.2024.