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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

sirung der alten Kunstdenkmäler und ihrer geschichtlichen Bedeutung -- für die
Gemütstiefe und Gefühlsinnigkeit der italienischen und deutschen Kunst der
Gotik und Frührenaissance die Augen geöffnet wurden. Sind auch durch das
Studium ihrer Schöpfungen manche Verschrobenheit, manche kindlichen und kin¬
dischen Altertümeleien in unsre Kunst hineingekommen, so wiegt sie der Gewinn
reichlich auf. Er kam zunächst noch nicht der kirchlichen Plastik im eigent¬
lichen Sinne, sondern der Grabdeukmälerplastik zu gute. Der wachsende Reich¬
tum unsers Volkes hatte den Besitzenden, die zugleich etwas Kunstgefühl und
Geschmack hatten, endlich klar gemacht, daß die Armseligkeit unsrer Friedhöfe
mit ihren handwerksmäßigen Dutzendarbeiten in schroffem Gegensatz zu der prunk¬
vollen Ausstattung unsrer Wohnräume stehe, die in reichen Häusern bisweilen schon
das Aussehen von Museumssäleu angenommen haben. Man besann sich endlich
auf die Pflicht gegen die Toten, und so hat seit Jahren die Grabmälerplastik
einen Aufschwung genommen, der sich nicht bloß, wie in Frankreich und
Italien, in der Kostbarkeit der verwandten Stoffe, sondern auch in dem innern
Werte der an Gräbern und in Gruftkapellen aufgestellten Kunstwerke offen¬
bart. Wir haben hier dieses Aufschwungs, der unverkennbar auf das Studium
der Grabmäler der italienischen Frührenaissance zurückzuführen ist, schon in
frühern Jahren gedacht und freuen uns, feststellen zu können, daß er immer
noch fortdauert, und daß unsre jungen Künstler, je mehr Aufträge ihnen zu¬
fließen, immer unabhängiger von ihren Vorbildern werden. Einige haben
sogar schon in ihren ersten Arbeiten dieser Art eine volle Freiheit und Selb¬
ständigkeit offenbart, wie z. B. Friedrich Hausmann in Frankfurt a. M. in
einer Grabstele mit einer ein wehklagendes Mädchen tröstenden, allegorischen
Figur; Albert Moritz Wolff in Berlin in einer in weite Trauergewänder ge¬
hüllten, weiblichen Gestalt, die ihr Haupt über eine Urne neigt, und Johannes
Hoffart in Charlottenburg in einer sich auf einen Säulenstumpf stützenden
Figur, die als letzten Gruß eine Nose auf das Grab zu ihren Füßen
fallen läßt.

Jetzt scheint sich aber auch die Vertiefung, die ernste Sammlung, das
seelische Mitempfinden, das wir an diesen Grabfiguren bemerken, auf die eigent¬
liche religiöse Plastik erstrecken zu wollen. Die Münchner, deren religiöse
Kunst immer mit Italien in einem gewissen Zusammenhange geblieben ist, sind
den Berlinern darin vorausgegangen, indem sie an die Plastik der italienischen,
insbesondre der florentinischen Frührenaissance anknüpften, und dabei hatten
sie noch den Vorteil, nicht bloß an den geistigen Charakter dieser Kunst,
sondern auch an ihren stofflichen Inhalt anknüpfen zu können, weil das bay¬
rische Volk in seiner großen Mehrheit katholisch ist. Die deutschen Künstler des
überwiegend protestantischen Nordens haben dagegen einen viel schwierigern
Stand. Die katholischen Kirchen sind meist so arm, daß sie nichts für Kunst¬
werke ausgeben können, die nicht in den bekannten Werkstätten fabrikmüßig her-


Die große Kunstausstellung in Berlin

sirung der alten Kunstdenkmäler und ihrer geschichtlichen Bedeutung — für die
Gemütstiefe und Gefühlsinnigkeit der italienischen und deutschen Kunst der
Gotik und Frührenaissance die Augen geöffnet wurden. Sind auch durch das
Studium ihrer Schöpfungen manche Verschrobenheit, manche kindlichen und kin¬
dischen Altertümeleien in unsre Kunst hineingekommen, so wiegt sie der Gewinn
reichlich auf. Er kam zunächst noch nicht der kirchlichen Plastik im eigent¬
lichen Sinne, sondern der Grabdeukmälerplastik zu gute. Der wachsende Reich¬
tum unsers Volkes hatte den Besitzenden, die zugleich etwas Kunstgefühl und
Geschmack hatten, endlich klar gemacht, daß die Armseligkeit unsrer Friedhöfe
mit ihren handwerksmäßigen Dutzendarbeiten in schroffem Gegensatz zu der prunk¬
vollen Ausstattung unsrer Wohnräume stehe, die in reichen Häusern bisweilen schon
das Aussehen von Museumssäleu angenommen haben. Man besann sich endlich
auf die Pflicht gegen die Toten, und so hat seit Jahren die Grabmälerplastik
einen Aufschwung genommen, der sich nicht bloß, wie in Frankreich und
Italien, in der Kostbarkeit der verwandten Stoffe, sondern auch in dem innern
Werte der an Gräbern und in Gruftkapellen aufgestellten Kunstwerke offen¬
bart. Wir haben hier dieses Aufschwungs, der unverkennbar auf das Studium
der Grabmäler der italienischen Frührenaissance zurückzuführen ist, schon in
frühern Jahren gedacht und freuen uns, feststellen zu können, daß er immer
noch fortdauert, und daß unsre jungen Künstler, je mehr Aufträge ihnen zu¬
fließen, immer unabhängiger von ihren Vorbildern werden. Einige haben
sogar schon in ihren ersten Arbeiten dieser Art eine volle Freiheit und Selb¬
ständigkeit offenbart, wie z. B. Friedrich Hausmann in Frankfurt a. M. in
einer Grabstele mit einer ein wehklagendes Mädchen tröstenden, allegorischen
Figur; Albert Moritz Wolff in Berlin in einer in weite Trauergewänder ge¬
hüllten, weiblichen Gestalt, die ihr Haupt über eine Urne neigt, und Johannes
Hoffart in Charlottenburg in einer sich auf einen Säulenstumpf stützenden
Figur, die als letzten Gruß eine Nose auf das Grab zu ihren Füßen
fallen läßt.

Jetzt scheint sich aber auch die Vertiefung, die ernste Sammlung, das
seelische Mitempfinden, das wir an diesen Grabfiguren bemerken, auf die eigent¬
liche religiöse Plastik erstrecken zu wollen. Die Münchner, deren religiöse
Kunst immer mit Italien in einem gewissen Zusammenhange geblieben ist, sind
den Berlinern darin vorausgegangen, indem sie an die Plastik der italienischen,
insbesondre der florentinischen Frührenaissance anknüpften, und dabei hatten
sie noch den Vorteil, nicht bloß an den geistigen Charakter dieser Kunst,
sondern auch an ihren stofflichen Inhalt anknüpfen zu können, weil das bay¬
rische Volk in seiner großen Mehrheit katholisch ist. Die deutschen Künstler des
überwiegend protestantischen Nordens haben dagegen einen viel schwierigern
Stand. Die katholischen Kirchen sind meist so arm, daß sie nichts für Kunst¬
werke ausgeben können, die nicht in den bekannten Werkstätten fabrikmüßig her-


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[0046] Die große Kunstausstellung in Berlin sirung der alten Kunstdenkmäler und ihrer geschichtlichen Bedeutung — für die Gemütstiefe und Gefühlsinnigkeit der italienischen und deutschen Kunst der Gotik und Frührenaissance die Augen geöffnet wurden. Sind auch durch das Studium ihrer Schöpfungen manche Verschrobenheit, manche kindlichen und kin¬ dischen Altertümeleien in unsre Kunst hineingekommen, so wiegt sie der Gewinn reichlich auf. Er kam zunächst noch nicht der kirchlichen Plastik im eigent¬ lichen Sinne, sondern der Grabdeukmälerplastik zu gute. Der wachsende Reich¬ tum unsers Volkes hatte den Besitzenden, die zugleich etwas Kunstgefühl und Geschmack hatten, endlich klar gemacht, daß die Armseligkeit unsrer Friedhöfe mit ihren handwerksmäßigen Dutzendarbeiten in schroffem Gegensatz zu der prunk¬ vollen Ausstattung unsrer Wohnräume stehe, die in reichen Häusern bisweilen schon das Aussehen von Museumssäleu angenommen haben. Man besann sich endlich auf die Pflicht gegen die Toten, und so hat seit Jahren die Grabmälerplastik einen Aufschwung genommen, der sich nicht bloß, wie in Frankreich und Italien, in der Kostbarkeit der verwandten Stoffe, sondern auch in dem innern Werte der an Gräbern und in Gruftkapellen aufgestellten Kunstwerke offen¬ bart. Wir haben hier dieses Aufschwungs, der unverkennbar auf das Studium der Grabmäler der italienischen Frührenaissance zurückzuführen ist, schon in frühern Jahren gedacht und freuen uns, feststellen zu können, daß er immer noch fortdauert, und daß unsre jungen Künstler, je mehr Aufträge ihnen zu¬ fließen, immer unabhängiger von ihren Vorbildern werden. Einige haben sogar schon in ihren ersten Arbeiten dieser Art eine volle Freiheit und Selb¬ ständigkeit offenbart, wie z. B. Friedrich Hausmann in Frankfurt a. M. in einer Grabstele mit einer ein wehklagendes Mädchen tröstenden, allegorischen Figur; Albert Moritz Wolff in Berlin in einer in weite Trauergewänder ge¬ hüllten, weiblichen Gestalt, die ihr Haupt über eine Urne neigt, und Johannes Hoffart in Charlottenburg in einer sich auf einen Säulenstumpf stützenden Figur, die als letzten Gruß eine Nose auf das Grab zu ihren Füßen fallen läßt. Jetzt scheint sich aber auch die Vertiefung, die ernste Sammlung, das seelische Mitempfinden, das wir an diesen Grabfiguren bemerken, auf die eigent¬ liche religiöse Plastik erstrecken zu wollen. Die Münchner, deren religiöse Kunst immer mit Italien in einem gewissen Zusammenhange geblieben ist, sind den Berlinern darin vorausgegangen, indem sie an die Plastik der italienischen, insbesondre der florentinischen Frührenaissance anknüpften, und dabei hatten sie noch den Vorteil, nicht bloß an den geistigen Charakter dieser Kunst, sondern auch an ihren stofflichen Inhalt anknüpfen zu können, weil das bay¬ rische Volk in seiner großen Mehrheit katholisch ist. Die deutschen Künstler des überwiegend protestantischen Nordens haben dagegen einen viel schwierigern Stand. Die katholischen Kirchen sind meist so arm, daß sie nichts für Kunst¬ werke ausgeben können, die nicht in den bekannten Werkstätten fabrikmüßig her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/46>, abgerufen am 04.07.2024.