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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

Hartzer hat dagegen, weil es seine Aufgabe so mit sich brachte, eine intime,
sozusagen genrehafte Auffassung gewählt. Die größte That, die aus dem Zu¬
sammenwirken von Gauß und Weber in Göttingen erwachsen ist, war die Er¬
findung des elektromagnetischen Telegraphen, und an diese soll das Denkmal
erinnern. Zu dem in einem Lehnstuhle sitzenden Gauß, der einen Leitungs¬
draht in der Hand hält, neigt sich Weber etwas hinab. Beide sind trotz der
gemessenen Ruhe in ihrer Haltung in lebhafter wissenschaftlicher Erörterung
begriffen. Das liest man deutlich aus ihren Gesichtern heraus, die die Züge
der beiden Gelehrten mit einer Lebenswahrheit wiedergeben, die nichts Charakte¬
ristisches vernachlässigt, aber sich doch noch in den Grenzen des monumentalen
Stils hält. Auch dieser Künstler ist der Versuchung aus dem Wege gegangen,
sein Werk durch eine Wendung ins Geniale interessant im modernen Sinne zu
machen, wie es die Franzosen bei jedem Erfinder von zweifelhaftem Verdienste,
bei jedem Bürgermeister, dem eine dankbare Gemeinde ein Denkmal errichtet,
zu thun Pflegen. Hartzer läßt die beiden Männer nur durch die schlichte
Macht ihrer Persönlichkeit wirken und verzichtet darum auch auf allegorische
Zuthaten. Wer diese Sprache uicht mehr versteht, der beweist damit nur, daß
er deu Zusammenhang mit dem Wesen und der Entwicklung des germanischen
Geistes verloren hat.

Wir andern erkennen ihn ebensosehr in diesen schlichten Bildnisstatuen, die
seit Schadow und Rauch immer unser Stolz und unsre Freude gewesen sind,
wie in dem Streben jüngerer Künstler nach Vertiefung und Bereicherung des
Ausdrucks bei religiösen und profanen Bildwerken, das sich von Jahr zu Jahr
immer lebhafter kundgiebt und besonders der religiösen Plastik schon zu großem
Vorteil gereicht hat. In dem protestantischen Berlin und auch in dem übrigen
Protestantischen Deutschland hat die religiöse Plastik niemals geblüht, und sie
hat auch seit der Erneuerung der deutschen Bildhauerkunst durch Schadow und
Rauch keinen Nutzen gehabt von der allgemeinen Bewegung. Rauch verhielt
sich innerlich gleichgültig gegen sie, und sein Schüler Rietschel, der eine starke
Begabung und Neigung für sie hatte, hat zwar einige religiöse Bildwerke ge¬
schaffen, die von eigner Teilnahme und tiefer Ergriffenheit zeugen, aber er
hat keine gleichbegabten Nachfolger gefunden. Die religiöse Plastik blieb meist
Handwerkern oder untergeordneten Künstlern überlassen, denen jede Arbeit
willkommen war, wenn sie nur Brot gab, und wenn sich einmal ein erleuchteter
Kircheuvorstand an einen hervorragenden Meister wandte, so wußte sich
dieser zwar immer mit Anstand aus der unbequemen Angelegenheit zu ziehen,
aber die religiöse Kunst kam dadurch nicht vorwärts, und ein Fortschritt war
auch nicht zu erwarten, so lange unsre Plastik ausschließlich den Bahnen der
Antike folgte.

Es wurde erst anders, als unsern Künstlern -- und das ist wesentlich
das Verdienst der Kunstforschung und der durch sie geförderten Populari-


Grenzboten IV 1898 l>
Die große Kunstausstellung in Berlin

Hartzer hat dagegen, weil es seine Aufgabe so mit sich brachte, eine intime,
sozusagen genrehafte Auffassung gewählt. Die größte That, die aus dem Zu¬
sammenwirken von Gauß und Weber in Göttingen erwachsen ist, war die Er¬
findung des elektromagnetischen Telegraphen, und an diese soll das Denkmal
erinnern. Zu dem in einem Lehnstuhle sitzenden Gauß, der einen Leitungs¬
draht in der Hand hält, neigt sich Weber etwas hinab. Beide sind trotz der
gemessenen Ruhe in ihrer Haltung in lebhafter wissenschaftlicher Erörterung
begriffen. Das liest man deutlich aus ihren Gesichtern heraus, die die Züge
der beiden Gelehrten mit einer Lebenswahrheit wiedergeben, die nichts Charakte¬
ristisches vernachlässigt, aber sich doch noch in den Grenzen des monumentalen
Stils hält. Auch dieser Künstler ist der Versuchung aus dem Wege gegangen,
sein Werk durch eine Wendung ins Geniale interessant im modernen Sinne zu
machen, wie es die Franzosen bei jedem Erfinder von zweifelhaftem Verdienste,
bei jedem Bürgermeister, dem eine dankbare Gemeinde ein Denkmal errichtet,
zu thun Pflegen. Hartzer läßt die beiden Männer nur durch die schlichte
Macht ihrer Persönlichkeit wirken und verzichtet darum auch auf allegorische
Zuthaten. Wer diese Sprache uicht mehr versteht, der beweist damit nur, daß
er deu Zusammenhang mit dem Wesen und der Entwicklung des germanischen
Geistes verloren hat.

Wir andern erkennen ihn ebensosehr in diesen schlichten Bildnisstatuen, die
seit Schadow und Rauch immer unser Stolz und unsre Freude gewesen sind,
wie in dem Streben jüngerer Künstler nach Vertiefung und Bereicherung des
Ausdrucks bei religiösen und profanen Bildwerken, das sich von Jahr zu Jahr
immer lebhafter kundgiebt und besonders der religiösen Plastik schon zu großem
Vorteil gereicht hat. In dem protestantischen Berlin und auch in dem übrigen
Protestantischen Deutschland hat die religiöse Plastik niemals geblüht, und sie
hat auch seit der Erneuerung der deutschen Bildhauerkunst durch Schadow und
Rauch keinen Nutzen gehabt von der allgemeinen Bewegung. Rauch verhielt
sich innerlich gleichgültig gegen sie, und sein Schüler Rietschel, der eine starke
Begabung und Neigung für sie hatte, hat zwar einige religiöse Bildwerke ge¬
schaffen, die von eigner Teilnahme und tiefer Ergriffenheit zeugen, aber er
hat keine gleichbegabten Nachfolger gefunden. Die religiöse Plastik blieb meist
Handwerkern oder untergeordneten Künstlern überlassen, denen jede Arbeit
willkommen war, wenn sie nur Brot gab, und wenn sich einmal ein erleuchteter
Kircheuvorstand an einen hervorragenden Meister wandte, so wußte sich
dieser zwar immer mit Anstand aus der unbequemen Angelegenheit zu ziehen,
aber die religiöse Kunst kam dadurch nicht vorwärts, und ein Fortschritt war
auch nicht zu erwarten, so lange unsre Plastik ausschließlich den Bahnen der
Antike folgte.

Es wurde erst anders, als unsern Künstlern — und das ist wesentlich
das Verdienst der Kunstforschung und der durch sie geförderten Populari-


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[0045] Die große Kunstausstellung in Berlin Hartzer hat dagegen, weil es seine Aufgabe so mit sich brachte, eine intime, sozusagen genrehafte Auffassung gewählt. Die größte That, die aus dem Zu¬ sammenwirken von Gauß und Weber in Göttingen erwachsen ist, war die Er¬ findung des elektromagnetischen Telegraphen, und an diese soll das Denkmal erinnern. Zu dem in einem Lehnstuhle sitzenden Gauß, der einen Leitungs¬ draht in der Hand hält, neigt sich Weber etwas hinab. Beide sind trotz der gemessenen Ruhe in ihrer Haltung in lebhafter wissenschaftlicher Erörterung begriffen. Das liest man deutlich aus ihren Gesichtern heraus, die die Züge der beiden Gelehrten mit einer Lebenswahrheit wiedergeben, die nichts Charakte¬ ristisches vernachlässigt, aber sich doch noch in den Grenzen des monumentalen Stils hält. Auch dieser Künstler ist der Versuchung aus dem Wege gegangen, sein Werk durch eine Wendung ins Geniale interessant im modernen Sinne zu machen, wie es die Franzosen bei jedem Erfinder von zweifelhaftem Verdienste, bei jedem Bürgermeister, dem eine dankbare Gemeinde ein Denkmal errichtet, zu thun Pflegen. Hartzer läßt die beiden Männer nur durch die schlichte Macht ihrer Persönlichkeit wirken und verzichtet darum auch auf allegorische Zuthaten. Wer diese Sprache uicht mehr versteht, der beweist damit nur, daß er deu Zusammenhang mit dem Wesen und der Entwicklung des germanischen Geistes verloren hat. Wir andern erkennen ihn ebensosehr in diesen schlichten Bildnisstatuen, die seit Schadow und Rauch immer unser Stolz und unsre Freude gewesen sind, wie in dem Streben jüngerer Künstler nach Vertiefung und Bereicherung des Ausdrucks bei religiösen und profanen Bildwerken, das sich von Jahr zu Jahr immer lebhafter kundgiebt und besonders der religiösen Plastik schon zu großem Vorteil gereicht hat. In dem protestantischen Berlin und auch in dem übrigen Protestantischen Deutschland hat die religiöse Plastik niemals geblüht, und sie hat auch seit der Erneuerung der deutschen Bildhauerkunst durch Schadow und Rauch keinen Nutzen gehabt von der allgemeinen Bewegung. Rauch verhielt sich innerlich gleichgültig gegen sie, und sein Schüler Rietschel, der eine starke Begabung und Neigung für sie hatte, hat zwar einige religiöse Bildwerke ge¬ schaffen, die von eigner Teilnahme und tiefer Ergriffenheit zeugen, aber er hat keine gleichbegabten Nachfolger gefunden. Die religiöse Plastik blieb meist Handwerkern oder untergeordneten Künstlern überlassen, denen jede Arbeit willkommen war, wenn sie nur Brot gab, und wenn sich einmal ein erleuchteter Kircheuvorstand an einen hervorragenden Meister wandte, so wußte sich dieser zwar immer mit Anstand aus der unbequemen Angelegenheit zu ziehen, aber die religiöse Kunst kam dadurch nicht vorwärts, und ein Fortschritt war auch nicht zu erwarten, so lange unsre Plastik ausschließlich den Bahnen der Antike folgte. Es wurde erst anders, als unsern Künstlern — und das ist wesentlich das Verdienst der Kunstforschung und der durch sie geförderten Populari- Grenzboten IV 1898 l>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/45>, abgerufen am 04.07.2024.