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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Verbindungen im Noten Meere und im Persischen Meere in den Händen
hatten. Der Kampf um den Welthandel wurde durch Albuquerque entschieden,
und zwar in gewaltsamer Weise mit sehr materiellen Waffen. Albuquerque
setzte sich 1515 in den Besitz dieses Handelsweges; infolge davon verließ der
Warenstrom den Weg von Indien nach den kleinasiatischen Küsten und ging
nun um das Kap herum nach Lissabon. Damit war die natürliche und kürzeste
Verbindungsstraße zwischen Asien und Europa gesperrt; der asiatische Welt¬
markt war von Venedig nach Lissabon verlegt worden, und das 1453 türkisch
gewordne Konstantinopel verlor seine letzte Bedeutung als Handelsplatz. Aber
das waren keineswegs natürliche Entwicklungen, die sich mit der Notwendigkeit
von Naturgesetzen vollzogen; auch aus dem Gebiete des Handels gab allzeit
die überlegne Kraft und Einsicht den Ausschlag; als Philipp II. den Holländern
den Hafen von Lissabon sperrte, um sie zu vernichten, fuhren sie direkt nach
Indien und wurden die gefährlichsten Feinde der Portugiesen. Sehr früh schou
hatte Deutschland Handelsverbindungen nach allen Himmelsrichtungen, aber es
fehlte der gemeinsame innere politische Stützpunkt; es wurde gar nicht der
Versuch gemacht, die Handelspolitik des Bürgertums und der Städte zu einem
wesentlichen Bestandteil der Reichspolitik zu machen. So ging denn alles wieder
verloren, als die Nachbarn Deutschlands ihm an Selbständigkeit und politischer
Stärke überlegen geworden waren. Einer der besten Kenner dieser Verhältnisse
urteilt"): "Der Hauptgrund für deu Verfall des deutschen Handels nach 1500
lag nicht in der Verlegung der Handelsstraße, sondern in dem Mangel einer
Handelspolitik des Deutschen Reichs. Solange die Welthandelsstraße quer
durch das Deutsche Reich ging, bedürfte es einer solchen nicht, der deutsche
Bürger konnte sich allein helfen. Aber seit andre Staaten als solche auf¬
kamen, fielen die Nachteile dieses Zustandes vernichtend ans Deutschland. Neichs-
rcgierung und Bürgerstand verfielen gleichzeitig. Die Fremden: Holländer und
Engländer, vergewaltigten den deutschen Handel. Der dreißigjährige Krieg
ist der Schluß zweihundertjähriger innerer Kämpfe. Es ist der große Kampf
zwischen Landbesitz und Geldmacht, zwischen Landesherrlichkeit und Handels¬
stand, bis endlich beide die Form einer Verschmelzung finden konnten. Es ist
ein Jahrhunderte währender Bürgerkrieg zwischen zwei Ständen, die, weil sie
nicht im ganzen zu einem organischen Staatswesen in richtiger Neben- und
Unterordnung hatten zusammengeschlossen werden können, einer ungezügelten
Entwicklung verfielen und mit einander in Kampf auf Leben und Tod gerieten,
ein Kampf, der sich wieder in zahllose Gruppen- und Einzelkampfe löste, aber
immer ein Kampf zwischen Geldmacht und Landbesitz blieb. Ohne das vor-
hcmdne Siechtum des staatlichen Organismus hätte der kirchliche Zwiespalt
niemals den verderblichen Einfluß gehabt, den das Deutsche Reich in allen



Joh, Falke- Geschichte des deutschen Handels.
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Verbindungen im Noten Meere und im Persischen Meere in den Händen
hatten. Der Kampf um den Welthandel wurde durch Albuquerque entschieden,
und zwar in gewaltsamer Weise mit sehr materiellen Waffen. Albuquerque
setzte sich 1515 in den Besitz dieses Handelsweges; infolge davon verließ der
Warenstrom den Weg von Indien nach den kleinasiatischen Küsten und ging
nun um das Kap herum nach Lissabon. Damit war die natürliche und kürzeste
Verbindungsstraße zwischen Asien und Europa gesperrt; der asiatische Welt¬
markt war von Venedig nach Lissabon verlegt worden, und das 1453 türkisch
gewordne Konstantinopel verlor seine letzte Bedeutung als Handelsplatz. Aber
das waren keineswegs natürliche Entwicklungen, die sich mit der Notwendigkeit
von Naturgesetzen vollzogen; auch aus dem Gebiete des Handels gab allzeit
die überlegne Kraft und Einsicht den Ausschlag; als Philipp II. den Holländern
den Hafen von Lissabon sperrte, um sie zu vernichten, fuhren sie direkt nach
Indien und wurden die gefährlichsten Feinde der Portugiesen. Sehr früh schou
hatte Deutschland Handelsverbindungen nach allen Himmelsrichtungen, aber es
fehlte der gemeinsame innere politische Stützpunkt; es wurde gar nicht der
Versuch gemacht, die Handelspolitik des Bürgertums und der Städte zu einem
wesentlichen Bestandteil der Reichspolitik zu machen. So ging denn alles wieder
verloren, als die Nachbarn Deutschlands ihm an Selbständigkeit und politischer
Stärke überlegen geworden waren. Einer der besten Kenner dieser Verhältnisse
urteilt"): „Der Hauptgrund für deu Verfall des deutschen Handels nach 1500
lag nicht in der Verlegung der Handelsstraße, sondern in dem Mangel einer
Handelspolitik des Deutschen Reichs. Solange die Welthandelsstraße quer
durch das Deutsche Reich ging, bedürfte es einer solchen nicht, der deutsche
Bürger konnte sich allein helfen. Aber seit andre Staaten als solche auf¬
kamen, fielen die Nachteile dieses Zustandes vernichtend ans Deutschland. Neichs-
rcgierung und Bürgerstand verfielen gleichzeitig. Die Fremden: Holländer und
Engländer, vergewaltigten den deutschen Handel. Der dreißigjährige Krieg
ist der Schluß zweihundertjähriger innerer Kämpfe. Es ist der große Kampf
zwischen Landbesitz und Geldmacht, zwischen Landesherrlichkeit und Handels¬
stand, bis endlich beide die Form einer Verschmelzung finden konnten. Es ist
ein Jahrhunderte währender Bürgerkrieg zwischen zwei Ständen, die, weil sie
nicht im ganzen zu einem organischen Staatswesen in richtiger Neben- und
Unterordnung hatten zusammengeschlossen werden können, einer ungezügelten
Entwicklung verfielen und mit einander in Kampf auf Leben und Tod gerieten,
ein Kampf, der sich wieder in zahllose Gruppen- und Einzelkampfe löste, aber
immer ein Kampf zwischen Geldmacht und Landbesitz blieb. Ohne das vor-
hcmdne Siechtum des staatlichen Organismus hätte der kirchliche Zwiespalt
niemals den verderblichen Einfluß gehabt, den das Deutsche Reich in allen



Joh, Falke- Geschichte des deutschen Handels.
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[0459] Ole Via i'eM des Weltverkehrs Verbindungen im Noten Meere und im Persischen Meere in den Händen hatten. Der Kampf um den Welthandel wurde durch Albuquerque entschieden, und zwar in gewaltsamer Weise mit sehr materiellen Waffen. Albuquerque setzte sich 1515 in den Besitz dieses Handelsweges; infolge davon verließ der Warenstrom den Weg von Indien nach den kleinasiatischen Küsten und ging nun um das Kap herum nach Lissabon. Damit war die natürliche und kürzeste Verbindungsstraße zwischen Asien und Europa gesperrt; der asiatische Welt¬ markt war von Venedig nach Lissabon verlegt worden, und das 1453 türkisch gewordne Konstantinopel verlor seine letzte Bedeutung als Handelsplatz. Aber das waren keineswegs natürliche Entwicklungen, die sich mit der Notwendigkeit von Naturgesetzen vollzogen; auch aus dem Gebiete des Handels gab allzeit die überlegne Kraft und Einsicht den Ausschlag; als Philipp II. den Holländern den Hafen von Lissabon sperrte, um sie zu vernichten, fuhren sie direkt nach Indien und wurden die gefährlichsten Feinde der Portugiesen. Sehr früh schou hatte Deutschland Handelsverbindungen nach allen Himmelsrichtungen, aber es fehlte der gemeinsame innere politische Stützpunkt; es wurde gar nicht der Versuch gemacht, die Handelspolitik des Bürgertums und der Städte zu einem wesentlichen Bestandteil der Reichspolitik zu machen. So ging denn alles wieder verloren, als die Nachbarn Deutschlands ihm an Selbständigkeit und politischer Stärke überlegen geworden waren. Einer der besten Kenner dieser Verhältnisse urteilt"): „Der Hauptgrund für deu Verfall des deutschen Handels nach 1500 lag nicht in der Verlegung der Handelsstraße, sondern in dem Mangel einer Handelspolitik des Deutschen Reichs. Solange die Welthandelsstraße quer durch das Deutsche Reich ging, bedürfte es einer solchen nicht, der deutsche Bürger konnte sich allein helfen. Aber seit andre Staaten als solche auf¬ kamen, fielen die Nachteile dieses Zustandes vernichtend ans Deutschland. Neichs- rcgierung und Bürgerstand verfielen gleichzeitig. Die Fremden: Holländer und Engländer, vergewaltigten den deutschen Handel. Der dreißigjährige Krieg ist der Schluß zweihundertjähriger innerer Kämpfe. Es ist der große Kampf zwischen Landbesitz und Geldmacht, zwischen Landesherrlichkeit und Handels¬ stand, bis endlich beide die Form einer Verschmelzung finden konnten. Es ist ein Jahrhunderte währender Bürgerkrieg zwischen zwei Ständen, die, weil sie nicht im ganzen zu einem organischen Staatswesen in richtiger Neben- und Unterordnung hatten zusammengeschlossen werden können, einer ungezügelten Entwicklung verfielen und mit einander in Kampf auf Leben und Tod gerieten, ein Kampf, der sich wieder in zahllose Gruppen- und Einzelkampfe löste, aber immer ein Kampf zwischen Geldmacht und Landbesitz blieb. Ohne das vor- hcmdne Siechtum des staatlichen Organismus hätte der kirchliche Zwiespalt niemals den verderblichen Einfluß gehabt, den das Deutsche Reich in allen Joh, Falke- Geschichte des deutschen Handels.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/459>, abgerufen am 24.07.2024.