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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Via i-ego des Weltverkehrs

lichen Kulturvölker. Zu allen Zeiten ist die Wichtigkeit, diese Bahn für den
freien Verkehr offen zu halten, von großen Herrschern und Staatsmännern
erkannt worden. Karls des Großen Beziehungen zu Harun al Raschid be¬
ruhten auf dieser Grundlage. Otto der Große knüpfte durch die Verheiratung
seines Thronfolgers Beziehungen mit dem Orient an, und die Kreuzzüge waren
im wesentlichen eine Rückwirkung des Abendlandes gegen das Vordringen und
die Ausbreitung der Türken in Vorderasien. Es ist merkwürdig, daß der letzte
der alten deutschen Kaiser, mit dem die Weltmachtstellung des Deutschen Reichs
zu Grabe ging, auch als letzter Kaiser auf dem levantinischcn Schauplatz
erschien. Dann begann bei uns die bittre Not im eignen Hause, die zu Ohn¬
macht und Zerfall führte. Erst nach Jahrhunderten der Bedrängnis und des
innern Haders hat uns das große Jahr 1870 wieder geeint und damit be¬
fähigt, thatenfroh unsre Kraft an große und gemeinsame Aufgaben zu setzen.

Was ist seitdem aus dem Orient geworden? Die große Bewegung, die
den Orient und den Occident in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
gegeneinander führte, hatte den alten Handelsweg die Donau hinab verschüttet
Und insbesondre Konstantinopel verödet. Die Plünderung der Stadt durch
die Kreuzfahrer 1204 und die Gründung des lateinischen Kaisertums, die Er¬
hebung der Mongolen unter Dschingiskhan und ihr Vordringen bis zu den
polnischen Grenzen, endlich das Erscheinen der von den Mongolen in Bewegung
gesetzten Türken am Ostbecken des Mittelmeers und ihr Erstarken sind die
einzelnen Grundzüge dieses Prozesses. Mongolen und Türken sind aber durchaus
handelsfeindliche Völker, und so zieht der Handel nun auf dem Wege von
Venedig und Genua über Alexandria und wird von dort durch die Araber
weitergeführt. In Deutschland wird Augsburg die Hauptsammelstelle des
levantimschen Handels, wie es bisher Regensburg gewesen war. Es ist in
dieser großen Bewegung nicht zu verkennen, daß die oberitalischen Seeplätze mit
Absicht die Bedeutung Konstantinopels für den Welthandel vernichteten, um
den indischen Warenstrom unmittelbar zur See nach Oberitalien zu lenken.
Seitdem zog der Welthaudelsstrom über die Alpen und rheinabwürts nach
Flandern, während in den nördlichen Meeren die Hanse herrschte. Das Deutsche
^eich war der Mittelpunkt des Welthandels, und seiue unerhörte materielle
Blüte war die Folge dieser Zustände. Nach der Sperrung des Roten Meeres
M die Europäer durch die ägyptischen Sultane richteten die benachteiligten
Staaten ihre Bestrebungen darauf, eine direkte Verbindung mit Indien zu
gewinnen, und zwar übernahmen Portugal und Spanien hierbei die führende
Rolle. Es folgten die bekannten großen Entdeckungen, von denen an man
die neue Geschichte zu datiren pflegt. Im Jahre 1493 teilte der Papst die
"cuc Welt zwischen Spanien und Portugal durch den Meridian hundert
Meilen westlich von den Azoren. Die Hauptfeinde der Portugiesen bei
^dren Handelsbestrebungen waren die Araber, die damals alle Handels-


Die Via i-ego des Weltverkehrs

lichen Kulturvölker. Zu allen Zeiten ist die Wichtigkeit, diese Bahn für den
freien Verkehr offen zu halten, von großen Herrschern und Staatsmännern
erkannt worden. Karls des Großen Beziehungen zu Harun al Raschid be¬
ruhten auf dieser Grundlage. Otto der Große knüpfte durch die Verheiratung
seines Thronfolgers Beziehungen mit dem Orient an, und die Kreuzzüge waren
im wesentlichen eine Rückwirkung des Abendlandes gegen das Vordringen und
die Ausbreitung der Türken in Vorderasien. Es ist merkwürdig, daß der letzte
der alten deutschen Kaiser, mit dem die Weltmachtstellung des Deutschen Reichs
zu Grabe ging, auch als letzter Kaiser auf dem levantinischcn Schauplatz
erschien. Dann begann bei uns die bittre Not im eignen Hause, die zu Ohn¬
macht und Zerfall führte. Erst nach Jahrhunderten der Bedrängnis und des
innern Haders hat uns das große Jahr 1870 wieder geeint und damit be¬
fähigt, thatenfroh unsre Kraft an große und gemeinsame Aufgaben zu setzen.

Was ist seitdem aus dem Orient geworden? Die große Bewegung, die
den Orient und den Occident in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
gegeneinander führte, hatte den alten Handelsweg die Donau hinab verschüttet
Und insbesondre Konstantinopel verödet. Die Plünderung der Stadt durch
die Kreuzfahrer 1204 und die Gründung des lateinischen Kaisertums, die Er¬
hebung der Mongolen unter Dschingiskhan und ihr Vordringen bis zu den
polnischen Grenzen, endlich das Erscheinen der von den Mongolen in Bewegung
gesetzten Türken am Ostbecken des Mittelmeers und ihr Erstarken sind die
einzelnen Grundzüge dieses Prozesses. Mongolen und Türken sind aber durchaus
handelsfeindliche Völker, und so zieht der Handel nun auf dem Wege von
Venedig und Genua über Alexandria und wird von dort durch die Araber
weitergeführt. In Deutschland wird Augsburg die Hauptsammelstelle des
levantimschen Handels, wie es bisher Regensburg gewesen war. Es ist in
dieser großen Bewegung nicht zu verkennen, daß die oberitalischen Seeplätze mit
Absicht die Bedeutung Konstantinopels für den Welthandel vernichteten, um
den indischen Warenstrom unmittelbar zur See nach Oberitalien zu lenken.
Seitdem zog der Welthaudelsstrom über die Alpen und rheinabwürts nach
Flandern, während in den nördlichen Meeren die Hanse herrschte. Das Deutsche
^eich war der Mittelpunkt des Welthandels, und seiue unerhörte materielle
Blüte war die Folge dieser Zustände. Nach der Sperrung des Roten Meeres
M die Europäer durch die ägyptischen Sultane richteten die benachteiligten
Staaten ihre Bestrebungen darauf, eine direkte Verbindung mit Indien zu
gewinnen, und zwar übernahmen Portugal und Spanien hierbei die führende
Rolle. Es folgten die bekannten großen Entdeckungen, von denen an man
die neue Geschichte zu datiren pflegt. Im Jahre 1493 teilte der Papst die
»cuc Welt zwischen Spanien und Portugal durch den Meridian hundert
Meilen westlich von den Azoren. Die Hauptfeinde der Portugiesen bei
^dren Handelsbestrebungen waren die Araber, die damals alle Handels-


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[0458] Die Via i-ego des Weltverkehrs lichen Kulturvölker. Zu allen Zeiten ist die Wichtigkeit, diese Bahn für den freien Verkehr offen zu halten, von großen Herrschern und Staatsmännern erkannt worden. Karls des Großen Beziehungen zu Harun al Raschid be¬ ruhten auf dieser Grundlage. Otto der Große knüpfte durch die Verheiratung seines Thronfolgers Beziehungen mit dem Orient an, und die Kreuzzüge waren im wesentlichen eine Rückwirkung des Abendlandes gegen das Vordringen und die Ausbreitung der Türken in Vorderasien. Es ist merkwürdig, daß der letzte der alten deutschen Kaiser, mit dem die Weltmachtstellung des Deutschen Reichs zu Grabe ging, auch als letzter Kaiser auf dem levantinischcn Schauplatz erschien. Dann begann bei uns die bittre Not im eignen Hause, die zu Ohn¬ macht und Zerfall führte. Erst nach Jahrhunderten der Bedrängnis und des innern Haders hat uns das große Jahr 1870 wieder geeint und damit be¬ fähigt, thatenfroh unsre Kraft an große und gemeinsame Aufgaben zu setzen. Was ist seitdem aus dem Orient geworden? Die große Bewegung, die den Orient und den Occident in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts gegeneinander führte, hatte den alten Handelsweg die Donau hinab verschüttet Und insbesondre Konstantinopel verödet. Die Plünderung der Stadt durch die Kreuzfahrer 1204 und die Gründung des lateinischen Kaisertums, die Er¬ hebung der Mongolen unter Dschingiskhan und ihr Vordringen bis zu den polnischen Grenzen, endlich das Erscheinen der von den Mongolen in Bewegung gesetzten Türken am Ostbecken des Mittelmeers und ihr Erstarken sind die einzelnen Grundzüge dieses Prozesses. Mongolen und Türken sind aber durchaus handelsfeindliche Völker, und so zieht der Handel nun auf dem Wege von Venedig und Genua über Alexandria und wird von dort durch die Araber weitergeführt. In Deutschland wird Augsburg die Hauptsammelstelle des levantimschen Handels, wie es bisher Regensburg gewesen war. Es ist in dieser großen Bewegung nicht zu verkennen, daß die oberitalischen Seeplätze mit Absicht die Bedeutung Konstantinopels für den Welthandel vernichteten, um den indischen Warenstrom unmittelbar zur See nach Oberitalien zu lenken. Seitdem zog der Welthaudelsstrom über die Alpen und rheinabwürts nach Flandern, während in den nördlichen Meeren die Hanse herrschte. Das Deutsche ^eich war der Mittelpunkt des Welthandels, und seiue unerhörte materielle Blüte war die Folge dieser Zustände. Nach der Sperrung des Roten Meeres M die Europäer durch die ägyptischen Sultane richteten die benachteiligten Staaten ihre Bestrebungen darauf, eine direkte Verbindung mit Indien zu gewinnen, und zwar übernahmen Portugal und Spanien hierbei die führende Rolle. Es folgten die bekannten großen Entdeckungen, von denen an man die neue Geschichte zu datiren pflegt. Im Jahre 1493 teilte der Papst die »cuc Welt zwischen Spanien und Portugal durch den Meridian hundert Meilen westlich von den Azoren. Die Hauptfeinde der Portugiesen bei ^dren Handelsbestrebungen waren die Araber, die damals alle Handels-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/458>, abgerufen am 24.07.2024.