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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin
Adolf Rosenberg Von

^! in Schlüsse des ersten Artikels haben wir bei der Charakteristik
der Werke des belgischen Bildhauers van der stoppen auf den
Unterschied zwischen dem romanischen und dem germanischen
Kunstgefühl hingewiesen, der sich zur Zeit am stärksten in der
Plastik offenbart. Es fehlt zwar auch unter den deutscheu Bild¬
hauern uicht an schwachen Naturen, die sich von jeder fremden Strömung
willig fortreißen lassen, wofür in diesem Jahre Gustav Eberlein in einer großen
Gips- und mehreren kleinen Bronzegruppen aus der Geschichte des ersten
Menschenpaars, die an die skizzenhafte Manier Mcuniers erinnern, ein wenig
erfreuliches Beispiel bietet. Aber die Mehrzahl der deutschen, insbesondre der
Berliner Bildhauer hält doch mit Entschiedenheit an einer sorgfältigen Durch¬
bildung aller Einzelheiten sest. Das ist eine nationale Eigentümlichkeit, die
Zum Teil aus der vielgeschmähten akademischen Schulung, zum größern Teile
aber wohl aus dem norddeutschen Phlegma entsprossen ist, das diese Schulung
begünstigt. Franzosen, Italiener und Belgier machen unsern Künstlern oft
den Vorwurf, daß sie wie alle Deutschen Pedanten seien. Man kann ihnen
aber, besonders den Franzosen, die erst in neuerer Zeit zur allgemeinen Kenne-
n's gelangte Definition Zolas entgegenhalten, nach der die Kunst nichts sei
und sein dürfe als die Natur, durch ein Temperament gesehen. Die Natur-
studien der deutscheu Künstler sind nicht weniger eindringend als die der
romanischen. Die Deutschen entwickeln dabei sogar eine viel größere Hingebung
und Geduld, und die Geduld zügelt das Temperament noch mehr als die
Naturanlage.

Die Berliner Bildhauer haben die Genialität ihres belgischen Kunst¬
genossen unbedenklich anerkannt, aber sie haben auch klar empfunden. worin
rhre Überlegenheit über den Belgier wurzelt. Ihm geht wie fast allen Ro¬
manen das Gefühl für monumentale Würde ab. Die Romanen machen keinen
"'"wichen Unterschied zwischen der Genre- und der monumentalen Plastik.

genügt, wenn der Unterschied durch die verschiednen Größenverhältnisse
veranschaulicht wird. Dazu kommt noch, daß der sonst so feinfühlige, so tief
in das Individuelle eindringende Romane sehr leicht in ein theatralisches.




Die große Kunstausstellung in Berlin
Adolf Rosenberg Von

^! in Schlüsse des ersten Artikels haben wir bei der Charakteristik
der Werke des belgischen Bildhauers van der stoppen auf den
Unterschied zwischen dem romanischen und dem germanischen
Kunstgefühl hingewiesen, der sich zur Zeit am stärksten in der
Plastik offenbart. Es fehlt zwar auch unter den deutscheu Bild¬
hauern uicht an schwachen Naturen, die sich von jeder fremden Strömung
willig fortreißen lassen, wofür in diesem Jahre Gustav Eberlein in einer großen
Gips- und mehreren kleinen Bronzegruppen aus der Geschichte des ersten
Menschenpaars, die an die skizzenhafte Manier Mcuniers erinnern, ein wenig
erfreuliches Beispiel bietet. Aber die Mehrzahl der deutschen, insbesondre der
Berliner Bildhauer hält doch mit Entschiedenheit an einer sorgfältigen Durch¬
bildung aller Einzelheiten sest. Das ist eine nationale Eigentümlichkeit, die
Zum Teil aus der vielgeschmähten akademischen Schulung, zum größern Teile
aber wohl aus dem norddeutschen Phlegma entsprossen ist, das diese Schulung
begünstigt. Franzosen, Italiener und Belgier machen unsern Künstlern oft
den Vorwurf, daß sie wie alle Deutschen Pedanten seien. Man kann ihnen
aber, besonders den Franzosen, die erst in neuerer Zeit zur allgemeinen Kenne-
n's gelangte Definition Zolas entgegenhalten, nach der die Kunst nichts sei
und sein dürfe als die Natur, durch ein Temperament gesehen. Die Natur-
studien der deutscheu Künstler sind nicht weniger eindringend als die der
romanischen. Die Deutschen entwickeln dabei sogar eine viel größere Hingebung
und Geduld, und die Geduld zügelt das Temperament noch mehr als die
Naturanlage.

Die Berliner Bildhauer haben die Genialität ihres belgischen Kunst¬
genossen unbedenklich anerkannt, aber sie haben auch klar empfunden. worin
rhre Überlegenheit über den Belgier wurzelt. Ihm geht wie fast allen Ro¬
manen das Gefühl für monumentale Würde ab. Die Romanen machen keinen
"'"wichen Unterschied zwischen der Genre- und der monumentalen Plastik.

genügt, wenn der Unterschied durch die verschiednen Größenverhältnisse
veranschaulicht wird. Dazu kommt noch, daß der sonst so feinfühlige, so tief
in das Individuelle eindringende Romane sehr leicht in ein theatralisches.


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[0043] [Abbildung] Die große Kunstausstellung in Berlin Adolf Rosenberg Von ^! in Schlüsse des ersten Artikels haben wir bei der Charakteristik der Werke des belgischen Bildhauers van der stoppen auf den Unterschied zwischen dem romanischen und dem germanischen Kunstgefühl hingewiesen, der sich zur Zeit am stärksten in der Plastik offenbart. Es fehlt zwar auch unter den deutscheu Bild¬ hauern uicht an schwachen Naturen, die sich von jeder fremden Strömung willig fortreißen lassen, wofür in diesem Jahre Gustav Eberlein in einer großen Gips- und mehreren kleinen Bronzegruppen aus der Geschichte des ersten Menschenpaars, die an die skizzenhafte Manier Mcuniers erinnern, ein wenig erfreuliches Beispiel bietet. Aber die Mehrzahl der deutschen, insbesondre der Berliner Bildhauer hält doch mit Entschiedenheit an einer sorgfältigen Durch¬ bildung aller Einzelheiten sest. Das ist eine nationale Eigentümlichkeit, die Zum Teil aus der vielgeschmähten akademischen Schulung, zum größern Teile aber wohl aus dem norddeutschen Phlegma entsprossen ist, das diese Schulung begünstigt. Franzosen, Italiener und Belgier machen unsern Künstlern oft den Vorwurf, daß sie wie alle Deutschen Pedanten seien. Man kann ihnen aber, besonders den Franzosen, die erst in neuerer Zeit zur allgemeinen Kenne- n's gelangte Definition Zolas entgegenhalten, nach der die Kunst nichts sei und sein dürfe als die Natur, durch ein Temperament gesehen. Die Natur- studien der deutscheu Künstler sind nicht weniger eindringend als die der romanischen. Die Deutschen entwickeln dabei sogar eine viel größere Hingebung und Geduld, und die Geduld zügelt das Temperament noch mehr als die Naturanlage. Die Berliner Bildhauer haben die Genialität ihres belgischen Kunst¬ genossen unbedenklich anerkannt, aber sie haben auch klar empfunden. worin rhre Überlegenheit über den Belgier wurzelt. Ihm geht wie fast allen Ro¬ manen das Gefühl für monumentale Würde ab. Die Romanen machen keinen "'"wichen Unterschied zwischen der Genre- und der monumentalen Plastik. genügt, wenn der Unterschied durch die verschiednen Größenverhältnisse veranschaulicht wird. Dazu kommt noch, daß der sonst so feinfühlige, so tief in das Individuelle eindringende Romane sehr leicht in ein theatralisches.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/43>, abgerufen am 12.12.2024.