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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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(Österreichisches

als daß ihr eigentlicher Zweck die Vergewaltigung der Deutschen und der Ver¬
fassung ist, zu dessen Erreichung sie nur Vorwände braucht und solche, wenn
sie ihr nicht geboten werden, selber schafft. Jede Maßregel zur Unterdrückung
des Deutschtums, die seit zwei Jahren unter dem Vorgeben, den Ausgleich
zu fördern, getroffen worden ist, hat den Ausgleich nur erschwert, da er um
seiner selbst und der Monarchie willen nur im deutschen Lager Anhänger hatte
und hat.

Die acht Millionen Deutschen Österreichs werden ihres Bolkstums nicht
entkleidet werden, auch wenn die Klerikalen und ein Teil der Junker in den
Reihen der Feinde verbleiben; was aber aus dem Staate wird, aus seiner
Macht, seinem Ansehen und seinem Kredit, wenn diese acht Millionen für ihr
heiligstes irdisches Gut keine andre Rettung erkennen, als die Bekämpfung der
Staatsgewalt mit allen Mitteln, das braucht nicht gefragt zu werden. Am
Tage nach der Schlacht bei Austerlitz schrieb Tallehrand von Wien an Na¬
poleon I.: "Eure Majestät haben es jetzt in der Hand, die österreichische
Monarchie zu zerstören, oder sie wieder aufzurichten. Ist sie einmal zerstört,
so steht es nicht mehr in der Macht selbst Eurer Majestät, die zerstückelten
Teile wieder zu einer organischen Masse zusammenzufügen. Der Weiterbestand
dieser Masse ist aber notwendig; denn diese ist unentbehrlich für das spätere
Heil der zivilistrten Nationen. Von der frühern Größe und Bedeutung des
Hauses Österreich schließt man gemeinhin auf dessen gegenwärtige Stärke und
Macht. Man vergißt, daß seit der Regierung Karls V. und seiner unmittel¬
baren Nachfolger mehrere Jahrhunderte verflossen find, und das; das Hans
Österreich seit lange schon die Abschnitte seiner Geschichte nur noch nach den
erlittnen Verlusten und Niederlagen berechnet. Die jetzige österreichische Mo¬
narchie ist ein schlecht assortirtes Gemisch von Staaten, die fast alle unter
einander verschieden sind durch Sprache, Sitten, Religion, politische und bürger¬
liche Verwaltung, und die kein einheitliches Band haben außer der Gemein¬
samkeit ihres Oberhaupts. Aber gegen die Barbaren bildet Österreich ein
Bollwerk, das ebenso notwendig wie hinreichend ist."

Österreich hat seither noch manche Niederlage erlebt und manchen Gebiets-
vcrlust erlitten. Nach der schmerzlichsten Niederlage aber sah es sich dem
großmütigsten Sieger gegenüber, den die Geschichte kennt. Bismarck hoffte
und strebte, an Österreich einen treuen Bundesgenossen zu gewinnen, und darum
war er darauf bedacht, Österreich stark zu erhalten und immer stärker zu
machen. Es schien eine Zeit lang, als habe man in Österreich selber ver¬
standen, was es für das europäische Gleichgewicht und den Weltfrieden be¬
deute, wenn die Mitte Europas von Großmächten eingenommen würde, die
für Krieg und Frieden geeint wären. Heute weht wieder, und stärker als je,
der andre Wind. Österreich schickt sich in unsern Tagen an, diesen Bund zu
verlassen, wenn es sich überhaupt noch als dazu gehörig betrachtet. Daraus


Grenzboten IV 1898 50
(Österreichisches

als daß ihr eigentlicher Zweck die Vergewaltigung der Deutschen und der Ver¬
fassung ist, zu dessen Erreichung sie nur Vorwände braucht und solche, wenn
sie ihr nicht geboten werden, selber schafft. Jede Maßregel zur Unterdrückung
des Deutschtums, die seit zwei Jahren unter dem Vorgeben, den Ausgleich
zu fördern, getroffen worden ist, hat den Ausgleich nur erschwert, da er um
seiner selbst und der Monarchie willen nur im deutschen Lager Anhänger hatte
und hat.

Die acht Millionen Deutschen Österreichs werden ihres Bolkstums nicht
entkleidet werden, auch wenn die Klerikalen und ein Teil der Junker in den
Reihen der Feinde verbleiben; was aber aus dem Staate wird, aus seiner
Macht, seinem Ansehen und seinem Kredit, wenn diese acht Millionen für ihr
heiligstes irdisches Gut keine andre Rettung erkennen, als die Bekämpfung der
Staatsgewalt mit allen Mitteln, das braucht nicht gefragt zu werden. Am
Tage nach der Schlacht bei Austerlitz schrieb Tallehrand von Wien an Na¬
poleon I.: „Eure Majestät haben es jetzt in der Hand, die österreichische
Monarchie zu zerstören, oder sie wieder aufzurichten. Ist sie einmal zerstört,
so steht es nicht mehr in der Macht selbst Eurer Majestät, die zerstückelten
Teile wieder zu einer organischen Masse zusammenzufügen. Der Weiterbestand
dieser Masse ist aber notwendig; denn diese ist unentbehrlich für das spätere
Heil der zivilistrten Nationen. Von der frühern Größe und Bedeutung des
Hauses Österreich schließt man gemeinhin auf dessen gegenwärtige Stärke und
Macht. Man vergißt, daß seit der Regierung Karls V. und seiner unmittel¬
baren Nachfolger mehrere Jahrhunderte verflossen find, und das; das Hans
Österreich seit lange schon die Abschnitte seiner Geschichte nur noch nach den
erlittnen Verlusten und Niederlagen berechnet. Die jetzige österreichische Mo¬
narchie ist ein schlecht assortirtes Gemisch von Staaten, die fast alle unter
einander verschieden sind durch Sprache, Sitten, Religion, politische und bürger¬
liche Verwaltung, und die kein einheitliches Band haben außer der Gemein¬
samkeit ihres Oberhaupts. Aber gegen die Barbaren bildet Österreich ein
Bollwerk, das ebenso notwendig wie hinreichend ist."

Österreich hat seither noch manche Niederlage erlebt und manchen Gebiets-
vcrlust erlitten. Nach der schmerzlichsten Niederlage aber sah es sich dem
großmütigsten Sieger gegenüber, den die Geschichte kennt. Bismarck hoffte
und strebte, an Österreich einen treuen Bundesgenossen zu gewinnen, und darum
war er darauf bedacht, Österreich stark zu erhalten und immer stärker zu
machen. Es schien eine Zeit lang, als habe man in Österreich selber ver¬
standen, was es für das europäische Gleichgewicht und den Weltfrieden be¬
deute, wenn die Mitte Europas von Großmächten eingenommen würde, die
für Krieg und Frieden geeint wären. Heute weht wieder, und stärker als je,
der andre Wind. Österreich schickt sich in unsern Tagen an, diesen Bund zu
verlassen, wenn es sich überhaupt noch als dazu gehörig betrachtet. Daraus


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[0404] (Österreichisches als daß ihr eigentlicher Zweck die Vergewaltigung der Deutschen und der Ver¬ fassung ist, zu dessen Erreichung sie nur Vorwände braucht und solche, wenn sie ihr nicht geboten werden, selber schafft. Jede Maßregel zur Unterdrückung des Deutschtums, die seit zwei Jahren unter dem Vorgeben, den Ausgleich zu fördern, getroffen worden ist, hat den Ausgleich nur erschwert, da er um seiner selbst und der Monarchie willen nur im deutschen Lager Anhänger hatte und hat. Die acht Millionen Deutschen Österreichs werden ihres Bolkstums nicht entkleidet werden, auch wenn die Klerikalen und ein Teil der Junker in den Reihen der Feinde verbleiben; was aber aus dem Staate wird, aus seiner Macht, seinem Ansehen und seinem Kredit, wenn diese acht Millionen für ihr heiligstes irdisches Gut keine andre Rettung erkennen, als die Bekämpfung der Staatsgewalt mit allen Mitteln, das braucht nicht gefragt zu werden. Am Tage nach der Schlacht bei Austerlitz schrieb Tallehrand von Wien an Na¬ poleon I.: „Eure Majestät haben es jetzt in der Hand, die österreichische Monarchie zu zerstören, oder sie wieder aufzurichten. Ist sie einmal zerstört, so steht es nicht mehr in der Macht selbst Eurer Majestät, die zerstückelten Teile wieder zu einer organischen Masse zusammenzufügen. Der Weiterbestand dieser Masse ist aber notwendig; denn diese ist unentbehrlich für das spätere Heil der zivilistrten Nationen. Von der frühern Größe und Bedeutung des Hauses Österreich schließt man gemeinhin auf dessen gegenwärtige Stärke und Macht. Man vergißt, daß seit der Regierung Karls V. und seiner unmittel¬ baren Nachfolger mehrere Jahrhunderte verflossen find, und das; das Hans Österreich seit lange schon die Abschnitte seiner Geschichte nur noch nach den erlittnen Verlusten und Niederlagen berechnet. Die jetzige österreichische Mo¬ narchie ist ein schlecht assortirtes Gemisch von Staaten, die fast alle unter einander verschieden sind durch Sprache, Sitten, Religion, politische und bürger¬ liche Verwaltung, und die kein einheitliches Band haben außer der Gemein¬ samkeit ihres Oberhaupts. Aber gegen die Barbaren bildet Österreich ein Bollwerk, das ebenso notwendig wie hinreichend ist." Österreich hat seither noch manche Niederlage erlebt und manchen Gebiets- vcrlust erlitten. Nach der schmerzlichsten Niederlage aber sah es sich dem großmütigsten Sieger gegenüber, den die Geschichte kennt. Bismarck hoffte und strebte, an Österreich einen treuen Bundesgenossen zu gewinnen, und darum war er darauf bedacht, Österreich stark zu erhalten und immer stärker zu machen. Es schien eine Zeit lang, als habe man in Österreich selber ver¬ standen, was es für das europäische Gleichgewicht und den Weltfrieden be¬ deute, wenn die Mitte Europas von Großmächten eingenommen würde, die für Krieg und Frieden geeint wären. Heute weht wieder, und stärker als je, der andre Wind. Österreich schickt sich in unsern Tagen an, diesen Bund zu verlassen, wenn es sich überhaupt noch als dazu gehörig betrachtet. Daraus Grenzboten IV 1898 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/404>, abgerufen am 04.07.2024.