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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Dieser Tage wurden wir wieder an den Ausspruch des frühern unga¬
rischen Justizministers Szilagyi, des jetzigen Abgeordnetenhausprüsidenteu, er¬
innert, daß die Staatssprache die unabweisbare Folge der Staatseinheit sei.
In Ungarn fügen sich alle nicht-magyarischen Nationalitäten, die Deutschen,
Rumänen und Slowaken der magyarischen Staatssprache; nur die Kroaten
widersetzen sich ihr, weil sie sich der Angliederung an den ungarischen Staat
widersetzen. Ebenso ist es in Osterreich: die Polen und die Tschechen wider¬
streben der Staatssprache, weil sie der Staatseinheit entgegen arbeiten. Die
Polen haben im wesentlichen ihr Ziel erreicht, die Tschechen sind der Verwirk¬
lichung ihrer Wünsche nahe, denn die Regierung selber hat die Staatssprache, ja
sogar die Armeesprache thatsächlich aufgegeben und verfügt auf dem Verwaltungs¬
wege, daß deutsche Beamte slawische Sprachen erlernen sollen. Was kein Land
der Welt hat: Münzen, die entweder ohne jede Auf- und Umschrift sind, oder
diese in einer toten Sprache enthalten, das hat Osterreich am Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts eingeführt. Die deutsche Armeesprache war den Tschechen
verhaßt; sie haben es erzwungen, daß die Koutrollversammluugen verlaufen
wie die Zusammenkunft von Stummen, nur damit die tschechischen Reservisten
das Wort "hier" nicht auszusprechen brauchen. Da es tschechische Ohren be¬
leidigte, daß bei der Abfertigung der Bahnzüge in den Bahnhöfen die Worte
"Abfahren" und "Fertig" ertönten, so ist vom 1. November ab auch dieser
Dienst stumm; man behilft sich mit dem Pfeifchen, dem Schwenken von Fähnchen
und Laternen und dem Emporheben der Arme. Die Sache ist wahrhaft lächer¬
lich, leider aber auch Hochernst in ihrer Bedeutsamkeit; denn sie läßt erkennen,
daß die Todfeinde Preußens und des Deutschen Reichs in Österreich das Heft
ganz und gar in der Hand haben. In einem neuerbauten Wiener Theater
darf Grillparzers König Ottokar nicht als Eröffnungsvvrstelluug gegeben
werden, weil es die Tschechen nicht haben wollen. Und der deutsche Bürger¬
meister der deutsche" Reichshauptstadt sagt Ja und Amen dazu!

Ausfallen muß in dem ganzen Wirrwarr, worin Österreich steckt, daß man
aus deutscher Seite die Komödie nicht durchschaut, die von der Regierung mit
der angeblichen Staatsuotwendigkeit des ungarischen Ausgleichs getrieben wird.
Graf Thun giebt sich gleich seinem polnischen Vorgänger nach oben und nach
anßen den Anschein, als sei er zur Slawisirung gezwungen, um den Ausgleich
macheu zu können; in Wahrheit aber ist der Regierung die Entdeutschung
Österreichs der Zweck, den man nur mit den Ausgleichsschwierigkeiten masure,
weil man sich seiner einstweilen noch schämt und sich scheut, ihn einzugestehen.
Die Regierung ist unmöglich so einsichtslos, daß sie nicht von allem Anfang
an gewußt Hütte, daß der Ausgleich in Österreich auf dem Verordnungswege
eingeführt werdeu müsse, und daß sie mir die Wahl Hütte zwischen einer
deutschen und eiuer tschechischen Obstruktion. Sie hat die deutsche vorgezogen
und ihrerseits nichts unterlassen, was diese zu den äußersten Mitteln treiben
mußte. Für dieses Verhalten giebt es schlechterdings keine andre Erklärung,


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Dieser Tage wurden wir wieder an den Ausspruch des frühern unga¬
rischen Justizministers Szilagyi, des jetzigen Abgeordnetenhausprüsidenteu, er¬
innert, daß die Staatssprache die unabweisbare Folge der Staatseinheit sei.
In Ungarn fügen sich alle nicht-magyarischen Nationalitäten, die Deutschen,
Rumänen und Slowaken der magyarischen Staatssprache; nur die Kroaten
widersetzen sich ihr, weil sie sich der Angliederung an den ungarischen Staat
widersetzen. Ebenso ist es in Osterreich: die Polen und die Tschechen wider¬
streben der Staatssprache, weil sie der Staatseinheit entgegen arbeiten. Die
Polen haben im wesentlichen ihr Ziel erreicht, die Tschechen sind der Verwirk¬
lichung ihrer Wünsche nahe, denn die Regierung selber hat die Staatssprache, ja
sogar die Armeesprache thatsächlich aufgegeben und verfügt auf dem Verwaltungs¬
wege, daß deutsche Beamte slawische Sprachen erlernen sollen. Was kein Land
der Welt hat: Münzen, die entweder ohne jede Auf- und Umschrift sind, oder
diese in einer toten Sprache enthalten, das hat Osterreich am Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts eingeführt. Die deutsche Armeesprache war den Tschechen
verhaßt; sie haben es erzwungen, daß die Koutrollversammluugen verlaufen
wie die Zusammenkunft von Stummen, nur damit die tschechischen Reservisten
das Wort „hier" nicht auszusprechen brauchen. Da es tschechische Ohren be¬
leidigte, daß bei der Abfertigung der Bahnzüge in den Bahnhöfen die Worte
„Abfahren" und „Fertig" ertönten, so ist vom 1. November ab auch dieser
Dienst stumm; man behilft sich mit dem Pfeifchen, dem Schwenken von Fähnchen
und Laternen und dem Emporheben der Arme. Die Sache ist wahrhaft lächer¬
lich, leider aber auch Hochernst in ihrer Bedeutsamkeit; denn sie läßt erkennen,
daß die Todfeinde Preußens und des Deutschen Reichs in Österreich das Heft
ganz und gar in der Hand haben. In einem neuerbauten Wiener Theater
darf Grillparzers König Ottokar nicht als Eröffnungsvvrstelluug gegeben
werden, weil es die Tschechen nicht haben wollen. Und der deutsche Bürger¬
meister der deutsche» Reichshauptstadt sagt Ja und Amen dazu!

Ausfallen muß in dem ganzen Wirrwarr, worin Österreich steckt, daß man
aus deutscher Seite die Komödie nicht durchschaut, die von der Regierung mit
der angeblichen Staatsuotwendigkeit des ungarischen Ausgleichs getrieben wird.
Graf Thun giebt sich gleich seinem polnischen Vorgänger nach oben und nach
anßen den Anschein, als sei er zur Slawisirung gezwungen, um den Ausgleich
macheu zu können; in Wahrheit aber ist der Regierung die Entdeutschung
Österreichs der Zweck, den man nur mit den Ausgleichsschwierigkeiten masure,
weil man sich seiner einstweilen noch schämt und sich scheut, ihn einzugestehen.
Die Regierung ist unmöglich so einsichtslos, daß sie nicht von allem Anfang
an gewußt Hütte, daß der Ausgleich in Österreich auf dem Verordnungswege
eingeführt werdeu müsse, und daß sie mir die Wahl Hütte zwischen einer
deutschen und eiuer tschechischen Obstruktion. Sie hat die deutsche vorgezogen
und ihrerseits nichts unterlassen, was diese zu den äußersten Mitteln treiben
mußte. Für dieses Verhalten giebt es schlechterdings keine andre Erklärung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/403>, abgerufen am 04.07.2024.