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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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verbesserter Smithianismus

Anhange wird der eigentlich schon durch die aufgestellte Theorie widerlegte
Malthusianismus noch besonders bekämpft. ^

Der zweite Teil soll an einem Überblick der deutschen Wirtschaftsgeschichte
zeigen, wie die Entwicklung in der That nach den aufgestellten Gesetzen ver¬
laufen sei. Es wird u. angezeigt, daß in der Zeit, wo das ältere "agrarische
Großgrundeigentum" verschwunden und das neue noch nicht entstanden war,
keine Ausbeutung stattfand. Man kann das innerhalb gewisser Grenzen zu¬
geben. Die mittelalterliche Gewerbepolitik bekannte sich zu dem Grundsatz, daß
es kein andres Einkommen als Arbeitslohn geben und daß der Handwerksmeister
keinen Gewinn ziehen dürfe weder aus der Ausbeutung seiner Gesellen und
Lehrlinge, noch aus dem Handel mit Materialien. Und dieser Grundsatz
konnte einigermaßen durchgesetzt werdeu, weil und soweit nicht zwei Gesellen
einem Meister, sondern zwei Meister einem Gesellen nachliefen, und weil und
soweit die Technik noch so unvollkommen, der Geschäftsgang so schwerfällig
und der Handel so unentwickelt war, daß der "Künstler," als Lohnwerker, nur
die vom Kunden eingekauften Materialien verarbeitete. Soweit also konnte
der Handwerker in der That nicht kapitalistischer Unternehmer, nicht Fabrikant
werden. Aber dieser Zustand hat weder so allgemein noch so anhaltend und
gleichmäßig geherrscht, wie Oppenheimer anzunehmen scheint. Schon in der
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurden die Städte Italiens, Deutschlands
und der Niederlande durch die Aufstände von Textilarbeitern erschüttert, und
England hatte seine Revolten ländlicher Arbeiter. Hie und da eröffnet Oppen¬
heimer Einblicke in den Zusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen, die
neu genannt werden dürfen. Wie die niederländische Wollenmcmufaktnr auf
England gewirkt und dort durch eine ungeheure (übrigens von Oppenheimer nur
ganz flüchtig erwähnte) Umwälzung den heutigen, vom mittelalterlichen so grund-
verschieduen Zustand herbeigeführt hat, das ist allgemein bekannt; aber die ganz
anders geartete und doch in ihren letzten Folgen mit der englischen Entwicklung
zusammentreffende Einwirkung jener Industrie auf den deutschen Nordosten,
wie sie hier beschrieben wird, dürfte vor ihm noch von keinem hervorgehoben
worden sein. Während die niederländische Industrie in England den Bauern
von seiner Scholle vertrieb und den Acker in Schafweide verwandelte, reizte
sie im Nordosten unsers Vaterlands zum Kornbau, da die dichtbevölkerten
Niederlande ihre Stadtbevölkerung nicht zu ernähren vermochten, die. Korn¬
einfuhr dahin also lohnend wurde, die aus England aber aufhörte. Der Zu¬
sammenhang wird Seite 409 in folgenden Sätzen kurz angegeben: "Warum
entartet die Zunft? Weil ihr Konkurrenten zuwachsen, während ihr Markt
an Zahl und Kaufkraft der Konsumenten abnimmt. Woher diese Verengung
des Marktes? Weil der Territorialfürst und die ländlichen Stände sich in
Besitz der Zuwachsrente setzen. Was giebt ihnen die Macht zu dieser Usur¬
pation? Der "Kurs hat sich gegen den Bauern gestellt." Warum? Weil
er nicht mehr nach dem Osten hin ausweichen kann. Was sperrt ihm das


verbesserter Smithianismus

Anhange wird der eigentlich schon durch die aufgestellte Theorie widerlegte
Malthusianismus noch besonders bekämpft. ^

Der zweite Teil soll an einem Überblick der deutschen Wirtschaftsgeschichte
zeigen, wie die Entwicklung in der That nach den aufgestellten Gesetzen ver¬
laufen sei. Es wird u. angezeigt, daß in der Zeit, wo das ältere „agrarische
Großgrundeigentum" verschwunden und das neue noch nicht entstanden war,
keine Ausbeutung stattfand. Man kann das innerhalb gewisser Grenzen zu¬
geben. Die mittelalterliche Gewerbepolitik bekannte sich zu dem Grundsatz, daß
es kein andres Einkommen als Arbeitslohn geben und daß der Handwerksmeister
keinen Gewinn ziehen dürfe weder aus der Ausbeutung seiner Gesellen und
Lehrlinge, noch aus dem Handel mit Materialien. Und dieser Grundsatz
konnte einigermaßen durchgesetzt werdeu, weil und soweit nicht zwei Gesellen
einem Meister, sondern zwei Meister einem Gesellen nachliefen, und weil und
soweit die Technik noch so unvollkommen, der Geschäftsgang so schwerfällig
und der Handel so unentwickelt war, daß der „Künstler," als Lohnwerker, nur
die vom Kunden eingekauften Materialien verarbeitete. Soweit also konnte
der Handwerker in der That nicht kapitalistischer Unternehmer, nicht Fabrikant
werden. Aber dieser Zustand hat weder so allgemein noch so anhaltend und
gleichmäßig geherrscht, wie Oppenheimer anzunehmen scheint. Schon in der
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurden die Städte Italiens, Deutschlands
und der Niederlande durch die Aufstände von Textilarbeitern erschüttert, und
England hatte seine Revolten ländlicher Arbeiter. Hie und da eröffnet Oppen¬
heimer Einblicke in den Zusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen, die
neu genannt werden dürfen. Wie die niederländische Wollenmcmufaktnr auf
England gewirkt und dort durch eine ungeheure (übrigens von Oppenheimer nur
ganz flüchtig erwähnte) Umwälzung den heutigen, vom mittelalterlichen so grund-
verschieduen Zustand herbeigeführt hat, das ist allgemein bekannt; aber die ganz
anders geartete und doch in ihren letzten Folgen mit der englischen Entwicklung
zusammentreffende Einwirkung jener Industrie auf den deutschen Nordosten,
wie sie hier beschrieben wird, dürfte vor ihm noch von keinem hervorgehoben
worden sein. Während die niederländische Industrie in England den Bauern
von seiner Scholle vertrieb und den Acker in Schafweide verwandelte, reizte
sie im Nordosten unsers Vaterlands zum Kornbau, da die dichtbevölkerten
Niederlande ihre Stadtbevölkerung nicht zu ernähren vermochten, die. Korn¬
einfuhr dahin also lohnend wurde, die aus England aber aufhörte. Der Zu¬
sammenhang wird Seite 409 in folgenden Sätzen kurz angegeben: „Warum
entartet die Zunft? Weil ihr Konkurrenten zuwachsen, während ihr Markt
an Zahl und Kaufkraft der Konsumenten abnimmt. Woher diese Verengung
des Marktes? Weil der Territorialfürst und die ländlichen Stände sich in
Besitz der Zuwachsrente setzen. Was giebt ihnen die Macht zu dieser Usur¬
pation? Der »Kurs hat sich gegen den Bauern gestellt.« Warum? Weil
er nicht mehr nach dem Osten hin ausweichen kann. Was sperrt ihm das


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[0360] verbesserter Smithianismus Anhange wird der eigentlich schon durch die aufgestellte Theorie widerlegte Malthusianismus noch besonders bekämpft. ^ Der zweite Teil soll an einem Überblick der deutschen Wirtschaftsgeschichte zeigen, wie die Entwicklung in der That nach den aufgestellten Gesetzen ver¬ laufen sei. Es wird u. angezeigt, daß in der Zeit, wo das ältere „agrarische Großgrundeigentum" verschwunden und das neue noch nicht entstanden war, keine Ausbeutung stattfand. Man kann das innerhalb gewisser Grenzen zu¬ geben. Die mittelalterliche Gewerbepolitik bekannte sich zu dem Grundsatz, daß es kein andres Einkommen als Arbeitslohn geben und daß der Handwerksmeister keinen Gewinn ziehen dürfe weder aus der Ausbeutung seiner Gesellen und Lehrlinge, noch aus dem Handel mit Materialien. Und dieser Grundsatz konnte einigermaßen durchgesetzt werdeu, weil und soweit nicht zwei Gesellen einem Meister, sondern zwei Meister einem Gesellen nachliefen, und weil und soweit die Technik noch so unvollkommen, der Geschäftsgang so schwerfällig und der Handel so unentwickelt war, daß der „Künstler," als Lohnwerker, nur die vom Kunden eingekauften Materialien verarbeitete. Soweit also konnte der Handwerker in der That nicht kapitalistischer Unternehmer, nicht Fabrikant werden. Aber dieser Zustand hat weder so allgemein noch so anhaltend und gleichmäßig geherrscht, wie Oppenheimer anzunehmen scheint. Schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurden die Städte Italiens, Deutschlands und der Niederlande durch die Aufstände von Textilarbeitern erschüttert, und England hatte seine Revolten ländlicher Arbeiter. Hie und da eröffnet Oppen¬ heimer Einblicke in den Zusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen, die neu genannt werden dürfen. Wie die niederländische Wollenmcmufaktnr auf England gewirkt und dort durch eine ungeheure (übrigens von Oppenheimer nur ganz flüchtig erwähnte) Umwälzung den heutigen, vom mittelalterlichen so grund- verschieduen Zustand herbeigeführt hat, das ist allgemein bekannt; aber die ganz anders geartete und doch in ihren letzten Folgen mit der englischen Entwicklung zusammentreffende Einwirkung jener Industrie auf den deutschen Nordosten, wie sie hier beschrieben wird, dürfte vor ihm noch von keinem hervorgehoben worden sein. Während die niederländische Industrie in England den Bauern von seiner Scholle vertrieb und den Acker in Schafweide verwandelte, reizte sie im Nordosten unsers Vaterlands zum Kornbau, da die dichtbevölkerten Niederlande ihre Stadtbevölkerung nicht zu ernähren vermochten, die. Korn¬ einfuhr dahin also lohnend wurde, die aus England aber aufhörte. Der Zu¬ sammenhang wird Seite 409 in folgenden Sätzen kurz angegeben: „Warum entartet die Zunft? Weil ihr Konkurrenten zuwachsen, während ihr Markt an Zahl und Kaufkraft der Konsumenten abnimmt. Woher diese Verengung des Marktes? Weil der Territorialfürst und die ländlichen Stände sich in Besitz der Zuwachsrente setzen. Was giebt ihnen die Macht zu dieser Usur¬ pation? Der »Kurs hat sich gegen den Bauern gestellt.« Warum? Weil er nicht mehr nach dem Osten hin ausweichen kann. Was sperrt ihm das

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/360>, abgerufen am 24.07.2024.