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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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von Weißenburg bis Metz

sich rechtwinklig mit einer schmälern, aber längern. Westwärts taucht, etwa
eine halbe Stunde entfernt, zwischen den langen Pappelreihen der Straße
der Kirchturm von Rezonville auf, dort hinaus geht es nach Vionville und
Mars-la-Tour, nach dem Schlachtfelde des 16. August. Ringsum breitet sich
offnes Feld, nach Süden das Vois des Ognons. An der Straßenkreuzung in
Gravelotte liegen die beiden besuchten Gasthöfe des Dorfes, die "Post" fllötel

xostss) und der "Goldne Ritter" (düiövglisr et'or). Man ist hier, schon aus
Geschäftsrücksichten, international; in der Post sprach die flinke Kellnerin ge¬
läufig beide Sprachen, und in der Latte- Z, rnangsr hingen die Bilder unsers
Kaiserpaares. Sehr heimatlich berührte es, daß in der Gaststube daneben
sächsische Artilleristen behaglich kneipten und beim Abschied ihr heimisches
"Mahlzeit" riefen, wie am Strande der Elbe oder Pleiße; sie zogen dann in
Kolonnen nach Metz hin ab. ,

Die Erinnerungen an den 18. August muß man hier zunächst fast suchen;
äußerlich treten sie nur an wenigen Stellen hervor. Das Eckhaus links gegen¬
über dem Gasthofe zur Post (setzt Pvstagentur) hat, wie eine Marmortafel in
deutscher Sprache meldet, in der Nacht vom 15. zum 16. August Napoleon III.
beherbergt; mit welchen Gefühlen mag der kranke Mann diese fluchtartige Rück¬
reise von Metz angetreten haben, in das er mit stolzen Hoffnungen eingezogen
war! Zwei Tage später ritt sein ehrwürdiger Gegner, König Wilhelm, von
Rezonville her die Pappelallee nach Gravelotte und nahm von fünf Uhr an
Aufstellung nördlich vom Dorfe, links vom Fahrwege nach Se. Privat mitten
im Felde; ein mächtiger Felsblock mit Inschrift bezeichnet jetzt die Stelle. Hier
hielt er, umgeben von seinem Stäbe, Moltke, Roon und Bismarck neben ihm,
bis nach sieben Uhr. Der Standort bot keine sehr umfassende Rundsicht, denn
rechts war sie von Gravelotte begrenzt, links von dem etwas ansteigenden Ge¬
lände und dem Bois des Genivaux; von den Vorgängen im Zentrum und
auf dem linken deutschen Flügel war also hier nichts zu sehen, außer etwa
die aufsteigenden Rauchwolke". Nur geradeaus nach Osten hin war der
Vlick frei, hinauf nach dem etwas höhern Plateau jenseits des Thales der
Manne, wo der linke Flügel der Franzosen um die weithin sichtbaren ver¬
einzelten Pachthöfe von Point du Jour, Se. Hubert Und Moskau, große Stein-
bauten, in überaus fester Stellung an der Straße nach Metz stand. Dort
wogten nach Se. Hubert hinauf und um diesen zu dieser Stunde schon genommnen
Hof die Abteilungen, vom Pulverqualm halb verhüllt, bunt durch einander, und
rings um den König brüllte die Schlacht mit einem ungeheuern Getöse, das
jeden einzelnen Laut verschlang. Von dieser Stelle aus gab der König gegen
sieben Uhr abends persönlich dem II. (pommerschen) Armeekorps, das schon
von Rezonville im Anmarsch war, den Befehl, mit allen Kräften gegen den
Point du Jour vorzugehen. Aber gleichzeitig leiteten die Franzosen einen letzten
Vorstoß gegen Se. Hubert mit einem so furchtbaren Feuer und mit so massen¬
haften Schützenschwärmen ein, daß die weit vorgeschobnen deutschen Ab-


von Weißenburg bis Metz

sich rechtwinklig mit einer schmälern, aber längern. Westwärts taucht, etwa
eine halbe Stunde entfernt, zwischen den langen Pappelreihen der Straße
der Kirchturm von Rezonville auf, dort hinaus geht es nach Vionville und
Mars-la-Tour, nach dem Schlachtfelde des 16. August. Ringsum breitet sich
offnes Feld, nach Süden das Vois des Ognons. An der Straßenkreuzung in
Gravelotte liegen die beiden besuchten Gasthöfe des Dorfes, die „Post" fllötel

xostss) und der „Goldne Ritter" (düiövglisr et'or). Man ist hier, schon aus
Geschäftsrücksichten, international; in der Post sprach die flinke Kellnerin ge¬
läufig beide Sprachen, und in der Latte- Z, rnangsr hingen die Bilder unsers
Kaiserpaares. Sehr heimatlich berührte es, daß in der Gaststube daneben
sächsische Artilleristen behaglich kneipten und beim Abschied ihr heimisches
„Mahlzeit" riefen, wie am Strande der Elbe oder Pleiße; sie zogen dann in
Kolonnen nach Metz hin ab. ,

Die Erinnerungen an den 18. August muß man hier zunächst fast suchen;
äußerlich treten sie nur an wenigen Stellen hervor. Das Eckhaus links gegen¬
über dem Gasthofe zur Post (setzt Pvstagentur) hat, wie eine Marmortafel in
deutscher Sprache meldet, in der Nacht vom 15. zum 16. August Napoleon III.
beherbergt; mit welchen Gefühlen mag der kranke Mann diese fluchtartige Rück¬
reise von Metz angetreten haben, in das er mit stolzen Hoffnungen eingezogen
war! Zwei Tage später ritt sein ehrwürdiger Gegner, König Wilhelm, von
Rezonville her die Pappelallee nach Gravelotte und nahm von fünf Uhr an
Aufstellung nördlich vom Dorfe, links vom Fahrwege nach Se. Privat mitten
im Felde; ein mächtiger Felsblock mit Inschrift bezeichnet jetzt die Stelle. Hier
hielt er, umgeben von seinem Stäbe, Moltke, Roon und Bismarck neben ihm,
bis nach sieben Uhr. Der Standort bot keine sehr umfassende Rundsicht, denn
rechts war sie von Gravelotte begrenzt, links von dem etwas ansteigenden Ge¬
lände und dem Bois des Genivaux; von den Vorgängen im Zentrum und
auf dem linken deutschen Flügel war also hier nichts zu sehen, außer etwa
die aufsteigenden Rauchwolke». Nur geradeaus nach Osten hin war der
Vlick frei, hinauf nach dem etwas höhern Plateau jenseits des Thales der
Manne, wo der linke Flügel der Franzosen um die weithin sichtbaren ver¬
einzelten Pachthöfe von Point du Jour, Se. Hubert Und Moskau, große Stein-
bauten, in überaus fester Stellung an der Straße nach Metz stand. Dort
wogten nach Se. Hubert hinauf und um diesen zu dieser Stunde schon genommnen
Hof die Abteilungen, vom Pulverqualm halb verhüllt, bunt durch einander, und
rings um den König brüllte die Schlacht mit einem ungeheuern Getöse, das
jeden einzelnen Laut verschlang. Von dieser Stelle aus gab der König gegen
sieben Uhr abends persönlich dem II. (pommerschen) Armeekorps, das schon
von Rezonville im Anmarsch war, den Befehl, mit allen Kräften gegen den
Point du Jour vorzugehen. Aber gleichzeitig leiteten die Franzosen einen letzten
Vorstoß gegen Se. Hubert mit einem so furchtbaren Feuer und mit so massen¬
haften Schützenschwärmen ein, daß die weit vorgeschobnen deutschen Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/354>, abgerufen am 24.07.2024.