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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Von Weißenburg bis Metz

ich sie zuvor angeredet hätte. Auch die Geschäftsleuten M -.diesen .Dörfern
sprechen es wohl meist, eben aus Geschäftsinteresse/ und bringen zweisprachige
Firmen an, denn die Besucher der Schlachtfelder sind doch eben fast aus¬
schließlich Deutsche. Wie es mit der politischen Gesinnung bestellt ist, läßt
sich daraus natürlich nicht erkennen. Jedenfalls werden aber die deutschen
Unterthanen von den französischen Lothringern jenseits der Grenze unwillkürlich
als Deutsche behandelt. In den Tagen nach Fürst Bismarcks Tode waren
die französischen Jungen an die Grenze gelaufen, wo sie an deutsche Ortschaften
streift, und hatten ihren Altersgenossen drüben triumphirend zugerufen: Lisrnarolc
sse/irwrt! -'u,^ ü^v ^^^-'//" -^'^ ^1..^^.

Von Se. Marie führt ein guter Fahrweg südwärts nach Gravelotte, un¬
gefähr in der Richtung der Linie, die der deutsche Aufmarsch zur Schlacht
innehielt, durchschnittlich immer eine gute halbe Stunde (fast drei Kilometer)
von der französischen Front entfernt. Eine kurze Strecke südlich vom Dorfe geht
er auf französisches Gebiet über, das hier in einem spitzen Winkel in das
deutsche hineinspringt und dabei zwei kleine Dörfer, Se. An und Habonville,
umschließt. Auf deutscher Seite bezeichnet beidemal ein starker Eisenpfeiler
mit einem großen Reichsadler und der Umschrift: "Deutsches Reich" die
Grenze, auf französischer eine schwache eiserne Stange mit der Aufschrift:
Vwntiörö, als ob das amtliche Frankreich es nicht recht eingestehen wollte,
daß hier ig. dslls Kranes zu Ende sei. Landschaftlich ist es immer dasselbe
Bild: eine weite offne, baumlose, nach Osten glacisartig leicht ansteigende
Fruchtebne; die beherrschende Lage von Se. Privat und Amanweiler tritt auch
von dieser Seite hervor. Weiter südwärts erscheint links oben auf der Land¬
welle ein Wäldchen, ein Stück des vielumkKmpften Bois de la Cusse, und
davor das Denkmal der 25. (hessischen) Division, ein ruhender Löwe. Südlich
von Verneville tritt das Bois des Genivaux bis an die Straße, den Blick ost¬
wärts begrenzend; hier lagen rechts und links in einem Zeltlager Abteilungen
des 12. sächsischen Festungsartillerieregimeiits, später Infanterie, die mit an
dem Belagerungsmanöver beteiligt waren; erst jenseits von Malmcnson, wo
der Weg in die nördliche Straße nach Doneourt und Verdun mündet, öffnet
sich die Aussicht auf das etwas tiefer liegende Gravelotte.

Gravelotte! Wie doch ein einziger Tag diesen vorher unbekannten und
gleichgiltigen Namen weltberühmt gemacht hat! Und jetzt sieht das stattliche
Dorf auf der Hochfläche da, wo der Weg von Se. Marie her mit der süd¬
lichen Straße Metz-Verdun zusammentrifft, gewissermaßen wieder so harmlos
aus, als ob sich hier nicht in jenen Augusttagen unabsehbare Heeresmassen
westwärts und ostwärts bewegt hätten, und als ob auf diesen Feldern das Blut
nicht in Strömen geflossen wäre. Doch es ist gut so, daß es so ist, der Mensch
würde die beständige Last solcher Erinnerungen nicht ertragen können, und ein
neues Geschlecht ist heraufgekommen, das sie nur noch von Hörensagen kennt.
Die große Straße zieht durch die ungewöhnlich breite Dorfgasse, und diese kreuzt


Von Weißenburg bis Metz

ich sie zuvor angeredet hätte. Auch die Geschäftsleuten M -.diesen .Dörfern
sprechen es wohl meist, eben aus Geschäftsinteresse/ und bringen zweisprachige
Firmen an, denn die Besucher der Schlachtfelder sind doch eben fast aus¬
schließlich Deutsche. Wie es mit der politischen Gesinnung bestellt ist, läßt
sich daraus natürlich nicht erkennen. Jedenfalls werden aber die deutschen
Unterthanen von den französischen Lothringern jenseits der Grenze unwillkürlich
als Deutsche behandelt. In den Tagen nach Fürst Bismarcks Tode waren
die französischen Jungen an die Grenze gelaufen, wo sie an deutsche Ortschaften
streift, und hatten ihren Altersgenossen drüben triumphirend zugerufen: Lisrnarolc
sse/irwrt! -'u,^ ü^v ^^^-'//" -^'^ ^1..^^.

Von Se. Marie führt ein guter Fahrweg südwärts nach Gravelotte, un¬
gefähr in der Richtung der Linie, die der deutsche Aufmarsch zur Schlacht
innehielt, durchschnittlich immer eine gute halbe Stunde (fast drei Kilometer)
von der französischen Front entfernt. Eine kurze Strecke südlich vom Dorfe geht
er auf französisches Gebiet über, das hier in einem spitzen Winkel in das
deutsche hineinspringt und dabei zwei kleine Dörfer, Se. An und Habonville,
umschließt. Auf deutscher Seite bezeichnet beidemal ein starker Eisenpfeiler
mit einem großen Reichsadler und der Umschrift: „Deutsches Reich" die
Grenze, auf französischer eine schwache eiserne Stange mit der Aufschrift:
Vwntiörö, als ob das amtliche Frankreich es nicht recht eingestehen wollte,
daß hier ig. dslls Kranes zu Ende sei. Landschaftlich ist es immer dasselbe
Bild: eine weite offne, baumlose, nach Osten glacisartig leicht ansteigende
Fruchtebne; die beherrschende Lage von Se. Privat und Amanweiler tritt auch
von dieser Seite hervor. Weiter südwärts erscheint links oben auf der Land¬
welle ein Wäldchen, ein Stück des vielumkKmpften Bois de la Cusse, und
davor das Denkmal der 25. (hessischen) Division, ein ruhender Löwe. Südlich
von Verneville tritt das Bois des Genivaux bis an die Straße, den Blick ost¬
wärts begrenzend; hier lagen rechts und links in einem Zeltlager Abteilungen
des 12. sächsischen Festungsartillerieregimeiits, später Infanterie, die mit an
dem Belagerungsmanöver beteiligt waren; erst jenseits von Malmcnson, wo
der Weg in die nördliche Straße nach Doneourt und Verdun mündet, öffnet
sich die Aussicht auf das etwas tiefer liegende Gravelotte.

Gravelotte! Wie doch ein einziger Tag diesen vorher unbekannten und
gleichgiltigen Namen weltberühmt gemacht hat! Und jetzt sieht das stattliche
Dorf auf der Hochfläche da, wo der Weg von Se. Marie her mit der süd¬
lichen Straße Metz-Verdun zusammentrifft, gewissermaßen wieder so harmlos
aus, als ob sich hier nicht in jenen Augusttagen unabsehbare Heeresmassen
westwärts und ostwärts bewegt hätten, und als ob auf diesen Feldern das Blut
nicht in Strömen geflossen wäre. Doch es ist gut so, daß es so ist, der Mensch
würde die beständige Last solcher Erinnerungen nicht ertragen können, und ein
neues Geschlecht ist heraufgekommen, das sie nur noch von Hörensagen kennt.
Die große Straße zieht durch die ungewöhnlich breite Dorfgasse, und diese kreuzt


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[0353] Von Weißenburg bis Metz ich sie zuvor angeredet hätte. Auch die Geschäftsleuten M -.diesen .Dörfern sprechen es wohl meist, eben aus Geschäftsinteresse/ und bringen zweisprachige Firmen an, denn die Besucher der Schlachtfelder sind doch eben fast aus¬ schließlich Deutsche. Wie es mit der politischen Gesinnung bestellt ist, läßt sich daraus natürlich nicht erkennen. Jedenfalls werden aber die deutschen Unterthanen von den französischen Lothringern jenseits der Grenze unwillkürlich als Deutsche behandelt. In den Tagen nach Fürst Bismarcks Tode waren die französischen Jungen an die Grenze gelaufen, wo sie an deutsche Ortschaften streift, und hatten ihren Altersgenossen drüben triumphirend zugerufen: Lisrnarolc sse/irwrt! -'u,^ ü^v ^^^-'//" -^'^ ^1..^^. Von Se. Marie führt ein guter Fahrweg südwärts nach Gravelotte, un¬ gefähr in der Richtung der Linie, die der deutsche Aufmarsch zur Schlacht innehielt, durchschnittlich immer eine gute halbe Stunde (fast drei Kilometer) von der französischen Front entfernt. Eine kurze Strecke südlich vom Dorfe geht er auf französisches Gebiet über, das hier in einem spitzen Winkel in das deutsche hineinspringt und dabei zwei kleine Dörfer, Se. An und Habonville, umschließt. Auf deutscher Seite bezeichnet beidemal ein starker Eisenpfeiler mit einem großen Reichsadler und der Umschrift: „Deutsches Reich" die Grenze, auf französischer eine schwache eiserne Stange mit der Aufschrift: Vwntiörö, als ob das amtliche Frankreich es nicht recht eingestehen wollte, daß hier ig. dslls Kranes zu Ende sei. Landschaftlich ist es immer dasselbe Bild: eine weite offne, baumlose, nach Osten glacisartig leicht ansteigende Fruchtebne; die beherrschende Lage von Se. Privat und Amanweiler tritt auch von dieser Seite hervor. Weiter südwärts erscheint links oben auf der Land¬ welle ein Wäldchen, ein Stück des vielumkKmpften Bois de la Cusse, und davor das Denkmal der 25. (hessischen) Division, ein ruhender Löwe. Südlich von Verneville tritt das Bois des Genivaux bis an die Straße, den Blick ost¬ wärts begrenzend; hier lagen rechts und links in einem Zeltlager Abteilungen des 12. sächsischen Festungsartillerieregimeiits, später Infanterie, die mit an dem Belagerungsmanöver beteiligt waren; erst jenseits von Malmcnson, wo der Weg in die nördliche Straße nach Doneourt und Verdun mündet, öffnet sich die Aussicht auf das etwas tiefer liegende Gravelotte. Gravelotte! Wie doch ein einziger Tag diesen vorher unbekannten und gleichgiltigen Namen weltberühmt gemacht hat! Und jetzt sieht das stattliche Dorf auf der Hochfläche da, wo der Weg von Se. Marie her mit der süd¬ lichen Straße Metz-Verdun zusammentrifft, gewissermaßen wieder so harmlos aus, als ob sich hier nicht in jenen Augusttagen unabsehbare Heeresmassen westwärts und ostwärts bewegt hätten, und als ob auf diesen Feldern das Blut nicht in Strömen geflossen wäre. Doch es ist gut so, daß es so ist, der Mensch würde die beständige Last solcher Erinnerungen nicht ertragen können, und ein neues Geschlecht ist heraufgekommen, das sie nur noch von Hörensagen kennt. Die große Straße zieht durch die ungewöhnlich breite Dorfgasse, und diese kreuzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/353>, abgerufen am 24.07.2024.