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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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von Weißenburg bis Med;

seiner weiten Halle auf, die deutschen und fast nur deutschsprechenden Schaffner
rufen "Metz" so gleichmütig-geschäftsmäßig aus, als ob sie "Erfurt" sagten,
und draußen empfangen den Fremden die Hoteldiener mit deutscher Anrede.

Das ist also das mehr als drei Jahrhunderte lang, von 1552 bis 1870,
französische Metz, einst die stärkste Festung Frankreichs, die auch vor 1552 zwar
eine deutsche Reichsstadt, aber niemals eine national-deutsche Stadt gewesen ist!
Auch heute ist sie im Innern noch sast unverändert. Denn noch umschnürt sie
der starke Panzer ihrer Wälle, und nur auf der Ostseite, an dem malerischen, noch
ganz mittelalterlichen Deutschen Thore, scheinen sie ihre militärische Bedeutung
verloren zu haben, denn dort darf sie jeder betreten, und auf dem Glacis erheben
sich neue Kasernen, wie auf der andern Seite der Mosel eine stattliche evan¬
gelische Garnisonkirche die neue Herrschaft verrät. So trägt denn Metz noch
ganz den Charakter der alten Festungsstadt: enge, oft unregelmäßige Gassen
und Plätze zwischen hohen Häusern; die Teile längs des Moselkanals und der
senke erinnern an die Straßburger Stäben längs der Ill oder an ein Ham¬
burger Fleck, und über die Mosel- und Seillearme führen zahlreiche, meist
schmale Brücken. Man begreift, wie langsam sich hier der Abzug der fran¬
zösischen Armee nach dem Westen vollziehen mußte, und wie fast unvermeidlich
die verhängnisvolle Verzögerung war, die den Deutschen die Umgehung der
Festung im Süden ermöglichte. In diesem Gewirr enger Gassen, umschlossen
von Wasserläufen, Höhen und Wällen steckten die Franzosen von Anfang an
in einer Art von Falle. Trotzdem hat die Stadt, abgesehen von dem herr¬
lichen Dom und einigen andern Kirchen, wenig eigentlich Altertümliches; auch
der sogenannte austrasische Königspalast in der engen Geisbergstraße, der um
1600 auf dem Grund eines römischen Palastes erbaut wurde, ist jetzt ganz
modernisirt. Um so größer ist die innere Umwandlung. Auch im Dome wird
der Gottesdienst abwechselnd in deutscher und in französischer Sprache gehalten
und in beiden Sprachen angekündigt, wovon seit Jahrhunderten keine Rede war.
Eine deutsche Kriegsschule und mehrere höhere deutsche Lehranstalten vertreten
nachdrücklich das deutsche Wesen auch im Unterricht. An den Straßenecken
stehen über den etwas verblaßten alten Schildern mit den französischen Straßen¬
namen neue mit den deutschen, jede Firma ist mindestens doppelsprachig oder
ausschließlich deutsch, in jedem Geschäft, jeder Wirtschaft, die man mit deutschem
Gruße betritt, wird man in deutscher Sprache bereitwillig bedient, jeder
Droschkenkutscher spricht deutsch, und in den Gassen wimmelt es von deutschen
Soldaten aller Waffengattungen. Hat doch Metz jetzt eine Besatzung von
20000 Mann, und sind doch von seinen 60000 Einwohnern schon mehr als
die Hälfte Deutsche. Denn die französische Bevölkerung ist zum guten Teil
ausgewandert, und andre werden folgen. "Sie können jedes Chateau hier
herum billig kaufen, sagte mir ein Droschkenkutscher, die Leute ziehen weg."
Kurz und gut, Metz ist eine deutsche Kolonie inmitten einer französisch redenden
Bevölkerung, es ist keine national-französische Stadt mehr.


von Weißenburg bis Med;

seiner weiten Halle auf, die deutschen und fast nur deutschsprechenden Schaffner
rufen „Metz" so gleichmütig-geschäftsmäßig aus, als ob sie „Erfurt" sagten,
und draußen empfangen den Fremden die Hoteldiener mit deutscher Anrede.

Das ist also das mehr als drei Jahrhunderte lang, von 1552 bis 1870,
französische Metz, einst die stärkste Festung Frankreichs, die auch vor 1552 zwar
eine deutsche Reichsstadt, aber niemals eine national-deutsche Stadt gewesen ist!
Auch heute ist sie im Innern noch sast unverändert. Denn noch umschnürt sie
der starke Panzer ihrer Wälle, und nur auf der Ostseite, an dem malerischen, noch
ganz mittelalterlichen Deutschen Thore, scheinen sie ihre militärische Bedeutung
verloren zu haben, denn dort darf sie jeder betreten, und auf dem Glacis erheben
sich neue Kasernen, wie auf der andern Seite der Mosel eine stattliche evan¬
gelische Garnisonkirche die neue Herrschaft verrät. So trägt denn Metz noch
ganz den Charakter der alten Festungsstadt: enge, oft unregelmäßige Gassen
und Plätze zwischen hohen Häusern; die Teile längs des Moselkanals und der
senke erinnern an die Straßburger Stäben längs der Ill oder an ein Ham¬
burger Fleck, und über die Mosel- und Seillearme führen zahlreiche, meist
schmale Brücken. Man begreift, wie langsam sich hier der Abzug der fran¬
zösischen Armee nach dem Westen vollziehen mußte, und wie fast unvermeidlich
die verhängnisvolle Verzögerung war, die den Deutschen die Umgehung der
Festung im Süden ermöglichte. In diesem Gewirr enger Gassen, umschlossen
von Wasserläufen, Höhen und Wällen steckten die Franzosen von Anfang an
in einer Art von Falle. Trotzdem hat die Stadt, abgesehen von dem herr¬
lichen Dom und einigen andern Kirchen, wenig eigentlich Altertümliches; auch
der sogenannte austrasische Königspalast in der engen Geisbergstraße, der um
1600 auf dem Grund eines römischen Palastes erbaut wurde, ist jetzt ganz
modernisirt. Um so größer ist die innere Umwandlung. Auch im Dome wird
der Gottesdienst abwechselnd in deutscher und in französischer Sprache gehalten
und in beiden Sprachen angekündigt, wovon seit Jahrhunderten keine Rede war.
Eine deutsche Kriegsschule und mehrere höhere deutsche Lehranstalten vertreten
nachdrücklich das deutsche Wesen auch im Unterricht. An den Straßenecken
stehen über den etwas verblaßten alten Schildern mit den französischen Straßen¬
namen neue mit den deutschen, jede Firma ist mindestens doppelsprachig oder
ausschließlich deutsch, in jedem Geschäft, jeder Wirtschaft, die man mit deutschem
Gruße betritt, wird man in deutscher Sprache bereitwillig bedient, jeder
Droschkenkutscher spricht deutsch, und in den Gassen wimmelt es von deutschen
Soldaten aller Waffengattungen. Hat doch Metz jetzt eine Besatzung von
20000 Mann, und sind doch von seinen 60000 Einwohnern schon mehr als
die Hälfte Deutsche. Denn die französische Bevölkerung ist zum guten Teil
ausgewandert, und andre werden folgen. „Sie können jedes Chateau hier
herum billig kaufen, sagte mir ein Droschkenkutscher, die Leute ziehen weg."
Kurz und gut, Metz ist eine deutsche Kolonie inmitten einer französisch redenden
Bevölkerung, es ist keine national-französische Stadt mehr.


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[0349] von Weißenburg bis Med; seiner weiten Halle auf, die deutschen und fast nur deutschsprechenden Schaffner rufen „Metz" so gleichmütig-geschäftsmäßig aus, als ob sie „Erfurt" sagten, und draußen empfangen den Fremden die Hoteldiener mit deutscher Anrede. Das ist also das mehr als drei Jahrhunderte lang, von 1552 bis 1870, französische Metz, einst die stärkste Festung Frankreichs, die auch vor 1552 zwar eine deutsche Reichsstadt, aber niemals eine national-deutsche Stadt gewesen ist! Auch heute ist sie im Innern noch sast unverändert. Denn noch umschnürt sie der starke Panzer ihrer Wälle, und nur auf der Ostseite, an dem malerischen, noch ganz mittelalterlichen Deutschen Thore, scheinen sie ihre militärische Bedeutung verloren zu haben, denn dort darf sie jeder betreten, und auf dem Glacis erheben sich neue Kasernen, wie auf der andern Seite der Mosel eine stattliche evan¬ gelische Garnisonkirche die neue Herrschaft verrät. So trägt denn Metz noch ganz den Charakter der alten Festungsstadt: enge, oft unregelmäßige Gassen und Plätze zwischen hohen Häusern; die Teile längs des Moselkanals und der senke erinnern an die Straßburger Stäben längs der Ill oder an ein Ham¬ burger Fleck, und über die Mosel- und Seillearme führen zahlreiche, meist schmale Brücken. Man begreift, wie langsam sich hier der Abzug der fran¬ zösischen Armee nach dem Westen vollziehen mußte, und wie fast unvermeidlich die verhängnisvolle Verzögerung war, die den Deutschen die Umgehung der Festung im Süden ermöglichte. In diesem Gewirr enger Gassen, umschlossen von Wasserläufen, Höhen und Wällen steckten die Franzosen von Anfang an in einer Art von Falle. Trotzdem hat die Stadt, abgesehen von dem herr¬ lichen Dom und einigen andern Kirchen, wenig eigentlich Altertümliches; auch der sogenannte austrasische Königspalast in der engen Geisbergstraße, der um 1600 auf dem Grund eines römischen Palastes erbaut wurde, ist jetzt ganz modernisirt. Um so größer ist die innere Umwandlung. Auch im Dome wird der Gottesdienst abwechselnd in deutscher und in französischer Sprache gehalten und in beiden Sprachen angekündigt, wovon seit Jahrhunderten keine Rede war. Eine deutsche Kriegsschule und mehrere höhere deutsche Lehranstalten vertreten nachdrücklich das deutsche Wesen auch im Unterricht. An den Straßenecken stehen über den etwas verblaßten alten Schildern mit den französischen Straßen¬ namen neue mit den deutschen, jede Firma ist mindestens doppelsprachig oder ausschließlich deutsch, in jedem Geschäft, jeder Wirtschaft, die man mit deutschem Gruße betritt, wird man in deutscher Sprache bereitwillig bedient, jeder Droschkenkutscher spricht deutsch, und in den Gassen wimmelt es von deutschen Soldaten aller Waffengattungen. Hat doch Metz jetzt eine Besatzung von 20000 Mann, und sind doch von seinen 60000 Einwohnern schon mehr als die Hälfte Deutsche. Denn die französische Bevölkerung ist zum guten Teil ausgewandert, und andre werden folgen. „Sie können jedes Chateau hier herum billig kaufen, sagte mir ein Droschkenkutscher, die Leute ziehen weg." Kurz und gut, Metz ist eine deutsche Kolonie inmitten einer französisch redenden Bevölkerung, es ist keine national-französische Stadt mehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/349>, abgerufen am 12.12.2024.