Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Litteratur ihm gar nichts nützen: was sollte der Nagelschmiedegeselle mit den Nägeln an¬ Litteratur ihm gar nichts nützen: was sollte der Nagelschmiedegeselle mit den Nägeln an¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229286"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_920" prev="#ID_919" next="#ID_921"> ihm gar nichts nützen: was sollte der Nagelschmiedegeselle mit den Nägeln an¬<lb/> fangen, die er gemacht hat? Aber auch der volle Wert kann ihm nicht gehören.<lb/> In der arbeitsteiligen Gesellschaft kann niemand selbständig und für sich allein<lb/> weder Produziren noch Einkommen beziehen. Ein jeder kann nur mit den Mate¬<lb/> rialien und Werkzeugen produziren, die andre, meistens nicht allein in verschiednen<lb/> Ländern, sondern sogar in verschiednen Erdteilen wohnende Personen hergestellt<lb/> und auf die Produktiousstätte zusammengeführt haben, und das Einkommen eines<lb/> jeden setzt sich aus Gütern zusammen, die das Produkt unzähliger, über verschiedne<lb/> Länder und Erdteile zerstreuter Personen sind. Alle Einkommengüter zusammen<lb/> machen daher ein Ganzes aus, von dem erstens die Gesellschaftsbedürfuisse be¬<lb/> friedigt und zweitens den Renten- und Pensionsberechtigteu, sowie den geistigen<lb/> Arbeitern ihre Anteile zugewiesen werden; nur der Rest kann den unmittelbaren<lb/> Produzenten, den Handarbeitern, verbleiben. Gleichviel ob mit Sklaven, mit Lohn¬<lb/> arbeitern oder in einer kommunistisch eingerichteten Gesellschaft produzirt wird,<lb/> dieser Abzug vom Produkt der Handarbeiter ist unvermeidlich; wenn jeder sein<lb/> volles Arbeitsprodukt behalten soll, so müssen wir zum Leben der Wilden zurück-<lb/> kehren, und zwar so roher Wilden, wie solche kaum irgendwo sein werden, wo<lb/> jeder die Jagdbeute, die er erlegt, die Baumfrüchte, die er gepflückt, ganz für sich<lb/> allem behalten kann, weil ihm niemand zu ihrer Erlangung geholfen hat. Der<lb/> berüchtigte Mehrwert ist also eine gesellschaftliche Notwendigkeit und ganz unan¬<lb/> stößig. Von diesem Mehrwert bildet der Unternehmergewinn nur einen Teil.<lb/> Dieser Teil kann zu groß ausfallen im Verhältnis zum Anteil der Arbeiter, sodaß<lb/> die Teilung den Charakter der Ausbeutung annimmt, er kann aber auch angemessen<lb/> groß sein und der Gerechtigkeit entsprechen. Das ist eine Sache für sich, eine in¬<lb/> dividuelle Angelegenheit, von der das oben dargelegte große volkswirtschaftliche<lb/> Gesetz nicht berührt wird. Sowohl Marx als seine Gegner begehen den Fehler,<lb/> daß sie von dieser individuellen Angelegenheit, von dem Streit zwischen dem ein¬<lb/> zelnen Unternehmer und dem einzelnen Arbeiter ausgehen, anstatt die Produktion<lb/> und die Verteilung als das große Ganze zu betrachten, dessen einzelne Akte sich<lb/> gar nicht von einander absondern lassen, und zu bedenken, daß bei der Verteilung<lb/> auch alle die Personen, die zur Produktion gar nicht unmittelbar mitwirken: Be¬<lb/> amte, Gelehrte, Soldaten, Weiber, Kinder, Greise, sieche, Schmarotzer, bedacht<lb/> werden müssen, und die zusammen weit mehr Köpfe zählen, als die Arbeiter und<lb/> Unternehmer zusammengenommen. Nun ist es offenbar die größte Thorheit, um<lb/> des sozialdemokratischen Mißbrauchs willen, der mit dem Worte Mehrwert getrieben<lb/> wird, nicht allein den Mehrwert leugnen, sondern die ganze Arbeitswerttheorie<lb/> verwerfen zu wollen, obwohl deren Richtigkeit so klar ist wie die Sonne. Weil<lb/> die Waren heutzutage uur »och den zehnten bis hundersten Teil der Arbeit kosten,<lb/> die sie vor fünfhundert Jahren gekostet haben, darum sind sie zehn bis hundert mal<lb/> so wohlfeil wie vor fünfhundert Jahren. Es ist lächerlich, gegen diese weltbe¬<lb/> herrschende Thatsache mit solchen ausnahmsweisen Kleinigkeiten zu Felde ziehen zu<lb/> wollen, wie mit den Qualitätsweinen, die ohne Menschenarbeit bloß durch Lagern<lb/> Wert gewinnen. Der Ergänzung bedarf die Arbeitswerttheorie allerdings nach<lb/> zwei Seiten hin. Erstens ist zu bemerken, daß sich der natürliche Wert, der<lb/> Arbeitswert, nur bei Gelverbeprodukten des Massenverbrauchs, namentlich bei Ge¬<lb/> weben und ordinären Metallwaren beinahe radikal durchsetzt, daß dagegen Willkür,<lb/> Moden und Zufälle aller Art desto stärker auf den Preis einwirken, je geringer<lb/> die Qualität einer Ware, und je mehr diese ein Erzeugnis schwer abzuschätzender<lb/> individueller Kunstfertigkeit ist. Zweitens, daß neben der Arbeit das Monopol,<lb/> namentlich das Grundeigentumsmonopol als eine prcisbildende Kraft wirksam ist,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
Litteratur
ihm gar nichts nützen: was sollte der Nagelschmiedegeselle mit den Nägeln an¬
fangen, die er gemacht hat? Aber auch der volle Wert kann ihm nicht gehören.
In der arbeitsteiligen Gesellschaft kann niemand selbständig und für sich allein
weder Produziren noch Einkommen beziehen. Ein jeder kann nur mit den Mate¬
rialien und Werkzeugen produziren, die andre, meistens nicht allein in verschiednen
Ländern, sondern sogar in verschiednen Erdteilen wohnende Personen hergestellt
und auf die Produktiousstätte zusammengeführt haben, und das Einkommen eines
jeden setzt sich aus Gütern zusammen, die das Produkt unzähliger, über verschiedne
Länder und Erdteile zerstreuter Personen sind. Alle Einkommengüter zusammen
machen daher ein Ganzes aus, von dem erstens die Gesellschaftsbedürfuisse be¬
friedigt und zweitens den Renten- und Pensionsberechtigteu, sowie den geistigen
Arbeitern ihre Anteile zugewiesen werden; nur der Rest kann den unmittelbaren
Produzenten, den Handarbeitern, verbleiben. Gleichviel ob mit Sklaven, mit Lohn¬
arbeitern oder in einer kommunistisch eingerichteten Gesellschaft produzirt wird,
dieser Abzug vom Produkt der Handarbeiter ist unvermeidlich; wenn jeder sein
volles Arbeitsprodukt behalten soll, so müssen wir zum Leben der Wilden zurück-
kehren, und zwar so roher Wilden, wie solche kaum irgendwo sein werden, wo
jeder die Jagdbeute, die er erlegt, die Baumfrüchte, die er gepflückt, ganz für sich
allem behalten kann, weil ihm niemand zu ihrer Erlangung geholfen hat. Der
berüchtigte Mehrwert ist also eine gesellschaftliche Notwendigkeit und ganz unan¬
stößig. Von diesem Mehrwert bildet der Unternehmergewinn nur einen Teil.
Dieser Teil kann zu groß ausfallen im Verhältnis zum Anteil der Arbeiter, sodaß
die Teilung den Charakter der Ausbeutung annimmt, er kann aber auch angemessen
groß sein und der Gerechtigkeit entsprechen. Das ist eine Sache für sich, eine in¬
dividuelle Angelegenheit, von der das oben dargelegte große volkswirtschaftliche
Gesetz nicht berührt wird. Sowohl Marx als seine Gegner begehen den Fehler,
daß sie von dieser individuellen Angelegenheit, von dem Streit zwischen dem ein¬
zelnen Unternehmer und dem einzelnen Arbeiter ausgehen, anstatt die Produktion
und die Verteilung als das große Ganze zu betrachten, dessen einzelne Akte sich
gar nicht von einander absondern lassen, und zu bedenken, daß bei der Verteilung
auch alle die Personen, die zur Produktion gar nicht unmittelbar mitwirken: Be¬
amte, Gelehrte, Soldaten, Weiber, Kinder, Greise, sieche, Schmarotzer, bedacht
werden müssen, und die zusammen weit mehr Köpfe zählen, als die Arbeiter und
Unternehmer zusammengenommen. Nun ist es offenbar die größte Thorheit, um
des sozialdemokratischen Mißbrauchs willen, der mit dem Worte Mehrwert getrieben
wird, nicht allein den Mehrwert leugnen, sondern die ganze Arbeitswerttheorie
verwerfen zu wollen, obwohl deren Richtigkeit so klar ist wie die Sonne. Weil
die Waren heutzutage uur »och den zehnten bis hundersten Teil der Arbeit kosten,
die sie vor fünfhundert Jahren gekostet haben, darum sind sie zehn bis hundert mal
so wohlfeil wie vor fünfhundert Jahren. Es ist lächerlich, gegen diese weltbe¬
herrschende Thatsache mit solchen ausnahmsweisen Kleinigkeiten zu Felde ziehen zu
wollen, wie mit den Qualitätsweinen, die ohne Menschenarbeit bloß durch Lagern
Wert gewinnen. Der Ergänzung bedarf die Arbeitswerttheorie allerdings nach
zwei Seiten hin. Erstens ist zu bemerken, daß sich der natürliche Wert, der
Arbeitswert, nur bei Gelverbeprodukten des Massenverbrauchs, namentlich bei Ge¬
weben und ordinären Metallwaren beinahe radikal durchsetzt, daß dagegen Willkür,
Moden und Zufälle aller Art desto stärker auf den Preis einwirken, je geringer
die Qualität einer Ware, und je mehr diese ein Erzeugnis schwer abzuschätzender
individueller Kunstfertigkeit ist. Zweitens, daß neben der Arbeit das Monopol,
namentlich das Grundeigentumsmonopol als eine prcisbildende Kraft wirksam ist,
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