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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^SOZ

daß damals die Obstkammer in ein Arrestlokal verwandelt worden war. Es
seien, sagte er, damals mehrere Erschießungen erfolgt; von einem Attentat auf
Napoleon und von einem Friedrich Staps wußte er nichts. Die Gärtnersfrau
hingegen gab zu Protokoll, daß 1809 ein junger Mensch, sechzehn bis achtzehn
Jahre alt, groß und schlank, blaß und blond, arretirt und hinter Fünfhaus
erschossen worden war. Die Gendarmen hatten ihr von dem Mordversuche
erzählt; sie erinnerte sich auch, daß der Mörder ein Pastorssohn gewesen sein
sollte; seinen Namen hatte sie nicht gehört.

Auf die Nachricht, daß die Polizeidirektion Nachforschungen in der Staps-
schen Angelegenheit anstellte, meldete sich nun zum freiwilligen Zeugnis ein
Wiener Bürger, Pankratius Ringloff, der 1809 im Arensteinschen Hause
Hausknecht gewesen war. Eines Abends im Oktober gegen zehn Uhr, so gab
er zu Protokoll, führten Gendarmen in ein ebenerdiges Zimmer neben dem
Salon des Arensteinschen Hauses einen Arrestanten. Ich mußte unmittelbar
daraus ein großes Zimmer zum Standgericht Herrichten. Ich kam dann noch
einmal in dieses Zimmer, als alle Herren beisammen waren. Es waren lauter
Offiziere der Gendarmen, die ich persönlich kannte. General Lauer führte
den Vorsitz. Ein österreichischer Beisitzer war nicht hinzugezogen. Bis'über
die Mitternacht dauerte die Sitzung. Am andern Morgen, als ich einzuheizen
hatte, mußte ich durch das Zimmer gehen, in dem der Gefangne saß. Er war
ungefähr zwanzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt. Er hatte ein wohlgeformtes,
rundes Gesicht und wurde hochrot, als ich ihn anschaute. Er trug einen
grünen Gehrock, weißes Halstuch und Gilet, dunkle Hosen und enge Stiefel
mit Quasten. Als ich mit dem Einheizen fertig war, kamen schon die Sol¬
daten von seiner Hinrichtung zurück und erzählten, er sei erschossen, weil er
den Kaiser Napoleon habe erstechen wollen und schon bis zu dessen Thüre zu
kommen gewußt habe; er sei aus dem Braunschweigischen und von reichen
Eltern.

Das sind die protokollarischen Aussagen über das Ende des jungen
Friedrich Staps, die die Wiener Polizeidirektion dem Naumburger Oberlandes¬
gericht übersenden konnte. Sie genügten, um den Verschollner für tot zu er¬
klären. Da die Akten des französischen Kriegsgerichts wahrscheinlich nicht
mehr vorhanden sind, so müssen sie uns heute für das Verlorne einigermaßen
Ersatz bieten.

Für Napoleon war die That des jungen Friedrich Staps ein psycho¬
logisches Problem; auch uns erscheint es rätselhaft, wie sich ein Menschenkind,
das still im Winkel sein Glück zu bauen bestimmt schien, urplötzlich aus ebnen
Geleisen herauswirft und den Riesenschritt der Weltgeschichte mit schwachen
Händen hemmen will. Aus der Biographie, die der Vater schrieb, lernen wir
nur den Knaben kennen. Im engbcgrenzten Kreise eines kleinstädtischen Pfarr¬
hauses wächst Friedrich auf. Mit mäßigen geistigen Gaben ausgestattet, aber
von rührendem Fleiß und pedantischer Beharrlichkeit geführt, erwirbt er sich


Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^SOZ

daß damals die Obstkammer in ein Arrestlokal verwandelt worden war. Es
seien, sagte er, damals mehrere Erschießungen erfolgt; von einem Attentat auf
Napoleon und von einem Friedrich Staps wußte er nichts. Die Gärtnersfrau
hingegen gab zu Protokoll, daß 1809 ein junger Mensch, sechzehn bis achtzehn
Jahre alt, groß und schlank, blaß und blond, arretirt und hinter Fünfhaus
erschossen worden war. Die Gendarmen hatten ihr von dem Mordversuche
erzählt; sie erinnerte sich auch, daß der Mörder ein Pastorssohn gewesen sein
sollte; seinen Namen hatte sie nicht gehört.

Auf die Nachricht, daß die Polizeidirektion Nachforschungen in der Staps-
schen Angelegenheit anstellte, meldete sich nun zum freiwilligen Zeugnis ein
Wiener Bürger, Pankratius Ringloff, der 1809 im Arensteinschen Hause
Hausknecht gewesen war. Eines Abends im Oktober gegen zehn Uhr, so gab
er zu Protokoll, führten Gendarmen in ein ebenerdiges Zimmer neben dem
Salon des Arensteinschen Hauses einen Arrestanten. Ich mußte unmittelbar
daraus ein großes Zimmer zum Standgericht Herrichten. Ich kam dann noch
einmal in dieses Zimmer, als alle Herren beisammen waren. Es waren lauter
Offiziere der Gendarmen, die ich persönlich kannte. General Lauer führte
den Vorsitz. Ein österreichischer Beisitzer war nicht hinzugezogen. Bis'über
die Mitternacht dauerte die Sitzung. Am andern Morgen, als ich einzuheizen
hatte, mußte ich durch das Zimmer gehen, in dem der Gefangne saß. Er war
ungefähr zwanzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt. Er hatte ein wohlgeformtes,
rundes Gesicht und wurde hochrot, als ich ihn anschaute. Er trug einen
grünen Gehrock, weißes Halstuch und Gilet, dunkle Hosen und enge Stiefel
mit Quasten. Als ich mit dem Einheizen fertig war, kamen schon die Sol¬
daten von seiner Hinrichtung zurück und erzählten, er sei erschossen, weil er
den Kaiser Napoleon habe erstechen wollen und schon bis zu dessen Thüre zu
kommen gewußt habe; er sei aus dem Braunschweigischen und von reichen
Eltern.

Das sind die protokollarischen Aussagen über das Ende des jungen
Friedrich Staps, die die Wiener Polizeidirektion dem Naumburger Oberlandes¬
gericht übersenden konnte. Sie genügten, um den Verschollner für tot zu er¬
klären. Da die Akten des französischen Kriegsgerichts wahrscheinlich nicht
mehr vorhanden sind, so müssen sie uns heute für das Verlorne einigermaßen
Ersatz bieten.

Für Napoleon war die That des jungen Friedrich Staps ein psycho¬
logisches Problem; auch uns erscheint es rätselhaft, wie sich ein Menschenkind,
das still im Winkel sein Glück zu bauen bestimmt schien, urplötzlich aus ebnen
Geleisen herauswirft und den Riesenschritt der Weltgeschichte mit schwachen
Händen hemmen will. Aus der Biographie, die der Vater schrieb, lernen wir
nur den Knaben kennen. Im engbcgrenzten Kreise eines kleinstädtischen Pfarr¬
hauses wächst Friedrich auf. Mit mäßigen geistigen Gaben ausgestattet, aber
von rührendem Fleiß und pedantischer Beharrlichkeit geführt, erwirbt er sich


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[0310] Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^SOZ daß damals die Obstkammer in ein Arrestlokal verwandelt worden war. Es seien, sagte er, damals mehrere Erschießungen erfolgt; von einem Attentat auf Napoleon und von einem Friedrich Staps wußte er nichts. Die Gärtnersfrau hingegen gab zu Protokoll, daß 1809 ein junger Mensch, sechzehn bis achtzehn Jahre alt, groß und schlank, blaß und blond, arretirt und hinter Fünfhaus erschossen worden war. Die Gendarmen hatten ihr von dem Mordversuche erzählt; sie erinnerte sich auch, daß der Mörder ein Pastorssohn gewesen sein sollte; seinen Namen hatte sie nicht gehört. Auf die Nachricht, daß die Polizeidirektion Nachforschungen in der Staps- schen Angelegenheit anstellte, meldete sich nun zum freiwilligen Zeugnis ein Wiener Bürger, Pankratius Ringloff, der 1809 im Arensteinschen Hause Hausknecht gewesen war. Eines Abends im Oktober gegen zehn Uhr, so gab er zu Protokoll, führten Gendarmen in ein ebenerdiges Zimmer neben dem Salon des Arensteinschen Hauses einen Arrestanten. Ich mußte unmittelbar daraus ein großes Zimmer zum Standgericht Herrichten. Ich kam dann noch einmal in dieses Zimmer, als alle Herren beisammen waren. Es waren lauter Offiziere der Gendarmen, die ich persönlich kannte. General Lauer führte den Vorsitz. Ein österreichischer Beisitzer war nicht hinzugezogen. Bis'über die Mitternacht dauerte die Sitzung. Am andern Morgen, als ich einzuheizen hatte, mußte ich durch das Zimmer gehen, in dem der Gefangne saß. Er war ungefähr zwanzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt. Er hatte ein wohlgeformtes, rundes Gesicht und wurde hochrot, als ich ihn anschaute. Er trug einen grünen Gehrock, weißes Halstuch und Gilet, dunkle Hosen und enge Stiefel mit Quasten. Als ich mit dem Einheizen fertig war, kamen schon die Sol¬ daten von seiner Hinrichtung zurück und erzählten, er sei erschossen, weil er den Kaiser Napoleon habe erstechen wollen und schon bis zu dessen Thüre zu kommen gewußt habe; er sei aus dem Braunschweigischen und von reichen Eltern. Das sind die protokollarischen Aussagen über das Ende des jungen Friedrich Staps, die die Wiener Polizeidirektion dem Naumburger Oberlandes¬ gericht übersenden konnte. Sie genügten, um den Verschollner für tot zu er¬ klären. Da die Akten des französischen Kriegsgerichts wahrscheinlich nicht mehr vorhanden sind, so müssen sie uns heute für das Verlorne einigermaßen Ersatz bieten. Für Napoleon war die That des jungen Friedrich Staps ein psycho¬ logisches Problem; auch uns erscheint es rätselhaft, wie sich ein Menschenkind, das still im Winkel sein Glück zu bauen bestimmt schien, urplötzlich aus ebnen Geleisen herauswirft und den Riesenschritt der Weltgeschichte mit schwachen Händen hemmen will. Aus der Biographie, die der Vater schrieb, lernen wir nur den Knaben kennen. Im engbcgrenzten Kreise eines kleinstädtischen Pfarr¬ hauses wächst Friedrich auf. Mit mäßigen geistigen Gaben ausgestattet, aber von rührendem Fleiß und pedantischer Beharrlichkeit geführt, erwirbt er sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/310>, abgerufen am 12.12.2024.