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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theoretiker vier großen Irrtümern unterlegen. Es ist richtig, daß die No¬
maden, wenn sie seßhaft werden, gewöhnlich schon Sklaverei und Standes¬
unterschiede haben, und daß hierdurch Unterschiede in der Größe des Grund¬
eigentums begründet werden. Aber es ist ein Irrtum, zu glauben, daß es
auch anders sein, daß ein Staat ohne politische Einrichtungen entstehen könnte,
d. h. ein Staat, der kein Staat wäre; die politischen Einrichtungen laufen
aber alle auf Über- und Unterordnung, auf Herrschen und Dienen hinaus.
Ebenso gut wie einen solchen Staat könnte man sich auch eine Gesellschaft
denken ohne Beziehung der Mitglieder zu einander. Eine Beziehung läßt
Oppenheimer ja bestehen, den Tausch, aber es ist eben der Grundirrtum der
Sandschen Schule, daß eine reine Tauschgesellschaft, eine Gesellschaft, deren
Mitglieder durch nichts mit einander verbunden wären, als durch Warentausch
im eignen persönlichen Interesse, jemals auf Erden bestanden habe oder be¬
stehen könnte. Sofort beim Anfange der Kultur traten auch andre Beziehungen
hervor, und schon die allerursprünglichste, die Pietät zwischen Eltern und
Kindern, wirft die Konstruktion der reinen Tauschgesellschaft über den Haufen,
denn der Sohn macht es gewöhnlich nicht wie der junge Vogel, fliegt nicht
sofort, nachdem er flügge geworden ist, aus, um sich in beliebiger Ferne ein
Nest zu bauen, in diesem Falle Neuland zu roder, sondern er hilft den Eltern
noch eine Zeit lang und siedelt sich dann, auch wenn in der Ferne größerer
Vorteil winkt, lieber in der Nähe an, um ihnen in ihren alten Tagen eine
Stütze zu sein. Wenn dann die Gesellschaft nach Hunderttausenden, nach
Millionen zählt, so treten unvermeidlich allerlei Herrschaftsverhältnisse hervor,
die Vermögensunterschiede begründen. Und darin hat Oppenheimer Recht, daß
er die Aufhäufung von Reichtum durch Macht wieder stärker hervorgehoben
wissen will, nachdem man eine Zeit lang immer nur davon geredet hat, wie
Reichtum Macht verleihe.

Der zweite Irrtum besteht darin, daß er die "abstrakte Menschennatur"
des Smithianismus für etwas hält, was allgemein verwirklicht werden könnte.
Die Menschen sind eben keine Wassertropfen; sie bewegen sich keineswegs, einem
Naturgesetz folgend, unabänderlich nach dem Orte des geringsten wirtschaftlichen
Druckes hin, sondern sie sind eigensinnige Dinger, die oft trotz erhöhten Druckes
an einem Orte kleben bleiben, wo es ihnen gefällt, und die oft ganz unver-
nünftigerweise, allerlei Anziehungskräften nachgebend, gerade an den Ort des
ärgsten Druckes wandern. Wenn sich ein Bursche und ein Müdel in einander
verliebt haben, so geben sie die angenehmsten und einträglichsten Stellen auf,
um einander nachlaufen zu können, und stürzen sich nicht selten sehenden Auges
ins tiefste Elend. Dazu kommen dann die Pietätsrücksichten, die wir schon als
Begründer von Abhängigkeitsverhältnissen erwähnt haben, die Anhänglichkeit
an die Heimat, die Vaterlandsliebe, Gemiffensbedenken, die aus der Religion
entspringen (man will nicht an einen Ort wandern, wo man keinen Gottes-


Grenzboten IV 1898 Z7
verbesserter Smithianisnms

Theoretiker vier großen Irrtümern unterlegen. Es ist richtig, daß die No¬
maden, wenn sie seßhaft werden, gewöhnlich schon Sklaverei und Standes¬
unterschiede haben, und daß hierdurch Unterschiede in der Größe des Grund¬
eigentums begründet werden. Aber es ist ein Irrtum, zu glauben, daß es
auch anders sein, daß ein Staat ohne politische Einrichtungen entstehen könnte,
d. h. ein Staat, der kein Staat wäre; die politischen Einrichtungen laufen
aber alle auf Über- und Unterordnung, auf Herrschen und Dienen hinaus.
Ebenso gut wie einen solchen Staat könnte man sich auch eine Gesellschaft
denken ohne Beziehung der Mitglieder zu einander. Eine Beziehung läßt
Oppenheimer ja bestehen, den Tausch, aber es ist eben der Grundirrtum der
Sandschen Schule, daß eine reine Tauschgesellschaft, eine Gesellschaft, deren
Mitglieder durch nichts mit einander verbunden wären, als durch Warentausch
im eignen persönlichen Interesse, jemals auf Erden bestanden habe oder be¬
stehen könnte. Sofort beim Anfange der Kultur traten auch andre Beziehungen
hervor, und schon die allerursprünglichste, die Pietät zwischen Eltern und
Kindern, wirft die Konstruktion der reinen Tauschgesellschaft über den Haufen,
denn der Sohn macht es gewöhnlich nicht wie der junge Vogel, fliegt nicht
sofort, nachdem er flügge geworden ist, aus, um sich in beliebiger Ferne ein
Nest zu bauen, in diesem Falle Neuland zu roder, sondern er hilft den Eltern
noch eine Zeit lang und siedelt sich dann, auch wenn in der Ferne größerer
Vorteil winkt, lieber in der Nähe an, um ihnen in ihren alten Tagen eine
Stütze zu sein. Wenn dann die Gesellschaft nach Hunderttausenden, nach
Millionen zählt, so treten unvermeidlich allerlei Herrschaftsverhältnisse hervor,
die Vermögensunterschiede begründen. Und darin hat Oppenheimer Recht, daß
er die Aufhäufung von Reichtum durch Macht wieder stärker hervorgehoben
wissen will, nachdem man eine Zeit lang immer nur davon geredet hat, wie
Reichtum Macht verleihe.

Der zweite Irrtum besteht darin, daß er die „abstrakte Menschennatur"
des Smithianismus für etwas hält, was allgemein verwirklicht werden könnte.
Die Menschen sind eben keine Wassertropfen; sie bewegen sich keineswegs, einem
Naturgesetz folgend, unabänderlich nach dem Orte des geringsten wirtschaftlichen
Druckes hin, sondern sie sind eigensinnige Dinger, die oft trotz erhöhten Druckes
an einem Orte kleben bleiben, wo es ihnen gefällt, und die oft ganz unver-
nünftigerweise, allerlei Anziehungskräften nachgebend, gerade an den Ort des
ärgsten Druckes wandern. Wenn sich ein Bursche und ein Müdel in einander
verliebt haben, so geben sie die angenehmsten und einträglichsten Stellen auf,
um einander nachlaufen zu können, und stürzen sich nicht selten sehenden Auges
ins tiefste Elend. Dazu kommen dann die Pietätsrücksichten, die wir schon als
Begründer von Abhängigkeitsverhältnissen erwähnt haben, die Anhänglichkeit
an die Heimat, die Vaterlandsliebe, Gemiffensbedenken, die aus der Religion
entspringen (man will nicht an einen Ort wandern, wo man keinen Gottes-


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[0300] verbesserter Smithianisnms Theoretiker vier großen Irrtümern unterlegen. Es ist richtig, daß die No¬ maden, wenn sie seßhaft werden, gewöhnlich schon Sklaverei und Standes¬ unterschiede haben, und daß hierdurch Unterschiede in der Größe des Grund¬ eigentums begründet werden. Aber es ist ein Irrtum, zu glauben, daß es auch anders sein, daß ein Staat ohne politische Einrichtungen entstehen könnte, d. h. ein Staat, der kein Staat wäre; die politischen Einrichtungen laufen aber alle auf Über- und Unterordnung, auf Herrschen und Dienen hinaus. Ebenso gut wie einen solchen Staat könnte man sich auch eine Gesellschaft denken ohne Beziehung der Mitglieder zu einander. Eine Beziehung läßt Oppenheimer ja bestehen, den Tausch, aber es ist eben der Grundirrtum der Sandschen Schule, daß eine reine Tauschgesellschaft, eine Gesellschaft, deren Mitglieder durch nichts mit einander verbunden wären, als durch Warentausch im eignen persönlichen Interesse, jemals auf Erden bestanden habe oder be¬ stehen könnte. Sofort beim Anfange der Kultur traten auch andre Beziehungen hervor, und schon die allerursprünglichste, die Pietät zwischen Eltern und Kindern, wirft die Konstruktion der reinen Tauschgesellschaft über den Haufen, denn der Sohn macht es gewöhnlich nicht wie der junge Vogel, fliegt nicht sofort, nachdem er flügge geworden ist, aus, um sich in beliebiger Ferne ein Nest zu bauen, in diesem Falle Neuland zu roder, sondern er hilft den Eltern noch eine Zeit lang und siedelt sich dann, auch wenn in der Ferne größerer Vorteil winkt, lieber in der Nähe an, um ihnen in ihren alten Tagen eine Stütze zu sein. Wenn dann die Gesellschaft nach Hunderttausenden, nach Millionen zählt, so treten unvermeidlich allerlei Herrschaftsverhältnisse hervor, die Vermögensunterschiede begründen. Und darin hat Oppenheimer Recht, daß er die Aufhäufung von Reichtum durch Macht wieder stärker hervorgehoben wissen will, nachdem man eine Zeit lang immer nur davon geredet hat, wie Reichtum Macht verleihe. Der zweite Irrtum besteht darin, daß er die „abstrakte Menschennatur" des Smithianismus für etwas hält, was allgemein verwirklicht werden könnte. Die Menschen sind eben keine Wassertropfen; sie bewegen sich keineswegs, einem Naturgesetz folgend, unabänderlich nach dem Orte des geringsten wirtschaftlichen Druckes hin, sondern sie sind eigensinnige Dinger, die oft trotz erhöhten Druckes an einem Orte kleben bleiben, wo es ihnen gefällt, und die oft ganz unver- nünftigerweise, allerlei Anziehungskräften nachgebend, gerade an den Ort des ärgsten Druckes wandern. Wenn sich ein Bursche und ein Müdel in einander verliebt haben, so geben sie die angenehmsten und einträglichsten Stellen auf, um einander nachlaufen zu können, und stürzen sich nicht selten sehenden Auges ins tiefste Elend. Dazu kommen dann die Pietätsrücksichten, die wir schon als Begründer von Abhängigkeitsverhältnissen erwähnt haben, die Anhänglichkeit an die Heimat, die Vaterlandsliebe, Gemiffensbedenken, die aus der Religion entspringen (man will nicht an einen Ort wandern, wo man keinen Gottes- Grenzboten IV 1898 Z7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/300>, abgerufen am 24.07.2024.