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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Sozialpolitik der nächste,, Zeit

der Ausbeutung der Naturschätze gegen früher vermehrt oder in einer den
berechtigten Anforderungen der Neuzeit nicht entsprechenden Größe erhalten
haben. Das Übermaß der sozialistischen Forderungen in dieser Beziehung darf
uns nicht davon abhalten, das wirklich Notwendige und Erreichbare anzustreben.
Die furchtbaren und häufigen Unglücksfülle in den Bergwerken haben mit Recht
die preußische Negierung veranlaßt, durchgreifende" Maßnahmen dagegen "näher
zu treten." Die ablehnende Aufnahme, die dieses Nähertreten in den beteiligten
Unternehmerkreiscn gefunden hat, ist, wie der Wind heute steht, eine ernste
Gefahr für die kräftige Ausführung. Wir schwärmen nicht für den Gedanken,
die Gefahren im Bergbau durch die Schaffung eines von den Arbeitern zu
wühlenden und gleichsam in ihrem Auftrag thätigen niedern Aufsichtspersonals
zu verringern, im Gegenteil, dieser Ausweg würde uns als ein klägliches
Zeichen der Schwäche der Staatsgewalt und ihrer Furcht davor erscheinen,
selbst ihre Pflicht zu thun. Aber unter keinen Umständen wird man auch nur
den Schein aufkommen lassen dürfen, daß sich der Staat vor der mit bekannter
Anmaßung immer aufs neue wiederholten Behauptung der Unternehmer, sie allein
hätten darüber zu befinden, was an Arbeitsschutz zu gewähren sei, bescheiden
zurückzieht. Es geht nicht mehr an, die rücksichtslose Steigerung der Kohlen-
und Erzgewinnung als eine schlechthin gemeinnützige Leitung hinzustellen und
als unantastbaren Grundsatz auch für die Sozialpolitik anzuerkennen, soll Staat
und Nation nicht durch das Resultat ack g-osurclum geführt werden. Soll man
etwa gar gegenüber dem gewaltig in die Höhe getriebnen Export von Stein¬
kohlen und Eisenerzen die Steigerung der Gefahren im Bergbau und den
Verfall des früher hochangesehenen Bcrgmannsstandes für nichts achten?^

Die Erhebungen, die das Neichsamt des Innern im Jahre 1897 über
die gesundheitswidrige Dauer und Art gewisser industrieller Arbeite" hat an¬
stellen lassen. haben ein sehr umfangreiches Bündel von Wünschen und Vor¬
schlügen ergeben, die zweifellos einer eingehenden und vorsichtigen Prüfung
bedürfen, ehe sie in brauchbare Gesetzesparagraphen umgestaltet werden können.
Die weitere Verfolgung dieser Angelegenheit wird am besten beweisen, ob man
es in dem genannten Amte auch fernerhin ernst nimmt mit dem Arbeiterschutz.
Es ist entschieden zu verlangen, daß man für die besonders gesundheitsschäd¬
lichen Arbeiten der modernen Industrie eine zeitliche Begrenzung erzwingt.
Die Unbequemlichkeiten, die daraus in der ersten Zeit für den Betrieb er¬
wachsen, können dagegen durchaus nicht ins Gewicht fallen. Die Schwierigkeit
Uegt in der Aufsicht. Vielleicht wird man nicht umhin können, für solche
Betriebe gesetzlich die Konzessionspflichtigkeit einzuführen und in der Konzessions-
cntziehung ein wirksames Strafmittel zu gewinnen. Das sind nach unsern
eignen Idealen freilich wenig erfreuliche Perspektiven. Aber die Zeit ist nicht
darnach, vor scharfem Zwange zurückzuschrecken, wo es gilt, dem gesetzlichen
Arbeiterschutz Nachdruck zu geben. Wir haben kein Recht zum Kampf, und


Grenzboten IV 1893
Die Sozialpolitik der nächste,, Zeit

der Ausbeutung der Naturschätze gegen früher vermehrt oder in einer den
berechtigten Anforderungen der Neuzeit nicht entsprechenden Größe erhalten
haben. Das Übermaß der sozialistischen Forderungen in dieser Beziehung darf
uns nicht davon abhalten, das wirklich Notwendige und Erreichbare anzustreben.
Die furchtbaren und häufigen Unglücksfülle in den Bergwerken haben mit Recht
die preußische Negierung veranlaßt, durchgreifende» Maßnahmen dagegen „näher
zu treten." Die ablehnende Aufnahme, die dieses Nähertreten in den beteiligten
Unternehmerkreiscn gefunden hat, ist, wie der Wind heute steht, eine ernste
Gefahr für die kräftige Ausführung. Wir schwärmen nicht für den Gedanken,
die Gefahren im Bergbau durch die Schaffung eines von den Arbeitern zu
wühlenden und gleichsam in ihrem Auftrag thätigen niedern Aufsichtspersonals
zu verringern, im Gegenteil, dieser Ausweg würde uns als ein klägliches
Zeichen der Schwäche der Staatsgewalt und ihrer Furcht davor erscheinen,
selbst ihre Pflicht zu thun. Aber unter keinen Umständen wird man auch nur
den Schein aufkommen lassen dürfen, daß sich der Staat vor der mit bekannter
Anmaßung immer aufs neue wiederholten Behauptung der Unternehmer, sie allein
hätten darüber zu befinden, was an Arbeitsschutz zu gewähren sei, bescheiden
zurückzieht. Es geht nicht mehr an, die rücksichtslose Steigerung der Kohlen-
und Erzgewinnung als eine schlechthin gemeinnützige Leitung hinzustellen und
als unantastbaren Grundsatz auch für die Sozialpolitik anzuerkennen, soll Staat
und Nation nicht durch das Resultat ack g-osurclum geführt werden. Soll man
etwa gar gegenüber dem gewaltig in die Höhe getriebnen Export von Stein¬
kohlen und Eisenerzen die Steigerung der Gefahren im Bergbau und den
Verfall des früher hochangesehenen Bcrgmannsstandes für nichts achten?^

Die Erhebungen, die das Neichsamt des Innern im Jahre 1897 über
die gesundheitswidrige Dauer und Art gewisser industrieller Arbeite» hat an¬
stellen lassen. haben ein sehr umfangreiches Bündel von Wünschen und Vor¬
schlügen ergeben, die zweifellos einer eingehenden und vorsichtigen Prüfung
bedürfen, ehe sie in brauchbare Gesetzesparagraphen umgestaltet werden können.
Die weitere Verfolgung dieser Angelegenheit wird am besten beweisen, ob man
es in dem genannten Amte auch fernerhin ernst nimmt mit dem Arbeiterschutz.
Es ist entschieden zu verlangen, daß man für die besonders gesundheitsschäd¬
lichen Arbeiten der modernen Industrie eine zeitliche Begrenzung erzwingt.
Die Unbequemlichkeiten, die daraus in der ersten Zeit für den Betrieb er¬
wachsen, können dagegen durchaus nicht ins Gewicht fallen. Die Schwierigkeit
Uegt in der Aufsicht. Vielleicht wird man nicht umhin können, für solche
Betriebe gesetzlich die Konzessionspflichtigkeit einzuführen und in der Konzessions-
cntziehung ein wirksames Strafmittel zu gewinnen. Das sind nach unsern
eignen Idealen freilich wenig erfreuliche Perspektiven. Aber die Zeit ist nicht
darnach, vor scharfem Zwange zurückzuschrecken, wo es gilt, dem gesetzlichen
Arbeiterschutz Nachdruck zu geben. Wir haben kein Recht zum Kampf, und


Grenzboten IV 1893
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/29>, abgerufen am 12.12.2024.