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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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hatten. Deren Gewissensnot war für die Hierarchie Kampfmittel. Und die
Kampfmittel niederer Ordnung, z, B. das Stichwort von der diokletianischen
Kirchenverfolgung? Ist es auf den hierarchischen Anhang in Presse und
Parlament beschränkt geblieben? Wer hat offenbare Rebellion zuerst passiven
Widerstand genannt? Es wird schwer festzustellen sein, aber durch offizielle
Annahme hat die Unwahrheit gleichsam die Weihe der Taufe erhalten. Niemals
hat man gehört, daß die Hierarchie Mäßigung empfohlen hätte; Kampfmittel
wurden als Kampfmittel benutzt, rücksichtslos. Eben das von der diokletia¬
nischen Kirchenverfolgung war besonders im Schwange, obgleich die Unwahr-
haftigkeit des Vergleichs in die Augen sprang. Wurden doch nach wie vor
in Preußen die katholischen Soldaten zum Kirchenbesuch und zur Übung ihrer
sonstigen kirchlichen Pflichten befohlen. Die Kinder der Volksschulen wurden
nach wie vor zum Besuch der täglichen Morgenmesse angehalten, in keiner
Realschule und in keinem Gymnasium mit katholischen Schülern schaffte der
Staat den von ihm bezahlten katholischen Religionslehrer ab. Man muß
lachen, wenn man sich die entsprechenden Zustände im diokletianischen Rom
vorstellt, aber nur über die Geschmacklosigkeit des Vergleichs; in jeder andern
Beziehung ist die Sache sehr ernst. Und auch da fehlte nicht der offiziell¬
kirchliche Stempel, wurden jedenfalls die Verbreiter der hetzerischen Unwahrheit
von oben nicht verleugnet, bekamen sie eher eine gute kirchliche Note. Ähnlich
stand es mit den festlichen Einholungen von Geistlichen, die ihre Strafzeit ab¬
gebüßt hatten. Wer hat sie veranstaltet oder befördert? Ist darauf Rücksicht
genommen worden, daß Massenveranstaltungen unter solchen Umständen immer
die Gefahr des direkten Aufruhrs in sich bergen? Alles Kampfmittel, Mittel
zur Stärkung des "katholischen" Bewußtseins, Rührtrommel auch für die
nächsten Wahlen: also willkommen, oder wenigstens des loin-all xowst wert.
Wahrlich, noch niemals hat sich diese Ermächtigung weniger wühlerisch gezeigt,
noch nie ist mit heiligen Worten und irregeleiteten Gehorsam mehr Mißbrauch
getrieben worden.

Die so verfuhren, sind damals Staats- und Neichsfeinde genannt worden.
Mit Recht, denn sie waren es damals wirklich, und sie waren es, die
diokletianische Härte gezeigt haben, gegen die Katholiken nämlich, die den der
Obrigkeit zu leistenden Gehorsam beobachteten. Es ist gut, daß die Kampf¬
losung von der Reichsfeindlichkeit mit dem Kampf immer mehr verstummt
ist, aber wenn die, die sich darüber beklagen, daß die Kampflosung jemals
aufgekommen ist, zugleich mit ihrer damaligen Aufsässigkeit als einem Ver¬
dienste prahlen, so haben sie es sich nur selber zuzuschreiben, daß das
Schuldkonto wieder einmal nach beiden Seiten hin aufgemacht wird. Günstig
schließt es für keinen Teil ab, aber der Staat hat dem ewigen Gehalt der
katholischen Kirche, ihrem christlich-religiösen Wert, mehr Rücksicht erwiesen
als die Kirche selbst. Zum Rcnommiren hat kein Teil Anlaß, und zu einem


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hatten. Deren Gewissensnot war für die Hierarchie Kampfmittel. Und die
Kampfmittel niederer Ordnung, z, B. das Stichwort von der diokletianischen
Kirchenverfolgung? Ist es auf den hierarchischen Anhang in Presse und
Parlament beschränkt geblieben? Wer hat offenbare Rebellion zuerst passiven
Widerstand genannt? Es wird schwer festzustellen sein, aber durch offizielle
Annahme hat die Unwahrheit gleichsam die Weihe der Taufe erhalten. Niemals
hat man gehört, daß die Hierarchie Mäßigung empfohlen hätte; Kampfmittel
wurden als Kampfmittel benutzt, rücksichtslos. Eben das von der diokletia¬
nischen Kirchenverfolgung war besonders im Schwange, obgleich die Unwahr-
haftigkeit des Vergleichs in die Augen sprang. Wurden doch nach wie vor
in Preußen die katholischen Soldaten zum Kirchenbesuch und zur Übung ihrer
sonstigen kirchlichen Pflichten befohlen. Die Kinder der Volksschulen wurden
nach wie vor zum Besuch der täglichen Morgenmesse angehalten, in keiner
Realschule und in keinem Gymnasium mit katholischen Schülern schaffte der
Staat den von ihm bezahlten katholischen Religionslehrer ab. Man muß
lachen, wenn man sich die entsprechenden Zustände im diokletianischen Rom
vorstellt, aber nur über die Geschmacklosigkeit des Vergleichs; in jeder andern
Beziehung ist die Sache sehr ernst. Und auch da fehlte nicht der offiziell¬
kirchliche Stempel, wurden jedenfalls die Verbreiter der hetzerischen Unwahrheit
von oben nicht verleugnet, bekamen sie eher eine gute kirchliche Note. Ähnlich
stand es mit den festlichen Einholungen von Geistlichen, die ihre Strafzeit ab¬
gebüßt hatten. Wer hat sie veranstaltet oder befördert? Ist darauf Rücksicht
genommen worden, daß Massenveranstaltungen unter solchen Umständen immer
die Gefahr des direkten Aufruhrs in sich bergen? Alles Kampfmittel, Mittel
zur Stärkung des „katholischen" Bewußtseins, Rührtrommel auch für die
nächsten Wahlen: also willkommen, oder wenigstens des loin-all xowst wert.
Wahrlich, noch niemals hat sich diese Ermächtigung weniger wühlerisch gezeigt,
noch nie ist mit heiligen Worten und irregeleiteten Gehorsam mehr Mißbrauch
getrieben worden.

Die so verfuhren, sind damals Staats- und Neichsfeinde genannt worden.
Mit Recht, denn sie waren es damals wirklich, und sie waren es, die
diokletianische Härte gezeigt haben, gegen die Katholiken nämlich, die den der
Obrigkeit zu leistenden Gehorsam beobachteten. Es ist gut, daß die Kampf¬
losung von der Reichsfeindlichkeit mit dem Kampf immer mehr verstummt
ist, aber wenn die, die sich darüber beklagen, daß die Kampflosung jemals
aufgekommen ist, zugleich mit ihrer damaligen Aufsässigkeit als einem Ver¬
dienste prahlen, so haben sie es sich nur selber zuzuschreiben, daß das
Schuldkonto wieder einmal nach beiden Seiten hin aufgemacht wird. Günstig
schließt es für keinen Teil ab, aber der Staat hat dem ewigen Gehalt der
katholischen Kirche, ihrem christlich-religiösen Wert, mehr Rücksicht erwiesen
als die Kirche selbst. Zum Rcnommiren hat kein Teil Anlaß, und zu einem


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[0255] Airchenpolitik und Zentrum hatten. Deren Gewissensnot war für die Hierarchie Kampfmittel. Und die Kampfmittel niederer Ordnung, z, B. das Stichwort von der diokletianischen Kirchenverfolgung? Ist es auf den hierarchischen Anhang in Presse und Parlament beschränkt geblieben? Wer hat offenbare Rebellion zuerst passiven Widerstand genannt? Es wird schwer festzustellen sein, aber durch offizielle Annahme hat die Unwahrheit gleichsam die Weihe der Taufe erhalten. Niemals hat man gehört, daß die Hierarchie Mäßigung empfohlen hätte; Kampfmittel wurden als Kampfmittel benutzt, rücksichtslos. Eben das von der diokletia¬ nischen Kirchenverfolgung war besonders im Schwange, obgleich die Unwahr- haftigkeit des Vergleichs in die Augen sprang. Wurden doch nach wie vor in Preußen die katholischen Soldaten zum Kirchenbesuch und zur Übung ihrer sonstigen kirchlichen Pflichten befohlen. Die Kinder der Volksschulen wurden nach wie vor zum Besuch der täglichen Morgenmesse angehalten, in keiner Realschule und in keinem Gymnasium mit katholischen Schülern schaffte der Staat den von ihm bezahlten katholischen Religionslehrer ab. Man muß lachen, wenn man sich die entsprechenden Zustände im diokletianischen Rom vorstellt, aber nur über die Geschmacklosigkeit des Vergleichs; in jeder andern Beziehung ist die Sache sehr ernst. Und auch da fehlte nicht der offiziell¬ kirchliche Stempel, wurden jedenfalls die Verbreiter der hetzerischen Unwahrheit von oben nicht verleugnet, bekamen sie eher eine gute kirchliche Note. Ähnlich stand es mit den festlichen Einholungen von Geistlichen, die ihre Strafzeit ab¬ gebüßt hatten. Wer hat sie veranstaltet oder befördert? Ist darauf Rücksicht genommen worden, daß Massenveranstaltungen unter solchen Umständen immer die Gefahr des direkten Aufruhrs in sich bergen? Alles Kampfmittel, Mittel zur Stärkung des „katholischen" Bewußtseins, Rührtrommel auch für die nächsten Wahlen: also willkommen, oder wenigstens des loin-all xowst wert. Wahrlich, noch niemals hat sich diese Ermächtigung weniger wühlerisch gezeigt, noch nie ist mit heiligen Worten und irregeleiteten Gehorsam mehr Mißbrauch getrieben worden. Die so verfuhren, sind damals Staats- und Neichsfeinde genannt worden. Mit Recht, denn sie waren es damals wirklich, und sie waren es, die diokletianische Härte gezeigt haben, gegen die Katholiken nämlich, die den der Obrigkeit zu leistenden Gehorsam beobachteten. Es ist gut, daß die Kampf¬ losung von der Reichsfeindlichkeit mit dem Kampf immer mehr verstummt ist, aber wenn die, die sich darüber beklagen, daß die Kampflosung jemals aufgekommen ist, zugleich mit ihrer damaligen Aufsässigkeit als einem Ver¬ dienste prahlen, so haben sie es sich nur selber zuzuschreiben, daß das Schuldkonto wieder einmal nach beiden Seiten hin aufgemacht wird. Günstig schließt es für keinen Teil ab, aber der Staat hat dem ewigen Gehalt der katholischen Kirche, ihrem christlich-religiösen Wert, mehr Rücksicht erwiesen als die Kirche selbst. Zum Rcnommiren hat kein Teil Anlaß, und zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/255>, abgerufen am 24.07.2024.