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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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dieser Absicht, die nicht negiren, sondern fördern will, ist hier Kritik geübt
worden. Es wäre leicht, sie auf die andern kirchenpolitischen Gesetze auszu¬
dehnen; auch diese Kritik wäre fruchtbar, geht aber über den Nahmen dieses
Aufsatzes hinaus. In diesen gehört nur noch die Bemerkung, daß auch diese
andern Gesetze durch das Streben nach juristischer Vollkommenheit und Voll¬
ständigkeit an Wirksamkeit verloren haben, und daß sich damit bei dem Gesetz
über die Vorbildung der Geistlichen der schulmeisterliche Zug verbunden hat,
der uns Deutschen im Blute steckt. Das Ergebnis ist darnach gewesen: dieses
Gesetz war das unzweckmäßigste von allen, aber das Wohlwollen, das im
Grunde alle Maßregeln des Staates beseelte, ist gerade bei dieser Maßregel
besonders lebhaft gewesen, und auf keine andre sind größere und allgemeinere
Hoffnungen gesetzt worden. Also, auf Seiten des Staats Wohlwollen, auch
im erbittertsten Streit; niemals verleugnetes, obgleich nicht immer erleuchtetes
Wohlwollen. Wie stand es damit bei der Kirche und ihren Anhängern im
Kulturkampf?

Der Anzeigepflicht unterwirft sich die Kirche nicht bloß in überwiegend
katholischen, sondern auch in überwiegend protestantischen Staaten, in Württem¬
berg z.B.; der Umfang der Kirchenhoheit, den Preußen, auch auf der Höhe
des Kulturkampfes, in Anspruch nahm, überstieg überhaupt nicht das Maß,
das die Kirche in andern Staaten anerkennt und üben läßt, widerspruchslos
und willig. Es reicht sogar nicht entfernt heran, wenn man Frankreich und
Bayern zum Vergleich heranzieht. Woher denn der erbitterte, aufs äußerste
gesteigerte Widerstand der Kirche in Preußen, gegen jedes Zugeständnis?
Daher, hieß es kirchlicherseits, daß der Staat das Verhältnis einseitig regelt,
ohne sich mit der Kirche verständigt zu haben. Aber in Frankreich und in
Bayern war das auch so geschehen, denn ihre Kirchenhoheit ist durch ein¬
seitig erlassenes Staatsgesetz über das konkordatsmäßig zugestandne Maß aus¬
gedehnt worden, in Bayern sogar im schärfsten Widerspruch mit dem Konkordat.
Also, das war nicht der Grund, sondern beleidigte Herrschsucht, und dann
Abneigung gegen diesen Staat, von dem man bisher nur Wohlthaten und
seit 1840 -- Schwäche erfahren hatte. Darum ließ man es auf eine Kraft¬
probe ankommen. Man kann das politisch verstehen und vom kirchlichen
Standpunkt aus auch rechtfertigen. Aber die Mittel!

Die katholische Kirche gesteht dem evangelischen Bekenntnis diesen Namen
nicht zu, weil auch sie evangelisch sein will; wir sind höflicher und geben ihr den
Namen, den sie beansprucht, so hinfällig auch der Anspruch ist. Nun wohl, war es
evangelisch, daß die Hierarchie eine auf dem Gebiet des Weltlichen auszufechtende
Machtfrage zu ihrem Vorteil hinter dem Bibelwort versteckte, daß man Gott
mehr als den Menschen gehorchen müsse? Es war Frevel gegen das Evan¬
gelium. Die Kirchenobern ließen die Anzeigepflicht unbeobachtet und bewirkten
dadurch die "Verwüstung," daß Hunderte von Gemeinden keine Seelsorger


Airchenpolitik und Zentrum

dieser Absicht, die nicht negiren, sondern fördern will, ist hier Kritik geübt
worden. Es wäre leicht, sie auf die andern kirchenpolitischen Gesetze auszu¬
dehnen; auch diese Kritik wäre fruchtbar, geht aber über den Nahmen dieses
Aufsatzes hinaus. In diesen gehört nur noch die Bemerkung, daß auch diese
andern Gesetze durch das Streben nach juristischer Vollkommenheit und Voll¬
ständigkeit an Wirksamkeit verloren haben, und daß sich damit bei dem Gesetz
über die Vorbildung der Geistlichen der schulmeisterliche Zug verbunden hat,
der uns Deutschen im Blute steckt. Das Ergebnis ist darnach gewesen: dieses
Gesetz war das unzweckmäßigste von allen, aber das Wohlwollen, das im
Grunde alle Maßregeln des Staates beseelte, ist gerade bei dieser Maßregel
besonders lebhaft gewesen, und auf keine andre sind größere und allgemeinere
Hoffnungen gesetzt worden. Also, auf Seiten des Staats Wohlwollen, auch
im erbittertsten Streit; niemals verleugnetes, obgleich nicht immer erleuchtetes
Wohlwollen. Wie stand es damit bei der Kirche und ihren Anhängern im
Kulturkampf?

Der Anzeigepflicht unterwirft sich die Kirche nicht bloß in überwiegend
katholischen, sondern auch in überwiegend protestantischen Staaten, in Württem¬
berg z.B.; der Umfang der Kirchenhoheit, den Preußen, auch auf der Höhe
des Kulturkampfes, in Anspruch nahm, überstieg überhaupt nicht das Maß,
das die Kirche in andern Staaten anerkennt und üben läßt, widerspruchslos
und willig. Es reicht sogar nicht entfernt heran, wenn man Frankreich und
Bayern zum Vergleich heranzieht. Woher denn der erbitterte, aufs äußerste
gesteigerte Widerstand der Kirche in Preußen, gegen jedes Zugeständnis?
Daher, hieß es kirchlicherseits, daß der Staat das Verhältnis einseitig regelt,
ohne sich mit der Kirche verständigt zu haben. Aber in Frankreich und in
Bayern war das auch so geschehen, denn ihre Kirchenhoheit ist durch ein¬
seitig erlassenes Staatsgesetz über das konkordatsmäßig zugestandne Maß aus¬
gedehnt worden, in Bayern sogar im schärfsten Widerspruch mit dem Konkordat.
Also, das war nicht der Grund, sondern beleidigte Herrschsucht, und dann
Abneigung gegen diesen Staat, von dem man bisher nur Wohlthaten und
seit 1840 — Schwäche erfahren hatte. Darum ließ man es auf eine Kraft¬
probe ankommen. Man kann das politisch verstehen und vom kirchlichen
Standpunkt aus auch rechtfertigen. Aber die Mittel!

Die katholische Kirche gesteht dem evangelischen Bekenntnis diesen Namen
nicht zu, weil auch sie evangelisch sein will; wir sind höflicher und geben ihr den
Namen, den sie beansprucht, so hinfällig auch der Anspruch ist. Nun wohl, war es
evangelisch, daß die Hierarchie eine auf dem Gebiet des Weltlichen auszufechtende
Machtfrage zu ihrem Vorteil hinter dem Bibelwort versteckte, daß man Gott
mehr als den Menschen gehorchen müsse? Es war Frevel gegen das Evan¬
gelium. Die Kirchenobern ließen die Anzeigepflicht unbeobachtet und bewirkten
dadurch die „Verwüstung," daß Hunderte von Gemeinden keine Seelsorger


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[0254] Airchenpolitik und Zentrum dieser Absicht, die nicht negiren, sondern fördern will, ist hier Kritik geübt worden. Es wäre leicht, sie auf die andern kirchenpolitischen Gesetze auszu¬ dehnen; auch diese Kritik wäre fruchtbar, geht aber über den Nahmen dieses Aufsatzes hinaus. In diesen gehört nur noch die Bemerkung, daß auch diese andern Gesetze durch das Streben nach juristischer Vollkommenheit und Voll¬ ständigkeit an Wirksamkeit verloren haben, und daß sich damit bei dem Gesetz über die Vorbildung der Geistlichen der schulmeisterliche Zug verbunden hat, der uns Deutschen im Blute steckt. Das Ergebnis ist darnach gewesen: dieses Gesetz war das unzweckmäßigste von allen, aber das Wohlwollen, das im Grunde alle Maßregeln des Staates beseelte, ist gerade bei dieser Maßregel besonders lebhaft gewesen, und auf keine andre sind größere und allgemeinere Hoffnungen gesetzt worden. Also, auf Seiten des Staats Wohlwollen, auch im erbittertsten Streit; niemals verleugnetes, obgleich nicht immer erleuchtetes Wohlwollen. Wie stand es damit bei der Kirche und ihren Anhängern im Kulturkampf? Der Anzeigepflicht unterwirft sich die Kirche nicht bloß in überwiegend katholischen, sondern auch in überwiegend protestantischen Staaten, in Württem¬ berg z.B.; der Umfang der Kirchenhoheit, den Preußen, auch auf der Höhe des Kulturkampfes, in Anspruch nahm, überstieg überhaupt nicht das Maß, das die Kirche in andern Staaten anerkennt und üben läßt, widerspruchslos und willig. Es reicht sogar nicht entfernt heran, wenn man Frankreich und Bayern zum Vergleich heranzieht. Woher denn der erbitterte, aufs äußerste gesteigerte Widerstand der Kirche in Preußen, gegen jedes Zugeständnis? Daher, hieß es kirchlicherseits, daß der Staat das Verhältnis einseitig regelt, ohne sich mit der Kirche verständigt zu haben. Aber in Frankreich und in Bayern war das auch so geschehen, denn ihre Kirchenhoheit ist durch ein¬ seitig erlassenes Staatsgesetz über das konkordatsmäßig zugestandne Maß aus¬ gedehnt worden, in Bayern sogar im schärfsten Widerspruch mit dem Konkordat. Also, das war nicht der Grund, sondern beleidigte Herrschsucht, und dann Abneigung gegen diesen Staat, von dem man bisher nur Wohlthaten und seit 1840 — Schwäche erfahren hatte. Darum ließ man es auf eine Kraft¬ probe ankommen. Man kann das politisch verstehen und vom kirchlichen Standpunkt aus auch rechtfertigen. Aber die Mittel! Die katholische Kirche gesteht dem evangelischen Bekenntnis diesen Namen nicht zu, weil auch sie evangelisch sein will; wir sind höflicher und geben ihr den Namen, den sie beansprucht, so hinfällig auch der Anspruch ist. Nun wohl, war es evangelisch, daß die Hierarchie eine auf dem Gebiet des Weltlichen auszufechtende Machtfrage zu ihrem Vorteil hinter dem Bibelwort versteckte, daß man Gott mehr als den Menschen gehorchen müsse? Es war Frevel gegen das Evan¬ gelium. Die Kirchenobern ließen die Anzeigepflicht unbeobachtet und bewirkten dadurch die „Verwüstung," daß Hunderte von Gemeinden keine Seelsorger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/254>, abgerufen am 12.12.2024.