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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

Kurz zusammengefaßt lauten die Resultate seiner Untersuchung: Die Lehre
vom Reinertrag ist falsch, wichtiger ist das Gesamteinkommen und eine Ver¬
teilung, die einer zahlreichen Bevölkerung ein frohes, unabhängiges und
kräftiges Dasein gewährt. Alle Produktion ist nur Mittel, nicht Zweck; sie
ist das Mittel, einen bestimmten, unter den gegebnen Verhältnissen besten
Zustand der Gesellschaft zu gründen, dem sie dienstbar bleiben muß; keines¬
wegs darf im Interesse der Produktion der gesellschaftliche Zustand verlangt
werden, der ihr am förderlichsten ist. Der Arbeitslohn ist nicht, wie es die
Lehre will, eine konstante Größe, die durch die notwendigen Bedürfnisse des
Arbeiters bestimmt wird und lediglich den Produktionskosten beizuzählen ist;
er ist vielmehr ein Teil des nationalen Einkommens, von dem das Maß
von Zufriedenheit und Behagen eines großen Teils der Nation abhängt.

Insofern die höhere Kapitalrente aus einem geringern Gesamteinkommen
hervorgeht, als andre Eigentumsverhältnisse unter sonst gleichen Umständen
erlauben würden zu gewinnen, scheint die Gegenwart einer fort und fort
hinausgeschobnen Zukunft aufgeopfert, und zwar einer Zukunft, die auch nicht
die wünschenswertesten Aussichten zeigt, wenn sich die neuen Kapitalien in den
Händen einer geringen Zahl von Unternehmern häufen müssen.

Schließlich würden die arbeitenden Klassen überhaupt als überflüssig an¬
gesehen werden müssen, wenn das Kapital sich in einen Mechanismus ver¬
wandeln ließe, der zum Nutzen des Besitzers ein reines Einkommen erzeugte,
denn der arbeitende Mensch ist nach dieser Auffassung nichts als Werkzeug.

Das rohe Einkommen und nicht das reine muß also als der jährliche
Gewinn der Gesamtheit, der jährlich geschaffne Nationalrcichtum angesehen
werden. Nicht Produktion und Konsumtion sind der Zweck der ganzen
Schöpfung; der Mensch ist nicht geschaffen, um sich in diesem mühseligen
Geschäft rastlos abzuhaspeln. Erhaltung und Veredlung des menschlichen
Daseins um seiner selbst willen müssen als Zweck alles wirtschaftlichen Strebens
anerkannt werden. Eine Verteilung der gewonnenen Reichtümer, die der größt¬
möglichen Zahl von Menschen ein selbständiges Dasein gewährt und nicht
dahin wirkt, die unvermeidliche Ungleichheit des Besitzes ins Unabsehbare zu
steigern, ist vor allem von Wichtigkeit.

Gerade im Interesse der Gesellschaft im ganzen und des Staates will
Bernhardi diese Sätze zur Geltung bringen; er ist weit entfernt davon, auf sozia¬
listischen Boden zu stehen oder auch nur ein Vertreter einseitiger Arbeiter-
iuteressen zu sein. Auf das eindringlichste erhebt er seine Stimme auch gegen
die Verwechslung dieser Interessen mit denen der Gesamtheit: Vielleicht steht
auch noch einem Teil Europas die traurige Erfahrung bevor, daß die Sonder¬
interessen der Arbeiter, da wo sie mit rücksichtsloser Selbstsucht verfolgt das
Gesetz geben, am allerzerstörendsten wirken, und nicht etwa nur beschränkten Druck,
beschränkte Leiden herbeiführen, sondern allgemeine und gänzliche Verarmung,


Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

Kurz zusammengefaßt lauten die Resultate seiner Untersuchung: Die Lehre
vom Reinertrag ist falsch, wichtiger ist das Gesamteinkommen und eine Ver¬
teilung, die einer zahlreichen Bevölkerung ein frohes, unabhängiges und
kräftiges Dasein gewährt. Alle Produktion ist nur Mittel, nicht Zweck; sie
ist das Mittel, einen bestimmten, unter den gegebnen Verhältnissen besten
Zustand der Gesellschaft zu gründen, dem sie dienstbar bleiben muß; keines¬
wegs darf im Interesse der Produktion der gesellschaftliche Zustand verlangt
werden, der ihr am förderlichsten ist. Der Arbeitslohn ist nicht, wie es die
Lehre will, eine konstante Größe, die durch die notwendigen Bedürfnisse des
Arbeiters bestimmt wird und lediglich den Produktionskosten beizuzählen ist;
er ist vielmehr ein Teil des nationalen Einkommens, von dem das Maß
von Zufriedenheit und Behagen eines großen Teils der Nation abhängt.

Insofern die höhere Kapitalrente aus einem geringern Gesamteinkommen
hervorgeht, als andre Eigentumsverhältnisse unter sonst gleichen Umständen
erlauben würden zu gewinnen, scheint die Gegenwart einer fort und fort
hinausgeschobnen Zukunft aufgeopfert, und zwar einer Zukunft, die auch nicht
die wünschenswertesten Aussichten zeigt, wenn sich die neuen Kapitalien in den
Händen einer geringen Zahl von Unternehmern häufen müssen.

Schließlich würden die arbeitenden Klassen überhaupt als überflüssig an¬
gesehen werden müssen, wenn das Kapital sich in einen Mechanismus ver¬
wandeln ließe, der zum Nutzen des Besitzers ein reines Einkommen erzeugte,
denn der arbeitende Mensch ist nach dieser Auffassung nichts als Werkzeug.

Das rohe Einkommen und nicht das reine muß also als der jährliche
Gewinn der Gesamtheit, der jährlich geschaffne Nationalrcichtum angesehen
werden. Nicht Produktion und Konsumtion sind der Zweck der ganzen
Schöpfung; der Mensch ist nicht geschaffen, um sich in diesem mühseligen
Geschäft rastlos abzuhaspeln. Erhaltung und Veredlung des menschlichen
Daseins um seiner selbst willen müssen als Zweck alles wirtschaftlichen Strebens
anerkannt werden. Eine Verteilung der gewonnenen Reichtümer, die der größt¬
möglichen Zahl von Menschen ein selbständiges Dasein gewährt und nicht
dahin wirkt, die unvermeidliche Ungleichheit des Besitzes ins Unabsehbare zu
steigern, ist vor allem von Wichtigkeit.

Gerade im Interesse der Gesellschaft im ganzen und des Staates will
Bernhardi diese Sätze zur Geltung bringen; er ist weit entfernt davon, auf sozia¬
listischen Boden zu stehen oder auch nur ein Vertreter einseitiger Arbeiter-
iuteressen zu sein. Auf das eindringlichste erhebt er seine Stimme auch gegen
die Verwechslung dieser Interessen mit denen der Gesamtheit: Vielleicht steht
auch noch einem Teil Europas die traurige Erfahrung bevor, daß die Sonder¬
interessen der Arbeiter, da wo sie mit rücksichtsloser Selbstsucht verfolgt das
Gesetz geben, am allerzerstörendsten wirken, und nicht etwa nur beschränkten Druck,
beschränkte Leiden herbeiführen, sondern allgemeine und gänzliche Verarmung,


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[0249] Theodor von Bernhard! als Nationalökonom Kurz zusammengefaßt lauten die Resultate seiner Untersuchung: Die Lehre vom Reinertrag ist falsch, wichtiger ist das Gesamteinkommen und eine Ver¬ teilung, die einer zahlreichen Bevölkerung ein frohes, unabhängiges und kräftiges Dasein gewährt. Alle Produktion ist nur Mittel, nicht Zweck; sie ist das Mittel, einen bestimmten, unter den gegebnen Verhältnissen besten Zustand der Gesellschaft zu gründen, dem sie dienstbar bleiben muß; keines¬ wegs darf im Interesse der Produktion der gesellschaftliche Zustand verlangt werden, der ihr am förderlichsten ist. Der Arbeitslohn ist nicht, wie es die Lehre will, eine konstante Größe, die durch die notwendigen Bedürfnisse des Arbeiters bestimmt wird und lediglich den Produktionskosten beizuzählen ist; er ist vielmehr ein Teil des nationalen Einkommens, von dem das Maß von Zufriedenheit und Behagen eines großen Teils der Nation abhängt. Insofern die höhere Kapitalrente aus einem geringern Gesamteinkommen hervorgeht, als andre Eigentumsverhältnisse unter sonst gleichen Umständen erlauben würden zu gewinnen, scheint die Gegenwart einer fort und fort hinausgeschobnen Zukunft aufgeopfert, und zwar einer Zukunft, die auch nicht die wünschenswertesten Aussichten zeigt, wenn sich die neuen Kapitalien in den Händen einer geringen Zahl von Unternehmern häufen müssen. Schließlich würden die arbeitenden Klassen überhaupt als überflüssig an¬ gesehen werden müssen, wenn das Kapital sich in einen Mechanismus ver¬ wandeln ließe, der zum Nutzen des Besitzers ein reines Einkommen erzeugte, denn der arbeitende Mensch ist nach dieser Auffassung nichts als Werkzeug. Das rohe Einkommen und nicht das reine muß also als der jährliche Gewinn der Gesamtheit, der jährlich geschaffne Nationalrcichtum angesehen werden. Nicht Produktion und Konsumtion sind der Zweck der ganzen Schöpfung; der Mensch ist nicht geschaffen, um sich in diesem mühseligen Geschäft rastlos abzuhaspeln. Erhaltung und Veredlung des menschlichen Daseins um seiner selbst willen müssen als Zweck alles wirtschaftlichen Strebens anerkannt werden. Eine Verteilung der gewonnenen Reichtümer, die der größt¬ möglichen Zahl von Menschen ein selbständiges Dasein gewährt und nicht dahin wirkt, die unvermeidliche Ungleichheit des Besitzes ins Unabsehbare zu steigern, ist vor allem von Wichtigkeit. Gerade im Interesse der Gesellschaft im ganzen und des Staates will Bernhardi diese Sätze zur Geltung bringen; er ist weit entfernt davon, auf sozia¬ listischen Boden zu stehen oder auch nur ein Vertreter einseitiger Arbeiter- iuteressen zu sein. Auf das eindringlichste erhebt er seine Stimme auch gegen die Verwechslung dieser Interessen mit denen der Gesamtheit: Vielleicht steht auch noch einem Teil Europas die traurige Erfahrung bevor, daß die Sonder¬ interessen der Arbeiter, da wo sie mit rücksichtsloser Selbstsucht verfolgt das Gesetz geben, am allerzerstörendsten wirken, und nicht etwa nur beschränkten Druck, beschränkte Leiden herbeiführen, sondern allgemeine und gänzliche Verarmung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/249>, abgerufen am 12.12.2024.