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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

Stärkung der sittlichen Triebe im Menschen, von der Energie seines Strebens,
von der Entwicklung seiner Intelligenz und von der steigenden Gewalt über
die Natur, die ihm solche Erweiterungen seines geistigen Vermögens verleihen.
Da es sich ferner nicht nur um die Erzeugung, sondern auch um eine den
Zwecken des Ganzen entsprechende Verteilung der sachlichen Reichtümer handelt,
so ist auch die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie aus der Vergangenheit
hervorgegangen ist, von größerer Bedeutung, als die Engländer meinen. Wenn
dann, um diese Lücke zu verdecken, versucht worden ist, die Ergebnisse der
intellektuellen und moralischen Triebe mit unter den Begriff des Kapitals zu
bringen, wenn von immateriellen Kapital gesprochen wird, von der Rente der
natürlichen Talente, von den Zinsen eines Kapitals von Kenntnissen in Geld
und Gütern, so ist es klar, daß diese Anschauung durchaus auf materialistischer
Grundlage beruht und auf Materialismus hinausläuft. Darnach ist der
Mensch dazu da, eine Portion Kapital anzusammeln, das ist seine Be¬
stimmung; der Erwerb, dem alle übrigen Triebe zu dienen haben, und worin
sie den Ausdruck ihrer Bedeutung finden, ist die Hauptsache. Wird sich ein
vernünftiger Mensch wundern, daß sich auch die Arbeiter diesen Lehren zu¬
wandten, und sie sich nur in etwas gröblicherer Weise zurechtlegten? So hat
man Wind gesät und mußte natürlich Sturm ernten.

Überall strebte die Schule nach möglichst allgemeinen Gesetzen und ver¬
nachlässigte das Grundgesetz aller praktischen Politik, das darin besteht, jeder
Individualität nach ihrer Art gerecht zu werden. So wenn gelehrt wurde,
ein reiches, stark bevölkertes Land müsse seine zuwachsenden Kräfte der Industrie
zuwende", nicht dem Landbau, weil in der Industrie jede zuwachsende Arbeits-
meuge mehr Güter erzeuge als die frühere, während für den Ackerbau das
Gesetz abnehmender Erträge gelte. Aber auch in der Industrie ist die Er¬
giebigkeit von der vermehrten Einsicht bei der Anwendung neuer Arbeitsmengen
abhängig, und wenn erwiesen werden soll, ein bestimmtes Verfahren sei für
ein bestimmtes Land das vorteilhafteste, so müssen die Gründe dafür in den
Vorteilen der allgemeinen territorialen Arbeitsteilung gesucht werden, in der
gesamten wirtschaftlichen Lage des Landes, wie die Geschichte sie entwickelt hat,
und in den Verhältnissen der einheimischen Betriebsamkeit zum Weltmarkt.
Für England wird sich nach Bernhardis Meinung der Beweis wohl führen
lassen, daß es nicht zweckmüßig wäre, Arbeit und Kapital künstlich dem Acker¬
bau zuzuführen, für andre Länder wird dieser Beweis schwieriger sein.

Je weiter sich die Lehre entwickelt, desto klarer stellt sich heraus, daß die
Lehre weiter nichts ist, als die theoretische Rechtfertigung der Sonderinteressen
eines Standes, und zwar des Standes der Kapitalisten und gewerblichen
Unternehmer. Aber jedes Sonderinteresse, im Sinne einseitiger Selbstsucht
aufgefaßt, stellt sich dem der Gesamtheit und des Staats, dessen Aufgabe die
Herbeiführung einer bessern Zukunft ist, feindlich entgegen. Von ihrem Stand-


Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

Stärkung der sittlichen Triebe im Menschen, von der Energie seines Strebens,
von der Entwicklung seiner Intelligenz und von der steigenden Gewalt über
die Natur, die ihm solche Erweiterungen seines geistigen Vermögens verleihen.
Da es sich ferner nicht nur um die Erzeugung, sondern auch um eine den
Zwecken des Ganzen entsprechende Verteilung der sachlichen Reichtümer handelt,
so ist auch die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie aus der Vergangenheit
hervorgegangen ist, von größerer Bedeutung, als die Engländer meinen. Wenn
dann, um diese Lücke zu verdecken, versucht worden ist, die Ergebnisse der
intellektuellen und moralischen Triebe mit unter den Begriff des Kapitals zu
bringen, wenn von immateriellen Kapital gesprochen wird, von der Rente der
natürlichen Talente, von den Zinsen eines Kapitals von Kenntnissen in Geld
und Gütern, so ist es klar, daß diese Anschauung durchaus auf materialistischer
Grundlage beruht und auf Materialismus hinausläuft. Darnach ist der
Mensch dazu da, eine Portion Kapital anzusammeln, das ist seine Be¬
stimmung; der Erwerb, dem alle übrigen Triebe zu dienen haben, und worin
sie den Ausdruck ihrer Bedeutung finden, ist die Hauptsache. Wird sich ein
vernünftiger Mensch wundern, daß sich auch die Arbeiter diesen Lehren zu¬
wandten, und sie sich nur in etwas gröblicherer Weise zurechtlegten? So hat
man Wind gesät und mußte natürlich Sturm ernten.

Überall strebte die Schule nach möglichst allgemeinen Gesetzen und ver¬
nachlässigte das Grundgesetz aller praktischen Politik, das darin besteht, jeder
Individualität nach ihrer Art gerecht zu werden. So wenn gelehrt wurde,
ein reiches, stark bevölkertes Land müsse seine zuwachsenden Kräfte der Industrie
zuwende», nicht dem Landbau, weil in der Industrie jede zuwachsende Arbeits-
meuge mehr Güter erzeuge als die frühere, während für den Ackerbau das
Gesetz abnehmender Erträge gelte. Aber auch in der Industrie ist die Er¬
giebigkeit von der vermehrten Einsicht bei der Anwendung neuer Arbeitsmengen
abhängig, und wenn erwiesen werden soll, ein bestimmtes Verfahren sei für
ein bestimmtes Land das vorteilhafteste, so müssen die Gründe dafür in den
Vorteilen der allgemeinen territorialen Arbeitsteilung gesucht werden, in der
gesamten wirtschaftlichen Lage des Landes, wie die Geschichte sie entwickelt hat,
und in den Verhältnissen der einheimischen Betriebsamkeit zum Weltmarkt.
Für England wird sich nach Bernhardis Meinung der Beweis wohl führen
lassen, daß es nicht zweckmüßig wäre, Arbeit und Kapital künstlich dem Acker¬
bau zuzuführen, für andre Länder wird dieser Beweis schwieriger sein.

Je weiter sich die Lehre entwickelt, desto klarer stellt sich heraus, daß die
Lehre weiter nichts ist, als die theoretische Rechtfertigung der Sonderinteressen
eines Standes, und zwar des Standes der Kapitalisten und gewerblichen
Unternehmer. Aber jedes Sonderinteresse, im Sinne einseitiger Selbstsucht
aufgefaßt, stellt sich dem der Gesamtheit und des Staats, dessen Aufgabe die
Herbeiführung einer bessern Zukunft ist, feindlich entgegen. Von ihrem Stand-


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[0245] Theodor von Bernhard! als Nationalökonom Stärkung der sittlichen Triebe im Menschen, von der Energie seines Strebens, von der Entwicklung seiner Intelligenz und von der steigenden Gewalt über die Natur, die ihm solche Erweiterungen seines geistigen Vermögens verleihen. Da es sich ferner nicht nur um die Erzeugung, sondern auch um eine den Zwecken des Ganzen entsprechende Verteilung der sachlichen Reichtümer handelt, so ist auch die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie aus der Vergangenheit hervorgegangen ist, von größerer Bedeutung, als die Engländer meinen. Wenn dann, um diese Lücke zu verdecken, versucht worden ist, die Ergebnisse der intellektuellen und moralischen Triebe mit unter den Begriff des Kapitals zu bringen, wenn von immateriellen Kapital gesprochen wird, von der Rente der natürlichen Talente, von den Zinsen eines Kapitals von Kenntnissen in Geld und Gütern, so ist es klar, daß diese Anschauung durchaus auf materialistischer Grundlage beruht und auf Materialismus hinausläuft. Darnach ist der Mensch dazu da, eine Portion Kapital anzusammeln, das ist seine Be¬ stimmung; der Erwerb, dem alle übrigen Triebe zu dienen haben, und worin sie den Ausdruck ihrer Bedeutung finden, ist die Hauptsache. Wird sich ein vernünftiger Mensch wundern, daß sich auch die Arbeiter diesen Lehren zu¬ wandten, und sie sich nur in etwas gröblicherer Weise zurechtlegten? So hat man Wind gesät und mußte natürlich Sturm ernten. Überall strebte die Schule nach möglichst allgemeinen Gesetzen und ver¬ nachlässigte das Grundgesetz aller praktischen Politik, das darin besteht, jeder Individualität nach ihrer Art gerecht zu werden. So wenn gelehrt wurde, ein reiches, stark bevölkertes Land müsse seine zuwachsenden Kräfte der Industrie zuwende», nicht dem Landbau, weil in der Industrie jede zuwachsende Arbeits- meuge mehr Güter erzeuge als die frühere, während für den Ackerbau das Gesetz abnehmender Erträge gelte. Aber auch in der Industrie ist die Er¬ giebigkeit von der vermehrten Einsicht bei der Anwendung neuer Arbeitsmengen abhängig, und wenn erwiesen werden soll, ein bestimmtes Verfahren sei für ein bestimmtes Land das vorteilhafteste, so müssen die Gründe dafür in den Vorteilen der allgemeinen territorialen Arbeitsteilung gesucht werden, in der gesamten wirtschaftlichen Lage des Landes, wie die Geschichte sie entwickelt hat, und in den Verhältnissen der einheimischen Betriebsamkeit zum Weltmarkt. Für England wird sich nach Bernhardis Meinung der Beweis wohl führen lassen, daß es nicht zweckmüßig wäre, Arbeit und Kapital künstlich dem Acker¬ bau zuzuführen, für andre Länder wird dieser Beweis schwieriger sein. Je weiter sich die Lehre entwickelt, desto klarer stellt sich heraus, daß die Lehre weiter nichts ist, als die theoretische Rechtfertigung der Sonderinteressen eines Standes, und zwar des Standes der Kapitalisten und gewerblichen Unternehmer. Aber jedes Sonderinteresse, im Sinne einseitiger Selbstsucht aufgefaßt, stellt sich dem der Gesamtheit und des Staats, dessen Aufgabe die Herbeiführung einer bessern Zukunft ist, feindlich entgegen. Von ihrem Stand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/245>, abgerufen am 04.07.2024.